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Gegenständen, die auf einer Con von Spielern gefunden werden, kommt eine besondere Bedeutung zu, vor allem wenn sie sich zuvor in NSC-Hand befanden. Manchmal spielt dabei eine überschäumende Fantasie den Spielern einen Streich. Aber aufgepasst … vielleicht ist ja genau das der gewünschte Effekt?

Eine Blutspur im Wald, die neugierige Fährtensucher in ihren Bann zieht. Gerade erst hat man erfolgreich eine Horde Untoter verjagt, nun soll das Gelände gesichert werden. Mit einem Mal endet die Spur, auf einem Baumstumpf liegt ein geheimnisvoll aussehendes Amulett. Kaum tritt eine Frau nahe genug heran, legt sich das Amulett um ihren Hals und lässt sich nicht mehr abnehmen. Der Schreck ist groß. Was wird nun geschehen? Was bewirkt das Amulett in der Trägerin? Zum Ende der Con stellt sich heraus: nichts. Doch die Stunden zuvor generierten intensives Spiel und ein Feuerwerk an kreativen Ideen. Die Spielleitung ist zufrieden, die Spieler erstaunt. Der Gegenstand war ein Creep-Teil.

Was ist ein Creep-Teil?

Der Begriff leitet sich vom englischen Ausdruck „creep item“ ab, welcher sich auf das Warcraft III-System bezieht. Dort ist „Creep“ der Sammelbegriff für diejenigen neutralen Einheiten, die ein Spieler erlegen kann, um Erfahrungspunkte zu sammeln. Ein weiterer gängiger Ausdruck dafür lautet „mob“. Die Bekämpfung der Einheiten hat aber keine direkte Bedeutung für die Queste selbst. Mancher Creep lässt, wenn er besiegt ist oder sich zurückzieht, einen Gegenstand fallen, den der Spieler in sein Arsenal aufnehmen kann. Je hochklassiger der Creep, desto wertvoller und nützlicher auch der Gegenstand, den er verliert. Eingedeutscht wird aus „creep item“ Creep-Teil, was aufgrund einer kleineren Silbenanzahl für manche deutschen Warcraft III-Spieler eingängiger wirken mag.

Was hat nun ein Begriff aus dem Warcraft-System mit LARP zu tun? Auch hier gibt es Kämpfe zwischen Spielern und namenlosen NSCs und somit können auch diese NSCs beim Rückzug vom Schlachtfeld Dinge zurücklassen, welche die Spieler finden und an sich nehmen. Im Gegensatz zu einem Video- oder PC-Spiel und Gegnern, die nur aus Pixeln bestehen, kommt beim LARP jedoch der menschliche Faktor und ein Gespür für Intentionalität in den Spielern dazu. Während der PC-Spieler nicht davon ausgehen wird, dass der besiegte Creep absichtlich einen bestimmten Gegenstand fallen lässt, sondern es sich um ein randomisiertes Verfahren handelt, sind auf einer Con andere Vorzeichen gegeben. Dort weiß ein Spieler, auch wenn es sein Charakter nicht weiß, dass die Spielleitung mit Absicht bestimmte Gegenstände ins Spielerlager schleust, da diese Gegenstände für den Plot Relevanz haben. Ein von einem NSC verlorener oder geplünderter Gegenstand bekommt also von vorneherein eine größere Signifikanz. Man wird ihn OT genau analysieren und untersuchen wollen, um im Plot voranzukommen, IT will man so viel wie möglich über die Gegenseite des Konflikts herausfinden wollen, beispielsweise zu welcher Art Magie sie fähig ist.

Nun kommt eine wichtige Eigenschaft des Creep-Teils zum Tragen: rudimentäre Informationsvergabe. Das Wissensgefälle zwischen Spielleitung und Spielern bleibt weitestgehend bestehen, weil die Analyse des Creep-Teils auch nach mehreren Versuchen nicht oder nur partiell funktioniert, oder das Ergebnis ‚zu harmlos‘ erscheint, um glaubhaft zu wirken. Letzteres kann besonders dann der Fall sein, wenn der Gegenstand ein außergewöhnliches Äußeres besitzt, kein alltäglicher Gegenstand ist: ein Amulett, ein besonders prachtvoller Dolch, ein geheimnisvolles Kästchen, das sich nicht öffnen lässt.

Im zweifachen Wortsinn von ‚creep‘ schleicht sich der Gegenstand einerseits in den Plot, andererseits wirkt er unheimlich durch seine Nicht-Erklärbarkeit.

Der Einsatz: Chancen

Dass ein Creep-Teil ein Werkzeug der Spielleitung sein kann, klang im obigen Absatz schon an, welchen Nutzen zieht sie allerdings daraus? Hier einige Beispiele, die den Mechanismus noch weiter verdeutlichen:

Plottiefe

Der Einsatz eines Creep-Teils macht sich eine grundlegende menschliche Eigenschaft zunutze, die immer dann auftritt, wenn eine unsichtbare Grenze zwischen einem kollektiven ‚Wir‘ und ‚den Anderen‘ gezogen wird, eine Grundkonstellation des „NSC vs. SC“-Spiels: Lücken in der Information, die das ‚Wir‘ über ‚die Anderen‘ hat, werden im Zweifelsfall mit tieferem Sinn aufgefüllt als eigentlich vorhanden wäre. Im Prinzip handelt es sich um den selben Mechanismus, wie er bei Verschwörungstheorien zutage tritt, ein unterschwelliges Gefühl von ‚Das kann nicht alles sein. Da muss eine tiefere, bösere Absicht zur Täuschung dahinterstecken‘. Bekommt man die nötigen Informationen nicht durch magische Analyse oder anderweitig zur Verfügung stehende Mittel, füllt die Fantasie die Lücken aus. OT kennen Spieler aus anderen Cons, Büchern, Serien etc. genügend Beispiele für geheimnisvolle, gefährliche Gegenstände, der Charakter selbst hat möglicherweise auch schon einiges in dieser Richtung erlebt. Der unbedingte Wille, nur ja nichts zu übersehen und sich bestmöglich gegen ‚die Anderen‘ zu schützen, führt in der Interaktion zwischen den Spielern häufig dazu, dass dem Gegenstand eine Geschichte zugemessen wird, die er gar nicht besitzt. So wird der prachtvolle Dolch zum Ritualgegenstand, der denjenigen, der ihn unvorsichtig berührt, im Zweifelsfall zum willigen Werkzeug des Bösen macht. Das nicht zu öffnende Kästchen beinhaltet entweder einen mächtigen Zauber oder – ähnlich der Büchse der Pandora – mehrere böse Flüche. Ein stilisiertes Auge auf einem Amulett, das sich dem Träger unfreiwillig um den Hals legt, könnte ein Spionenauge des Feindes sein, das alles sieht, worauf der Träger blickt.

LARPer auf Cons erwecken mit ihrer Fantasie ohnehin eine nur rudimentär vorgegebene Welt für wenige Tage zum Leben, daher ist es nur konsequent, sich diese Fantasie zunutze zu machen und das Kollektiv der Spieler als eine Art Denkfabrik mitzunutzen. So können aus Spekulationen über ein Creep-Teil Ideen entstehen, auf die die Spielleitung selbst in ihren Überlegungen nicht gekommen ist, die sich aber durchaus harmonisch in das Setting der Con oder der Con-Reihe einfügen ließen. Insofern kann die Spielleitung auch jederzeit entscheiden, ob das Creep-Teil ein solches bleibt, oder an anderer Stelle im Laufe der Handlung noch einmal einen Auftritt bekommt, diesmal als vollwertiger Plotgegenstand.

Beschäftigung an längeren Cons

Hat eine Wochenend-Con nur insgesamt zwei volle Spieltage, ist meist viel Plot in wenig Zeit untergebracht und daher wenig Raum oder Notwendigkeit für den Subplot eines Creep-Teils. Auch wenn Spielerwissen von Charakterwissen immer zu trennen ist, lässt sich der unterschwellige Gedanke, dass der Plot am Samstagabend oder in der Nacht seinen Höhepunkt finden wird und bis dahin die Rätsel gelöst sein sollten, schwer aus den Hinterköpfen vertreiben. Zu viele Nebenstränge einzubauen, kann daher bei Wochenend-Cons eher nachteilig wirken.

Hat man jedoch noch einen oder zwei Tage mehr zur Verfügung, muss im Gegenteil darauf geachtet werden, dass keine größeren Pausen im Geschehen eintreten, die von Seiten der Spieler als Längen aufgefasst werden. Hier kann der Einsatz von Creep-Teilen helfen, den Spielern Anreiz zum Interagieren zu geben, ohne dabei zu viel eigenen Aufwand in einen ausgefeilten Nebenplot investieren zu müssen. Die Vorbereitung eines Creep-Teil-Plotstrangs besteht allenfalls in der Entscheidung, welche Informationen genau zu dem Gegenstand bei Untersuchung oder magischer/alchemistischer Suche gegeben werden sollen. Den Rest besorgen diejenigen Spieler, welche sich um den Gegenstand kümmern. Da sie sich nicht sicher sein können, ob das Creep-Teil für den Ausgang des Plots relevant ist, werden möglichst viele unterschiedliche Kompetenzen sich an der Entschlüsselung der Informationen beteiligen. Dadurch werden auch viele unterschiedliche Spielergruppen miteinander in Kontakt treten, die ohne das Auftauchen des Creep-Teils vielleicht zuvor weniger Grund hatten, gemeinsames Spiel zu finden. Somit führt der Einsatz bei geringem Aufwand zu einem sehr differenzierten Ergebnis, das je nach Aussehen oder Verhalten des Gegenstands auch zur gewünschten Grundstimmung der Con beitragen kann.

Einbindung vieler Spieler

„Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;“

Diese bekannten Zeilen aus Goethes Faust verdeutlichen die  Grundherausforderung einer mittelgroßen bis großen „NSC vs. SC“-Con: Je mehr Spieler sich auf einer Con befinden, desto mehr Anreize müssen geschaffen werden, damit jeder Spieler nach seinen Vorstellungen etwas Positives von der Veranstaltung mitnimmt. Natürlich ist es ein hoffnungsloses Unterfangen, es allen Spielern und allen Charakteren gleichermaßen recht machen zu wollen. Organisatoren mit einem solchen hehren Ziel müssen notwendig scheitern. Dennoch bleibt die Herausforderung bestehen. Mit kleinen und großen Scharmützeln durch NSC Angriffe kann man die Kämpfer in der Spielerfraktion gut beschäftigen. Auf Kleincons sind die Plotjäger unter den Spielern mit dem Hauptplot meist gut bedient, je mehr Plotjäger sich jedoch auf der Veranstaltung tummeln, desto schwieriger wird es, sie alle irgendwie einzubinden.

Lässt man nun einen NSC ein Creep-Teil im Spielerlager oder der Umgebung einschleusen, tut sich ein vermeintlicher Nebenstrang auf, dem sich dann jene Charaktere widmen können, die möglicherweise dem Hauptplot aus verschiedenen Gründen weniger abgewinnen. Besonders hilfreich ist es, wenn die Spielleitung die anwesenden Charaktere gut kennt, denn dann kann sie die Auswahl des Creep-Teils auf Informationen abstimmen, welche sie von den anwesenden Spielern im Vorfeld über die Charaktere bekommen hat. So können mit einem gewissen Aussehen des Gegenstands gezielt Aberglauben oder Ängste getriggert werden, die sich auf die Sichtweise auf das Creep-Teil und den Umgang damit im Spielverlauf auswirken. Der Effekt auf Seiten der Spieler: Sie bekommen die Möglichkeit, Aspekte ihres Charakters einzubringen, die über ihre Klasse oder Rasse hinausgehen, was natürlich den Eindruck verschärft, direkt vom Geschehen betroffen zu sein und eine persönliche Motivation zu bekommen, sich an der Handlung zu beteiligen.

Der Einsatz: Risiken

So vielfältig die Einsatzmöglichkeiten für ein Creep-Teil im LARP sind, so kreativitätsfördernd, integrierend und aufwandsökonomisch sie sein können, sie sind keineswegs eine allseeligmachende Lösung. Es gibt einige negative Aspekte, die nahelegen, nicht allzu häufig Creep-Teile auf Cons einzusetzen, sondern es bei wenigen Akzentuierungen zu belassen.

Enttäuschung

Wer sich auf einer Con am Plot beteiligt, möchte sein Übriges dafür tun, ihn zu einem für den Charakter erstrebenswerten Ziel zu bringen. Creep-Teil-Plotstränge sind allerdings darauf ausgelegt, weniger zu einer Lösung zu kommen, denn allein spielfördernd zu wirken. Als solches kann die Beschäftigung mit einem Gegenstand, der sich als Nebelkerze entpuppt, die gefühlte positive Involvierung des Charakters ins Plotgeschehen in Frustration und Enttäuschung umschlagen lassen. Man hat Zeit, Energie und Kreativität in die Lösung eines Rätsels gesteckt, das schlechterdings nicht zu lösen war. Anstatt einen wertvollen Beitrag geleistet zu haben, hat man sich sozusagen aufs Glatteis führen lassen.

Dementsprechend sollte sich eine Spielleitung, die sich für den Einsatz eines Creep-Teils entscheidet, vorher genaue Gedanken machen, wie die Auflösung des Gegenstands als Creep-Teil möglichst gut vonstatten gehen kann, ohne die involvierten Spieler zu verprellen. So könnte sich der Wert des Objekts beispielsweise nicht in seiner Plotrelevanz erweisen, sondern in der Bedeutung, die es für einen positiv besetzten NSC hat (sofern im Plot vorhanden), dem es von den ‚Bösen‘ entwendet wurde. Auf diese Weise stellt sich das Creep-Teil zwar als harmlos dar, aber nicht als vollkommen sinnfrei.

Der „Cry Wolf“-Effekt

In einer bekannten Fabel des altgriechischen Dichters Aesop ruft ein Hirtenjunge zweimal Dorfbewohner wegen eines vermeintlichen Wolfsüberfalls auf seine Herde zu Hilfe und lacht sie für ihre Leichtgläubigkeit aus. Als dann tatsächlich ein Wolf auftaucht und Schafe reißt, weigern sich die Dorfbewohner nochmals auszurücken, da sie eine weitere Lüge vermuten.

Abgeleitet hat sich daraus der sogenannte „Cry Wolf“-Effekt: Es tritt ein Gewöhnungseffekt ein, der eine Gefahr nicht mehr als eine Gefahr wahrnimmt, da sie sich mehrere Male zuvor als unbegründeter Verdacht herausgestellt hat.

Übertragen auf die Mechanismen eines Creep-Teils bedeutet dies: Setzt man den Effekt zu häufig ein, setzt er sich in der Erinnerung der Spieler fest und wird als Filter benutzt. Ein gefundener Gegenstand wird vorausschauend als Creep-Teil identifiziert und als solches abgetan. Anstatt unnötige Energie zu vergeuden, lässt man den Gegenstand als nicht beachtenswert liegen und nivelliert dadurch das von der Spielleitung erwünschte Ergebnis. Der eingeengte Fokus auf den Hauptstrang des Plots wird also noch verschärft anstatt verringert, und das einzige Erfolgserlebnis auf Spielerseite besteht darin, die Intention der Spielleitung erkannt zu haben. Vorteile für die eigene Involvierung in den Plot und das Zusammenspiel der Charaktere ergeben sich keine.

Fazit

Gerade Cons, die entweder eine größere Anzahl von Teilnehmern aufweisen oder sich über mehr als drei Tage erstrecken, können sehr von Creep-Teilen und ihren Mechanismen profitieren. Die Möglichkeit, die eigene Kreativität der Spieler anzustacheln, ist niemals zu unterschätzen und kann zu wunderbar dichtem, atmosphärischem Spiel rund um die geheimnisvollen Gegenstände führen. Allein schon die Frage, wie mit dem Gegenstand verfahren werden soll oder was er bewirken könnte, lässt Lebensanschauungen und Prinzipien in interessanter Weise aufeinanderprallen. Davon profitiert nicht nur der Plot, sondern im Zweifelsfall auch die individuelle Entwicklung der Charaktere.

Auf der anderen Seite müssen Creep-Teile immer unter Vorbehalt und wohldosiert ins Spiel gebracht werden, damit der gewünschte Effekt nicht in sein genaues Gegenteil umschlägt.

Artikelbild: depositphotos | gl0ck

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1 Kommentar

  1. Was ich viel „besondererer“ finde , sind die Gegenstände die man neben dem Plot her findet. Urkunden, Verträge, handelsabkommen usw. Also die ganzen „fluff“ Gegenstände von Spielern für Spieler. Ein schön geschriebenes und gestaltetes Abkommen (z.B) ist für mich persönlich der Lohn für hunderte Stunden Charakteraufbau, gewandbastelei und gutes Spiel. Die Dinger hat man gerne in der Hand und man hat tolle Erinnerungen die man damit verbinden kann.

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