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Wer kennt es nicht? Da will man im Rollenspiel dem Alltag entfliehen, die Routine durchbrechen, einfach mal unabhängig handeln, endlich Held sein. Doch dann naht mit großen Schritten eine Gestalt herbei, die einen ohnehin auf Schritt und Tritt begleitet. Der Vorgesetzte! Wie stellt man ihn oder sie am Spieltisch dar?

Vorgesetzte gehören zum festen Repertoire an Nichtspielercharakteren, auf das ein Spielleiter während des Spielens zurückgreift. Sie können in ganz verschiedenen Funktionen und Ausprägungen auftreten und sind, sofern sie vorkommen, nicht immer (aber meistens) wichtige Figuren der erlebten Geschichte. Sie treiben die Handlung voran, nehmen die Spielercharaktere an die Kandare, weisen auf Fehler hin und können gegebenenfalls auch eine dramaturgische Funktion wahrnehmen.

Dieser Artikel möchte verschiedene Varianten des Vorgesetzten im Abenteuer vorstellen, Probleme aufzeigen und auch Lösungen anbieten, wie diese Figuren eingesetzt werden können, ohne dass es frustrierend oder nervig für die Spieler wird. Bei narrativen Spielsystemen, in denen die Spieler mehr Macht über die Darstellung von Nichtspielerfiguren haben, stellen sich diese Probleme zwar in anderer Ausprägung, können aber dennoch auftreten. Auch LARP-Spieler mögen diesem Artikel sicher einige Impulse entnehmen können, sein Entstehungshintergrund ist jedoch im klassischen, regelbasierten Tischrollenspiel zu verorten. Überschneidungen zwischen den einzelnen Typen wurden bewusst verwendet, ebenso wie manche überspitzte Darstellung. Dieser Text geht nicht zuletzt auch deswegen jeweils vom schlimmsten Fall aus, wie er in den meisten Runden wahrscheinlich – und hoffentlich – nicht an der Tagesordnung ist, um Problemlösungen und Denkanstöße zu bieten.

Beauftragende Vorgesetzte – „Also, macht ihr es?“

Dieser Vorgesetzte ist in der Regel nur eine kurze Begegnung am Anfang und am Ende des Abenteuers. Abhängig vom dramaturgischen Rahmen kann seine Rolle und Gewichtung variieren. Im Laufe einer längeren Kampagne kann er die Charaktere zum Beispiel immer wieder mit Aufträgen versorgen, die er gerne nach seinem Willen erledigt haben möchte. Zum Beispiel als wiederkehrender Unterweltboss, in dessen Organisation die Charaktere Mitglied sind, oder – am anderen Ende des Gesetzes – der Leiter einer Polizeistation, falls die Spieler Gesetzeshüter darstellen.

Der Auftraggeber: dieser Vorgesetzte ist in der Regel nur eine kurze kommunikative Begegnung am Anfang und am Ende des Abenteuers.

Dieser Vorgesetzte ist ziemlich umgänglich. Da er ein Problem hat, das er nicht allein bewältigen kann, sei es aus Unvermögen oder stationärer Bindung, schickt er die Charaktere ins Abenteuer und verschwindet damit auch erst einmal aus der eigentlichen Handlung. Zwar mag er vereinzelt für Hinweise und Tipps zur Verfügung stehen, wird aber in der Regel erst wieder am Ende des Spiels relevant. Er bewertet, ob der Auftrag in seinem Sinne erfüllt wurde und sorgt entsprechend für Sanktionen oder Belohnungen.

Als Impulsgeber ist diese Figur äußerst praktisch. Zudem wird von ihr nicht erwartet, dass sie sich wesentlich in die Handlung einmischt. Als überraschendes Element mag dies in vereinzelten Fällen der Dramaturgie dienen, sollte aber nicht überstrapaziert werden. Dieser Vorgesetzte braucht die Fähigkeiten der Charaktere, beauftragt sie und verschwindet nach Erfüllung des Auftrags in der Regel wieder aus deren Leben. 

Autoritäre Vorgesetzte – „Mein Wort ist Gesetz!“

Dieser Vorgesetzte will den Charakteren ständig Befehle geben. Bis ins kleinste Detail gibt er ihnen Anweisungen, zeigt auf, was sie besser machen können, und pocht im Zweifelsfall auf seine Autorität, zum Beispiel einen höheren Rang oder ein anderes Druckmittel, um sich ihre Gefolgschaft zu erzwingen. Er weiß so viele Dinge besser, dass man sich fragt: Warum macht er es nicht selbst?

Dieser Vorgesetzte will den Charakteren ständig Befehle geben. Er weiß so viele Dinge besser, dass man sich fragt: Warum macht er es nicht selbst?

Stellen sich die Spieler diese Frage, liegt es am Spielleiter, ihnen die Motivation des Vorgesetzten klar und deutlich darzustellen. Vielleicht ist er mit anderen Aufgaben beschäftigt, oder kann sich aus anderen, womöglich persönlichen Gründen nicht um das Problem kümmern. Kotzbrocken als Vorgesetzte können unterhaltsam sein, aber nur dann, wenn sie glaubwürdig dargestellt werden.

In keinem Fall sollten die Spieler den Eindruck bekommen, der Vorgesetzte sei nur dazu da, um sie zu schikanieren, weil der Spielleiter gerade einen schlechten Tag hat oder sich nicht anders zu helfen weiß, bestimmte Teile der Handlung durchzusetzen. Denn leider begleitet autoritäre Figuren – vielleicht auch nicht immer zu Unrecht – das Vorurteil, dass sie reine Handlungsmotoren sind. Umso wichtiger ist es, sie nachvollziehbar darzustellen.

Mitreisende Vorgesetzte – „Es ist wohl besser, wenn ich mitkomme.“

Die mitreisende Vorgesetzte ist immer dabei und schwankt, zumindest nach der Erfahrung des Autors dieser Zeilen, oft zwischen zwei Extremen. Entweder, sie drängelt sich auf nervige Weise in den Vordergrund, oder sie hält sich derartig zurück, dass es beinahe lächerlich wird. In beiden Fällen gilt es für den Spielleiter, etwas zu ändern. Die Spieler sollen das Gefühl haben, dass ihre Charaktere die Helden der Handlung sind. Dabei soll aber nicht der Eindruck entstehen, ihre Vorgesetzte wäre völlig nutzlos – es sei denn natürlich, dies ist dramaturgisch so gewollt.

Die Vorgesetzte hat das Sagen, auch, wenn sie sich während der Reise auf die Fähigkeiten ihrer Untergebenen verlässt. Sie weiß wahrscheinlich, dass sie keine Spuren lesen kann oder das ihr Raumschiff wartende Maßnahmen benötigt, die sie selbst nicht durchführen kann. Der Spielleiter sollte dafür Sorge tragen, dass die Spieler das Gefühl haben, wirklich gebraucht zu werden, die Vorgesetzte dadurch aber nicht völlig überflüssig wird.

Andererseits sollte die Vorgesetzte auch nicht zur Witzfigur verkommen, weil sie sich ständig im Hintergrund hält und ihr alles egal zu sein scheint. Der Spielleiter sollte der Figur ruhig ihre Momente gönnen und demonstrieren, dass die Kapitänin oder Hauptfrau oder Forscherin oder was auch immer, ihren Posten nicht ohne Grund hat. Sie ist zwar nicht die Heldin der Geschichte, kann als Mentorin oder nicht zuletzt auch einfache Stichwortgeberin aber zu einem wichtigen Element der Handlung werden.

Offene Vorgesetzte – „Was denkt ihr denn darüber?“

Ein Vorgesetzter, der sich andauernd das Feedback der Helden einholt. So oft bittet er sie um Rat, dass sich die Frage stellt, wie er bisher überhaupt lebensfähig war. Kommt den Spielern dieser Gedanke, läuft etwas falsch. Was dem Spielleiter vielleicht als schöne Möglichkeit erscheint, das Geschehene noch einmal zu rekapitulieren, oder den Spielern den Eindruck von Handlungsfreiheit zu geben, ist vielleicht nicht immer zu vermeiden und in einigen Fällen auch sinnvoll, darf aber auf keinen Fall überstrapaziert werden.

Ein Vorgesetzter, der sich andauernd das Feedback der Helden einholt. Was dem Spielleiter vielleicht als schöne Möglichkeit erscheint, das Geschehene noch einmal zu rekapitulieren, darf aber auf keinen Fall überstrapaziert werden.

Der Spielleiter mag dies gar als einen Weg sehen, den Vorgesetzten positiv im Gedächtnis der Spieler zu verankern. Der Vorgesetzte mit dem offenen Ohr, der väterliche Freund, die Projektionsfläche, auf der sich die Spieler endlich einmal rollenspielerisch austoben können. Doch der Schein trügt. Fehlt es dem Vorgesetzten an Ecken und Kanten, gar an eigener Meinung, wird er eher negativ im Gedächtnis bleiben.

Diesem Vorgesetzten tun ein paar Ecken und Kanten gut. Selbst, wenn er sich oft die Rückmeldung der Spielercharaktere einholt, muss klar bleiben, warum er das tut. Gerne darf er dabei auch ein paar Charakterzüge zeigen, vor allem dann, wenn es ansonsten nur wenige Situationen gibt, in denen er in Erscheinung tritt. Ein Vorgesetzter, der irgendwann ungeduldig wird und um Kurzfassungen bittet oder interessiert nachfragt und schließlich am Ende auch eine Entscheidung fällt, ist besser als eine blasse Figur, die sich am Ende des Gesprächs für Zeit und Input bedankt, dann aber ohne Rückmeldung den Ball wieder zurück an die Spieler gibt.

Lenkende Vorgesetzte – „Nun, ich hätte da eine bessere Idee.“

Eine Vorgesetzte, die leider und paradoxerweise sehr oft in Personalunion mit dem zuvor genannten offenen Vorgesetzten auftritt. Dabei ist es besonders quälend für Spieler, wenn sie zuerst all ihre Vorschläge und Ideen ihrer Vorgesetzten vorstellen dürfen, diese dann aber abgeschmettert werden. Viele Spielleiter lassen ihren Spielern oft den Raum, eigene Argumente gegenüber Vorgesetzten einbringen zu können, weil sie ihnen nicht über den Mund fahren oder sie verärgern wollen.

Eine Vorgesetzte, die jede Entscheidung und Handlung kritisch hinterfragt und manchmal dann auch, zur Verärgerung der Spieler, abschmettert.

Dabei ist dies gar nicht schlimm. Lieber ein Vorgesetzter, der leidenschaftlich gehasst wird, als einer, der irgendwann nicht mehr ernst genommen wird, weil man ihn als völlig charakterlosen Handlungsmotor entlarvt hat. Besser ist es, wenn man ihm keinen Bericht mehr geben will, weil er keinen Hehl aus seiner Verachtung und Arroganz macht, als wenn man die Lust verliert, weil es keinen Einfluss auf die Handlung zu haben scheint.

Hierbei sollte nicht der Schluss entstehen, dass dieser Vorgesetzte immer ein Mistkerl sein muss, um ernst genommen zu werden. Wenn der Vorgesetzte die Argumente der Spielercharaktere nicht einbezieht, weil ihn glaubwürdige Einflüsse auf seine Person dazu bringen, muss er kein arroganter Chef sein. Persönliche Gründe, vielleicht auch ein moralischer Konflikt, können diesen Vorgesetzten alternativ zu einer tragischen Figur werden lassen, die nicht zwingend die Sympathien der Spieler verliert. Wichtig ist nur, dass seine Entscheidung glaubhaft wirkt und nicht als Schlussstrich unter den letztlich sinnlosen Argumenten der Spieler steht.

In diesem Zusammenhang ist es auch sinnvoll, bereits früh im Dialog zu signalisieren, dass der Vorgesetzte bereits eine Entscheidung gefällt hat. Wie in der Einleitung bereits gesagt, ist Rollenspiel nicht zuletzt auch eine Flucht aus dem Alltag. Aus diesem ist einem der Frust vielleicht bekannt, nach längerem Gespräch eine ablehnende Entscheidung zu vernehmen, die schon zu Beginn gefällt, aber nicht ausgesprochen wurde. Bei einem gemütlichen Spielabend legt vermutlich niemand Wert auf solche Erlebnisse, zumindest nicht in größerer Zahl und kann in den meisten Fällen auf lange, aber fruchtlose Dialoge verzichten.

Unsichtbare Vorgesetzte – „Sicher, dass ihr das machen wollt?“

Ein Vorgesetzter zum Schluss, der sich auf perfide Weise in die Handlungen der Spieler einmischt. Das Mädchen mit den Kulleraugen, der erfahrene Veteran, die ortskundige Helferin. Sie alle sind nicht tatsächliche Vorgesetzte der Spielercharaktere, wollen ihnen aber Befehle geben. Beziehungsweise möchte der Spielleiter auf diesem Wege die Handlung steuern.

Zugegeben, diese Figur ist keine richtige Vorgesetzte. Sie erfüllt aber ähnliche Funktionen und sollte ebenfalls nicht eine blasse Randbegegnung bleiben. Für die Spieler darf nicht der Eindruck entstehen, dass es sich um einen nur wenig motivierten Kniff des Meisters handelt, um die Handlung in den Gang zu kommen. Wenn sie auftaucht, muss erkennbar sein, warum sie auftaucht und wieso die Spieler auf diese Figur hören sollten.

Fazit

Gute Vorgesetzte können das Spiel ungemein bereichern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie dies dann tun, wenn sie mehr sind, als nur das Sprachrohr des Spielleiters, der auf diesem Wege selbst ein Stück weit der Vorgesetzte der Gruppe zu werden, sprich: Sie zu lenken versucht. Dass sie diesen Zweck erfüllen, ist aber kein Missstand. Denn letztlich ist der Spielleiter vornehmlich auch Gestalter der Spielwelt und muss auch auf solche Mittel zurückgreifen.

Wichtig ist, dass er die Vorgesetzten in seiner Geschichte nicht als eindimensionale Charaktere darstellt, die ihm offensichtlich nur als Handlungsmotor dienen. Gerade dann, wenn sie eine größere Rolle einnehmen – und dies tun sie in der Regel allein schon aufgrund ihres Postens – brauchen sie eine glaubwürdige Persönlichkeit. Außerdem muss für die Spieler nachvollziehbar sein, wie der Vorgesetzte seinen Status erlangt hat. Wenn er weisungsbefugt ist, dann muss er auch eine gewisse Kompetenz oder ausreichende Erfahrung besitzen. Eine Ausnahme wäre beispielsweise, wenn der Spielleiter zum Beispiel durch einen inkompetenten Karrieristen die Themen Korruption oder Vetternwirtschaft thematisieren möchte.

Nichtspielercharaktere als Vorgesetzte unterscheiden sich insofern nicht von anderen, stehen aber oft besonders im Fokus der Geschichte und bedürfen deswegen auch besonderer Pflege durch den Spielleiter. Gelingt dies, werden Vorgesetzte zu Nichtspielercharakteren, die im Gedächtnis bleiben. Mögen sie gehasst oder geliebt werden, solange sie nicht als völlig farblose Handlungsmotoren dienen.

 

Artikelbilder: © alphaspirit / depositphotos.com, © Maridav / depositphotos.com, © olly18 / depositphotos.com, © IgorTishenko / depositphotos.com, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

 

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