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Im Frühjahr 2016 erschienen im Verlag Pro Indie zwei Bände zu deren neuen Science-Fantasy-Hintergrund Equinox, aufgeteilt in einen Setting- und einen Regelband. Parallel ist auch über das Label Vagrant Workshop eine englische Fassung verfügbar. Ursprünglich war vorgesehen, dieses Rollenspiel nur via DriveThruRPG zu vertreiben, allerdings hat man sich einige Monate später mit dem Uhrwerk-Verlag zusammengetan, der nun professionell gedruckte Hardcover anbietet.

Diese Rezension basiert auf einem Softcover, das durch DriveThruRPGs Print-on-Demand-Service erstellt wurde, bevor die Kooperation mit dem Uhrwerk-Verlag feststand.

Inhalt

Wie der Titel schon verrät, befasst sich das Setting-Handbuch ausschließlich mit dem vielseitigen Science-Fantasy-Hintergrund von Equinox. In ferner Zukunft hat die Menschheit den Sprung zu anderen Welten geschafft und Kolonien auf fernen Planeten errichtet. Doch nicht die interstellare Raumfahrt war der Schlüssel zu diesem Erfolg, sondern das Erstarken von magischer Energie, die in einem jahrtausendelangen Zyklus des Auf- und Abschwellens wieder einen Höhepunkt erreicht hat. Statt die langen interstellaren Strecken zurücklegen zu müssen, wurde es durch Portale in den Astralraum möglich, die Reise erheblich abzukürzen. Das astrale Feld der Erde erwies sich dabei als Nexus, der die Pforten zu den verschiedenen Kolonien der Menschheit umfasst. Die Raumschiffe werden ebenfalls durch Geister beseelt, um die Routen durch den Astralraum leichter zu finden.

Auch die Menschen selbst werden von den mystischen Feldern der Erde oder der Koloniewelten verändert, denn bei einigen werden dadurch Genome aktiviert, die sie zu Subspezies wie den riesigen Hokai oder den raubkatzenartigen Gor machen. Zudem zeigen sich die sogenannten Mystiker besonders empfänglich für die astralen Kräfte, die sie intuitiv nutzen können, um ihre Fähigkeiten als Pilot, Krieger oder Beschwörer zu steigern. Aus den Reihen der Mystiker stammen auch die Spielercharaktere.

Doch nicht nur die Menschheit ist durch die mystischen Felder in der Lage, die Schwelle zum Astralraum zu durchstoßen, denn in den Tiefen dieser unwirklichen Dimension lauern die Dämonen, die nur darauf warten, verschlingend und verderbend in die andere Welt zu wechseln. Doch in ihrem Goldenen Zeitalter hatten die Bewohner der Erde dieses Problem ein für alle Mal gelöst: Eine riesige Sphäre bündelte die astrale Kraft der Erde und stabilisierte das magische Niveau auf der Oberfläche, so dass den Dämonen kein Weg geöffnet werden konnte. Da mystische Felder zudem nicht im interstellaren Raum existieren können – und dieser somit für die Geister der Hybrid-Raumschiffe und Mystiker lebensgefährlich ist – wähnte man sich durch die Sphären im Orbit der menschlichen Welten sicher.

Allerdings brauchten die Dämonen nur Geduld, um ihre zerstörerischen Pläne doch noch umzusetzen. Sobald die Sphären genug mystische Energie gespeichert hatten, vermochten diese Kreaturen durch Portale in die andere Welt überzutreten und die Sphären zur Explosion zu bringen. Die Erde und viele Koloniewelten wurden verheert, die Bevölkerung musste sich in den Weltraum retten. Fünf verbliebene Welten gründeten daraufhin das Konsortium, um einen Gegenangriff zu planen.

Entscheidend war dabei die Begegnung mit dem Shanrazi-Imperium, dessen sogenannter Dimtech kleine und große mystische Felder generieren kann. So vermögen sogar die Hybridschiffe im leeren Raum existieren, selbst normale Gegenstände können mit mystischen Fähigkeiten versehen werden. Umso grausiger war die Entdeckung, dass die mutierten Shanrazi tatsächlich Bewohner der inzwischen von den Dämonen korrumpierten Erde und deren wieder errichteter Sphäre waren. In der letzten Schlacht des sogenannten Dimkriegs konnte die gewaltige Flotte des Konsortiums zwar die dämonisch verseuchte Sphäre vernichten, doch der Mond wurde damit auf die Erde geschleudert, so dass die Erde vernichtet wurde und nur noch als Asteroidengürtel existiert.


Dies ist das Universum, in dem die Abenteuer von Equinox spielen. Um den Erdgürtel wurde inzwischen die riesige ringförmige Gateway Station errichtet, denn das mystische Feld der Menschenwiege ist seltsamerweise mitsamt seiner Nexusportale immer noch intakt. Die fünf Konsortiumswelten führen inzwischen ein unerbittliches Regime, in dem gerade Mystiker streng überwacht werden. Die Spielercharaktere sind sogenannte Vaganten, die sich auf eigene Faust dieser Diktatur entgegenstellen, von der so mancher behauptet, sie würde insgeheim von den Dämonen kontrolliert.

Neben dieser umfangreichen Vorgeschichte zum Universum von Equinox erläutert das Setting-Handbuch auch dessen viele Details und Eigenheiten. Jedes Kapitel des Buchs ist dabei in Form eines Berichts aus der Feder eines Mystikers, des Konsortiums oder sogar eines Dämon formuliert, immer wieder unterbrochen von Kommentaren, die Figuren des Equinox-Universums hinzugefügt haben. So erwächst ein spannendes Geflecht aus Fakten, Gerüchten, Gegendarstellungen und Halbwahrheiten.

Einzelne Kapitel befassen sich mit der Natur der mystischen Felder und den Figuren der Mystiker, auch die menschlichen Subspezies werden ausführlich beschrieben. Die mehr oder minder bizarren Ausrüstungsgegenstände des beschriebenen Dimtech und die beispielhaften mystischen Kreaturen, die sich den Spielern entgegenstellen können, unterstreichen den ungewöhnlichen Genremix des Settings. Am inspirierendsten fand ich aber jene Abschnitte, die die Konsortiumswelten und den Erdnexus beschreiben. Gerade hier werden die Fakten und Quellen dauernd hinterfragt, fallen reizvolle Stichworte und Ideen, die danach schreien, mit Leben gefüllt zu werden.

Der Band wird abgeschlossen von einem Kapitel, das sich vor allem an den Spielleiter wendet. Hier findet der Leser Tipps, wie man das Spiel im Universum von Equinox angehen kann. Neben Richtlinien für die eigene Gruppe wird der Spielleiter auch ausführlich an die Entwicklung eigener Handlungsorte, Personen und Konflikte herangeführt. Zwei beispielhafte Schauplätze, der Asteroid Freedom Rock und die Raumstation Sanctoria sowie deren wichtigste Figuren geben direkt konkretes Material an die Hand.

Sehr geholfen hätte an dieser Stelle aber auch eine Zusammenfassung des umfangreichen Hintergrunds. Durch die im Setting-Handbuch verstreuten, oft nur angedeuteten Hinweise und Gerüchte auf Begebenheiten, Figuren und Mysterien kann gerade der Spielleiter hier schnell den Überblick verlieren. Auch eine kompakte Vorstellung von tieferen Geheimnissen und Fakten, die es für die Spieler zu ergründen gilt, hätte ich sehr begrüßt. So fühle ich mich mit der Vielzahl von Ideen etwas allein gelassen, ein Spielleiter wird einiges an Eigenarbeit in seine Szenarios stecken müssen.

Eine mögliche 10. Welt

Einige Leser werden es schon gemerkt haben: Equinox atmet in großen Teilen den Geist der Rollenspielklassiker Earthdawn und Shadowrun. Das verwundert kaum – entstand doch laut Mit-Autor Carsten Damm die Idee zu diesem Hintergrund, als die Lizenz zu Earthdawn noch beim Verlag RedBrick lag. So sollte Equinox die zehnte Welt in ferner Zukunft nach Earthdawns vierter und Shadowruns sechster Welt darstellen; die achte Welt wird im Setting-Handbuch nur vage als das Goldene Zeitalter der Menschheit angedeutet. Obwohl diese Rechte inzwischen bei Fasa Games liegen, macht Equinox immer wieder klare Andeutungen auf seine geistigen Vorgänger. Am offensichtlichsten sind wohl die Dämonen, die schon bei Earthdawn die zentrale, verderbende Bedrohung darstellen. Auch die mystischen Pfade, denen die Charaktere folgen können, stehen in der Tradition der Adeptendisziplinen von Barsaive. Das Konzept der magischen Zyklen ist es schließlich, das den verbindenden Bogen zu Shadowrun schlägt. Dessen Phänomen, dass magische Energie im Weltraum nicht existieren kann, wurde in Equinox durch die mystischen Feldgeneratoren gelöst und ist dort ein zentrales Element.

Dennoch soll Equinox laut seinen Autoren nur eine mögliche Zukunft darstellen. Obwohl es das Phänomen humaner Subspezies – analog zu Shadowruns Metamenschen – gekonnt erklärt, so stellt das Fehlen von Elfen, Zwergen, Orks und Trollen doch einen deutlichen und fast schon schwer verdaulichen Bruch zu seinen geistigen Vorgängern dar. Auch die Drachen, deren Erwachen den Beginn magischer Zyklen markiert und die bei Earthdawn ein Hauptziel der Dämonen sind, finden in Equinox keinerlei Erwähnung. So obliegt es letztlich der eigenen Spielrunde, ob man den Hintergrund von Equinox eigenständig oder, womöglich mit einigen kleinen Anpassungen, verknüpft zu den zwei anderen Welten nutzen möchte.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für den Preis von 34,95 EUR erhält der Leser eine umfangreiche Hintergrundbeschreibung, die viele Aspekte und Details abdeckt. Selbst wenn man das Setting von Equinox nicht bespielen möchte, so ist der Band doch voller Ideen, die man in andere Systeme übernehmen kann.

Die Qualität des Hardcovers vom Uhrwerk-Verlag ist auf dem hochwertigen Stand, den Käufer heute von Rollenspielprodukten erwarten.

Erscheinungsbild

equinox-setting-guide-cover-rezensionDie Publikationen von Pro Indie / Vagrant Workshop glänzten schon in der Vergangenheit durch ansprechendes Layout. Auch das Equinox Setting-Handbuch mit seinem viereckigen Coffeetable-Format ein Blickfang. Das Innenleben in zweispaltigem Satz ist sehr übersichtlich gestaltet und gut lesbar. Zwar gibt es hier und da mal einen Tippfehler, diese sind aber angesichts des Umfangs zu verschmerzen. Die wichtigsten Schlagworte sind in einem Index zusammengefasst, zudem liegt eine Arbeitsblattvorlage für die Erarbeitung der eigenen Settingdetails bei.

Dafür ist allerdings die Aufmachung auffallend unspektakulär. So gibt es zwar ein sehr ansprechendes Titelbild, das den Science-Fantasy-Charakter von Equinox gut einzufangen vermag, dafür ist das Innenleben arg spröde geraten. Zumeist werden die Seiten nur von einer etwas unruhigen Hintergrundtextur aus blauen Farbklecksen geschmückt, die auch in jedes andere Setting gepasst hätte. Auch die Illustrationen sind meist in einer einheitlichen, dazu passenden Farbpalette aus Blau- oder Grüntönen gehalten. Damit kommen wir auch zum größten Schwachpunkt des Setting-Handbuchs: Illustrationen findet man, für meinen Geschmack, insgesamt viel zu wenige. Meist schmückt nur den Kapitelanfang ein einseitiges Bild, weitere Abbildungen sind sehr selten. Gerade bei Equinox ausgefallenem Genremix fällt es mir so sehr schwer, ein Gefühl für die Eigenheiten und das Besondere des Settings zu bekommen. Auch empfinde ich den Zeichenstil von Illustrator David M. Wright als etwas steif, dies mag man aber als Geschmackssache abtun.

Die vom Uhrwerk-Verlag herausgegebene Hardcoverfassung des Setting-Handbuchs, die ich auf der Spiel 2016 mustern konnte, lässt hingegen nichts zu wünschen übrig. Der stabile Einband, der kräftige Druck und das Papier sind eine deutliche Verbesserung gegenüber der mir vorliegenden und ursprünglich vorgesehenen Print-on-Demand-Ausgabe von DriveThruRPG.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk Verlag / Pro Indie / Vagrant Workshop
  • Autor(en): Eike-Christian Bertram, Chad Booth, Carsten Damm, Lars Heitmann, Angus McNicholl, Jason Wallace, Hank Woon
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 252
  • ISBN: 978-3-95867-06-17
  • Preis: ab 34,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, DriveThruRPG (deutsch/englisch), Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Verlagshomepage von Pro Indie findet sich eine eigene Ressourcenseite zu Equinox. Speziell für das Setting-Handbuch findet sich hier Vorschauseiten ein Arbeitsblatt für das eigene Setting. Zum ebenfalls erschienenen Regel-Handbuch werden neben einer separaten Vorschau auch weitere Arbeitsblätter für Charaktere, Gruppen oder Gegner angeboten.

Errata und weiterführende Artikel sind zum jetzigen Zeitpunkt (November 2016) auf der Ressourcenseite nur angekündigt.

Fazit

Das Equinox Setting-Handbuch beschreibt einen faszinierenden Genre-Mix der Science-Fantasy, in dessen ferner Zukunft die Menschheit ganz von der Vermischung magischer und mundaner Technik geprägt ist. Der Hintergrund um das ruchlose Konsortium, die alles verderbenden Dämonen und die aufbegehrenden Mystiker besticht durch viele anregende Details und angedeutete Ideen, die mit Leben gefüllt werden wollen.

Allerdings verhindert die spröde Aufmachung, die vor allem viel mehr Illustrationen verdient hätte, dass der Leser ganz in den ungewohnten Hintergrund einzutauchen vermag. Auch könnte ein separater, gut strukturierter Abschnitt über die wahren Geheimnisse des Equinox-Universums gerade dem Spielleiter helfen, sich inmitten der zahlreichen Fakten, Halbwahrheiten und Andeutungen des Texts zurechtzufinden.

Besonders interessant ist das Setting von Equinox vor allem für Freunde der Rollenspielklassiker Shadowrun und insbesondere Earthdawn. Ursprünglich als Zukunft dieser beiden Welten angedacht, finden sich hier viele Elemente wie die magischen Zyklen, die menschlichen Subspezies und die verderbenden Dämonen wieder, die einen Bogen über die drei Systeme spannen und sie zu einem großen Ganzen zusammenfügen – so der Leser das will. Denn Equinox ist auch eigenständig und faszinierend genug, um für sich allein zu bestehen.

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Artikelbilder: ProIndie / Uhrwerk Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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