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Beim ersten Lesen wusste Zweihänder voll und ganz zu überzeugen. Aber Theorie und Praxis können so verschieden sein wie Ordnung und Chaos. Es wird Zeit, den Daumen auf die Schneide zu legen und die Schärfe zu prüfen.

Wodurch zeichnet sich ein gelungenes Rollenspielbuch aus? Auf diese Frage gibt es sicherlich viele Antworten, aber in jedem Fall sollte ein Regelwerk während des Lesens das Verlangen erzeugen, schnellstmöglich zu spielen. Zweihänder hatte auf mich genau diese Wirkung. Mit jedem gelesenen Kapitel ergaben sich mehr Ideen, wuchs der Wunsch, sich sobald wie möglich an den Spieltisch zu setzen und das System in der Praxis zu erleben.

Las ich zunächst noch ein PDF, steht mittlerweile ein gedrucktes Exemplar in meinem Regal, das mit seinen knapp 700 Seiten schon optisch einigen Eindruck macht. Und genau dieses Buch kam zum Einsatz, um zusammen mit vier Spielern Segel zu setzen und im Namen Englands die neue Welt zu kolonisieren.

Die Spielwelt & Regeln und Charaktererschaffung

Zweihänder nutzt bei einem Großteil aller anfallenden Proben Prozentwürfe. Lediglich Schaden und andere negative Effekte werden mit sechsseitigen Würfeln bestimmt. Das Regelsystem hält verschiedenste Entbehrungen sowohl körperlicher als auch mentaler Art für die Spielercharaktere bereit. Vor allem die Regeln für gewalttätige Auseinandersetzungen sind sehr hart gestaltet und beinhalten jederzeit die Option für einen abrupten Charaktertod. Genauere Informationen finden sich in unserem Ersteindruck.

Durch eine weitestgehend zufallsgesteuerte Charaktererschaffung können Spieler diesen Gefahren auch nicht durch Optimieren von Charakterwerten beikommen. Das Risiko und die Härte der Regeln sind Teil des Konzepts von Zweihänder.

Auch wenn keine komplett vorgefertigte Spielwelt angeboten wird, bietet das Grundregelwerk neben diversen Versatzstücken zum Weltenbau vier sogenannte Campaign Seeds an, grobe Entwürfe einer Kampagnenwelt und der Abenteuer, die in einer solchen Welt denkbar wären. In allen vier Entwürfen spiegelt sich der düstere und gefährliche Grundtenor des Spielsystems deutlich wieder. Für diesen Spieltest habe ich den Campaign Seed Lost Colony of Roanoke verwendet.

Die hier bespielte Welt basiert auf der Realität des frühen 17. Jahrhunderts und erweitert diese um die finstere Mythologie von Zweihänder. Schauplatz ist Jamestown, Virginia, die erste langfristige Kolonie Englands auf nordamerikanischem Boden. Die Konflikte mit den Ureinwohnern, aber auch die Spannungen innerhalb der verschiedenen Ethnien der Kolonie und der Kampf um das schiere Überleben sind die Kernthemen des Settings.

Einen besonderen Platz nimmt die ehemalige Kolonie Roanoke ein, deren Bewohner einige Jahre vor dem Beginn der Kampagne spurlos verschwanden. Alles was an Spuren zu finden war, war das Wort Croatoan, das in einen Baum gekerbt worden war. Auch in der Realität wurde nie abschließend geklärt, was mit den Kolonisten geschehen ist, die Geschichte der Kolonie würde in unsere Artikelreihe Projekt H.E.L.D. passen.

Spielbericht:

Wir schrieben das Jahr 1619 unseres Herrn, des Gott-Imperators, als die Dutyfull mit dem Segen von Krone, Göttern und der Virginia Company von London aus in See stach, Jamestown entgegen. Die neue Welt sollte unser Ziel sein, der Weg gen India, Gold und Ruhm. Beladen war das Schiff mit Versorgungsgütern und mutigen Männern und Frauen, die im Namen Englands die Kolonie Virginia besiedeln sollten.

Schon früher war eine Kolonie der Krone gegründet worden, auf Roanoke Island. Doch mehrere Versuche der Besiedlung hatten keinen Erfolg gezeigt und Gerüchte behaupteten, die Siedler von Roanoke seien spurlos verschwunden oder den Elfen-Stämmen zum Opfer gefallen. Jamestown aber entwickelte sich allen Berichten nach prächtig durch die Pflanzung von Tabak. Die Überfälle der umliegenden Powhatan-Elfen wusste man sehr wohl zurückzuschlagen.

Der Leviathan war uns wohlgesonnen und so konnte die Überfahrt gelingen. Am 27. November liefen wir in den James River ein und erblickten das Fort von Jamestown. Wie sich zeigte, waren die Götter gnädig mit uns, denn nur einen Tag später sollte das große Fest zum Erntedank stattfinden.

– Master Louis Quillner, Schreiber und Archivar im Dienste seiner Majestät James I.

Dieser kurze Text wurde im Vorfeld allen teilnehmenden Spielern zugesandt und er sollte den Einstieg ins gemeinsame Abenteuer bilden.


Doch vor das Spielen haben die Götter die Charaktererschaffung gesetzt und so wurden die Würfel gegriffen und die Stifte gespitzt. Exakt zwei Stunden später waren die folgenden vier Charaktere bereit, sich auf eine Reise in die neue Welt zu begeben:

William „Black Billy“ Carrot

Der Halbling ist ein Ermittler, der in bester Sherlock Holmes-Manier seine Schlüsse im Drogenrausch zieht. Nachdem er erfolglos versucht hat, einem Adeligen ein schweres Verbrechen nachzuweisen, wurde er als Lügner gebrandmarkt. Er hofft in der neuen Welt Gerechtigkeit zu finden.

Liam Lanchester

Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hat Liam gelernt, sich in fremden Häusern zu nehmen, was er braucht. Bei einem misslungenen Einbruch hat er eine Hand verloren. Er neigt dazu, sich selbst als Mittelpunkt der Welt zu sehen.

Esmeralda Butterpie

Die Halblingsdame hat es als Hure bis ins hohe Alter gebracht und gutes Silber verdient. Sie hat sich einen gesunden Opportunismus und rechtschaffenen Zorn angeeignet und lehnt es ab, vor den Göttern zu buckeln.

Pierce „Junior“ Tinman

Mit gerade mal sechzehn Jahren hat Pierce sein Schicksal in die Hand genommen und entschieden, sein Glück in der neuen Welt zu finden. Schmuggelei hat seine Überfahrt finanziert, doch er hofft, in Jamestown ein ehrliches Geschäft aufziehen zu können. Ein Unfall in der Kindheit hat ihn ein Bein gekostet.


Nachdem die Charaktere fertiggestellt waren und im Rahmen der Charaktererschaffung die grundlegenden Regeln erklärt waren, gingen wir direkt ins Szenario über.

Nach einer angedeuteten Überfahrt erreichen die Spielercharaktere die Kolonie Jamestown und werden nach einer knappen Begrüßung durch den Gouverneur ihren neuen Arbeiten zugeteilt. Da am nächsten Abend aber das Fest zum Erntedank stattfinden soll, haben alle Charaktere Gelegenheit, sich an den Vorbereitungen zu beteiligen und andere Kolonisten kennenzulernen.

Das Fest am folgenden Abend wird durch einen halbtoten Soldaten der Kolonie gestört, der aus den Wäldern hinkt und völlig von Sinnen vorhersagt, dass Jamestown wegen der Sünden der Kolonisten das gleiche Schicksal wie Roanoke erwarten würde. Danach bricht er tot zusammen. William stellt bei einer Untersuchung der Leiche fest, dass sie Anzeichen von Mutation zeigt.

Die Charaktere werden nach diesem Ereignis von einem jungen Aristokraten angeheuert, um die elfischen Ureinwohner aufzusuchen und sie wegen des Vorfalls zu befragen. Nachdem etwas Ausrüstung für eine Reise durch die Wildnis aufgestockt worden ist, brechen die vier Abenteurer im Morgengrauen auf, um das Dorf der Powhatan-Elfen zu erreichen.

Die Reise erweist sich als sehr beschwerlich, da keiner der Charaktere Erfahrungen in der Wildnis vorweisen kann. Trotz Karte müssen immer wieder Umwege und schlechte Lagerplätze in Kauf genommen werden. Vor allem Pierce mit seinem Holzbein treibt der anstrengende Marsch an den Rand der Erschöpfung. Er und Liam sind als Kundschafter aber erfolgreich und schaffen es, alle Gefahren von der Gruppe fernzuhalten. Die einzige Begegnung ist ein weiterer englischer Soldat, der im Delirium auf allen Vieren Richtung Jamestown kriecht.

Die Finsternis lauert überall

Am Dorf der Elfen angekommen, werden die Charaktere misstrauisch empfangen, aber zu den drei Stammesoberhäuptern geführt. Im Gespräch mit dem Häuptling, dem Schamanen und der Ältesten der Powhatan schaffen es Liam und vor allem Esmeralda die Elfen zu beeindrucken.

Die Gruppe erfährt, dass die Soldaten aus Jamestown versucht haben, die Grabhügel der Elfen zu plündern. Ein junger Schamane hat sie mit seinen Gefolgsleuten überwältigt. Er hat sich von den alten Wegen der Elfen abgewandt und predigt den Krieg gegen die Neuankömmlinge aus Europa. Bisher ist der Stamm nicht bereit, Krieg gegen Jamestown zu führen, aber die Störung der Totenruhe droht, den Konflikt entscheidend anzuheizen. Um Abbitte zu leisten, wird den vier Abenteurern aufgetragen, ein rituelles Rauchopfer auf dem Grabhügel abzubrennen, um die Geister der Ahnen zu besänftigen.

Die Alte des Stammes erzählt Esmeralda außerdem, dass die Ankunft der Weißen dazu führt, dass die Manitous, böse Geister aus einer Dimension namens Croatoan, in die reale Welt eindringen. Schon bei der Gründung Roanokes soll genau dasselbe passiert sein.

Nachts kommt William im Mandragora-Rausch zu dem Schluss, dass der dunkle Schamane sich noch immer am Grabhügel aufhält und erst besiegt werden muss, bevor das Opferritual durchgeführt werden kann. Am nächsten Morgen kann die Gruppe sogar einen seiner Handlanger einfangen, einen jungen Elfen, der vogelhafte Mutationen aufweist.

Da der Mutant seinen Meister nicht warnen kann, schaffen es die Charaktere, unbemerkt bis zu den Grabhügeln vorzudringen und den Schamanen, der von drei weiteren Mutanten begleitet wird, zu überraschen. Ein heftiger Kampf entbrennt, den die Gruppe für sich entscheiden kann, auch wenn Liam einige Verletzungen davonträgt. Auch Esmeralda muss einige Treffer einstecken, zahlt aber jede Verwundung um ein Vielfaches zurück.

Nachdem das Rauchopfer dargebracht wurde stellt William fest, dass die Soldaten des Gouverneurs die Toten der Elfen ausplündern wollten. Nach der Rückkehr nach Jamestown stellen die vier Abenteurer ihn deshalb zur Rede. Gouverneur Percy zeigt sich unbeeindruckt, auch die anderen Adeligen zeigen keine Einsicht, sondern sind der Meinung, dass die Elfen kein Recht an ihrem Land haben. Selbst der Auftraggeber der Charaktere rügt sie, da er nicht von ihnen erwartet hat, Ermittlungen anzustellen. Vielmehr sollten sie den Elfen mit Vergeltung durch die Siedler drohen.

Alle Mitglieder der Gruppe versuchen, vor dem Chaos von Croatoan zu warnen, aber ein Krieg der Engländer mit den Elfen scheint unvermeidbar. Enttäuscht verlassen die vier die Ratsversammlung der Aristokraten.

Im Epilog des Szenarios huscht eine schattenhafte Gestalt am Waldrand umher. Ihre Vogelkrallen ritzen das Wort CROATOAN in die Rinde eines Baumes.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Die Grundregeln des Spiels sind eingängig und lassen sich leicht anwenden. Reisen, soziale Herausforderungen und Verfolgungsjagden werden mit Sonderregeln abgehandelt, die sich nur schwer spontan anwenden lassen, da verschiedene Parameter festgelegt werden müssen, bevor die Würfel fallen. Wenn diese Vorarbeiten durchgeführt wurden, erfüllen die Regelkonzepte aber ihren Zweck.

Aufgrund des Umfangs des Regelwerks muss häufig hin und her geblättert werden, vor allem im Kampf. Allerdings stellt sich sehr schnell ein Gewöhnungseffekt ein und man findet die gewünschten Tabellen und Abschnitte recht schnell. Im PDF hilft hier das komplett interaktive Inhaltsverzeichnis.

Der Kampf ist, wie bei vielen Tischrollenspielen, der komplexeste Teil der Regeln. Als Spielleiter muss man daher einiges im Blick behalten. Der hoch angesetzte Härtegrad funktioniert aber sehr gut. Kämpfe fühlen sich gefährlich an und jede Verwundung zieht Konsequenzen nach sich.

Da der Hintergrund nicht vollständig ausgearbeitet ist, muss der Spielleiter vor dem ersten Spiel etwas Zeit fürs World-Building aufwenden. Die Campaign Seeds bieten hier aber sehr gute Inspirationsquellen.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Für den Spieler bedeutet Zweihänder vor allem, die eigene Komfort-Zone zu verlassen. Die weitgehend zufallsbasierte Charaktererschaffung zwingt dazu, einen Charakter auszuarbeiten und zu spielen, den die Würfel vorgeben. Obwohl sie dieses System als ungewöhnlich empfanden, waren die Testspieler trotzdem angetan von der Herausforderung, aus den zufälligen Ergebnissen ein stimmiges Charakterkonzept zu erstellen.

Der Spielansatz, mit dem Charakter spielen zu müssen, den man bekommt, ist unterhaltsam und angenehm herausfordernd. -Kathrin

Das Setting fand allgemeinen Anklang, auch bei den Spielern, die sich sonst nicht unbedingt für Fantasy erwärmen können. Auch der historische Touch des gewählten Settings hat einen guten Eindruck hinterlassen.

Die Regeln sind nach einmaliger Anwendung verstanden und verinnerlicht worden. Trotzdem könnten Einsteiger von der Regelfülle und der Härte des Systems überfordert werden.

Nach dem Test waren sich alle Spieler einig, dass sie Zweihänder eher für kurze Szenarien als für lange Kampagnen bevorzugen würden.

Das System ist leicht zu verstehen, man lernt es während des Spielens. Der Zufallsaspekt sorgt für viel Unterhaltung – Svenja

Viel Spaß und interessante Kombinationen, keine 08/15-Fantasy, aber meiner Meinung nach nicht geeignet für Einsteiger oder lange Kampagnen. – Jörg

Ein Regelsystem, das für spontane, sehr unterhaltsame Runden mit erfahrenen Rollenspielern ideal ist. – Nele

Die harten Fakten:

  • Verlag: Grim & Perilous Studios
  • Autor(en): Daniel Fox
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: Letter, PDF
  • Seitenanzahl: 691
  • ISBN: 978-0-9983523-0-5
  • Preis: 27,00 USD (PDF), 59,99 USD (Print-on-Demand Hardcover), das unbebilderte PDF steht kostenlos zum Download zur Verfügung
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG

 

Bonus/Downloadcontent

Die Homepage zum Spielsystem bietet Tabellen zum Download an, die dem Spielleiter die Vorbereitung von regelintensiven Szenen wie Verfolgungsjagden, Überlandreisen und Intrigen erleichtern. Diese Tabellen machen die komplexeren Teile des Regelsystems bequem anwendbar.

Leider hat sich der negative Eindruck des Charakterbogens im Spieltest bestätigt. Viele der Textfelder sind schlicht zu klein für die enthaltenen Informationen und die fehlende Linierung an vielen Stellen macht es umständlich, Eintragungen vorzunehmen.

Fazit

Nach zweistündiger Charaktererschaffung und knappen acht Stunden Spiel hat sich der erste Eindruck bestätigt. Zweihänder ist und bleibt ein Rollenspiel, das sich den Konventionen und Gepflogenheiten der Szene verweigert. Wer sich nicht auf die ungewöhnliche Charaktererschaffung und den überdurchschnittlich hohen Härtegrad einlassen kann, wird mit dem System keine Freude haben.

Spieler und Spielleiter, die bereit sind, sich auf die Ideen des Spiels einzulassen, erwartet aber eine Menge Spaß. Das grundlegende Regelkonzept ist schnell verstanden und die zufällig erstellten Charaktere fordern von den Spielern, in Rollen zu schlüpfen, die man sonst nicht in Betracht ziehen würde. Die Regeln des Systems erfüllen ihren Zweck und zeichnen das Bild einer harten, erbarmungslosen Welt. Charaktere sind hier keine klassischen Helden, sondern einfache Leute, die irgendwie versuchen müssen, mit dem Blatt zu spielen, das ihnen das Schicksal ausgeteilt hat.

Für lange Kampagnen mit dem System wird sich wohl nur ein kleiner Personenkreis begeistern können. Glücklicherweise ist Zweihänder aber auch bestens für kurze Szenarien und One-Shots geeignet. Man würfelt einen zufälligen Charakter aus und wirft ihn in ein knallhartes Abenteuer. Danach wird das Regelwerk ins Regal gestellt und man wendet sich wieder den gewohnten Systemen zu. Wenn man es dann wieder mal richtig dreckig braucht, liegt der Zweihänder bereit, die Klinge frisch geschärft.

Für seine Zielgruppe ist Zweihänder annähernd perfekt. Die Wertung des Ersteindrucks bleibt daher unverändert. Wer aber lieber konventionelle Settings und Systeme bespielt, sollte vielleicht im Vorfeld einen Blick ins kostenfreie PDF werfen oder sich mit einem Youtube-Video einen Eindruck vom Spiel verschaffen, um Enttäuschung zu vermeiden.

Artikelbild: Grim & Perilous Studios
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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