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Das Universum ist riesig und das Leben darin vielfältig. In vielen tausend Jahren hat die Menschheit einige Zyklen durchlebt, in denen Imperien erwuchsen und in sich zusammenbrachen. Kolonien wurden gegründet und wieder vergessen. Bis zur Entdeckung der Überlicht-Triebwerke waren die alten Siedler nur selten in der Lage, Kontakt zu Mutter Erde aufzunehmen .Doch nun holt sie sich ihre Kinder zurück und erntet die Früchte ihrer Arbeit in der Ferne. Die Spezialtruppe, der die Protagonisten angehören, ist eine spezielle Organisation, die dazu dient, Kulturen auf eine Integration in die menschliche Gemeinschaft vorzubereiten, oder sie vor fremdem Einfluss zu schützen.

Einführung: Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges verhaftet Gruppe 19 der Erd-Agenten endlich den lange von ihnen gejagten Controller. Dieser abtrünnige Agent hat mit einem modifizierten Gedankenmatrix-Implantat auf dem gesamten Planeten Gehirnwäsche betrieben. Siegessicher betreten sie die Lichtbrecher, ihr Überlichtschiff mit eigenem Bewusstsein, doch eine Explosion beendet jäh ihre Freude.

Michaels positronisches Gehirn arbeitete in einer höheren Geschwindigkeit, als dies bei einem biologischen Wesen je möglich gewesen wäre. Deshalb, und weil er sich bereits mit vielen Todeserinnerungen beschäftigt hatte, wusste er, was nun auf ihn zukam. Obwohl er bereits verschiedenste Arten des Ablebens erforschen konnte, war eine tödliche Verbrennung noch nicht darunter gewesen. Hinzu kam natürlich auch, dass eine Todeserinnerung aus der Gedankenmatrix immer vor dem eigentlichen Tod endete – und dieses Mal würde er wohl das Ende miterleben.

Einer der Nachteile, in einer Explosion zu sterben, bestand wohl darin, nicht die Gelegenheit zu haben, seine Erinnerungen als elektronisches Abbild noch in die Gedankenmatrix der Menschheit laden zu können. Eine Mischung aus Neugier, Enttäuschung über das plötzlich bevorstehende Ende und Hilflosigkeit schoss durch seine Gedankenwelt. Das Wissen, dem Tod rein physisch ausgeliefert zu sein, war an sich nichts Schlimmes, jedoch das Grinsen Controllers vor ihm im Gang zu erblicken und den Urheber des Problems in ihm zu erkennen, brachte zusätzlich noch Ärger in den kochenden Topf der Gefühle.

Sein künstlicher Trugbild-Verstand war im Kern aus den Erinnerungen zweier Zwillingsbrüder entstanden, wie sie gegensätzlicher nicht hätten sein können. Michael waren gegensätzliche Gefühle also nichts Neues und er konnte davon meist profitieren, aber dieses Mal konnte keine Erinnerung der Zwillinge ihn retten. Er dachte darüber nach, dass ein Mensch ohne Implantat bereits verstorben wäre, ohne reagieren zu können, seine Wahrnehmung von Zeit jedoch eine andere war. Er analysierte das letzte Bild, das ihm seine Augen sandten, während er ihren Erzfeind auf ihr Schiff transportierte. Überrascht erkannte er, dass er einen der silbern glänzenden, weiblichen Kunstkörper von Lichtbrechers Avataren immer intensiver in seinen Fokus bekam. Dessen metallischer Leib dehnte und streckte sich, bis er scheinbar seine gesamte Wahrnehmung einnahm. Es war eine der Hüllen, die mit der Gruppe auf die Einsätze gingen. Es war eine Manifestationsmöglichkeit für die Schiffsintelligenz des riesigen Überlichttransporters. Ganz ähnlich, wie es der vielfältig transformierbare Leib von Michael für das künstliche Bewusstsein war, welches er darstellte.

„Willst du dort noch lange herumstehen? Setz dich und genieß die Show! Ist es nicht wunderschön?“ sagte eine ihm nur zu gut bekannte Stimme hinter ihm. Michael drehte sich zu Zachary um und erkannte seinen virtualisierten Körper sofort wieder. Er war ein wahrer Künstler in der virtuellen Umgebung der Gedankenmatrix und seine detailreich verzierte sowie kunstfertige Erscheinung unterstrich seine nahezu magischen Matrix-Fähigkeiten. Das hier jedoch ging noch einen Schritt weiter, als er es seinem Agenten und langjährigen Freund je zugetraut hätte.

Ohne eine Vorwarnung erschien neben ihm auch noch Obajo aus dem Nichts. Der Kehle des Bären-Mensch-Hybriden entfuhr ein lauter Fluch und blitzschnell griff die riesige Gestalt an die Stelle, an der normalerweise ihre Pistole verstaut war. Obwohl die Bezeichnung „Pistole“ für die erstaunliche Replikator-Schienenkanone beinahe eine Beleidigung war, wirkte sie normalerweise in seiner gewaltigen Pranke gerade noch angemessen. Seltsamerweise ging sein kräftiger Griff ins Leere. An der Stelle seines vollvernetzten Cyberanzugs befanden sich nun zeremonielle Roben, die seine muskulöse Erscheinung sogar noch betonten. Michael hatte ihn nie zuvor in diesem Aufzug zu Gesicht bekommen, da er normalerweise den Virtuellen Welten fern genug blieb, um sich nicht projizieren zu müssen. Man´Drakal Obajo dazu zu zwingen zu projizieren, war sogar noch viel beeindruckender als alles, was Zachary bisher je getan hatte. Obajo war ein Hybride, ein durch die Menschen genetisch verändertes Tier, ausgestattet mit einem Bewusstsein. Er besaß den Körper eines Bären, dessen Hände für den Gebrauch gängiger Technologie, vor allem Waffen, modifiziert wurden. Nun fehlte nur noch Lichtbrecher in der Runde und alles würde sich klären.

Nach einigen weiteren Sekunden des Wartens legte Michael die virtuelle Stirn in Falten und sandte seine Dankbarkeit direkt als Gefühl zu Zachary. Dieser entgegnete nur: „Nein, Michael, das war ich nicht. Ich bin gut, aber ich fürchte leider nicht SO gut.“ Grollend fluchte Obajo ein weiteres Mal und rief: „Verdammt Zachary, hol mich sofort hier raus, du elender Mistkerl!“ Zacharys Gesicht verzog sich zu einem schelmischen Grinsen. „Ich weiß wir haben unsere Probleme seit der Sache auf Maranian damals, aber selbst wenn ich tun könnte was du verlangst, würde dich das einfach nur töten. Was immer uns auch hier hergebracht hat, es hat uns zunächst mal vor der Explosion bewahrt, die in diesem Augenblick unsere wunderschönen Körper zerreißt.“

„Was redest du da für einen Haufen… Oh.“ Die Wut verschwand sofort aus seinen Zügen und augenblicklich machte sich eine Resignation breit, die seinen virtuellen Körper dazu veranlasste, sich zu setzen und die Schultern hängen zu lassen. Zachary hatte ihm schnell einige Gedanken zukommen lassen, die ihm die Situation bewusst machten. „Das heißt, ich verbringe meinen letzten Augenblick in dieser verfluchten Simulation? Was tun wir jetzt, Michael!?“ Nachdenklich war dieser der kurzen Konversation gefolgt und hatte währenddessen versucht, einige Informationen aus dem globalen Netzwerk zu laden. Leider waren die einzigen Informationen, auf welche er zugreifen konnte, die Erinnerungen seiner eigenen Geister, jener Sammlung von Erinnerungen, aus der sein Bewusstsein geschmiedet worden war.

Immerhin war einer der Zwillinge, aus denen sein Trugbild-Verstand erschaffen wurde, ein Matrix-Linguist mit einiger Erfahrung. Die Matrix-Sprache war eine höhere Form der Kommunikation. Für jeden mit Zugriff auf das Gedankenmatrix-Netzwerk war sie zu verstehen, aber nur Superintelligenzen und gentechnisch oder kybernetisch veränderte Menschen konnten sie auch benutzen.

„Der Ort, an dem wir uns befinden, ist nicht einfach nur eine virtuelle Welt! Es ist ein hochverschachteltes Wort der Matrix-Sprache, vermischt mit einer persönlichen Note. Ich vermute, das am Anfang des Wortes eine Schnittstelle ist, die uns weiter führt.“ Beeindruckt sahen die beiden Agenten ihren Gruppenführer an und nickten. „Welches Wort ist es, in dem wir uns befinden? Ich vermute: Kergamist.“ sagte Obajo kleinlaut. „So funktioniert diese Form der Kommunikation nicht. Matrix-Sprache arbeitet zu 93 Prozent mit Übertragungen von Gefühlen und Gedanken. Wenn du dich konzentrierst, wirst du der Aura dieser Simulation eine Warnung entnehmen können und ebenso eine Äußerung der Wut, die in gewissem Sinn deinem Fluchwort nahe kommt.“ entgegnete Michael mit einem sanften Lächeln.

Bestätigend blickte auch Zachary auf und sagte: „Jetzt wo du es sagst, kann ich es sehr genau sehen. Ich denke, ich kann mehr herausfinden wenn ich an den Anfang gehe und ein Interface öffne.“ Einige Handgriffe später hatte er mit seinen Händen silberne Fäden aus dem alles umgebenden Bild von Lichtbrechers synthetischen Körper gezogen. Die Fäden wob er zu einer klassisch anmutenden Konsole, auf der gleich darauf eine Schaltfläche erschien. Als er die Schaltfläche berührte, zuckte er zusammen. „Das wird euch nicht gefallen, Männer.“

Seinen Worten folgend materialisierte sich Lichtbrecher in einem männlichen Avatar-Körper. Seiner Haltung war deutlich große Anstrengung anzusehen und er schien etwas Schweres zu tragen. Die virtuelle Realität ließ schwere Ketten an seinen Armen entstehen und diese verbanden ihn mit einer gefesselten Gestalt, die sich vor ihren Augen formte. Es war Controller, der gefesselt am Boden lag und sich ständig gegen die Ketten aufbäumte. Ohne einen weiteren Gedanken stürzte sich Obajo auf ihn, um ihn mit seiner massigen Gestalt zu Boden zu zwingen.

Bevor Michael ihn aufhalten konnte, berührte der Bär den Feind und wieder ging ein Lächeln durch dessen Gesicht. Obajo besaß nur ein Standard-Implantat, das der Kraft Controllers nicht gewachsen war. Schnell war dessen Sicherheit außer Kraft gesetzt und sein virtueller Körper musste dem Befehl des Puppenspielers gehorchen. Mit einem erschrockenen „Nein!“ auf den Lippen mussten alle zusehen wie Obajo die Fesseln ihres Feindes zerfetzte. Lichtbrecher ging in die Knie, die Fesseln verschwanden und mit einem lauten Lachen floh Controller aus dem silbernen Feld, das alles umgab.

„Ich grüße euch, meine Freunde!“ sagte Lichtbrecher mit fester Stimme, während er sich erhob. Selten setzte er eine so direkte Sprache in ihrer Runde ein, aber es war ihm anzusehen, dass ein großer Teil seines Geistes schwer mit anderen Dingen beschäftigt war. Es ähnelte dem Zustand, den er hatte, wenn er sich im Überlichtflug befand und wie in einem metaphorischen Sandsturm jedem Sandkorn auszuweichen musste. Nichts anderes war das Reisen in einer Sub-Dimension nämlich. Selbst für eine so erfahrene Schiffsintelligenz war es extrem gefährlich, bei einer solchen Geschwindigkeit zu navigieren.

„Alles in Ordnung? Was ist passiert? Was hatte der Auftritt mit Controller zu bedeuten?“ Michael verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Geste, der er mit der Übertragung seiner Besorgnis an Lichtbrecher weiteres Gewicht verlieh. Schnell synchronisierten sie die Erinnerungen der letzten Nanosekunden und dann fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen. Lichtbrechers Eindrücke waren vor allem für den Hybriden Obajo und den Menschen Zachary überwältigend. Als synthetisches Wesen konnte Michael besser damit umgehen.

Kurz nachdem Gruppe 19 mit dem Gefangenen das Schiff betrat, das Lichtbrechers eigentlichen Körper darstellte, passierten einige Dinge gleichzeitig. Controller war zuvor auf einer schwebenden Bahre gefesselt und mit Drogen ruhig gestellt worden. Der vermeintlich blockierte und bewusstlose Controller hatte es jedoch irgendwie trotzdem geschafft, Lichtbrechers Systeme in kürzester Zeit zu manipulieren. Er hatte es auf die Sprengsätze abgesehen, welche im Schiffsrumpf überall deponiert waren.

Sie dienten eigentlich dazu, Sektionen abzutrennen, falls es zu einer Kontamination oder einer Dekompression kommen sollte. Sie wurden teilweise gezielt gezündet und würden nun präzise all jene töten, die hinter seiner Bahre durch die Schleusentür gehen wollten. Sein Körper allerdings wäre dann durch die Notfallsysteme geschützt und ein Energiefeld würde sich zwischen ihm und der Sektion, in der sich Gruppe 19 befand, aufbauen. Die einzige Schwäche im Plan ihres Widersachers jedoch war, dass er selbst erst durchgeschoben werden musste, bevor er zünden konnte.

Die so gewonnenen drei Sekunden gaben Lichtbrecher genügend Zeit, sich einen Plan zur Rettung seiner Schützlinge zu überlegen. Er nutzte seinen eigenen Gedankenmatrix-Knoten um die Crew und Controller in einer Simulation zu verbinden. Er zwang das Implantat des größenwahnsinnigen Schurken eine Fiktion zu erschaffen, die der Gruppe eine Realität vorgaukeln würde. Eine Spezialität seines illegal modifizierten Gerätes. Außerdem zündete er zeitgleich seinen Überlicht-Kern, um ein lokales Zeitdehnungsfeld zu erschaffen. So konnte er die verbleibenden 500 Millisekunden ausweiten.

Alle wussten nun auch, dass sie nur noch acht „Stunden“ zu leben hatten. „Zweihundertfünfzig Jahre und jetzt hängt es an einigen Millisekunden? Verfluchte Scheiße, können wir überhaupt noch irgendetwas tun, außer uns zu verabschieden!?“ Wütend trat Obajo gegen die Wände der silbrigen Blase und machte seinem Ärger Luft. Michael gratulierte Lichtbrecher: „Gut gemacht, mein Freund! Du hast uns eine Gnadenfrist erkauft. Es sieht wohl so aus, als habe uns der Mistkerl schon wieder ausgetrickst. Und dieses Mal hat er uns wirklich kalt erwischt.“

Traurig entgegnete Lichtbrecher: „Ich bin untröstlich, dass eure Existenz wegen meiner eigenen Sprengsätze enden soll. Es muss einen Weg geben euch zu helfen! Leider bin ich ziemlich damit beschäftigt, nicht zu zerreißen, weil ich ein Zeitdehnungs-Feld direkt in einem Gravitationsbrunnen aufrechterhalten muss.“ Stöhnend sagte Zachary: „Ja danke, deine Erinnerung hat ziemlich klar gemacht, welche Kraft dich das kostet. Dennoch brauchen wir dringend einen Plan!“ Ein abfälliges Lachen kam von Obajo. „Was glaubst du denn können wir tun? Der Mistkerl hat uns verarscht und wir werden ziemlich bald verbrennen! Das kann auch Lichtbrecher nicht mehr verhindern. Zach´, gib mir meine Kanone und ich trete Controller gerne nochmal in seinen virtuellen Hintern. Danach setzen wir uns hin und laden unsere Erinnerungen in die Matrix. Wenigstens bleibt uns dafür genügend Zeit!“

Michael unterbrach die Rede seines Kampfgefährten mit einer kommandierenden Geste. „Nur nicht den Mut verlieren, mein kriegerischer Freund. Es gibt immer Möglichkeiten, auch wenn man sie nicht sofort erkennt.“ „Mag sein, Gruppenführer, aber ich bin euch dabei keine große Hilfe. In dieser Realität habe ich weder meine Kanone, noch Chancen gegen Controller und seine Manipulationen.“ entgegnete Obajo mit niedergeschlagener tiefer Stimme.

„Realität ist ein gutes Stichwort!“ Aufgeregt tauschte Zachary ein paar schnelle Gedanken mit Lichtbrecher aus und einige Augenblicke später trug Obajo nicht nur seinen gepanzerten Cyberanzug, sondern auch seine geliebte Schienenkanone in seinem Halfter. „Diese Virtualität, nicht Realität, wird von dem Chip im Kopf unseres Freundes Controller erzeugt! Lichtbrecher konnte ihn überlisten und ausnutzen, obwohl er im Grunde keine Ahnung vom Hacken hat, also kannst du hier drin auch kämpfen. Lass dich nur von nichts berühren, denn dann kann dich keiner mehr schützen, klar?“

Mit einem triumphierenden Grinsen zeigte er auf Obajos neue Ausrüstung, welche dieser erst in dem Moment zu bemerken schien. „Glasklar, Grashüpfer, wenn du ihn mir zeigst, werde ich ihn für dich erledigen!“ entgegnete er ihm mit breitgezogenen Lefzen und gebleckten Zähnen. Michael nickte und sein virtueller Körper veränderte sich. Linien wanderten an einen anderen Ort und Texturen wechselten sich aus. Am Ende entstanden ein aggressiveres Aussehen, sowie ein Kampfanzug und eine hell leuchtende Energieklinge.

Das alles hätte auch außerhalb der Simulation exakt so stattgefunden, wenn sich Michael auf einen Kampf vorbereiten müsste. Die archaische Form des Schwertkampfes und sein Wissen um den bewaffneten Konflikt verdankte er einem seiner Kerngeister. Der Soldat in ihm erwachte und die Erinnerungen seines Bruders wurden verdrängt, ebenso seine friedliche Form. Michaels Körper war in der realen Welt ein technisches Meisterstück, beinahe konnte man ihn als lebendes Metall bezeichnen. In der Virtualität war die Veränderung weniger eindrucksvoll, aber sie sagte den Mitgliedern seiner Gruppe einiges darüber, wie tiefgehend die Geister der Zwillinge das Verhalten ihres Gruppenführers beeinflussten.

Gerade rechtzeitig, so schien es, hatten sie entschlossen sich dem Kampf zu stellen, denn in diesem Augenblick veränderte sich die Szenerie. Die Wächter, Schutzprogramme mit einer beschränkten künstlichen Intelligenz, standen mit einem Mal überall um sie herum. Die silberne Blase, die alles umgab, war geplatzt und gab den Blick auf das unwirkliche Innere der Lichtbrecher-Flure frei. Alles wirkte jedoch künstlich und verfallen, beinahe als wäre seit vielen Jahren niemand mehr an Bord gewesen.

Es blieb aber keine Zeit, sich der Umgebung weiter zu widmen, denn die Wächter griffen gnadenlos an. Lichtbrecher war sichtlich verwirrt und kaum in der Lage zu reagieren. Es waren schließlich seine eigenen Abwehrmaßnahmen, denen er sich gegenüber sah. Obajo und Michael hingegen waren wesentlich weniger zimperlich. Während der Hybrid-Bär die Feinde mit vollautomatischem Feuer eindeckte, begann Michael eine Schneise zu schlagen, um aus den engen Fluren in Richtung Ladehalle zu kommen.

Zachary hingegen hielt sich mit den Wänden des virtuellen Schiffes erst gar nicht auf. Seine Matrix-Hacking-Künste machten ihn für die Wächter unsichtbar und er suchte bereits das einzig lohnende Ziel: Die Steuerung der Notfallkraftfelder in der echten Welt. Ein kurzer gesendeter Gedanke, um Lichtbrecher zu informieren, und schon war er auf dem Weg. Obajo und Michael hatten die Situation unter Kontrolle und das Überlicht-Schiff konnte etwas Unterstützung vertragen.

Lichtbrecher schaffte es mit einigem Aufwand, ein gutes Drittel der knapp zwanzig Wächter dazu zu zwingen, stehen zu bleiben und auf Befehle zu warten, die niemals kommen würden. Obajo und Michael erledigten den Rest, jedoch nicht ohne Blessuren davonzutragen. Einer der letzten Wächter schaffte es, Obajo zu überraschen und ihn zu berühren. Obajos Ziel wechselte und seine mächtige Kanone verwundete Michael schwer am rechten Bein. Die Verletzung in der Simulation blutete nicht, aber der metaphorische Verlust des Beines bedeutete den Verlust von Matrix-Kapazitoren in seinem Implantat. Für ein synthetisches Wesen nicht schmerzhaft, aber dennoch hinderlich. Michael warf den Lichtsäbel durch die Gestalt ihres letzten Gegners und trennte die Kontrollverbindung zu Obajos Standard-Implantat. Die Wächter waren besiegt, doch es hatte sie viel Zeit gekostet. Jeder von ihnen konnte bereits die Hitze des realen Feuers spüren.

Lichtbrecher flackerte, er begann langsam und konzentriert zu sprechen: „Es tut mir leid, aber Controller hat mich unvorbereitet erwischt. Wir haben eben fast 300 Millisekunden verloren, weil ich Kapazitäten umleiten musste, um meine Systeme zu schützen. Er versucht mich zu kontrollieren! Teile meiner Gedankenkomplexe sind bereits in seinen Halluzinationen gefangen. Nicht mehr lange und ich werde nach eurem Tod ihm gehören.“ Verärgert und vor Anstrengung schnaufend antwortete Michael: „Dann haben wir keine Zeit zu verlieren! Wo ist Zachary?“ Lichtbrecher leitete die Gedanken von Zachary weiter und wortlos begaben sie sich zum virtuellen Kontrollraum in dem simulierten Schiff.

Als sie die Szenerie betraten, war dort kein Raum mit Schaltflächen-Schnittstellen oder gewaltigen Maschinen. Stattdessen befanden sie sich plötzlich in völliger Schwerelosigkeit und um sie herum war nichts als weit entfernte Sterne. Einige hundert Meter von ihnen entfernt konnten sie eine Plattform ausmachen, hauptsächlich, weil dort ein pulsierendes Licht hin und her geschossen wurde.

Lichtbrecher nahm alle Kraft zusammen und brachte Michael und Obajo dort hin. Zachary stand, von einem Energiefeld umgeben, vor Controller. Beide hatten die Hände erhoben und schienen sich Gedankenbrände entgegen zu schleudern – die tödlichste Kunst des Matrix-Hacks, die in der Lage war, ein Gedanken-Implantat zu verbrennen und damit seinen Nutzer zu vernichten. Jeder Treffer bei Zachary schien sein Kraftfeld zu schwächen, jedoch führte jeder Treffer bei Controller zu einer Erschütterung in der gesamten Virtualität. Obajo und Michael versuchten, ihren Feind zu attackieren, doch er schüttelte sie ab und schleuderte sie fort, als wären sie nur Fliegen.

Zachary nutzte die kurze Ablenkung klug und schleuderte eine mächtige Flamme aus seiner Rechten auf den Puppenspieler. Dieser wehrte die Attacke mühelos ab, bemerkte aber nicht, dass sie nur eine Finte war. Lichtbrecher stand plötzlich hinter ihm und ergriff seine Schläfen mit beiden Händen. Licht trat aus der drahtigen Gestalt des genetisch modifizierten Menschen und nur wenige Augenblicke später war er nur noch ein graues und erstarrtes Abbild seiner selbst in der Schwerelosigkeit.

Schwer atmend fand sich die angeschlagene Gruppe 19 auf der Plattform ein. Zachary erklärte seinen Plan. „Ich werde die Einstellungen von Lichtbrechers Notfallschilden zur Sektionsabdichtung modifizieren. Mit Hilfe von Michaels Berechnungen sollte ich in der Lage sein, den Schild auf uns auszuweiten. Dann werden wir die Explosion überleben und können uns um den echten Controller kümmern.“ Allgemeines Nicken quittierte seinen Vortrag. Ein kräftiger Schlag gegen Zacharys Schulter von Obajo sollte ihn wohl ermuntern, aber das tierische Grinsen war wie immer einfach nur furchteinflößend.

Ohne weitere Umschweife machten sich Michael und Zachary an die Arbeit. Lichtbrecher konzentrierte seine Anstrengungen weiter auf die Aufrechterhaltung des Zeitdehnungs-Feldes. Es verging eine „Stunde“ und das simulierte Universum war mittlerweile erhellt, wie bei einem Sonnenaufgang. Zacharys und Obajos Abbilder waren matt und schwitzten, auch Michael schien unter der allgegenwärtigen Hitze zu leiden. „Wir sind…fertig.“ keuchte Zachary und ließ sich auf die Plattform fallen.

Lichtbrecher jedoch schüttelte nur den Kopf. „Es hat zu lange gedauert. Es sind nur noch 15 Millisekunden übrig. Der Aufbau eines modifizierten Feldes dauert jedoch mindestens 20… Es tut mir Leid… Ich habe alles versucht.“ Michael legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du kannst uns dieses Mal nicht beschützen, mein Freund. Aber wir haben dennoch eine Gelegenheit, die wir nicht verpassen dürfen. Controller hat zu viel Schaden angerichtet. Auf zu vielen Welten hat er sich zu einem Gott aufgespielt. Wir können ihn nicht mehr in die Kernwelten bringen, aber wir können seinem Treiben ein Ende setzen.“

Zachary nickte mit einem unendlich müden Gesichtsausdruck. „Wir könnten die Notfallschilde ganz ausschalten. Er wird dann mit uns und der gesamten Westsektion ins Weltall geschleudert.“ Obajo stand auf und fragte: „Wirst du unsere Erinnerungen ins Gedankennetz tragen, Lichtbrecher? Wirst du das alles überstehen?“ Die Schiffs-Intelligenz sah den Hybriden traurig an: „Ja, mein Freund, es ist noch genügend Zeit eure Gedanken und Erinnerungen zu empfangen und ich werde deine privaten Gedanken an deine Familie schicken, wenn du es wünscht.“

Obajo nickte und seine Zeremonienroben kehrten einmal mehr an seinen Leib zurück. Sie verabschiedeten sich stumm voneinander. Blicke und Gefühlsübertragungen waren genug um sich auszudrücken. Einige Gedanken und Entschuldigungen für vergangene Fehler wechselten sie aus, dann setzten sich alle auf die Plattform. Zachary betätigte ein Schaltfeld und die Energieanzeigen des Notfall-Feldes fielen auf null. Controller sollte nun also ihr Schicksal teilen, ohne jedoch seine Erinnerungen speichern zu können.

Gruppe 19 begann die verheerende Übertragung ihrer Essenz in die Matrix, in welcher schon so viele Milliarden Erinnerungen schwammen. Jedes Überlicht-Schiff war ein Knotenpunkt dieses Netzwerkes und trug die Essenz der menschlichen Geschichte so durch das All. Wie schmelzendes Wachs versanken ihre Abbilder in der Oberfläche der virtuellen Realität. Ein Trugbild, oder auch Geist zu werden, war meist der neurale Tod eines Individuums und die Übertragung von so viel Essenz verlangte einem Körper das Letzte ab, einem synthetischen, wie auch einem biologischen. Als die letzten Tropfen ihrer Existenz mit dem Netzwerk verschmolzen, war der Sonnenaufgang zu einem Leuchtfeuer geworden und die Anzeige auf dem Handgelenk Lichtbrechers wechselte auf 0000 Millisekunden.

„Meister Controller, habt ihr eure Erinnerung genossen?“ Lichtbrecher war vorsichtiger im Umgang mit seiner göttlichen Hoheit geworden, seit ein defekter Schaltkreis Controller einmal den Schlaf geraubt hatte. Die Strafe dafür war grausam und er würde sie niemals vergessen. „Ja, Schiff! Es war wie immer hocherfreulich, den Untergang dieser Narren zu genießen. Ihre Geister waren mir bisher immer die nützlichsten Gefährten. Wie konnten sie nur glauben, in meinem eigenen Kopf siegreich zu sein? Keiner dieser Agenten konnte mir bisher das Wasser reichen. Bereite meinen Spielraum vor, ich will ihn heute mit diesem Bären teilen. Er amüsiert mich am meisten… Hybriden… Sie hätten sie als Tiere belassen sollen.“

Lachend begab sich die drahtige Gestalt in den Kommandosessel und ging einige Sternenkarten durch. „Natürlich Meister, wie ihr wünscht.“ Das mächtige Überlicht-Schiff flog seinem nächsten Ziel entgegen. Irgendwo in seinem Inneren war Lichtbrecher in einem stummen Schrei gefangen. Verloren und einsam, dazu verdammt einem Wahnsinnigen zu dienen, ewig den Tod seiner Schützlinge auf dem Gewissen.

Artikelbild: Fotolia (c) diversepixel

 

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