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Das deutsche Science-Fiction-Rollenspiel Ultima Ratio hat einen steten Aufwärtstrend in der Qualität seiner Produkte seit der Erstveröffentlichung des Regelwerkes erfahren. Wurde dem System zuerst der ungewöhnliche W4 als poolbildender Würfel angelastet, waren auch viele Leser generell unzufrieden mit dem ersten Band. In diesem erfuhr man wenig über die Welt oder es wurden weitere Bände benötigt, um ein stimmiges Bild zu erhalten. Die Publikationen zur Kolonie Auda und zum lukeanischen Reich haben diese Lücken behoben, waren aber auch nicht makellos. Spieler, die lieber im All als auf einer planetaren Oberfläche Abenteuer erleben wollen, erhalten nun mit dem Raumer Handbuch neue Informationen.

Inhalt

Diese Besprechung setzt die Kenntnis der Spielwelt und des Regelwerks voraus, erste Informationen dazu liefern obige Verlinkungen.

Wer im All herumschippern will, der muss auch wissen, wohin die Reise geht und auf was die Crew eines Schiffes treffen kann. So erklären uns die ersten Seiten des Softcover-Bandes, welche Form von Kolonien es gibt. Wie werden diese regiert, welche unterschiedlichen Abstufungen je nach Einwohnerzahl und wirtschaftlich-taktischer Bedeutung gibt es und wie verwalten die Einwohner die Bedürfnisse? Das wird recht umfangreich aufbereitet und nutzt dabei, wie aus vorherigen Veröffentlichungen bekannt, die Ultima Ratio-typischen Abkürzungen.

Wer sich zwischen NARK, TARK und ARK nicht verloren hat, darf mehr über Raumstationen, deren Ausstattung und die Firmen im All erfahren. Der Abschnitt ist sehr liebevoll aufbereitet und vor allem eingängig geschrieben. Eingängiger und in sich geschlossener, als es bei anderen Büchern der Spielreihe der Fall war. Hier erkennt man deutlich eine schreiberische Entwicklung.

Nun, da das Basiswissen um das All und die Bevölkerung jenseits der großen Welten vorhanden ist, kann es um das eigentliche Thema des Bandes gehen: das Schiff und die Crew. Besonders der Abschnitt über die Crew hat mir gut gefallen! Er schafft es sehr gut, Platz für diverse Charakterkonzepte zu ermöglichen und erläutert sehr gut, welche Aufgaben welche Position an Bord eines Schiffes hat und wie man Charaktere in diese Positionen platzieren kann.

Dazu gehören nicht nur Aufgabenbereiche wie Arzt, Kanonier oder Pilot, sondern der Band geht etwas weiter und bemüht sich auch, Motivationen zu schaffen, wieso genau diese Crew gerade zusammenarbeiten will. Und der Abschnitt beschäftigt sich zu meiner Überraschung auch mit den Problemen an Bord. Davon ist sicher das größte die Langeweile – denn, wenn man wochenlang niemanden sieht, auf wenigen zehn Quadratmetern eingesperrt ist und nur seinem Job nachgeht, dann wird einem auch schnell fad. Und das kann zu Problemen führen. Besonders gefiel mir Der Kodex, das erinnert zuerst an den Kodex aus Piraten der Karibik, ist aber eine durchaus in sich schlüssige und logische Sammlung von Verhaltensmustern, bei denen ich mir vorstellen könnte, dass sie genau so in ferner Zukunft existiert.

Das Schiff der Tanaka-Klasse - die Illustrationen lassen sich sehen
Das Schiff der Tanaka-Klasse – die Illustrationen lassen sich sehen

Rund um das Schiff der Crew werden neue Werte in das Regelwerk eingeführt. Das sind Beweglichkeit, Panzerung und Sensorik für den Bereich der Attribute. Ein Schiff verfügt über einen eigenen Statusmonitor, der Schild, Hülle und strukturelle Integrität überwacht. Weitere schiffs-spezifische Werte schließen sich an. Dazu hat ein Schiff ebenso eine KI wie eine Kolonie, die sich hier IVI nennt. Jene hat eine Stufe, mit der eruiert werden kann, wie gut mit IVI per Technomantie zu interagieren ist. Alle Werte eines Schiffes sind gut auf einem extra dafür vorhandenen „Charakterbogen“ nachvollziehbar.

Dieser ist übersichtlich aufgebaut, erinnert aber wieder an die Bögen aus dem alten Shadowrun 2. Das ist für sich nichts Schlechtes. In einem sehr umfangreichen Kapitel werden die einzelnen Schiffe mit ihrer Ausrüstung und den Möglichkeiten der verbauten Technologie vorgestellt. Besonders das Artwork der Schiffe hat mir hier sehr zugesagt.

Wer mit Schiffen durchs All gondelt, muss sich auch Gefechten stellen – so zum Beispiel mit Raumpiraten, die an die eigene Fracht wollen. Dafür gibt es ein zweiseitiges Kapitel, das die Kampfregeln erläutert und dabei auch auf besondere Manöver wie eine Fassrolle eingeht. Nicht bei allen Manövern ist jedoch auch direkt die spielmechanische Bedeutung zu erkennen.

Das Wichtigste jedoch in einem Leben als frachttransportierender Raumkapitän ist es, das Schiff am Laufen zu halten. Und dafür braucht die Crew Geld. Das Geld, das man benötigt, muss geschäftlich (legal) oder durch Nebenverdienste (meist illegal) erarbeitet werden. Hier punktet der Quellenband wieder durch gut ausgearbeitete und transportierte Inhalte. Verständlich aufbereitet und sinnvoll strukturiert, sind sie somit auch gut einprägsam. Da sich aus dem Geldverdienen sicher am meisten Abenteuerinhalt generieren lässt, finden sich in diesem Kapitel auch die meisten Regelvorschläge oder Spielhinweise. Es gelingt dem Band hierbei wiederum ziemlich gut, Fluff-Informationen mit Spielmechanik zu verbinden, ohne den Lesefluss zu unterbrechen. Auf die einzelnen Möglichkeiten hier genauer einzugehen, würde aber den Umfang dieser Besprechung sprengen.

Der zweite Hauptinhalt von Abenteuern zwischen den Sternen sind die Reisen an sich. Dafür sind Vorbereitung zu treffen, die Reichweite des eigenen Schiffs ist zu bedenken und es gibt so einiges an Widrigkeiten, auf die eine Crew treffen kann. Dazu gehören oben genannte Überfälle von Raumpiraten, aber auch Kontrollen der Sicherheitsbehörden und Vergleichbares. Auch greift der Band kosmische Phänomene wie den Annäherungsalarm an einen Asteroiden auf oder Fehlfunktionen – was ich aber vermisst habe, sind Space-Opera-typische Probleme wie Energiewellen, Meteroritenschauer und so weiter. Wenn auch Ultima Ratio in seiner ureigenen Natur eine Dystopie ist, fokussiert sich der neue Band mehr auf ein Spielgefühl à la Firefly oder vielleicht auch (wenn doch kleiner als) Andromeda.

Systemtypisch finden sich einige Kontakt-Archetypen im Anhang: Personen und Wesen, die man im All treffen kann; fertig mit kleiner Beschreibung und Werten. Und ganz am Ende – da wartet ein Schmankerl für die Fans. Zwei Spezies werden genauer beschrieben, da sind die menschlichen Aspra’ani und (viel interessanter!) die Riszxlik, eine insektoide Spezies mit vier Armen und vier Beinen (Vielleicht gilt diese Spezies dann doch eher als Schalentier?). Für die Zweitgenannten gibt es dann auch Spielwerte und Erklärungen ihrer besonderen Spezieskräfte. Mich hat irritiert, dass selbst beim Kladdentext kein Hinweis auf doch so wertvolle, spielrelevante Informationen existiert. Vielleicht hat man diese beiden Völker noch nachträglich eingearbeitet? Cool sind die Riszxlik auf jeden Fall.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für 12,95 EUR erwarte ich heutzutage nicht mehr viel, die Preiskampfpolitik einiger Verlage mal unbetrachtet gelassen. Vielleicht ein Abenteuer, aber zu mehr ist meine Erwartungshaltung nicht bereit. Dafür bekomme ich hier eine Sandbox des Alls und des Lebens zwischen den Sternen, verbunden mit wertvollen Informationen zum Schiffsbetrieb und noch viele Abenteuerideen. Letztere muss ich mir aber selbst durch Inspiration von den Texten ausgehend erarbeiten. Alles in allem in meinen Augen ein guter Deal.

Erscheinungsbild

Ultima Ratio Raumer Handbuch CoverDer Band hat mit seinen fünfzig Seiten eine sehr angenehme Haptik und macht auch vom Satz von Text und Bild einen guten Eindruck. Zwar gibt es längere Textpassagen, aber diese sind durch Trenner, Grafiken und Infoboxen gut aufgebrochen. Durch die Art zu Schreiben, wird die die Lektüre zudem durch die Schreibart nur selten langweilig. In Sachen Illustrationen hat Ultima Ratio ein Stück zugelegt, findet sich doch immer weniger Stock-art, sondern sehr oft auch ziemlich gut gelungenes Bildwerk von Aljosa Mujabasic und Stefanie Böhm. Chapeau!

Die harten Fakten:

  • Verlag: Heinrich Tüffers Verlag
  • Autor(en): Nikolas Tsamourtzis
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 50
  • ISBN: 978-3-941340-08-4
  • Preis: 12,95 EUR (Druck), 9,95 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Amazon, DriveThruRPG

 

Bonus/Downloadcontent

Wer den Charakterbogen zu Ultima Ratio noch nicht digital hat, findet ihn auf DriveThruRPG zum Download. Auf der Website zum Spiel finden sich viele grundsätzliche Informationen zu Regeln, Spielwelt und News.

Fazit

War ich doch anfangs sehr skeptisch, was Ultima Ratio betrifft, bin ich mittlerweile mehr als angetan, wie sich das System entwickelt hat. Den Fehler, zuerst das Koloniehandbuch Auda und dann den Band zum lukeanischen Reich veröffentlicht zu haben, kann ich mittlerweile leicht zur Seite schieben. Mit dem Raumer Handbuch haben die sympathischen Macher mich angenehm überrascht.

Die grundlegenden Gedanken zu Kolonien, Handel, dem Reisen im All, die Zusammenstellung und Grundidee einer Crew und letztendlich die erweiterten Regeln zu Schiffen nebst Raumkampf etc., haben mich insoweit überzeugt, dass ich eine eigene Runde zwischen den Sternen leiten möchte. Kleinere Schönheitsmankos gibt es dennoch – so zum Beispiel gibt es zwar die Aussage, wie schwer eine Fassrolle als Manöver ist, aber so richtig konnte ich nicht auffinden, welchen Effekt sie auf das Gefecht als Ausweichmanöver hat. Wenn es irgendwo im Handbuch steht, ist es unzureichend herausgearbeitet. Ebenso stören mich die fortwährenden Abkürzungen, denn auch wenn sie immer wieder erklärt werden, muss ich sie doch nachschlagen. Ich kann mir gut vorstellen, dass eine Runde einige Spielabende etwas verloren zwischen diesen Fluff-Begriffen taumelt. Das hindert einfach den Spielfluss, ist aber ein grundsätzliches Problem des Systems Ultima Ratio und nicht nur dieses Bandes.

Dass ich privat den W4 wegen seiner niedrigen Varianz nicht mag (und er ermordet Fußsohlen!), soll hier irrelevant sein. Macher Nikolas sagte mir im Interview auf der SPIEL 2015, dass eben genau diese niedrige Varianz des Würfels der Grund war, ihn für die Pools designseitig zu wählen.

Der Band ist voller Liebe gemacht und hat sehr viele Informationen, die es gewieften Science-Fiction-Spielleitern leicht möglich machen, eigene Geschichten zu erfinden. Er hat mir auf einer grundsätzlichen Ebene gut gefallen.

Perfekt wäre ein Baukasten gewesen, mit dem man Planeten und Kolonien auswürfeln oder anderweitig zufällig zusammenstellen kann. Ich selbst brauche das nicht, aber ich kenne viele SLs, die so etwas gern sehen. Vielleicht reichen die Autoren ja einen Kolonie-/Planeten-Designbaukasten online nach.

Daumen4Maennlich

Mit Tendenz nach oben

Artikelbild: Heinrich-Tüffers-Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

  1. Interessanter Artikel und ein SF Rollenspiel in dem man nicht nur auf Planeten agiert, ist immer einen Blick wert. Kannst Du es mit Traveller vergleichen, das ja bereits deutlich umfangreicher etabliert ist ? Ist es besser/schlechter/whatever ?

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