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Ein kleines puritanisches Dorf in Neuengland um 1630, ein idealer Ort für einen Horrorfilm um eine Hexe. Immerhin liegt der Film zeitlich noch mitten in der Hochphase der Hexenverfolgung in den USA. Nur etwas über 60 Jahre später wird es im selben Gebiet zu den berüchtigten Hexenprozessen von Salem kommen. Wie es zu so einem grausigen Ereignis kommen konnte, bei dem am Ende fast 450 Personen involviert waren und 20 Menschen hingerichtet wurden, kann man sich nach diesem Film besser vorstellen. Wohl auch ein Grund, warum der Untertitel „Eine neuenglische Volkssage“ lautet. Aber taugt ein Horrorfilm auch als Historiendrama?

Story

Zu Beginn wird der Zuschauer Zeuge eines Kirchenprozesses gegen den Protagonisten William. Gemeinsam mit seiner Frau und den fünf Kindern lebt dieser in einer kleinen puritanischen Siedlung irgendwo in Neuengland. Angeklagt wegen hochmütiger Arroganz, hier in Form der absolut reinen und wortgetreuen Auslegung der christlichen Lehre, welche William propagiert, wird er in dem kurzen Prozess exkommuniziert. Damit wohnt gleich dem Beginn der Handlung eine gewisse Ironie inne, schließlich zählen Puritaner größtenteils zu den radikalen Evangelikalen. Wenn also schon Radikale einen Radikalen ausschließen, ist damit eine solide Basis für eine Geschichte um religiösen Wahn und Fanatismus geschaffen.

Der aus der Gemeinde Verstoßene und in seinem Stolz verletzte Vater schnappt sich noch am gleichen Tag seine Familie und wählt das Exil statt einem Leben in Schande. Mit ihrem ganzen Hab und Gut machen sich die Exilanten nun auf die Suche nach einer besseren und frommeren Zukunft. Diese scheinen sie nach einer kurzen Reise am Rande eines großen Waldes gefunden zu haben. Mit einer eigenen Farm soll der Lebensunterhalt gesichert werden, um fortan wortgetreu nach der Bibel leben zu können. Doch das Leben ist entbehrungsreich und hart, der Winter naht und die Ernte ist in Gefahr, weil eine Krankheit die Pflanzen befallen hat. Dennoch versucht die junge Familie das Beste daraus zu machen. William, seine Frau Kathrine, die älteste Tochter Thomasin, ihr jüngerer Bruder Caleb und die Zwillinge Mercy und Jonas teilen sich das wenige Essen, bewirtschaften den Hof und versuchen auch noch den jüngsten Spross, Samuel, zu umsorgen.

So besteht der ausgesprochen triste Alltag aus beten und arbeiten, arbeiten und beten. Angetrieben von Vater William und seiner reinen Auslegung des Glaubens, stellt sich schnell ein beklemmendes Gefühl beim Zuschauer ein. Bereits die Jüngsten bekommen die Erbsünde eingebläut und Gebete bestehen aus Selbstkritik und fortwährender moralischer Erniedrigung. Unter diesem Eindruck beginnen sich alsbald unerklärliche Ereignisse auf der kleinen Farm und dem nahen Wald abzuspielen. Doch statt nach der Wahrheit zu suchen, verliert sich die Familie mehr und mehr in ihrem religiösen Wahn und sucht die Antwort bei Gott. Dieser Antwortet ihnen durchaus, doch mit ihren fanatischen Scheuklappen, sehen sie nicht das Offensichtliche: Es ist ihre eigene Verblendung die die Familie zerstört. Gefangen in einer Spirale aus religiösem Wahn, Paranoia und gegenseitigen Schuldzuweisungen spitzt sich die Lage der Familie dramatisch zu und kommt zu einem beinahe verblüffenden Ende.

Darsteller

Die Besetzung kann als durch und durch gelungen bezeichnet werden. Es scheint so, als wären die Rollen den jeweiligen Darstellern auf den Leib geschnitten worden.

Im Mittelpunkt des ganzen Hexenwahns steht die junge Thomasin, die von Anya-Taylor Joy gespielt wird. Die erst 20-jährige Joy debütierte als Nebenrolle im Film Vampire Academy, der erst 2014 im Kino war, und bekam eine kleine Rolle in der Serie Atlantis. In The VVitch zeigt sie beeindruckend was sie wirklich kann. Teils hilflos, teils wütend muss sie mit ansehen, wie ihre ganze Familie nach und nach dem Wahn verfällt. Jeder Versuch die Familie zu Retten und die seltsamen Ereignisse aufzuklären, scheint es aber noch viel schlimmer zu machen. Absolut glaubwürdig hat sie auch die stärkste Charakterentwicklung in den gut 90 Minuten des Films. Von der unbeschwerten Tochter zur letzten Bastion der Vernunft, bis zum erstaunlichen Ende des Films. Von ihr werden wir noch einiges sehen, dieses Jahr zum Beispiel bereits im Science-Fiction-Streifen Morgan und 2017 im Shyamalan-Thriller Split. Aber auch darüber hinaus ist ihr ein weiteres Engagement schon sicher, 2018 wird sie im X-Men Spin-off New Mutants als Ilyana Rasputin zu sehen sein.

Mit Ralph Ineson darf ein typischer Nebendarsteller endlich zeigen was er kann. Am besten bekannt als Dagmer Spaltkinn, einem getreuen von Theon Graufreud in Game of Thrones, hatte er auch bereits Auftritte in The Walking Dead, Guardians of the Galaxy oder Kingsman: The Secret Service.

Ineson spielt den hoffnungsvollen Vater William, der sich seines Glaubens und einer guten Zukunft auch in den dunkelsten Stunden sehr sicher ist. Wo Thomasin zweifelt, versucht er alles, um die Familie zusammen und bei Gott zu halten. Er macht die zweitstärkste Entwicklung im Film durch und wird zum Musterbeispiel zur Entstehung der grausamen Hexenverfolgungen.

Kate Dickie, die hier Mutter Kathrine gibt, kennt man ebenfalls bereits aus Game of Thrones. Auch als Lady Lysa Arrin überzeugte sie uns mit ihrer Darstellung einer wahnhaften Mutter. So verwundert es nicht, dass man sie sofort wiedererkennt. Ihre unaufhörlichen, inbrünstigen Gebete schaffen es die bereits gedrückte Stimmung noch einmal zu intensivieren. Besonders der Wechsel zwischen der liebenden Mutter und der Fanatikerin, die auch nicht vor ihren Kindern halt macht, ist bemerkenswert.

Der heimliche Star ist jedoch Harvey Scrimshaw als Caleb. Mit seinen jungen Jahren gelingen ihm ein paar beindruckende Momente, insbesondere in seiner Schlüsselszene. Hier sei nicht zu viel verraten, aber die Leistung ist von einer beängstigenden Glaubwürdigkeit.

Inszenierung

Wer einen actionreichen und getriebenen Horrorfilm, wie Conjuring oder Paranormal Activity erwartet, dürfte enttäuscht werden, insbesondere da der Trailer dies suggeriert. Im Kino stellt sich der Film jedoch ganz anders dar: Kaum ein schneller Schnitt, wenig Spezialeffekte und auch die musikalische Untermalung wird auf das wesentliche reduziert. Doch all dies ist ein netter Verweis auf die puritanischen Charaktere. Die Story entwickelt sich langsam, aber nie so, dass Langweile aufkommt. Zu unvorhersehbar ist der Film in seiner Entwicklung, wenngleich das Rätsel recht schnell gelöst scheint. Aber darum geht es dem Film auch nicht. Er will eine Geschichte erzählen, Charaktere portraitieren und entwickeln und eine ganz bestimmte Stimmung aufbauen, ein schneller Schnitt und übertriebe Effekte würden dies verhindern. So gelingt es Robert Eggers eine sehr authentische und beinahe quälende Stimmung zu erzeugen. Der Horror liegt hier eindeutig weniger in der vermeintlichen Hexe und ihren Taten, denn in der Psyche der Familie. Aber auch die Vorstellung das Hexenverfolgungen vermutlich genau so entstanden sind, lässt erschauern. Kein Horror ist besser als der, der realistisch erscheint.

Überdies ist der Film voll von teilweise subtilen Anspielungen auf die Bibel. Ob Thomasin, die weibliche Form von Thomas, dem Apostel der auch „der Zweifler“ genannt wurde, oder Caleb mit Anlehnung an Kaleb aus dem Alten Testament. Das Drehbuch ist von schönen Verweisen durchzogen.

Das Robert Eggers auch ein großer Bewunderer von Albrecht Dürer ist, merkt man ab der ersten Minute, sowohl der schnörkellose, naturalistische Stil referenziert zu Dürer, als auch Dürers legendärer Feldhase.

Erzählstil

Der Film vermittelt uns zunächst das Gefühl ein allwissender Beobachter zu sein, aber schnell lässt er uns zum Teil des ganzen Wahns werden. Was ist Real, was Fiktion, wo hört der Wahn auf und wo beginnt die Wahrheit? Durch seine Entschleunigung lässt uns Eggers tief in seine Charaktere eintauchen. Man merkt, dass dem Film Prozessakten und zeitgenössische Überlieferungen zu Grunde liegen. Die Motive eines jeden einzelnen Charakters sind stets gut nachvollziehbar. Von Minute zu Minute  wird die Szenerie immer bedrückender. Man beginnt sich vielleicht zu fragen: „Wie würde ich handeln?“, andere werden nur den Kopf über die religiöse Verblendung schütteln, aber die Charaktere bleiben ihrer Entwicklung treu.

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Preis-/Leistungsverhältnis

Da der Film weder in 3D produziert wurde noch Überlänge hat, fällt der Preis in den meisten Kinos moderat aus. Dafür bekommt man einen Film mit zwar wenigen Effekten, anstelle dessen aber mit exzellenter schauspielerischer Leistung. Hier täuscht kein Schreckmoment, keine Explosion, kein Blutbad über blasse Darsteller hinweg. Der Film gleicht eher einem Theaterstück und ist damit fast schon unter Wert.

Die harten Fakten:

 

Fazit

The VVitch ist kein klassischer Horrorfilm. Er arbeitet weder mit brutalen Szenen noch mit regelmäßigen Schreckmomenten und kaum mit dem Horror vor einer surrealen Figur. So werden Fans aktueller Horrorstreifen wohl enttäuscht sein. Auch ist The VVitch kein Film für einen entspannten Abend zum Abschalten. Nein, er erfordert Konzentration auf die Charaktere und den Willen die Stimmung in sich aufzunehmen. Für Cineasten, die eher den persönlichen, den psychischen und teils subtilen Horror suchen, ist The VVitch ein Geheimtipp.

Aber auch jenem der sich für die Entstehung der Hexenverfolgung interessiert oder schon immer wissen wollte wie es in der frühen Neuzeit zu abergläubischen Exzessen kam, kann der Film wärmsten empfohlen werden. Der Film gewinnt im Originalton übrigens noch einmal deutlich an Stimmung, es empfiehlt sich daher dringend in eine OV-Vorstellung zu gehen.

Wer aber richtigen Horror mit viel Adrenalin, Angstschweiß und entspannter Abendunterhaltung sucht, sollte besser auf Conjuring 2 warten.

Daumen4maennlichNeu

Artikelbilder: A24

 

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