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In einem streng geheimen Regierungslabor knüpfen eine einsame Reinigungskraft und ein unerforschtes Amphibienwesen zarte Bande. Del Toros gleichnamiger Spielfilm schlägt in Hollywood große Wellen und wird schon jetzt als eine der ungewöhnlichsten Liebesgeschichten des Jahrzehnts gefeiert. Ob der Roman dem Film das Wasser reichen kann, lest ihr hier.

Ein einsames Labor, eine wundersame Kreatur, eine eigenartige Frau – der Einfall für The Shape of Water kam erstmals auf, als Daniel Kraus und Guillermo del Toro zusammen am Script für Trollhunters arbeiteten. Beide waren begeistert von der Idee, doch während del Toro die Geschichte auf die Leinwand bringen wollte, träumte Kraus von einem Buch – so wurden Roman und Drehbuch parallel zueinander verfasst, wobei sich die Autoren im ständigen Austausch miteinander befanden. Del Toros Blockbuster gilt als Meisterwerk, war für nicht weniger als 13 Oscars nominiert, und konnte gleich vier der begehrten Trophäen abstauben – darunter „beste Regie“ und „bester Film“. Kann sein schriftlicher Zwilling mithalten?

Story

Baltimore, 1962. Elisa Esposito ist unsichtbar – zumindest gefühlt. Seit über zehn Jahren arbeitet die von Geburt an stumme Waise Nacht für Nacht als Reinigungskraft in einem Regierungslabor. Abgehängt von einer Gesellschaft, die wenig Geduld für Gebärdensprache hat, führt sie ein bescheidenes, wenn auch nicht unbedingt erfülltes Leben. Auch ihre Freunde leben nicht gerade den amerikanischen Traum: Zelda putzt ebenfalls und führt eine brüchige Ehe mit einem depressiven Ehemann. Giles ist ein alternder, verarmter Künstler und bekommt immer weniger Aufträge, seit er in einer Schwulenbar verhaftet wurde.

Doch alles ändert sich schlagartig, als eine fremdartige Kreatur in eines der von Elisa gereinigten Labore verfrachtet wird. Weder Mensch noch Fisch, wunderschön, gefährlich und noch gänzlich unerforscht – das ist der Deus Brânquia, der „Kiemengott“, wie die Wissenschaftler ihn nennen. Während die Forscher in ihm nichts als eine Chance auf einen wissenschaftlichen Vorteil im Kalten Krieg sehen, erkennt Elisa in dem einsamen, stillen Geschöpf vor allem eins: sich selbst. Heimlich nähert sie sich der Kreatur an und stellt bald fest, dass sie ausgerechnet durch Gebärden in der Lage ist, mit ihr zu kommunizieren. Von Nachtschicht zu Nachtschicht knüpfen Frau und Fischwesen zarte Bande miteinander, die beiden neue Hoffnung in ihrer Trostlosigkeit geben. Jedoch sind nicht alle am Wohlergehen des Deus Brânquia interessiert und als schließlich das Leben der Kreatur auf dem Spiel steht, ist Elisa gezwungen, sich gegen die sonst immer erduldete Gnadenlosigkeit der Welt aufzulehnen – und ihre eigene Machtlosigkeit in Frage zu stellen.

Eine pervertierte Version des amerikanischen Traums

Ein Monster ist nicht immer nur ein Monster. Dieser Grundsatz ist es, der The Shape of Water zu einem interessanteren Werk macht als gängige Mystery-Dramen. Denn Kraus und del Toro nutzen ihre Kreatur nicht als Selbstzweck, sondern als Anlass, ein ganz bestimmtes Thema zu reflektieren: Anderssein – und das zugehörige Gefühl der Einsamkeit. Nicht durch Zufall handelt der Roman von Figuren, die auf verschiedene Weise gesellschaftliche Ausgrenzung erfahren. Elisas Motivation, sich einer potenziell gefährlichen fremdartigen Kreatur zu nähern, ist der Wunsch, es besser zu machen und dieses stille, schwer verstehbare Wesen so zu behandeln, wie sie es sich selbst von ihrer Welt gewünscht hätte. Ausgerechnet im Anderen, als unmenschlich Geltenden findet Elisa letztendlich die Wertschätzung, die ihre Mitmenschen ihr stets verwehrt haben. Auch Giles und Zelda werden in die Angelegenheit verstrickt und so fungiert das Wesen als Antrieb, das kleine Kabinett übersehener Seelen in einen impulsiven Heroismus zu stürzen, der sie zu einem neuen gegenseitigen Anerkennen von Bedeutung führt.

Tritt der Deus Brânquia gewissermaßen als Spiegelfigur der Unterdrückten auf, verkörpert sein Gegenspieler eine pervertierte Version des amerikanischen Traums: Richard Strickland, der im Film als gelungen böser, aber letztendlich doch eindimensionaler Antagonist auftritt, dient im Roman als zweite Hauptfigur, deren schwierige Hintergrundgeschichte und kontrastierenden Eigenschaften im Laufe der Handlung ausführlich erforscht werden. So stellt das Buch nicht nur seine Grausamkeit dar, sondern erlaubt auch einen Blick in die Abgründe dahinter: Von seinen Taten im Krieg schwer traumatisiert und zutiefst verunsichert, was seine Rolle in der normalen Welt sein soll, flüchtet sich Strickland in patriotisches Alpha-Gehabe und illusorische Dominanz. Ohne die Figur von ihren Taten freizusprechen, bietet der Roman eine Erklärung für seinen innerlich wie äußerlich verrottenden Bösewicht an – und übt damit auch Kritik an den Umständen, die ihn formten.

Das unumstrittene pochende Herz des Romans bilden seine diversen, ausdrucksstarken Figuren. Das Buch nimmt sich eine Menge Zeit, seine Charaktere und deren Leben Stück für Stück vorzustellen, was aufgrund der sehr unterschiedlichen Innenwelten niemals langweilig wird. So gewinnen die aus dem Film bekannten Figuren im Roman noch einmal an Tiefe dazu, und auch einige Figuren, die auf der Leinwand flach blieben – etwa die Ehefrau des Antagonisten – werden hier voll realisiert. Dabei trösten die gekonnten Charakterisierungen über das vergleichsweise späte Auftreten des Deus Brânquia und das somit ebenfalls späte Einsetzen der Liebesgeschichte hinweg.

Die Rahmenhandlung selbst mag nicht unbedingt mit Originalität punkten – die von den herzlosen Machthabern gefangene wilde Kreatur, die nur von einer zarten Seele verstanden und letztendlich befreit werden kann, ist eigentlich spätestens seit Free Willy niemandem mehr neu. Doch dem altbewährten Format wird durch den Fokus auf interessante Figuren und die deutliche Thematik ein erfrischender Anstrich verliehen. Obwohl sich die einzelnen Handlungsstationen ab und zu doch recht vertraut anfühlen, hat der Roman genug Eigengeschmack und Atmosphäre, um nicht zu langweilen.

Schreibstil

Ein weiterer Grund, weshalb sich die Handlung nicht fade anfühlt, ist zweifellos der flüssige und schlicht angenehme Schreibstil des Romans. Aus den zunächst bekömmlich kurzen Kapiteln aus wechselnden Perspektiven ergibt sich ein umfangreiches Mosaik aller wichtigen Figuren. Mit steigender Handlung werden auch die Kapitel länger – jedoch nie langatmig – wobei gerade die spannendsten Passagen oft wieder blitzlichtartig in extremer Knappheit erzählt werden. Auch dass der gesamte Roman im Präsens geschrieben ist, verleiht der Handlung eine gewisse Lebensnähe und Direktheit.

Verblüffend ist dabei, wie exakt sich die visuelle Poetik des Blockbusters auch in der geschriebenen Sprache des Buches wiederfindet. Der Roman trifft sowohl die lauten als auch die leisen Töne des Films: die aufbrausenden Gewaltexplosionen sind so bitterböse und heftig wie die zarten Begegnungsmomente der Figuren feinfühlig und märchenhaft sind – wobei letztere ganz klar im Vordergrund stehen. Mit seinen glaubwürdigen, introspektiven Schilderungen einnehmender Versagerfiguren an liebevoll heruntergekommenen Schauplätzen liest sich der Roman zwischendurch charmanter, als man es von einer Geschichte über Regierungsgeheimnisse, fremde Kreaturen und den Kalten Krieg erwarten würde – so wie eben auch im Film neben den Horrorelementen stets ein Hauch von der Fabelhaften Welt der Amélie mitschwingt. Man darf das alles ein bisschen kitschig finden. Man darf auch anmerken, dass sich bestimmte Figuren vielleicht einmal zu oft in schicksalhaften, bedeutungsvollen Momenten über den Weg laufen. Doch letztendlich ist es der Fokus auf das Zwischenmenschliche, der dem Roman seine Seele einhaucht.

Der Autor

Daniel Kraus wurde 1975 in Midland, Michigan geboren. Nachdem er 2009 sein Erstwerk The Monster Variations publizierte, folgten die Romane Rotters (2011) und Scowler (2013), die beide mit einem Odyssey-Award ausgezeichnet wurden. Erstmals kollaborierte er mit del Toro, als die beiden gemeinsam den Roman Trollhunters schrieben, der der gleichnamigen mit einem Emmy ausgezeichneten Netflix-Serie als Grundlage dient. Seine Liebe zum Horror zeichnet sich immer wieder in seinen Werken ab: Kraus’ Romane werden von Monstern aller Art bevölkert, hinter denen sich jedoch oft allzu menschliche Familienkonflikte verbergen. Betrachtet man seinen Hang zu kreativen Monsterdarstellungen sowie sein Geschick dafür, in Kollaborationen zu schreiben, überrascht auch sein nächstes Vorhaben nicht: Daniel Kraus wird George A. Romeros letzten, nie vollendeten Roman The Living Dead zu Ende schreiben – die Veröffentlichung ist für Herbst 2019 angesetzt.

Guillermo del Toro, 1964 in Mexiko geboren, ist vor allem für seine Arbeit als Regisseur und Drehbuchautor international berühmt. Der Durchbruch gelang ihm 2006 mit dem Fantasy-Historiendrama Pans Labyrinth, für dessen Drehbuch er sowohl für eine Goldene Palme als auch für einen Oscar nominiert und mit einem Nebula Award ausgezeichnet wurde. Auch der Science-Fiction-Actionfilm Pacific Rim (2013) und die Gothic-Love-Story Crimson Peak (2015) stammen von der Hand – und aus der Feder – del Toros. Weniger allgemein bekannt ist seine Arbeit an den Drehbüchern der Hobbit-Verfilmungen. Aktuell ist ihm mit dem Film The Shape of Water erneut eine Sensation gelungen – die düstere Liebesgeschichte war für nicht weniger als 13 Oscars nominiert, unter anderem in den Kategorien „bester Film“ und „bestes Drehbuch“. Auch aktuell ist del Toro scheinbar unermüdlich in zahllose Projekte zugleich verwickelt: Allein 2019 werden sieben von ihm produzierte Filme erscheinen, darunter Drachenzähmen leicht gemacht 3, eine Stop-Motion-Verfilmung von Pinocchio und eine Neuinterpretation von Die Schöne und das Biest.

Erscheinungsbild

Das in gedecktem Petrol gehaltene Cover des Romans ist nicht nur hübsch, sondern fängt den Kern der Geschichte ausgesprochen gut ein. Eine Menschenfrau und ein Amphibienmensch sind in einer innigen Umarmung abgebildet, wobei sein Kopf hinter ihrem versteckt bleibt. Die Farbe, das nach oben fließende Haar der Frau, die im Hintergrund angedeuteten Algen und auch die an Luftblasen erinnernden Lichter, die um die Liebenden schwirren, machen klar: Hier handelt es sich um eine verträumte Unterwasserszene.

Auch innerhalb des Romans gibt es einiges zu sehen: Das Buch beinhaltet vier ausgesprochen liebevoll gearbeitete Schwarz-Weiß-Illustrationen von James Jean, die verschiedene Handlungssituationen oder aber auch das Innenleben bestimmter Figuren demonstrieren. Dass es so wenige sind, ist einerseits zwar schade, doch die Sparsamkeit, mit der sie eingesetzt werden, verleiht den Abbildungen ein besonderes Gewicht. Gerade, wenn man fast vergessen hat, dass das Buch nicht nur aus Text besteht, überrascht der Roman mit einer dramatischen seitenfüllenden Illustration. Das Design der gezeichneten Figuren orientiert sich dabei recht stark am Fillm. Die sonstige Aufmachung ist stimmig, schlicht und angenehm.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Knaur
  • Autoren: Guillermo del Toro, Daniel Kraus
  • Erscheinungsdatum: 03.2018
  • Sprache: Deutsch (aus dem Amerikanischen von Kerstin Fricke)
  • Format: Broschiert
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN: 978-3-426-52307-0
  • Preis: 16,99 EUR
  • Bezugsquelle Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

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Fazit

Mit The Shape of Water gelingt Kraus und del Toro ein Werk, welches klassische Mystery-Elemente mit echtem menschlichen Drama vereint – ein literarisches Hybridwesen, das ebenso schön und faszinierend ist wie die Kreatur, von der es erzählt. Obwohl es nicht in einer fremden Fantasy-Welt spielt, sondern seine Charaktere in einer fiktionalen Variante unserer Realität ansiedelt, ist es ein Buch, in dem man sich gerne aufhält. Dies ist zweifellos den einnehmenden Figuren zu verdanken, die sich nach wenigen Kapiteln schon anfühlen wie alte Bekannte und deren ganz unterschiedliche Gedankenwelten eine einzigartige Atmosphäre schaffen. Im Gegensatz zum Film setzt der Roman etwas weniger Fokus auf die unmittelbare Romanze. Dafür nimmt er sich Zeit, eine düstere, aber gefühlvolle Geschichte über Anderssein, Solidarität und nicht zuletzt einfach die Liebe zu erzählen – in all ihren Formen. Hierfür gibt es von mir eine klare Leseempfehlung.

 

Artikelbild: Knaur, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Über die Autorin

Merle Lindhold ist irgendwo zwischen Hogwarts und Zamonien aufgewachsen und verweigert es bis heute erfolgreich, diese Welten vollständig zu verlassen. Neben ihrem Germanistikstudium grübelt sie mit großer Freude über Geschichten jeglicher Art nach, wobei ihr besonderes Interesse den Schnittpunkten zwischen Büchern, Filmen und Spielen gilt.

 

 

 

 

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