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Falling Scales – Chapter Two ist der zweite und letzte Teil eines SAS-Abenteuers (Anmerkung: SAS steht für Storytelling Adventure System, womit sämtliche von White Wolf publizierten spielbaren Szenen und Plots umfasst werden, die alle demselben Aufbau folgen). Wer die Rezension zum ersten Teil gelesen hat, kommt an dieser Stelle nun vielleicht ins Schleudern. War dort nicht etwas von insgesamt vier Teilen zu lesen? In der Tat waren ursprünglich vier Teile angekündigt, doch mehr oder minder spontan entschloss man sich dazu, das Ganze auf zwei Teile einzustampfen. Näheres zu den Gründen ist nicht bekannt. Ärgerlich für Spielleiter, die auf Grund dieser Vorankündigung eine Runde für vier bis acht Abende eingeplant hatten und nun nur mit der Hälfte des Materials da stehen. Ob oder inwiefern sich das auf die Story auswirkt … lest ihr nachfolgend.

Erscheinungsbild

Optisch entspricht dieses Abenteuer der sonstigen der SAS-Reihe: Zweispaltiges Querformat, hier mit 39 Seiten Umfang (bei DriveThruRPG.com seltsamerweise mit 56 Seiten angegeben) und eindeutige, gleich bleibende und wiedererkennbare Struktur, garniert mit einigen stimmungsvollen Schwarzweiß-Zeichnungen. 

Der Reihe der Szenen – in diesem Fall insgesamt zehn – sind jeweils Informationen zum groben Überblick, angedachtes Thema und Stimmung vorangestellt, gefolgt von der Hintergrundgeschichte zum Abenteuer und wichtigen Basisinformationen. Die tragenden NSC werden danach ausführlich vorgestellt, und zwar jeweils nicht nur mit Werten, sondern vollständig mit typischen Zitaten, Auslegung von Tugend und Laster, persönlicher Hintergrundgeschichte sowie SL-Hinweisen zur Darstellung. Wie schon im ersten Kapitel von Falling Scales fallen diese Beschreibungen sehr umfangreich aus, denn jeder NSC erhält eine volle Seite.

Die harten Fakten:

  • Format: pdf oder Print on Demand
  • Verlag: White Wolf/CCP 
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: Englisch
  • Preis: 7 USD (PDF), 9.99 USD (PoD), 10,99 USD (PDF + PoD) 
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (Klick)

FallingScales2_Cover

Bevor die einzelnen Szenen dargestellt werden, bieten die SAS-Abenteuer stets einen „Scene Flowchart“, anhand dessen man grafisch auf einen Blick sehen kann, welche Szene auf welcher aufbaut und welche unabhängig voneinander verlaufen. Die einzelnen Szenen schließlich geben nach der Überschrift einen Überblick darüber, ob sie schwerpunktmäßig auf mentale, soziale oder physische Fertigkeiten ausgelegt sind, dann einen Überblick über den Inhalt der Szene. SL-Ziele und Charakter-Ziele werden ebenfalls separat kurz gelistet. Gerade für nicht so geübte Spielleiter ist hierbei sicherlich hilfreich, dass notwendige Aktionen und entsprechende Fertigkeitsproben dabei immer enthalten sind. Ist es beispielsweise zentral in der Szene, jemandes Vertrauen zu erlangen, so wird die jeweilige Probe beschrieben, mögliche Boni und Mali verschaffende Hilfsmittel und Hindernisse, außerdem die Ereignisse je nachdem, wie gut oder schlecht die Probe gelungen ist.

Nach der Szenendarstellung, die das Herzstück eines jeden SAS-Abenteuers bildet, folgt am Ende das Nachspiel mit möglichen Ausblicken und Hinweisen zur Erfahrungspunktvergabe.

Die letzten zwei Seiten umfassen nochmals die einzelnen Szenen in Stichworten zum raschen Nachsehen. Vier Szenen teilen sich hierbei eine Seite, so dass man bei einem Ausdruck einen schnellen Überblick über die einzelnen Szenen und deren Schwerpunkte in der Hand hält.

Eine Besonderheit der SAS-Abenteuer sind die enthaltenen interaktiven Links, die Audiodateien und andere Dinge enthalten beziehungsweise zu solchen führen. Auch Handouts sind ausgearbeitet enthalten. Man muss sie nur noch ausdrucken und verteilen, wobei dies für deutschsprachige Runden natürlich beides nicht 1:1 nutzbar ist, denn selbstredend sind die Gimmicks der SAS-Reihe allesamt englischsprachig. Dennoch fällt ein Fehlen solcher Zusatzinhalte auf, so auch bei Falling Scales – Chapter Two, das – wie bereits der erste Teil – über keinerlei solcher Links oder Handouts verfügt, was ein bisschen schade ist. Puristen kommen allein mit den Szenenbeschreibungen zwar immer schon auf ihre Kosten, dennoch hätte ich mir ein wenig mehr Mühe und Flair an dieser Stelle gewünscht.

Inhalt

Bereits beim ersten Teil hatte ich bemängelt, dass der gesamte Plot mit dem neu eingeführten Vorzug Memetic Infection steht oder fällt. Der zweite Teil der Geschichte hat mich entsprechend ziemlich kalt erwischt, denn genau dieses Kriterium hat sich hier noch einmal verschärft. Ohne den bereits im ersten Teil eingeführten Vorzug ist ein Spielen des Plots so gut wie unmöglich. Natürlich kann man als Spielleitung Brücken bauen, so dass etliches nicht die Charaktere betrifft, sondern den Freund eines Freundes, dessen Tante neulich … aber dazu braucht es keinen vorgefertigten Rollenspiel-Plot, oder? Ansonsten muss man in den sauren Apfel beißen und die Charaktere plotgetreu zu ihrem „Glück“ zwingen.

Eigentlich wäre das ja der Punkt, an dem ich ein solches PDF beherzt schließen und nie wieder öffnen würde, aber das wäre für die Leser dieser Rezension wohl mindestens so unergiebig wie für mich der Plotaufhänger des Ganzen, also habe ich mir einfach ein paar Streichhölzer in die Augenlider gedrückt, meine innere Stimme in Tee ertränkt und weiter gelesen.

Gedacht ist die Geschichte für menschliche Charaktere. Wie bereits beim ersten Teil gibt es jedoch ein paar Seiten mit Hinweisen zu den einzelnen Gruppierungen der World of Darkness, die Anregungen liefern sollen, das Ganze auch mit Übernatürlichen zu spielen. Diese Anmerkungen reichen von sehr sinnvollen Stichworten mit alternativen Ablaufskizzen bis hin zu gänzlich überflüssigen Kommentaren wie bei den Werwölfen:

„It will be difficult for werewolves to deal with the more subtle aspects of Falling Scales Part II. (…) Werewolves may have to stifle their primal urges (…) Werewolves may not understand why they have to …”

Solche Kommentare sind gelinde gesagt nicht gerade hilfreich und auch, wenn ich kein Werwolf bin und meinem Wissen nach auch keine Probleme mit meinen Instinkten habe, verstehe ich auch nicht, warum ich als Spieler diesen Plot so aufgedrückt bekommen sollte und schon gar nicht, was daran subtil sein soll.

Sei es drum. Wichtig zu wissen ist, dass man mit sterblichen Charakteren bei Falling Scales generell auf der deutlich sichereren Seite steht und auch, dass man den ersten Teil entweder gespielt haben oder ihn zumindest kennen sollte. Im Grunde knüpft die Geschichte des zweiten Teils direkt an die erste an.

Vier Monate gilt es zum Einstieg zu überbrücken, ob nun als kurzen Abriss oder durch eingeschobene andere Sessions, dann geht die Story in Washington D.C. weiter. Es gibt etliche Erklärungen, was im Groben im ersten Teil geschehen ist, und dass man, sollte man diesen Teil nicht gespielt haben, dennoch Anknüpfungspunkte finden und bilden sollte, um dem Plot zu folgen. Noch so etwas Ärgerliches.

Eigentlich wundert mich nicht, dass ein zweiter Teil auf einem ersten aufbaut und man demnach beide kennen sollte, aber bei Erscheinen des ersten Teils wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, alle – damals noch vier – Teile seien unabhängig voneinander spielbar. Okay, ich erinnere mich nicht an einen Zusatz, der besagte, sie seien unabhängig voneinander gut spielbar. Vielleicht mein Fehler, davon ausgegangen zu sein bei eben erwähnter Ankündigung?

Wie auch immer: Die Charaktere nehmen im Verlauf der vier Monate zwischen den beiden Teilen mehr oder minder subtile Veränderungen an sich wahr … oder sind es die anderen, die auf einmal seltsam sind? In der Tat kann diese Subtilität durchaus gewisse paranoide Formen annehmen; da sind Spielleitung und Gruppe in ihrer bevorzugten Darstellung gefragt.

Als nächstes werden sie auf den Vizepräsidenten Evans aufmerksam. Dieser ist beliebt, schart geradezu kultähnlich begeisterte Anhänger um sich, hat jedoch offenbar auch mit Neidern zu kämpfen, denn man versucht ihn zu töten. Davon haben die Charaktere Kenntnis und wollen sich diesen Vizepräsidenten (warum auch immer, im Zweifel einfach nicht nachfragen …) einmal genauer ansehen. Und in der Tat stimmt mit ihm etwas ganz Entscheidendes nicht!

An dieser Stelle werden die Charaktere nun ganz überrascht aus allen Wolken fallen und sich – nicht zuletzt dank ihres entscheidenden neuen Vorzugs – geradezu epischen Fragen widmen:  Was ist ein Monster? Sind Übernatürliche immer Monster? Sind auch Menschen Monster? Und wenn ja, was sind dann wohl die schlimmeren Monster? Und derweil sie sich all diese Fragen stellen, sind sie noch mit eigenartigen Wahrnehmungen konfrontiert, mit beängstigenden Erkenntnissen, müssen Vertrauen und Glauben immer wieder auf’s Neue prüfen, sich selbst und ihre Kumpanen spiegeln und reflektieren … ach so, und natürlich werden sie auch noch verfolgt, landen im Gefängnis und müssen auf sich allein gestellt eine himmelschreiende Verschwörung aufdecken.

Preis-/Leistungsverhältnis

Wenn man diese Story hier tatsächlich spielen will, ist man mit dem Preis gut dabei und erhält einen SAS-Plot ohne Zusatzmaterial mit ganz gut ausgestalteten NSC und Szenen. Ein bisschen günstiger könnten 39 PDF-Seiten zwar schon sein, aber wer sich an der Geschichte nicht stört, nimmt gerne auch den Preis in Kauf, würde ich vermuten.

Fazit

Kurz gefasst war der erste Teil nicht so gut und der zweite ist ziemlich mies.

Ich mag die World of Darkness, ich mag auch die SAS-Produkte und ihren übersichtlichen Aufbau, ich mag sogar die Kernfragen, die in dieser Geschichte aufgegriffen werden. Eine Definition für Monster zu finden ist in dem Setting ein durchaus spannendes und dramatisches, wenn auch nicht wirklich neues, Thema. Tatsächlich lässt sich auch ein Bogen erkennen, der an einen Blockbuster aus der Übernatürlichen-Kiste  erinnert und einige Anregungen für spannende Sessions, die am besten zeitlich dicht aufeinander folgen sollten, bietet.

Wie bei so vielen Blockbustern braucht man aber auch hier tonnenweise Popcorn, um den ganzen Schmarrn runter zu schlucken und sich nicht allzu veräppelt vorzukommen. Aus vier Teilen werden zwei, 56 Seiten sind tatsächlich 39, aus eigenständig wird aufeinander aufbauend, und dann drückt einem das Ganze noch zwingende Aspekte auf, die weit in die Spielercharaktere, deren Befinden und deren mögliche Entwicklung eingreifen. Dass einem dann noch gesagt wird, man bräuchte den speziellen Vorzug großzügigerweise nicht von Erfahrungspunkten zu bezahlen, ist blanker Hohn. 

Daumen2weiblich 

Artikelbild: Onyx Path Publishing

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