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Ray Bradbury, CC BY 2.0, ©Wikipedia, Alan Light
Ray Bradbury, CC BY 2.0, ©Wikipedia, Alan Light

Ein Automat, der 24 Stunden täglich Bargeld zur Verfügung stellt, Flachbildfernseher, die eine ganze Wand bedecken, In-Ear-Kopfhörer und der Schmetterlingseffekt: Dinge und Konzepte, an die wir uns gewöhnt haben.

Literarisch vorweggenommen hat sie Ray Bradbury, der in diesem Jahr 100 geworden wäre. Zeit für einen Blick auf einen prägenden Autor.

Am 22. August 2020 wäre Ray Bradbury hundert Jahre alt geworden. Viele kennen ihn vorwiegend als Autor des dystopischen Romans Fahrenheit 451. Wie prägend er jedoch für die Science Fiction als Genre war, ist vielen heute eher unbekannt.

Ein Bibliotheken-Liebhaber

Ray Douglas Bradbury wurde am 22. August 1920 in Waukegan Illinois geboren. Bereits als Kind liebte er Geschichten, Bücher und begann selbst zu schreiben. Auch verbrachte er viel Zeit in Bibliotheken, die er bis an sein Lebensende unterstützte und förderte.

Aufgrund schlechter Sehkraft wurde er vom Militärdienst und damit einer aktiven Teilnahme am Zweiten Weltkrieg freigestellt. So konnte er sich auf seine Karriere konzentrieren und schrieb zuerst vorwiegend für Zeitschriften.

Einen Großteil seines Lebens lebte er in Los Angeles, wo er am 5. Juni 2012 verstarb und begraben liegt.

In Los Angeles traf er eine Reihe uns noch immer bekannter Kunstschaffender. Eng befreundet war Bradbury unter anderem mit dem Schauspieler Christopher Lee und Star-Trek-Erfinder Gene Rodenberry. Ob und wie weit Bradbury Star Trek inspiriert hat, ist unklar. Für die Serie zu schreiben hat er jedoch abgelehnt. Eine lebenslange Freundschaft verband ihn auch mit dem Filmemacher und Tricktechniker Ray Harryhausen und Charles Addams, dem Erfinder der Addams Family.

Bradbury wurde mit zahlreichen Preisen bedacht, unter anderem einem Hugo Award und einem Pulitzer-Preis, nach ihm wurde ein Asteroid und die Kategorie Bestes Skript der Nebula Awards benannt.

Ein flammendes Lebenswerk

Grabstein von Ray Bradbury, CC BY-SA 3.0, ©Wikipedia, Merkosh
Grabstein von Ray Bradbury, CC BY-SA 3.0, ©Wikipedia, Merkosh

Bradburys Werk umfasst 27 Romane und über 600 kürzere Texte wie Kurzgeschichten. Dazu kommen Gedichte und Essays über Kunst und Kultur. Er schrieb auch, teilweise unter Pseudonym, für die Theaterbühne und die Kinoleinwand. Für letztere verfasste er unter anderem Adaptionen seiner eigenen Texte, aber beispielsweise auch das Drehbuch der Moby-Dick-Version von 1956.

Im Zentrum von Bradburys Geschichten steht das Individuum, das versucht, seinen Platz in der Welt zu begreifen, dabei dieser aber mehr oder weniger machtlos gegenübersteht. Immer wieder geht es um Selbstreflexion, Leben und Tod und um Ideen. Um das, was sein könnte. Was der einzelne Mensch tun könnte. Was Maschinen tun könnten. Wofür sie genutzt werden könnten. In Bradburys knapper, poetischer Sprache scheint plötzlich alles möglich – und vieles ist schrecklich.

Viele Dinge kommen in den Geschichten einfach nur vor. Sie werden einfach erwähnt, sind Teil der Erzählung. Eine Tötung per Drohne existiert im Roman einfach, sie funktioniert. Technische oder wissenschaftliche Hintergründe werden dem Publikum kaum erklärt. So ist es beispielsweise einfach möglich, ein täuschend echtes Abbild von sich selbst erschaffen zu lassen, Geld 24 Stunden am Tag aus einem Automaten zu bekommen, durch die Zeit zu reisen oder über ein Gerät im Ohr mit jemandem am anderen Ende der Stadt zu sprechen. Gefährlich macht die Technologie bei Bradbury der Mensch, der sie aus seinen zutiefst menschlichen Bedürfnissen und Überlegungen heraus benutzt.

Bradbury selbst sah sich nicht als Science-Fiction-Autor. Seinen Roman Die Mars-Chroniken bezeichnete er sogar als Fantasy. Diese sei eine Abbildung des Unwirklichen, im Gegensatz zur Science-Fiction, die die Wirklichkeit abbilde. Er machte sich Gedanken, was sein könnte, glaubte jedoch von vielen Dingen nicht, dass sie wirklich passieren könnten.

Fahrenheit 451

Bradburys berühmtestes Werk ist der beklemmende Roman Fahrenheit 451. Die Geschichte des Feuerwehrmannes Guy Montag spielt in einer Welt, in der Häuser feuerfest und Bücher verboten sind. Die Feuerwehr hat jetzt die Aufgabe, Bücher zu finden und zu verbrennen. Fernseher bedecken ganze Wände und die Figuren der gezeigten Seifenopern unterhalten sich mit den Zuschauern. Einige Ereignisse sorgen dafür, dass Montag seine eigene Welt hinterfragt und dann beginnt auch er, Bücher zu lesen.

Für den Autor selbst handelte die Geschichte damals vom Aufstieg des Fernsehens und dem was passieren kann, wenn sich die Menschen von Büchern abwenden. Sie handelt auch von ihrer Entstehungszeit in der Mc-Carthy-Ära. Neil Gaiman wies zu Recht darauf hin, dass Fahrenheit 451 tief in den 1950er Jahren verwurzelt ist. Verstehen lässt sich die Geschichte auf viele verschiedene Weisen. Auch wenn sie uns heute vielleicht etwas altmodisch erscheint, hat sie doch ihre Spuren in unser kulturelles Gedächtnis gebrannt.

Weitreichender Einfluss

Bradburys Einfluss auf die Science Fiction und weitere Genres ist uns heute nicht immer offensichtlich. Dies ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass viele der Kurzgeschichten in Deutschland nie veröffentlicht wurden.

Dabei gibt es etliche Adaptionen und unzählige Anspielungen in Comic, Film, Serie und Computerspiel. Größen wie Neil Gaiman, Stephen King und Steven Spielberg nennen ihn einen wichtigen Einfluss für ihre Arbeit.

Die Überlegung, der Tod eines einzelnen Schmetterlings könne weitreichende Folgen haben, ist bedeutender Bestandteil der Kurzgeschichte A Sound of Thunder. Der Meteorologe Edward Lorenz griff dieses Bild auf, das heute in der Chaostheorie verwendet wird.

Mehrere Generationen Science-Fiction-Autor*innen sind besonders im englischsprachigen Raum mit seinen Werken aufgewachsen, haben ihn nachgeahmt und auf seinen Ideen aufgebaut. Andere Dinge, die in seinen Werken vorkommen wie In-Ear-Kopfhörer und gigantische Flachbildfernseher können wir heute kaufen und manchmal auf letzteren sogar wie in Fahrenheit 451 die Live-Übertragung einer Verbrecherjagd ansehen. Nur die Fernsehfiguren sprechen noch nicht unmittelbar mit uns. Aber wer weiß, vielleicht inspiriert auch das noch zu einer weiteren Erfindung.

Lieblingstexte der Teilzeithelden

Auch wir Teilzeithelden haben teilweise Bradbury gelesen. Einige von uns haben für euch Leseempfehlungen und Lieblingstexte des Autors zusammengestellt:

Marie mag besonders A Piece of Wood

Diese Kurzgeschichte habe ich im Englischunterricht gelesen, wahrscheinlich war sie sogar mein Erstkontakt mit Bradbury. A Piece of Wood (1952) beeindruckt mich bis heute.

Ein Offizier führt ein dienstliches Gespräch mit einem jungen Soldaten, der offenbar des permanenten Krieges an allen Fronten müde ist. Es geht um die Verantwortung des Einzelnen, den Umgang mit Veränderungen und die Frage, ob Töten Teil des Menschseins ist. Neben den knapp umrissen Figuren und Ideen fasziniert mich vor allem, wie sich mit so vergleichsweise wenig Worten so viel aussagen lässt, während gleichzeitig vieles trotzdem der Vorstellung überlassen bleibt.

Marc mag besonders Die Sense

Viele Figuren von Ray Bradbury müssen sich mit dem Tod auseinandersetzen. Besonders intensiv geschieht dies in Die Sense (1943). Drew Erickson erbt auf mysteriöse Weise eine Farm und die damit verbundene Aufgabe, jeden Tag auf deren weiten Weizenfeldern die Sense zu schwingen. Bald stellt er fest, dass jeder gemähte Weizenhalm ein endendes Leben repräsentiert und er die Rolle des Todes selbst übernommen hat. Wie auch andere Protagonisten Bradburys steht er für das Individuum, das in einer zunehmend vernetzten Welt einer wachsenden Anzahl an Todesmeldungen machtlos gegenübersteht, das Unvermeidliche nicht verhindern kann und aufgrund der realen Entfernung umso mehr verzweifelt. Dieses Motiv umgibt eine Schwermut, die gleichermaßen beunruhigt wie auch fasziniert.

Heike mag besonders The October Country

Nichts hat mir jemals schrecklichere Albträume bereitet als drei Kurzgeschichten aus Ray Bradburys Sammlung The October Country (1955). The Dwarf ist eine kleine Erzählung über ein Spiegelkabinett und einen boshaften Witz auf Kosten eines Schwächeren. Ich erinnere mich mit Schaudern an sie, weil die beiläufige Grausamkeit darin echt ist und mich mit der Gewissheit zurückließ: Viele Menschen handeln wirklich so. Hingegen sind The Next in Line und Skeleton subtiler Body-Horror und kombinieren die Angst vor dem eigenen Körper mit dem entsetzlichen Gefühl, seinen Mitmenschen nicht mitteilen zu können, dass etwas mit einem nicht stimmt. Wenn es die Helfer sind, die uns schaden, und die Vertrauten, die unsere Sorgen verlachen, dann rüttelt Bradbury wirklich an den Grundfesten unseres Selbst.

Johannes mag besonders There Will Come Soft Rains

Bradbury beschreibt in dieser Kurzgeschichte aus dem Jahr 1950 den Alltag eines vollautomatisierten Hauses, welches nach dem letzten Atomkrieg seine Pflichten in sisyphosartiger Geduld weiter durchführt, vom Kochen des Frühstücks bis hin zur Säuberung des Bodens mittels elektronischer Mäuse. Die Menschen sind abwesend, lediglich der gelbliche Staub ihrer Schatten klebt noch an der Hauswand, die in Richtung Einschlagspunkt lag. Bradbury gelingt es, den Alltag dieses Hauses spannend darzustellen, obwohl der einzige Gast der verhungernde Familienhund ist, welcher von den Putzmäusen weggeschafft wird. Basierend auf dem gleichnamigen, 25 Jahre älteren Gedicht von Sara Teasdale, welche in zwölf Zeilen das Aufblühen der Natur nach dem Ende der Menschheit imaginierte, schuf Bradbury ein ausdrucksstarkes frühes Stück Literatur gegen den Wahnsinn der Massenvernichtungswaffen.

Titelbild: depositphotos: ©rea_molko, ©enterlinedesign
Artikelbilder: wie gekennzeichnet
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Susanne Stark

1 Kommentar

  1. Eine gelungene Empfehlung, gerade in einer Zeit, in der die alten („weißen“) Klassiker doch etwas verpönt sind, da sie aus einer anderen Zeit stammen und nach heutiger Lesart gedeutet werden ohne Bezugnahme auf den Kontext ihrer Entstehungszeit.

    Eine kleine Schwäche: „Mars-Chroniken“ ist kein Roman, sondern eine Zusammenstellung von Kurzgeschichten, die einen gemeinsamen Rahmen gefunden haben. Dennoch natürlich lesenswert.

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