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Gewandungen sind ein wichtiger Bestandteil der Immersion auf LARPs. Für Settings, die im Mittelalter- oder Fantasybereich angesiedelt sind, gibt es eine große Auswahl an Shops. Im Bereich Science-Fiction ist das anders. Dennoch ist es leicht möglich, hier an eine solide Grundausstattung zu kommen. Der Trick: einige wenige Grundregeln.

Wer kennt das nicht? Im Winter hat man sich voller Elan für eine Con angemeldet. Das erste Mal Science-Fiction. Die Ideen überschlagen sich, ein grobes Konzept wird gebaut und dann … ist es Januar, die Arbeit geht los und das Projekt muss erst einmal ruhen. Ein halbes Jahr später steht schließlich die Con vor der Tür. Was fehlt: die Gewandung. Die Zeit ist knapp. Von der Orga gibt es kein Designpapier. Im Kopf hat man diverse Science-Fiction-Filme und -Serien, aber so richtig einheitlich ist die eigene Vorstellung nicht. Das ist der Kern des Problems in diesem Setting: Obwohl es viele Vorlagen gibt, ist es schwer, einheitliche Grundthemen herauszufiltern. Trotzdem kann man mit einigen einfachen Regeln zu einem guten Grundstock an Gewandung kommen.

Science-Fiction-LARP

Science-Fiction ist ein beliebtes Genre. Schon seit Jahrzehnten begeistern Filme und Serien wie Bladerunner, Star Trek und Battlestar Galactica die Fans. Im LARP-Bereich jedoch war das Setting lange Zeit in einer Nische. In den letzten Jahren aber stieg die Anzahl von Science-Fiction-LARPs. Ob internationale Veranstaltungen im Nordic-Stil in der Welt von Expanse oder klassischen Abenteuercons im Firefly-Universum, immer mehr Orgas wagen sich in diesen Bereich.

Durch die technischen Errungenschaften unserer Zeit ist es einfacher geworden, hoch technologisierte Welten zum Leben zu erwecken. Gleichzeitig ist der Anspruch auf Immersion gestiegen. Ebenfalls steigen damit die Erwartungen an Gewandungen, die visuell einen Großteil der Immersion ausmachen. Der Wunsch nach einem stimmigen Kostüm ist groß. Es muss für LARP geeignet sein, sollte möglichst keine Unsummen an Zeit und Geld fressen und sich gut in die bespielte Welt einfügen.

Ein Arbeiter aus dem Expanse Universum © Stefano Kewan Lee

Der Kern des Settings

Um dem Anspruch an Immersion gerecht zu werden, muss man sich einer Frage stellen: Was ist der Kern von Science-Fiction-Settings? Das lässt sich nicht einfach beantworten. Im Lexikon der Filmbegriffe der Universität Kiel wird Science-Fiction als „phantastisches Genre“ benannt. Es fügt sich neben Horror und Fantasy ein und kann fließende Übergänge zu diesen Genres haben. In Science-Fiction-Settings hat eine technologische Weiterentwicklung der Gesellschaft stattgefunden. Es ist die Steigerung von Zukunftserwartungen ins Phantastische. Dies kann auf eine eher positive Art und Weise stattfinden, im Sinne einer Utopie, oder einen ernsteren Ton anschneiden, im Sinne einer Dystopie.

Themen, die immer wieder aufgegriffen werden, sind Technologiefaszination und die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Konsequenzen von (unkontrollierter) Technologie. Wiederkehrende Motive sind wissenschaftlich-technologische Genauigkeit sowie soziologische, philosophische und kulturelle Probleme, die in der technisierten Gesellschaft entstanden sind. Es handelt sich um spekulative Gegenentwürfe zur Realität, basierend auf den zeitgenössischen Potentialen der Technik. Zeitgenössisch bedeutet aber auch, dass Science-Fiction immer ein Spiegel der Zeit ist, in welcher das entsprechende Werk entstand. Da sich Technik immer weiterentwickelt, können die futuristischen Entwürfe der Autoren und Regisseure veralten. Sie müssen selbst mit der Zeit gehen, um Zukunft darstellen zu können.

Das Problem mit der Science-Fiction

In Settings wie beispielsweise dem Western-LARP ist es einfach, bestimmte Kernelemente zu benennen. Zum Western-Genre gehört ein bestimmter Ort (der „Wilde Westen“), eine bestimmte Zeit (Pionierzeit) und bestimmte Motive: Pistolen, Cowboys, einsame Gesetzeshüter und die Eisenbahn. Dabei ist es nicht wichtig, dass jedes dieser Motive in jedem Western-LARP auftaucht, aber sie gehören zur Realität des Settings einfach dazu. Auch im klassischen „Mittelalter-Fantasy“-Setting gibt es solche Motive. Der Grund ist denkbar einfach: Die Settings haben grundsätzlich eine historische Verortung. Sie sind mit einem Zeitraum der Vergangenheit verknüpft und oft auch, wie im Western-Setting, mit einem Ort. Diese Verknüpfungspunkte sind fest und verändern sich nicht mehr, da sie historisch sind. Damit bleiben die Motive und Vorlagen gleich.

In Science-Fiction-Settings gibt es diese fixierte Zeit nicht. Science-Fiction beschäftigt sich mit der Zukunft. Es bestehen keine festen Vorlagen. Zwar kann man typische Elemente wie beispielsweise Androiden bzw. Roboter, Raumschiffe, die Reise zwischen Planeten oder Aliens benennen, aber sie sind nicht immer Teil der Realität des Settings. Nicht in jedem Science-Fiction-LARP existieren Aliens, nicht überall wird durch den Weltraum gereist und nicht immer tauchen Roboter, die ein eigenes Bewusstsein erlangen, auf.

Mit all diesen Problemen im Kopf ist es natürlich schwierig, gerade in einem generischen Science-Fiction-Setting, den richtigen Stil zu treffen. Anstatt sich über bestimmte Motive dem Problem zu nähern, ist eine andere Herangehensweise ratsam.

Aber was zieh‘ ich denn nun an?

Obwohl die Kernelemente in der Science-Fiction fluktuieren, sind es immer wieder die gleichen Themen, die bespielt werden. Es geht um soziologische, philosophische und kulturelle Probleme von (hoch)technisierten Gesellschaften. Durch die Weiterentwicklung der Technik hat sich vieles verändert. An verschiedenen Stellen hat die Technik den Menschen ersetzt. Die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Schichten ist größer geworden. Durch einfachere und schnellere Transportwege durchmischen sich verschiedene Kulturen oder Alienrassen. Es ergibt sich eine Art Schmelztiegel. Unterm Strich lässt es sich darauf reduzieren: Wer ist oben, weil er reich, beliebt oder angesagt ist und wer ist unten, weil er arm und unbeliebt ist oder diskriminiert wird?

Eine Frage der Klasse

Unabhängig davon, in welchen Sektor ein Charakter einzuteilen ist, ist es essenziell, sich Gedanken zu machen, aus welcher Schicht der Charakter stammt. Das tägliche Umfeld und die Arbeit prägen einen Charakter und das Outfit sollte diese Umstände widerspiegeln.

Ein Charakter aus der Unterschicht hat wenig bis kein Geld. Er muss hart arbeiten, um zu überleben. Sein Wohnumfeld ist schlicht, dreckig und rau. Er muss fürchten, dass er durch eine Maschine ersetzt wird. Er wird auf die ein oder andere Weise diskriminiert, ob aufgrund seiner Armut oder seiner Herkunft. Die Technologie, auf die er Zugriff hat, ist veraltet, improvisiert und repariert. Die Kleidung ist praktisch, nicht neu. Eventuell ist sie gleichzeitig die Arbeitskleidung des Charakters. Sie weist Spuren von Reparaturen und Dreck auf. Hier bestimmt die Funktion die Form.

Ein Charakter aus der Oberschicht ist das genaue Gegenteil. Er hat Geld und das im Überfluss. Die Technologie, die der Charakter verwendet, ist das Neueste des Neuen. Er muss sich keine Sorgen machen, ob er genug zu essen hat. Um was er sich Gedanken machen muss, ist sein Ruf. Charaktere der Oberschicht sind fast immer mit führenden Rollen (beispielsweise in einem Konzern oder in der Politik) verknüpft. Wenn der Charakter selbst keine Führungsrolle einnimmt, so zumindest dessen Familie oder näherer Dunstkreis. Der schöne Schein ist alles und muss aufrechterhalten werden. Die Kleidung muss das ausstrahlen. Sie muss nicht praktisch, dafür opulent und hochwertig aussehen. Ausladende Schnitte sind möglich, ebenso wie auffällige Farben. Die Form übersteigt die Funktion.

Ein Charakter aus der Mittelschicht steht zwischen diesen beiden Extremen. Zwar hat er genug Geld zur Verfügung, um nicht unter ständiger Existenzangst leiden zu müssen, aber er kann trotzdem keine großen Sprünge machen. Die Technologie, die er verwendet, entspricht dem Standard. Sie ist weder sehr veraltet noch sehr modern, sondern entspricht dem, was sich bewährt hat. Die Kleidung ist sauber und gepflegt. Die Schnitte sind grundsätzlich praktisch, dürfen aber auch modisch sein. Form und Funktion sind in gleichem Maße bedacht.

Für Androiden der jeweiligen Schichten gilt das gleiche Prinzip. Ein Android aus der Unterschicht ist veraltet oder hat Fehlfunktionen. In der Mittelschicht entspricht ein Android dem Standard. Er ist ein gutes Modell, verlässlich, aber nicht das beste auf dem Markt. Ein Android aus der Oberschicht ist hightech, eventuell ein Prototyp und den anderen Modellen auf verschiedenen Ebenen überlegen.

Mit dem Konzept und einer genaueren gesellschaftlichen Verortung des Charakters kann es nun endlich an die Gewandung gehen. Die Kunst bei futuristischer Mode ist, Vertrautes aus der jetzigen Mode aufzugreifen, aber dabei so zu verändern, dass es etwas Neues ergibt. Dies kann man auf unterschiedliche Weise erreichen. Eine Möglichkeit ist, existente Schnitte abzuwandeln oder zu Schnitten zu greifen, die asymmetrisch sind. Gerade im asiatischen Raum sind diese Schnitte zu finden und so kann man problemlos über Amazon entsprechende Teile bestellen. Ist der Charakter eher praktisch veranlagt, eignen sich enge Schnitte, bei einem mehr repräsentativen Charakter sind weite Schnitte mit Drapierungen möglich. Andere Details, die oft an Science-Fiction-Mode zu finden sind, sind Oversize-Krägen und Applikationen aus Leder oder technischen Stoffen, die auf die Kleidung aufgesetzt sind.

Eine Priesterin aus dem Battlestar Galactica Universum © Philipp Resch

Generell gibt es ein Spannungsfeld zwischen technischen und natürlichen Stoffen. Je nach Setting können diese ein Ausdruck des Wohlstands sein. In einem Großstadt-Setting à la Coruscant in Star Wars ist die Norm der Kleidung eher technisch. Natürliche Stoffe müssen importiert werden und sind teuer. Ein einfacher Arbeiter wird einen synthetischen Overall tragen, ein angesehener Senator eine Robe aus Baumwolle. Besteht im Setting eine Kluft zwischen städtischen und ländlichen Gegenden, wie beispielsweise in Firefly, so kann der technische Stoff wiederum für Wohlstand stehen. Die Farbauswahl ist ebenfalls an das Setting geknüpft. In vielen Science-Fiction-Welten ist die Kleidung eher trist und unaufgeregt. Weiß-, Grau-, Braun- und Schwarztöne bestimmen das allgemeine Bild. Gerne wird hierbei mit einigen wenigen bunten Akzenten gearbeitet. In solchen Settings ist eine flächige Verwendung von auffälliger Farbe oft ein Zeichen von Besonderem, von Spiritualität oder Extravaganz. Im Alltag aber hat es wenig zu suchen. Beim Schuhwerk eignen sich vor allem Modelle ohne Schnürsenkel, beispielsweise Sneaker aus synthetischen Materialien, gut.

Dann ist da natürlich noch Technik. Sie ist ein fester, definierender Bestandteil des Settings. In den meisten Science-Fiction-Settings gibt es Modifikationen, Implantate oder andere technische Gadgets. Schon mit ein wenig Draht und Heißkleber lässt sich das klassische neurale Implantat basteln, welches man mit Mastix am Gesicht befestigen kann. Einzelne Kontaktlinsen können die Illusion eines Cyberauges erwecken. Wichtig bei technischen Accessoires ist allerdings, dass diese immer eine Funktion für den Charakter erfüllen. Es muss einen Grund geben, wieso er sie trägt. Ein neurales Implantat kann die Leistung steigern, ein Cyberauge ist das Überbleibsel eines Unfalls und der Tricorder ein wichtiges Arbeitsutensil. Unnötige und nutzlose Technik wirkt schnell fehl am Platz und kann die Immersion brechen.

Zu guter Letzt gibt es natürlich einige Dinge, die man in einem Science-Fiction-Setting vermeiden sollte.

Elemente, die zu stark mit einem anderen Setting oder einer anderen Zeit verknüpft sind, wirken in der Regel unpassend. Klassische Fantasygewandung hat im Science-Fiction-LARP nichts zu suchen. Auch Jeans sind störend, da sie zu sehr mit unserer jetzigen Zeit verknüpft sind. Alltägliche Kleidung, gerade Schnitte, Shirts mit Logos oder Sprüchen aus der jetzigen Zeit sind ebenfalls Immersionskiller. Ein schwieriges Thema sind außerdem Kleidungsstücke aus den Bereichen Cyberpunk oder Gothic. In wenigen Settings können sie passend sein, in vielen fallen sie ebenfalls aus dem Muster.

Beachtet man diese verschiedenen Aspekte, hat man bereits einen guten Eindruck davon, wie der eigene Charakter aussehen könnte. Die Stücke lassen sich nun entweder selbst fertigen oder schlicht im Internet bestellen. Über Amazon oder asiatische Internetshops lassen sich viele asymmetrische Kleidungsstücke finden. Auch in Läden für Arbeitsbekleidung können gute Basics gefunden werden. Gerade ungewöhnliche Overalls, Kleidung von Pflegepersonal oder Kochjacken in ungewöhnlichen Farben eignen sich oft. Passende Schuhe und Kontaktlinsen sind einfach über das Internet zu beziehen. Wenn dann alles bestellt oder gebastelt ist, steht dem ersten Science-Fiction-LARP nichts mehr im Wege. Außer den langen Lieferzeiten vielleicht …

Artikelbild: © Philipp Resch, Bearbeitet von Verena Bach

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