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Der RPG-Karneval hat uns den Ball zugespielt, und auf dem Ball stand Dumpstats – zu gut Deutsch: Werte zum Wegwerfen. Also ein Wert ohne Wert. Was macht einen Wert wertvoll?

Ohne Wert

Ja, was macht einen Wert für mich zum Dumpstat? Einen Dumpstat braucht man, um Punkte für einen anderen Wert zu schinden, den man für wichtiger hält. Der Dumpstat ist ein anderer Wert, der darunter leiden muss.

Generell profitierten Magier in D&D von hoher Intelligenz – mehr Sprüche, die man sich einprägen und zaubern kann. Ein typischer Dumpstat für Magier ist Stärke, da sie im Nahkampf sowieso durch ihre niedrigen Trefferpunkte benachteiligt sind, und zum Türenaufbrechen lieber Magie verwenden.

Ein typischer Dumpstat in Savage Worlds ist auch Stärke für alle Charaktere, die mit Fernkampfwaffen wie Pistolen, Flinten oder Maschinenpistolen ausgerüstet sind. Von Stärke hängt nur ein Skill (Klettern) ab, und im Gegensatz zu Konstitution hängen auch keine besonders relevanten sekundären Werte oder Würfe von Stärke ab.

Ein gerne gewählter Nachteil für DSA4.1-Charaktere ist die Unfähigkeit für die Talentgruppe Natur. Dadurch erhält man mehr Punkte für andere Gebiete, und ein Jäger oder Elf in der Gruppe gleicht den Nachteil oft überreichlich aus, Ähnliches gilt für Nicht-Wildnis-Abenteuer.

Einen Dumpstat kann es im engeren Sinne nur unter bestimmten Bedingungen geben:

  • In Kaufpunktesystemen, weil man dort gezielt Teilbereiche eines Charakters vernachlässigen kann. Dumpstats sind hierbei Werte, die man nicht steigert, oder sogar mit einem Nachteil belegt, um Punkte für „wichtigere“ Werte zu schinden.
  • Bei zufallsbasierter Generierung, wenn man die erwürfelten Werte selbst auf die Eigenschaften oder Fertigkeiten verteilen darf. Hier kommt es zu Dumpstats, wenn man einen besonders niedrig erwürfelten Wert irgendwohin schaufeln muss.

Ein Dumpstat entsteht also aus der Wahl des Spielers heraus. Es muss aber noch mehr hinzukommen, damit ein Wert ein echter Dumpstat wird. Er muss eben auch für die gewählte Klasse oder die gesetzten Charakterschwerpunkte irrelevant sein. Möglichst soll er keine anderen spielrelevanten Nachteile erzeugen, die nicht durch die Gruppe ausgeglichen werden können.

Wenn man genauer hinsieht, dann haben all diese Erwägungen eines gemeinsam: Der Spieler versucht, den Charakter gemäß den Regeln zu optimieren. Hier kommen also zwei Elemente ins Spiel – die Regeln und die Idee, dass man einen Charakter optimieren kann.

Ohne Konzept

Die Regeln sind natürlich Teil des gewählten Systems. Der Prozess, der hier abläuft, ist grob folgender:

  • Man wählt eine Klasse oder ein Konzept, dass man gerne spielen würde.
  • Nun versucht man die Werte so zu verteilen, um diese Wahl anhand der Regeln zu optimieren.

Das heißt aber auch, dass man letzten Endes die Regelauswirkungen der eigenen Wahl nahezu völlig über das tatsächliche Konzept des Charakters stellt. Der Charakter ist somit eher Ausdruck der Regeln und ihrer Anwendung als einer tatsächlichen detaillierten Idee des Spielers, was er in der Welt darstellen möchte.

Die Folge davon ist, dass ungeheuer stereotype und vor allem immer ähnliche Charaktere entstehen. Alle Magier sind weltfremde Hänflinge, die sich nur auf ihre Sprüche verlassen. Krieger sind nicht schlau, sondern stark und hünenhaft.

Das wäre ja vielleicht gar nicht schlecht, wenn solche Konzepte denn auch konsequent ausgespielt würden. Wer nicht schlau ist, trägt halt nichts zur Lösung von Rätseln bei, und macht auch im Kampf keine wahnsinnig tollen taktischen Entscheidungen. Wer eine Intelligenzbestie ist, ist vielleicht auch ein unangenehmer, weltfremder Besserwisser. So füllt sich auch ein einseitiges Charakterkonzept mit Leben.

Aber darum geht es eben bei Dumpstats selten. Hier wird der Wert als reiner Regelvorteil oder -nachteil gesehen, und die Werte verkommen zur reinen Ergebnis-Arithmetik, sind eben nicht Inspiration für das eigentliche Ausspielen der Rolle.

Hier wäre ein anderer Denkansatz sicher eine Bereicherung – der eigene Charakter als Konzept kann auch erstmal losgelöst von den Regeln existieren. Wie soll er sein? Ein handfester Magier, den man sich auch im Holzfällerhemd vorstellen könnte, der nachts am Lagerfeuer seine selbst erlegte Beute verschlingt? Der schlaue Krieger, der seine durchschnittliche Kraft durch geschicktes Taktieren und Hinterlist ausgleicht? Solche Konzepte bringen schon von Haus aus viel Leben mit, und sagen den anderen Spielern auch mehr. Sie animieren zum Rollenspiel im Spiel.

Wenn man dann in sich geht, kann man so ein Konzept auch oft in die Werte des gewählten Systems übertragen, und dann damit leben, eben nicht der ultrabeste einseitige Charakter zu sein.

Höher, schneller, weiter

Den erhält man üblicherweise ja nur durch Optimierung. Um einen Charakter in Spezialgebieten zu optimieren, muss man oft Schwächen in Kauf nehmen. Die Annahme, die dahinter steht, ist, dass die in Kauf genommenen Nachteile sich als irrelevant erweisen werden. Dahinter steckt das Spielerwissen, dass entweder der Spielleiter oder die meisten Abenteuermodule diese Nachteile nicht gegen einen verwenden.

Man stelle sich aber folgende Spielsituation vor: Sowohl D&D als auch Savage Worlds sehen Stärke als Voraussetzung für die Fertigkeit Klettern an. Nun gerät die Gruppe in eine Falle – der Boden gibt nach, und sie finden sich alle in einer Grube wieder, zusammen mit einem im Nahkampf übermächtigen Monster, gegen das die Gruppe eigentlich keine Chance hat. Die einzige Chance, die die Charaktere haben, ist so schnell wie möglich aus der Grube zu klettern. Unsere optimierten Kämpfer schaffen das – aber die Magier?

Das mag unfair erscheinen, aber nirgends steht, dass man einseitige Charakterkonzepte belohnen muss. In Savage Worlds sind die Spieler jetzt ihre Bennies los, in D&D sind sie jetzt vielleicht tot. Auf einmal erscheint Stärke nicht mehr als Dumpstat, oder?

Optimierung geht davon aus, dass es okay ist, einen Bereich zu vernachlässigen, um Vorteile woanders zu erreichen. Die Erwartung ist, dass die Schwäche ignoriert werden kann, weil sie die Gruppe ausgleicht, oder man sich auf andere Weise (z.B. Magie) helfen kann. Es gibt aber unzählige Spielsituationen, die der SL generieren kann, in denen das nicht so ist. Einseitige Charakterkonzepte können sich rächen, wenn die Gruppe getrennt wird. Antimagische Bereiche können einen Zauberer ganz schnell entzaubern.

Den Anteil, den die Spielleitung hier hat, ist, dass sie genauso wenig die Optimiererei hinterfragt, wie das die Spieler tun. Werden nur die Spielsituationen erzeugt, in denen auf eine bestimmte Weise optimierte Charaktere glänzen können, so wird indirekt der Versuch, sich Regelvorteile verschaffen zu wollen, belohnt. Da sich der Meister gemäß gewisser Erwartungen verhält, muss auch niemand die einseitigen Charakterkonzepte hinterfragen.

Ist das denn Rollenspiel?

Vor- und Nachteile nur von der Regelanwendung her zu sehen, ist meiner Meinung nach zu kurz gegriffen. Laden doch beide geradezu zum Rollenspiel ein. Mein Charakter steht im Spotlight, wenn er etwas Großartiges oder Furchtbares tut. Spieler, die Würfelwürfe daneben setzen, haben oft unsere volle Aufmerksamkeit – selbst wenn sie das nicht wollen.

Narrative Rollenspiele versuchen dies aufzugreifen, und einen Charakter anhand von Vor- und Nachteilen zu definieren. Anstatt Nachteile als etwas Negatives, zu Vermeidendes zu sehen, wählt man ein Charakterkonzept, bei dem man sich vorstellen kann, auch die Nachteile ausspielen zu wollen.

Ich muss aber nicht FATE Accelerated Edition und seine Aspekte herauskramen, um einen „geilen“ Charakter zu generieren. Ich finde, man muss nur mal darüber nachdenken, was man jenseits der reinen Regelanwendung vom eigenen Charakter will, und ob der Wettlauf zum weltbesten Ultracharakter wirklich das ist, was einem Spaß macht.

Fragt doch die Spielleitung eures Vertrauens. Ein Abenteuermodul sollte sich doch immer auch der Gruppe anpassen. Wenn sich die Spielgruppe nicht nur aus schwertschwingenden Goblinhäckslern und Magiern mit Hang zur Einebnung der mittleren Umgebung zusammensetzt, dann sieht eine Anforderung halt ganz anders aus. Sie muss nicht mal im Kampf bestehen, der dann mehr Risiko und Würze bekommt, sondern darin, wie man Kämpfe geschickt umgeht oder alternative Wege findet, Probleme zu lösen. D&D hat ja zum Beispiel riesige Spruchlisten. Die müssen ja noch was anderes bieten als Feuerball.

Als ich mit Rollenspielen anfing, habe ich mich über die durchschnittlichen Werte meines Charakters geärgert, weil ich dachte, er sei nicht mächtig genug. Heute würde ich mich eher ärgern, weil ich mir erstmal überlegen müsste, wie ich so einen Durchschnittstypen ohne echte Macke spielen würde!

Fazit

Für mich persönlich sind Dumpstats ein Symptom dafür, dass das gewählte System bei der Charaktererstellung dominiert und dass gewisse Erwartungen bestehen, welchen Herausforderungen sich die Gruppe stellen muss. Beides hat zunächst für mich mit dem Ausspielen einer Rolle gar nichts zu tun. Eine Rolle muss man ja auch ausspielen können, wenn man sich aufgrund der eigenen Unfähigkeit voll in die Nesseln setzt.

Die Gefahr ist dann, dass ständig ähnliche Charaktere generiert werden. Den Unterschied zur letzten Kampagne macht dann aus, wen wir in welcher Reihenfolge erschlagen haben. Später erinnern werden wir uns aber sicher nur an das Besondere, das Herausragende. Dazu gehören auch außergewöhnliche Fehlschläge, oder Charaktere mit eigener Note. Selbst wenn das System es nicht belohnt, sich mit einem Nachteil und Macken zu schmücken, kann es das Spiel allemal bereichern.

Daher finde ich, dass Dumpstats sich mehr rächen als lohnen. Sie bringen kurzfristige Befriedigung, wenn man sich seinen Über-Helden zusammenschraubt. Aber kreative Gruppen haben viel Spaß mit dem Mut zu Schwäche und Unvollkommenheit. Manche leben lieber ungewöhnlich, und ganz gut damit.

Zumindest solange sie die Spielleitung leben lässt. Genauso wie Spieler und SL oft gemeinsam das Milieu schaffen, in dem die einseitigen Charaktere sich vermehren, genauso sind beide Seiten gefordert, am selben Strang zu ziehen, um von eindimensionalen Charakteren wegzukommen.

Rollenspiel ist eine Gemeinschaftsleistung, und wenn ein SL die Erwartungen seiner Spieler hin- und wieder sprengt, entstehen eben oft auch die ungewöhnlichen Spielsituationen, an die wir uns in Zukunft erinnern werden.

Roger sagt: Dumpstats sind für mich auch Werte, die ich nur brauche, um das Charakterkonzept meiner Rolle voll zu machen, die aber nicht zwingend spielrelevant sind. Spiele ich beispielsweise einen axtschwingenden Söldner, könnte dieser auch ein guter Koch sein, der das Wild nicht nur aufs Feuer wirft, sondern auch weiß, wie er es würzen kann, damit es schmeckt. Oder er ist musikalisch begabt und erfreut die Spielercharaktere mit Flötenmusik. All das ist nicht relevant für seinen primären Einsatzbereich, den Kampf, aber es macht die Rolle runder und erfüllt so meine Vorstellung meines Alter Egos.

 

 


Dieser Artikel entstand im Rah­men des Kar­ne­vals der Rol­len­spiel­blogs und -websites „Dumpstats“, der von Harnmaster.de orga­ni­siert wird. Den eröff­nen­den Bei­trag zum Umzug fin­det man hier: Klick.  

 

 

 

Artikelbild: lusi auf sxc.hu

 

10 Kommentare

  1. Meine Sichtweise auf Dumbstats – und auch prinzipiell Nachteile geht eher in die entgegengesetzte Richtung:

    Ansatz a:

    Es wird ein Spiel mit hohem taktischen/strategischen Anteil gespielt, bei dem jeder Spielfigur eine spezielle Funktion zugedacht ist (DnD 4ed zum Beispiel, aber auch Shadowrun). Bei der Erstellung meines Charakters wird von mir erwartet, dass ich versuche diesen für die anstehenden Aufgaben bestmöglich aufzustellen, denn davon hängt das Überleben der ganzen Gruppe ab. – Spiele ich einen sogenannten Defender, bin aber nicht in der Lage die Gruppe hinreichend zu verteidigen (weil ich das Potenzial meiner Klasse nicht ausgeschöpft habe), endet dies sehr wahrscheinlich in einem Desaster.

    Ich entäusche also das Vertrauen meiner Mitspieler, wenn ich keinen Dumbstat zur Charakteroptimierung wähle…

    Ansatz b:

    Die Anzahl der Aufgabengebiete/Attribute/etc. ist in der Regel kleiner als die Zahl, die eine durchschnittliche Rollenspielergruppe aufweist [z.B. acht Attribute, bei fünf Spielern kann jeder ohne weiteres einen anderen Dumbstat wählen].

    Zudem gibt es selbst in erzählerischen Systemen eine Kompetenzverteilung. Die Charaktere sollen zumindest zum Teil über ihre Kompetenzen glänzen. Das ist mMn umso eindrucksvoller, wenn sie ihre KameradInnen um einiges übertreffen.

    Die Schwächen, die ich wähle, erlauben es meinen Mitspielern zu glänzen. Ohne Dumbstat stelle ich also mein eigenes Charakterkonzept auf Kosten den Spielspaßes meiner Mitspieler in den Vordergrund.

    Ansatz c:

    Meine Mitspieler haben mitunter sogar die Aufgabe meine Schwächen auszugleichen. Ich muss ihnen vertrauen (können -vgl. oben), dass sie das auch tun.
    Wähle ich aus Angst vor dem bösen SL nun keinen Dumbstat, zeige ich meinen Mitspielern, dass ich ihnen nicht vertraue…

  2. 3W6 in Reihenfolge, dann hat man das Problem nicht. :)

    Wobei natürlich das Ding mit der Charakteroptimierung so nicht nur rein technisch ist. Einfach mal die Augen schließen und einen Magier vorstellen. Ich wette, die wenigsten denken an einen muskelbepackten, jungen Mann in der Blüte seiner Jahre… ;)

  3. Naja, wenn wir uns halt alle nur das vorstellen, was sich jeder vorstellt, dann wird es halt auf Dauer etwas eintönig… Nimm mal einen Film wie „Rapunzel – Neu verföhnt“. Da kringelt man sich vor Lachen, wenn die finstere Barbarenhorde über ihre geheimen Ambitionen singt. Weil Barbaren sowas nicht machen… Umgekehrt: Nicht alle Magier sind Hänflinge. In drei „Herr der Ringe“-Filmen sehe ich Gandalf öfter mit etwas zuhauen (Schwert, Stab) als erfolgreich zaubern…

    Das mit den Gruppenrollen ist im Artikel ja angesprochen – wenn die Aufgaben nur durch Charakter(werte)optimierung bewältigbar sind, dann optimiert man halt. Aber Du bemerkst ja auch, dass das taktisch ist. Schon mehr als nur ein leichter Hauch von Brettspiel, Wargaming oder Tabletop, und tatsächlich gibt es ja mit Descent und anderen Spielen eine Nische am Markt, die die Taktiker bedient. Aber ich finde schon, dass das eigentliche Rollenspiel unter Werteoptimierung leidet.

    3W6 ist als Methode ganz nett, aber die meisten Systeme haben sich über die Jahre davon vermutlich deswegen abgewandt, weil viele Spieler schon beeinflussen wollen, was sie spielen. Ich mach das hin und wieder, aber in einer Kampagne will ich da mehr für mich entscheiden.

    Wieso ist der SL „böse“, wenn er einen fordert? Die Party teilen ist legitim und wird in „Dungeon World“ sogar als Move für den Spielleiter vorgeschlagen. Genauso kann in „Marvel Heroic“ der Spielleiter solche Situationen kaufen, wenn er Opportunities kriegt. Ein Kampf ohne den Haupt-Damage-Dealer kann eine (Rest-)Gruppe auch mal mit „banalen“ Gegnern fordern.

    Narrative Systeme haben das Problem ja erst mal nicht, stimme ich zu. Aber auch dort kann man ja nicht dauernd im Spotlight stehen. Das Charakterkonzept soll ja möglichst mehrdimensional sein, sich entwickeln und mit Schwächen und Stärken jonglieren – je nach Situation. Wer dort einen eindimensionalen Haudraufcharakter entwirft kann dort genauso benachteiligt sein – und nicht jeder bedenkt das beim Charakterentwurf. Nicht jede Schwachstelle und jeder Nachteil ist bewusst gewählt, sondern viele ergeben sich aus dem Spiel. Kaum ein Spieler wird vorraussehen, dass, wenn er sich einen muskelbepackten Schrank definiert, dass er dann später nicht durch einen schmalen Schacht passt.

  4. Abschnittsweise:

    zum 1.)
    Die Abweichung vom Klassischen ist häufig gewagt, weil der beim Rollenspiel zu etablierende Vertrauensgrundsatz, dass sich an gewisse Setzungen gehalten wird, dadurch leicht gefährdet werden kann. Gerade bei Rapunzel bleiben die Funktionen der einzelnen Gruppen/Protagonisten erhalten, wie auch bei HdR – bei Shrek wird das Rollenverständnis verdreht, wodurch dessen Wirkung entsteht, als dann in späteren Teilen diese Verdrehung nicht beibehalten wird, verliert das ganze auch zusehends an Charme…

    zu 2.)
    Ich habe in meinen (länger laufenden) Runden die Erfahrung gemacht, dass Szenen in denen Schwächen angesprochen werden, länger im Gedächtnis bleiben als solche die durch Stärken verhältnismäßig einfach zu überwinden waren.
    Gerade Kletterpartien, Wildwasserfahrten und andere Situationen, die als Gruppe bewältigt werden wollen, geben den Starken die Möglichkeit zu helfen, und den Spielern der Schwachen Gelegenheit auf die spezifischen Makel der eigenen Figur einzugehen.

    zu 3.)
    Hier kann ich nur zustimmen.

    zu 4.)
    Da wurde die Ironie in meinem Artikel nicht deutlich… – Jeder Spielleiter ist ja angehalten nur solche Gefahren/Szenen/Begegnungen einzuplanen, die auch durch die Charaktere in irgendeiner Form bewältigt/überlebt werden können. Es wäre mMn schlechter Stil von einem Spielleiter einen Charakter aufgrund einer Entscheidung bei der Charaktererschaffung durch dessen Spieler zu töten. – Ich muss dem Spielleiter soweit vertrauen, dass der Charakter trotz seiner Dumbstats das Ende der Kampange erleben kann, bzw. dass er mich darauf hinweist, dass dies nicht der Fall ist…
    – Genauso muss ich meinen Mitspielern vertrauen, dass sie zu Hilfe eilen, wenn z.B. der Zwerg (der nicht schwimmen kann) ins Wasser fällt und droht unter zu gehen…

    Weil ich sowohl meinem Spielleiter als auch meinen Mitspielern vertraue, kann ich also Charaktere mit „plausiblen“ Schwächen spielen.

    zu 5.)
    Die Kurzsichtigkeit geht meiner Erfahrung nach ebenso in die andere Richtung. Gerade bei etwas komplexeren Systemen gehen die Vorstellung dessen was ein Charakter können soll und dem was er tatsächlich kann stark auseinander.
    Die Wahl von Vor- und Nachteilen „aus Stilgründen“ und „Konformität mit dem Hintergrund“ ist halt nicht an der Spielwirklichkeit orientiert.

    Darüberhinaus halte ich es für Verantwortung des Spielleiters auf schwer vorhersehbare Probleme hinzuweisen; Je weniger klar das System hier formuliert ist, desto mehr…

  5. Vertrauen – ja, das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Manche Gruppen kann man so auch nicht bespielen, das ist eine Frage dessen, was alle am Spieltisch erwarten, und allzu weit und allzu oft kann davon auch nicht abweichen.

    Andererseits machen es sich manche Spieler in ihren Settingerwartungen zu gemütlich und dann wirbel‘ ich lieber auch mal Staub auf, anstatt sie einfach nur gewähren zu lassen.

    Ist also für mich ein Balanceakt zwischen Vertrauensvorschuss und der Anforderung, ein Erlebnis zu generieren. Wenn eine Runde D&D4E-Spieler ein gewisses Spielerlebnis haben will, dann müssen Leiter und Gruppe ja auch irgendwo zusammenpassen.

    Ich finde halt alle Systeme gut, die es nicht zulassen, Werte komplett zu vernachlässigen, und vor allem Schwächen als echte Spielelemente einbauen – ob es jetzt Savage Worlds oder Fate Accelerated ist. Die machen auch nicht universal glücklich, aber ich mag das.

    • zu 1.) bis 3.)

      Zustimmung.

      zu 4.)
      Anders formuliert würde ich zustimmen:
      Ich finde Systeme schlecht, die erlauben einen Wert komplett zu vernachlässigen.
      Ein Dumbstat ist für mich dann eine Bereicherung, wenn ihm eine bewusste Entscheidung des Spielers voraus gegangen ist, der sich davon eine Bereicherung seines Spiels erhofft. Ein Wert, der im Spiel nicht (oder zu selten) abgefragt wird (wie zum Beispiel der Reiten-TaW in der Nordlandtriologie) und deswegen vernachlässigt werden kann, ist schlicht ein Fehler im Spieldesign und somit eigentlich außerhalb der Verantwortung der Spieler…

  6. Wenn die Freizeitkicker vom Komet Pennigbüttel (2. Kreisklasse) gegen die Profis von Werder Bremen (1. Bundesliga) mit 37:0 untergehen, dann ist das kein außergewöhnlicher Fehlschlag, sondern ein erwartetes Ergebnis.

    Das gleiche passiert mit Dumpstats. Wenn ein Charakter auf seinem Dumpstat angegriffen wird, dann ist die Niederlage absehbar. Daran ist nichts außergewöhnlich und der Fehlschlag treibt die Charakterentwicklung nicht voran. Das ist rein taktisch optimiertes Vorgehen des SL gegen die Spielercharaktere, bei deinen Beispielen zudem aus reinen Metaüberlegungen des SL heraus. Ein Rüstungswettlauf, wer am besten optimieren kann. Dabei bleibt am Ende natürlich das Rollenspiel auf der Strecke.

    Gerade für charakterzentriertes Spiel sind Dumpstats daher absolut tödlich. Sie bringen ständig die Vor- und Nachteile gewisser Erschaffungsentscheidungen in Erinnerung, führen dazu, dass der SL die Vor- und Nachteile der Gruppe ausbalancieren muss und sie erhöhen die Gefahr einer Optimierungsspirale. Für außergewöhnliche Fehlschläge oder Erfolge bringen sie hingegen nichts, da sie quasi nie natürlich im Spielverlauf aufkommen oder von den Spielern gezielt aktiviert werden können.

  7. Ich finde dein Beispiel von den zwei Fussballvereinen führt etwas in die Irre. Ich habe ja im Artikel erwähnt, dass man Charaktere in Situationen bringen kann, die zu ihrem Nachteil sind. Im Falle eines Dumpstats ist das ein selbstgewählter Nachteil, aber jeder Charakter hat grundsätzlich Nachteile. Solche Situationen müssen natürlich immer noch im Rahmen des Schaffbaren bleiben, aber auf einmal sind ein paar poppelige Gegner, die man sonst wegräumt, eine ernste Gefahr. (Mein Beispiel mit dem Klettern war zu krass gewählt, gebe ich gerne zu.)

    Das mag taktisch sein, aber das ist ja genau der Punkt. Man muss ja mit Wegen kommen, die die Spieler fordern. Ansonsten machen die Werte gar keinen Sinn. (Das kann man sicher diskutieren, aber viele Spieler hängen halt an ihrem System.)Das kann das Herausfordern einer Schwäche sein, das kann eine ungünstige Spielsituation sein (Stangenkämpfer und Bogenschützen neutralisieren Zweihandhackmaschine, Feind greift aus überlegener Position an). Das Entscheidende an solchen Herausforderungen ist, dass man im Nachteil ist. Etwas, das beim Spielen und auch im Leben von Helden keine Seltenheit ist. Und dann muss man Wege finden, seinen Nachteil auszugleichen.

    Blechpirat hat ein Beispiel in seinem Pingbackartikel genannt (s.u.): Ein Magier wird kaum die Stärke soweit steigern, bis er gut klettern kann. Er wird vielleicht lernen, zu fliegen. Ich denke mal, da gibt es noch kreativere Lösungen. Aber nur wenn man Schwächen anspielt kann man auch Situationen schaffen, auf die die Leute mal anders reagieren müssen.

    Das ist für mich durchaus charakterzentrisches Spiel: Du kannst was nicht, du steckst in der Klemme, und die alten Antworten helfen nicht. Was machst du anders? Abenteuerbücher und -filme sind voll von solchen Situationen, in denen die offensichtlichen und einfachen Lösungen verbaut sind. Da hilft dann nur Kreativität und Mut zum Risiko, z.B. auch durch geschicktes Umfunktionieren vorhandener Ressourcen.

    Ich finde auch nicht, dass das „Metaüberlegungen“ sind. Ein Dumpstat ist ja oft grotesk offensichtlich. Einen Stärkewert nahe am Umfallen zu haben ist keine Metaüberlegung, das ist ein Fakt in der Spielwelt. Der Rüstungswettlauf ist eher einseitig – manche Spieler versuchen, unverwundbare Charaktere zu schaffen, die man nicht mehr fordern kann. Der SL hat theoretisch unendlich Ressourcen und könnte auch die Anzahl der Gegner verzehnfachen. Das ist aber unelegant und ödet die Spieler irgendwann an.

    Eine Schwäche anzuspielen, eine nachteilige Situation zu schaffen ist für mich daher keine Metaüberlegung, sondern ein Stilmittel, um Herausforderungen am Spieltisch zu erzeugen. Das macht man ab und zu, das ist Abwechslung und soll auch keine Strafe sein.

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