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Das Übernatürliche, das Grauen – es existiert. Und es trachtet danach, Unheil und Verderben über die Welt zu bringen. Nur wenige Menschen wissen davon und als Agent*innen von Delta Green gehört ihr dazu. Es ist eure Aufgabe, im Geheimen für die Menschheit zu kämpfen – koste es, was es wolle.

Triggerwarnungen

Tod, Gewalt, Gewalt gegen Kinder, Kindesentführung, Terroranschlag, Militär

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Die Spielwelt, Regeln und Charaktererschaffung

Die Welt von Delta Green entspricht unserer heutigen – zumindest fast. Denn es existieren unaussprechliche und übernatürliche Schrecken, die weit über das Vorstellungsvermögen eines normalen Menschen hinausgehen. Kein Wunder, denn schließlich sind H.P. Lovecrafts Geschichten und das Rollenspiel Call of Cthulhu Vorbilder von Delta Green.

Der Name bezeichnet gleichzeitig eine Organisation, die im Geheimen agiert und Gruppen von Agents ausschickt, wenn es Hinweise auf unnatürliche Vorkommnisse gibt. Dann ist es die Aufgabe dieser Agents, die Bedrohung auszuschalten – und das möglichst unauffällig. Denn sowohl die Organisation als auch die Tatsache, dass es dort draußen Schrecken gibt, welche nicht natürlichen Ursprungs sind, müssen unter allen Umständen geheim gehalten werden. Hierzu ist im schlimmsten Fall jedes Mittel recht. Viele Agents wissen dabei selbst nicht genau, welche Ausmaße das Übernatürliche annehmen kann. Um den Job zu erledigen, reicht es, um dessen generelle Existenz zu wissen. Viele Agents gehören dabei Spezialeinheiten des Militärs oder einer Bundesbehörde wie dem FBI an, denn sie bringen durch ihre Ausbildung Eigenschaften und Ressourcen mit, die für die Ausführung der Aufträge von Delta Green wichtig sind.

Federal Agents und Angehörige des Militärs sind typische Mitabeiter*innen von Delta Green.
Federal Agents und Angehörige des Militärs sind typische Mitabeiter*innen von Delta Green.

Ursprünglich war Delta Green ein Quellenband für Call of Cthulhu, bis es zu einem eigenständigen Rollenspielsystem wurde. Dennoch, oder gerade deshalb, teilt es sich im Kern die Regeln mit diesem. Jeder Charakter verfügt mit Strength, Constitution, Dexterity, Intelligence, Power und Charisma über sechs sogenannte „Stats“ oder „Statistics“. Hinzu kommen diverse Fähigkeiten wie Alertness, Firearms, Survival oder HUMINT (Human Intelligence), deren Wert vom gewählten Beruf abhängt. Die Zahl liegt hierbei zwischen 1 und 100. Entsprechend werden Proben mit 1W100 gewürfelt. Liegt das Ergebnis unter dem Wert des verwendeten Skills, ist die Aktion gelungen. Liegt es darüber, war es ein Fehlschlag. Besonders ist hier, dass neben einer 1 oder 100 auch jede Schnapszahl unter oder über dem Zielwert einen kritischen Erfolg, beziehungsweise Misserfolg bedeutet.

Die Charaktererschaffung erfolgt in fünf einfachen Schritten: Ermitteln der Stats, das Wählen des Berufs und der Fertigkeiten, die Bestimmung von Bonds und andere Charakterdetails. Einige der zum Charakter gehörenden Werte, wie beispielsweise die Lebenspunkte, leiten sich dabei aus den Stats ab. Die Ausrüstung wird bei der Erschaffung nicht berücksichtigt, da es je nach Beruf fertige Pakete gibt.

Diese Dinge kann ein Federal Agent bei sich haben.
Diese Dinge kann ein Federal Agent bei sich haben.

Eine genauere Beschreibung der in diesem Abschnitt genannten Punkte findet ihr im Ersteindruck zu Delta Green.

Spielbericht

Gespielt wurde das Abenteuer „Operation FULMINATE: The Sentinels of Twilight“, welches im Handlers Guide zu finden ist. Die Erschaffung der vier Charaktere und das Erklären der Regeln fanden separat statt und dauerten insgesamt weniger als zwei Stunden. Angemerkt sei jedoch, dass alle Spieler*innen bereits mit den Regeln von Call of Cthulhu vertraut waren. Das Spielen des Abenteuers selbst nahm etwa dreieinhalb Stunden in Anspruch.

Die Charaktere

Oliver Hunt ist ein sportlicher, 30-jähriger Afroamerikaner aus Kalifornien. Er ist Mitglied der US-Marshalls und Teil der Special Operations Group. Seine Neugier und Aufmerksamkeit treiben ihn dazu, neue Herausforderungen mit Begeisterung anzunehmen.

Mike „Ed“ Eednud ist ein Park Ranger und echter Naturbursche, der weniger mit Charme und Intelligenz, sondern mehr mit Tatkraft und Stärke glänzt. Er liebt die Natur und Tierwelt, aber auch manche Menschen.

Special Agent Francis Erikson ist ein charismatischer, aber auch etwas schwächlicher Agent beim FBI. Seine Spezialität ist die Beschaffung von digitalen Daten. Zum FBI ist er gegangen, weil er als Kind 9/11 in seinem Familienumfeld persönlich miterlebt und sich daher vorgenommen hat, Terroranschläge zu verhindern, sobald er erwachsen ist.

First Lieutenant Olivia Hawkins, genannt „Echo“, ist Ende zwanzig, stammt aus Washington State und gehört den United States Army Rangers an. Sie hat bereits viele Einsätze erlebt, doch einer konfrontierte sie auf grausame Weise mit dem Unnatürlichen, was sie schließlich dazu brachte, für Delta Green Missionen zu erledigen.

Achtung: Der folgende Bericht enthält naturgemäß Spoiler für das Abenteuer. Wer es noch als Spieler*in erleben möchte, sollte nun nicht mehr weiterlesen.

Persönlicher Bericht von First Lieutenant Olivia Hawkins

Hier sind wir wieder. Ich habe mal gehört, man soll potenziell belastende Erlebnisse aufschreiben, um sie besser verarbeiten zu können. Keine Ahnung, ob es hilft, aber bisher hat es auch nicht geschadet, also werde ich weitermachen. Diesen Zettel werde ich ohnehin verbrennen, wenn ich fertig bin, denn es darf keine Beweise für das Geschehene geben.

Begonnen hat es am zweiten Juli. Die letzte Trainingseinheit auf dem Stützpunkt war gerade beendet und ich freute mich darauf, den vierten Juli zu Hause verbringen zu können. Doch natürlich erreicht mich genau dann eine Nachricht von Delta Green. Also schnell die Tasche schnappen, die für solche Fälle immer gepackt ist, und auf ging es nach Fresno in Kalifornien. Dort lernte ich den Rest des Teams kennen. Schienen mir kompetente Leute zu sein.

Doch das Wichtigste war der Auftrag: Im Yosemite Nationalpark war ein vor über vierzig Jahren verschwundener Junge namens Brandon McGill wieder aufgetaucht. Das Seltsame: Er war noch immer sechs Jahre alt. Grund genug, uns das einmal anzuschauen. Dumm nur, dass der Junge als erste Handlung seine Eltern anrief, die sich daraufhin auf den Weg zu ihm machten. Wir mussten uns also beeilen, um ein Zusammentreffen der drei zu verhindern.

Mit einem Geländewagen war die Strecke zur Rangerstation, in der Brandon sich noch aufhielt, schnell zurückgelegt. Auf dem Weg fällte Ed mit einer unterwegs erworbenen Motorsäge zwei Bäume, um die Ankunft der Eltern hinauszuzögern – primitiv, aber effektiv. Da wir erfahren haben, dass das FBI ebenfalls auf dem Weg ist, gelang es uns, durch Francis´ Mitgliedschaft in diesem Verein, ohne Probleme, Zugang zu Brandon zu erhalten.

Leider wollten die Ranger uns nicht mit ihm allein lassen, also mussten wir diskreter vorgehen. Während der Befragung erzählte er uns von einem dunklen Ort, großen grauen Leuten und zwei Kindern, die bei ihm waren. Eine Recherche ergab, dass es sich bei diesen um Kinder handelte, die 1918 im Park verschwanden. Bei einer rudimentären medizinischen Untersuchung – weiter reichten unsere Fähigkeiten nicht – fiel uns in Brandons Nacken eine Beule auf, sowie eine Art Tattoo, das ein Symbol zeigte, mit dem niemand etwas anfangen konnte.

Um hoffentlich weitere Informationen zu erlangen, machten wir uns auf dem Weg zu dem Ort, an dem Brandon verschwunden war und wieder auftauchte. Inzwischen schüttete es, aber wir mussten weitermachen, schließlich war die Mission äußerst zeitkritisch. Während die anderen drei die Umgebung absuchten, hielt ich Wache. Dabei fiel mir eine drei Meter große, humanoide Gestalt auf, die in einiger Entfernung einfach nur dastand und uns beobachtete – gruselig. Als Hunt sie mit einer Taschenlampe anleuchtete, verschwand sie jedoch. Wir untersuchten die Stelle, doch die Fußspuren hörten einfach auf.

Da wir fürs erste nichts mehr ausrichten konnten, ging es zurück zur Rangerstation. Als wir fast da waren, lief Erikson in eines dieser Wesen hinein und hörte eine Stimme in seinem Kopf: „Gebt uns den Jungen. Er ist unser.“ Dieser Vorfall brachte uns auf eine Idee, wie wir Brandon endlich von der Station wegbekommen könnten. Dabei mussten wir uns gar nicht so weit von der Wahrheit entfernen.

Wir behaupteten, es habe eine Drohung der Entführer Brandons gegeben und sie würden die Station stürmen, sollten wir ihn nicht herausrücken. Also müssten wir ihn umgehend evakuieren. Der Plan, den Jungen auf diese Weise zu bekommen, war etwas gewagt, aber Erikson fand genau die richtigen Worte und wickelte so die Ranger um den Finger.

Natürlich evakuierten wir Brandon nicht, sondern nutzten ihn als Köder, um eine Reaktion von den Wesen zu provozieren. Und es funktionierte fast schon zu gut, als wir von vier dieser Kreaturen umzingelt wurden. Sie waren eindeutig feindlich, also eröffneten wir das Feuer. Diese Dinger waren zäh und konnten gut austeilen. Erikson wurde schwer verletzt, doch Brandon heilte ihn einfach durch Handauflegen. So ganz kann ich das immer noch nicht glauben.

Wir gingen schließlich siegreich aus dem Kampf hervor. Was folgte, war der lästigste Teil: alles zu vertuschen. Die Überreste der Wesen warfen wir in eine unzugängliche Schlucht, Brandons Eltern wurde eine Lügengeschichte aufgetischt, sie wären auf einen Betrüger hereingefallen und den Jungen selbst brachten wir in ein Waisenhaus. Glücklicherweise verstand er, dass er nie wieder zu seinen Eltern zurückkehren können würde.

Den vierten Juli wie geplant zu verbringen, war damit für mich gelaufen. Aber immerhin schaffte ich es noch nach San Francisco und konnte mir ein Feuerwerk vom Strand aus ansehen.

So, das war wirklich eine ereignisreiche Nacht und ich denke, dass ich das Wichtigste niedergeschrieben habe. Leider konnten wir nicht herausfinden, was das für Kreaturen waren und was sie von Brandon wollten. Aber vielleicht begegnen wir ihnen irgendwann mal wieder. Und dann will ich Antworten haben.

Ich denke, das reicht für heute. So wie immer werde ich diesen Zettel nun verbrennen. Sein Inhalt ist zu gefährlich, um noch länger als geschriebenes Wort existieren zu dürfen…

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Spielbarkeit aus Spielleitungssicht

Rüstung kann Leben retten, ist aber schwer zu verbergen.
Rüstung kann Leben retten, ist aber schwer zu verbergen.

Die Regeln von Delta Green sind nicht zu kompliziert und behindern das Leiten nicht. Auch sind für das, was gebraucht wird, Regeln vorhanden, ohne, dass sie zu erschlagend wirken. Insgesamt unterstützt das System die Art von mysteriösen, actionreichen und nicht ganz ungefährlichen Abenteuern, die man mit Delta Green erleben soll.

Der Rat des Buches, die Spieler*innen für mindestens die ersten Sitzungen im Unklaren über die Organisation Delta Green zu lassen, ist eine Entscheidung, die von Gruppe zu Gruppe gefällt werden sollte. Denn gefährliche Aufträge zu erledigen, ohne eine Organisation bemerkbar unterstützend hinter sich zu wissen, kann für manche frustrierend sein.

Das Abenteuer war mit einem Nationalpark in einem klassischen und interessanten Setting angesiedelt und hatte spannende Verbindungen zur Native American-Folklore. Die Charaktere hatten jedoch wenige konkrete Anhaltspunkte, sodass es im schlimmsten Fall darauf hinauslaufen kann, dass sie nur auf die Aktionen der „Stranger“ genannten Wesen reagieren. Auch ist es ihnen unmöglich, die Hintergründe des Vorfalls herauszufinden. Zudem kann das vorkommende Thema „Gewalt gegen Kinder“ gerade für ein Einführungsszenario abschreckend wirken.

Spielbarkeit aus Spieler*innensicht

Schusswaffen sind auffällig, aber oft das einzige Mittel, um zu überleben.
Schusswaffen sind auffällig, aber oft das einzige Mittel, um zu überleben.

Positiv wurden das grundlegende Konzept von Delta Green, die einfache und schnelle Charaktererschaffung und die Atmosphäre beschrieben. Die Funktion der Schnapszahlen bei Würfen wurde gemischt aufgenommen. Für manche bildete es Extremsituationen gut ab, für andere wurde dadurch die Wahrscheinlichkeit eines Patzers zu groß.

Das Regelsystem wirkt gut angepasst an die heutige Zeit mit all ihrer Technik und ihren Waffen. Einzig die Tatsache, dass sich die Stärke eines Charakters auf den unbewaffneten Nahkampfschaden, aber nicht den bewaffneten auswirkt, ist unlogisch.

Da alle Spieler*innen des Testabenteuers die Regeln von Call of Cthulhu kennen, sind die Ähnlichkeiten allen schnell aufgefallen. Als zu ähnlich und damit als eigenes System nicht gerechtfertigt, wurden sie nur von einer Person empfunden. Ebenfalls gemischt waren die Meinungen zu der Tatsache, dass alle Entscheidungen während des Spielens davon beeinflusst werden, dass am Ende alles vertuscht werden muss. Dies wurde zum einen als interessante Abwechslung, zum anderen als anstrengend bewertet.

Insgesamt fiel auf, dass es mehrere Punkte gab, die von einer Person als positiv, von einer anderen jedoch als negativ empfunden wurden. Dieses Phänomen trifft zwar nicht exklusiv auf Delta Green zu, aber man sollte sich bewusst sein, dass eventuell Hausregeln erforderlich werden.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Arc Dream Publishing
  • Autor*in(nen): Dennis Detwiller, Adam Scott Glancy, Christopher Gunning, et. al.
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN: 9781940410210
  • Preis: 45,26 EUR (Hardcover), 19,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, DriveThruRPG

 

Fazit

Der Spieltest hat die Einschätzung des Ersteindrucks bestätigt. Delta Green ist ein solides System, das Call of Cthulhu zwar noch recht ähnlich ist, sich aber genügend davon abgrenzt, um eigenständig zu sein. Nicht zuletzt wird dies durch den Fokus auf die aktuelle Zeit und damit einhergehenden Regelanpassungen und Neuerungen erreicht. Für Spielende von Call of Cthulhu ist es ein erfrischender Perspektivwechsel, da die Herangehensweise an das Thema eine andere ist.

Immer wieder dem Schrecken ausgesetzt zu sein, hat Auswirkungen auf die Psyche.
Immer wieder dem Schrecken ausgesetzt zu sein, hat Auswirkungen auf die Psyche.

Während die Charaktere in Cthulhu meist einfach ihr normales Leben weiterführen wollen, werden sie vom Schrecken gefunden und müssen sich gegen ihn wehren. In Delta Green spielt man Charaktere, die um den Schrecken wissen und sich ihm aktiv entgegenstellen, um die Menschheit zu schützen.

Das obligatorische Vertuschen am Ende einer Mission ist zugleich einer der interessantesten, aber auch kontroversesten Punkte. Auf der einen Seite entsteht spannendes und ungewohntes Rollenspiel, da jede Handlung abgewogene werden muss, wenn sie neue Zeug*innen verursachen könnte. Auf der anderen Seite ist ein vollständiges Vertuschen in der heutigen Zeit ohne eine Organisation, die unterstützend eingreift, kaum möglich. Dies kann behoben werden, indem die Spielleitung Delta Green präsenter sein lässt, als es vorgesehen ist.

Wer die Geschichten von H.P. Lovecraft oder zumindest seine Schöpfungen interessant findet und diesem übernatürlichen Schrecken gut ausgerüstet und mit den vielen Möglichkeiten und Herausforderungen der heutigen Zeit entgegentreten will, ist mit Delta Green gut beraten.

  • Horror-Setting in der heutigen Zeit

  • Moderne Technik bietet viele Möglichkeiten

  • Regeln nicht übermäßig kompliziert

 

  • Auftraggebende Organisation zu sehr im Hintergrund

 

Artikelbilder: © Arc Dream Publishing
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Giovanna Pirillo
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