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Steve Jackson, Ko-Autor der legendären Fighting Fantasy-Reihe von Abenteuerspielbüchern, schuf auch die vierteilige Serie Sorcery!, die 1986 beim Thienemann-Verlag als Die Analand Saga auf Deutsch erschien. Der Frankfurter Mantikore-Verlag legt diese Reihe nun wieder unter ihrem originalen Titel auf. Erschien 2015 bereits Band 1: Die Shamutanti-Hügel, ist seit der RPC 2016 auch die Fortsetzung Die Fallen von Kharé erhältlich.

Handlung

Die Krone der Könige, die den Regenten von Analand Weisheit und Rechtsgefühl verlieh, wurde vom Hexer von Mampang gestohlen. Damit dieser nicht damit die wilden Kreaturen des gesetzlosen Karkhabad unter seiner Herrschaft eint, muss der Leser als freiwilliger Recke die Krone zurückerobern. Im ersten Teil von Sorcery! hat der Held erfolgreich die entlegenen Shamutanti-Hügel hinter sich gebracht und muss nun das große Nordtor der Hafenstadt Kharé öffnen, um durch die Ödlande nach Mampang zu gelangen.

Das ist aber einfacher gesagt als getan: Diese Pforte ist schon seit Langem verschlossen, und nur vier hohe Würdenträger von Kharé kennen je einen Satz des magischen Spruchs, der sie zu öffnen vermag. Selbst ohne dieses Problem ist das Durchqueren der riesigen Hafenstadt aber nicht einfach, ist sie doch ein Magnet für den Abschaum der Umgebung.

Auf 511 Abschnitten durchquert der Held Kharé vom Eingangstor im Südwesten bis zum finalen Portal im Nordwesten. Die Hafenstadt erweist sich dabei als ein Labyrinth aus Plätzen, Gassen und Stadtbezirken, in denen man Halt machen und einen genaueren Blick auf die Bewohner werfen kann. Meist darf man stattdessen auch direkt seinen Weg fortsetzen, aber so riskiert man natürlich, an den möglichen Verstecken der vier Spruchzeilen für das Öffnen des Tors vorbei zu spazieren.

Kharé ist ein Labyrinth aus zahlreichen Abzweigungen, Kreuzungen und Gabelungen, über die man sich leicht in der Hafenstadt verlaufen kann. Dennoch führen die Wege schließlich doch wieder alle an bestimmten Punkten zusammen, wie etwa dem großen Gauklerfest, der Kapelle des Gottes Slangg oder der Krypta von Lord Shinva. Am Ende des ersten Tags der Suche wird der Held auch stets im zwielichtigen Gasthaus „Wanderers Ruh“ haltmachen. Viele Leser werden außerdem wohl unfreiwillig die Bekanntschaft mit der widerwärtigen Kanalisation unter der Stadt machen müssen.

Auch wenn diese dezente Wegführung eine Hilfestellung bei der Suche nach den vier Würdenträgern ist, so kann der Leser tatsächlich auch unbedarft einen Weg einschlagen, der gänzlich an diesen vorbeiführt. Die Wanderung durch Kharé kann so am Nordtor ein überraschend frustrierendes Ende finden.

Dies ist aber nicht mein einziger Kritikpunkt. Für mein Empfinden wiegt viel schwerer, dass die Stadt Kharé zu keinem Zeitpunkt als ein geschlossenes Ganzes erscheint. Die verschiedenen Viertel, Plätze und Bewohner sind zwar voller wundersamer Kreaturen und netter Ideen, existieren aber alle fast völlig isoliert für sich. Zwar gibt es hier und da kleine Tipps für einen meist kurz darauf zu besuchenden Ort, aber insgesamt wirkt alles wie ein Mischmasch aus unzusammenhängenden Begegnungen. Im ähnlich strukturierten ersten Band Die Shamutanti-Hügel passt dieser Aufbau noch stimmig zu den abgelegenen Orten in der Wildnis, in einer Stadt hätte ich hingegen viel stärkere Zusammenhänge erwartet. Auch marschiert der Held, wie oben erwähnt, letztlich stur von einem Ende der Stadt zum anderen, ohne jemals zurückzublicken. Hier wäre es schön gewesen, wenn man einzelne Orte mit im Spielverlauf erworbenen Hinweisen – denn letztlich dreht sich dieser Band ja um genau das – mehrmals hätte aufsuchen müssen. So allerdings merkt man diesem Band sein Alter von inzwischen dreißig Jahren schmerzlich an.

Ein kleines Glanzlicht ist dafür allerdings, wie sich in Die Fallen von Kharé die Konzeption einer großen Serie entfaltet. Zwar kann man den Band auch für sich allein lesen, aber die Hinweise, Artefakte und Ausrüstung, die man beim Spielen des ersten Teils Die Shamutanti-Hügel ergattert hat, geben im Nachfolger immer wieder kleine Vorteile. Mal findet man hier einen hilfreichen Kontakt, mal hat man dort den nötigen Schlüssel zur Hand, um aus einem Gefängnis direkt wieder entfliehen zu können. Auch kann man so über bestimmte Komponenten verfügen, die zwingend für das Wirken einzelner Zaubersprüche nötig sind.

Regeln

Die Regeln sind über die gesamte Sorcery!-Reihe identisch, so dass ich sie an dieser Stelle nur kurz zusammenfasse. Eine etwas detailliertere Fassung ist in der Rezension zu Band 1 Die Shamutanti-Hügel zu finden.

Ein neuer Abenteurer beginnt das Spiel mit den Attributen Ausdauer 12, Glück W6+6 und Gewandtheit W6+6 bei Kämpfern bzw. W6+4 bei Magiern. In Kämpfen würfelt man für den Helden und den Gegner jeweils 2W6 plus den Gewandtheitswert, der Unterlegene verliert zwei Punkte Ausdauer. Dies geht so lange weiter, bis die Ausdauer eines der Kontrahenten auf 0 gesunken ist.

Zusätzlich verliert man Ausdauer, wenn man nicht regelmäßig Nahrung zu sich nimmt oder rastet. Da die Reise quer durch Kharé aber nur zwei Tage benötigt, fällt dieses Regelelement in Sorcery! 2 nicht so sehr ins Gewicht.

Wird der Leser im Spielverlauf aufgefordert, sein Glück versuchen, so darf man mit 2W6 nicht den aktuellen Wert übertreffen. Sonst hat man Pech und die Geschichte nimmt eine ungünstige Wendung. Hat man hingegen Glück, so sinkt das Attribut im Ausgleich um 1 und macht den nächsten Wurf schwerer. Im Kampf kann Glück helfen, Schaden zu modifizieren.

Genau einmal im Verlauf des Buchs darf man die Göttin Libra um Hilfe anflehen. Entweder setzt sie dann reduzierte Attribute auf ihren Startwert zurück, heilt alle Gifte oder Flüche, oder steht dem Abenteurer als explizite Option bei besonderen Abschnitten zur Seite.

Kern der Sorcery!-Reihe ist natürlich die namensgebende Magie. Jeder der insgesamt 48 Zauber besteht aus einer Kombination von drei Buchstaben und kostet bei Anwendung bis zu fünf Punkte Ausdauer. Gibt das Buch dem Helden die Möglichkeit, einen Spruch zu wirken, so hat man fünf Abkürzungen zur Auswahl, von denen auch einige gar keine richtigen Zauber sind und nur Ausdauer kosten. Fünf grundlegende Sprüche werden auf einer einführenden Seite erklärt, aber je mehr Abkürzungen man sich merken kann, umso besser – denn während der Lektüre darf man nicht mehr im Anhang nachgucken.

Schreibstil

Wie schon im Vorgänger beweist sich Autor Steve Jackson in Die Fallen von Kharé als Veteran der Abenteuerspielbücher. Die einzelnen Abschnitte sind kurz und knackig geschrieben und treiben die Wanderung durch die verruchte Hafenstadt gut voran. Im Gegensatz zu Die Shamutanti-Hügel erscheint mir der Stil jedoch etwas zu spröde. Kharé wirkt zu keinem Zeitpunkt wie eine zusammenhängende Metropole, viel mehr vermitteln die einzelnen Stadtviertel und Plätze das Gefühl der unzusammenhängenden, jeweils für sich spannenden Orte in der Wildnis des ersten Bandes. Die dabei doch recht originellen Ideen für die besuchten Gegenden können zumindest mich nur teilweise dafür entschädigen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Der Preis für Die Fallen von Kharé ist mit 12,95 EUR vergleichbar mit ähnlichen Werken im Taschenbuchformat. Wie schon der Vorgänger sorgt der Anreiz, die zahlreichen Zaubersprüche zu meistern, für einen guten Wiederspielwert. Vor allem aber wird so mancher Leser wohl mehrere Anläufe brauchen, bis er alle vier Würdenträger und die Zeilen des Passwortspruchs für das Nordtor aufgespürt hat.

Erscheinungsbild

sorcery-2-frontAuch Teil 2 der Sorcery!-Reihe erscheint im klassischen Taschenbuchformat. So liegt es gut in der Hand und verträgt das für Spielbücher typische Blättern sehr gut.

Die Aufteilung der Kapitel ist wie im Vorgänger Die Shamutanti-Hügel: Auf die detaillierten Regeln, den Charakterbogen und die kurze Vorgeschichte um die Krone der Könige folgt das eigentliche Abenteuer mit seinen 511 Abschnitten. Im Anhang werden die 48 verschiedenen Zaubersprüche beschrieben, diesmal allerdings ist jedem eine einzelne Seite und sogar eine eigene Illustration von Zeichner John Blanche gewidmet. Dessen seitenfüllende Illustrationen und Vignetten verleihen der gesamten Sorcery!-Reihe einen durchgängigen Zusammenhalt und ein einzigartiges Flair durch ihren ziselierten und verdrehten Strich.

Enttäuschend fand ich allerdings die ebenfalls enthaltenen Übersichtskarten, die die gesamte Region von Karkhabad sowie die Shamutanti-Hügel darstellen. Dabei habe ich doch letztere bereits im ersten Band durchquert – hat man hier etwa beim Layout geschlafen, wo doch eine Karte von Kharé viel passender gewesen wäre?

Zudem hat sich noch ein weiterer, wenn auch zu verschmerzender Fehler in Die Fallen von Kharé eingeschlichen: Trägt der Spruch für den Feuerball in der Zusammenfassung der nützlichsten sechs Zauber und auch im Abenteuer selbst die Abkürzung FEU, so nutzt der ausführliche Eintrag im Anhang die englische Variante HOT.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Autor: Steve Jackson
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch
  • Format: broschiert
  • Seitenanzahl: 316
  • ISBN: 978-3-394549-32-50
  • Preis: 12,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus-/Downloadcontent

Der Mantikore-Verlag stellt eine separate Download-Seite zur Sorcery!-Reihe zur Verfügung. Zum jetzigen Zeitpunkt im Oktober 2016 ist dort nur eine Sammlung von Materialien zum ersten Teil zu finden. Darunter ist aber auch der für Leser von Band 2 nützliche Charakterbogen.

Fazit

Die Fallen von Kharé ist eine gute Fortsetzung der auf vier Teile angelegten Sorcery!-Reihe. Die Erkundung der labyrinthischen Wege durch die verruchte Hafenstadt steckt voller abwechslungsreicher Begegnungen und Überraschungen. Die entscheidende Suche nach dem vierzeiligen Zauberspruch, der am Ende schließlich das Tor für die weitere Reise öffnen soll, kann den Leser auch für mehrere Durchgänge motivieren.

Allerdings merkt man diesem zweiten Band der Reihe auch schmerzlich sein Alter von rund dreißig Jahren an. Zu sehr fühlen sich die einzelnen besuchten Orte wie unabhängig voneinander existierende Begegnungen an. Nie hatte ich bei meiner Lektüre das Gefühl, eine zusammenhängende, gewachsene Metropole zu durchstreifen.

Das einzigartige Grundkonzept der Sorcery!-Bücher mit seinem originellen Einsatz von Magie ist jedoch weiterhin sehr anregend, bieten die zu merkenden Abkürzungen für die einzelnen Sprüche aus dem umfangreichen Zauberbuch doch eine erkleckliche Anzahl an Optionen im Spiel.

So hinterlässt Die Fallen von Kharé insgesamt den soliden Eindruck einer weiteren Etappe während einer insgesamt viel größeren Reise. Die angekündigte Fortsetzung Die Sieben Schlangen wird zeigen, ob der Höhepunkt erst noch bevorsteht.

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Artikelbild: Mantikore-Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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