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Maika Halfwolf hat einen Teil der Wahrheit gefunden, doch ihre Erkenntnisse bringen sie in noch größere Gefahr als zuvor. Weitere Fraktionen von Menschen und Arcanics sind Maika auf den Fersen. Wie gut, dass ihr die neutrale Stadt Pontus Asyl gewährt – doch diese Gastfreundschaft hat ihren Preis…

Das preisgekrönte (Eisner Award, Hugo Award, British Fantasy Award) Duo Marjorie Liu/Sana Takeda beglückt uns mit dem dritten Sammelband ihres Fantasy-Mammutprojekts Monstress. Und dankenswerterweise wird die komplexe Story langsam entwirrt, Antworten auf lange drängende Fragen gegeben. Doch Maika hatte bislang keine Verschnaufpause, war ständig auf der Flucht vor ihren Feinden und dem Monster in sich. Jetzt darf sie in einer geradezu paradiesischen Stadt unter Freunden verweilen… ist das zu schön, um wahr zu sein?

(Hinweis: Diese Rezension verwendet die englischen Eigennamen.)

Handlung

Maikas Inselausflug in Band 2 hatte sich gelohnt: Von Lord Rohar sowie in ihren Visionen erfuhr sie einige bittere Wahrheiten über das Monster in sich und über ihre Mutter. Doch mit den Antworten kamen weitere Fragen: Was will das Monster Zinn wirklich? Welches Spiel spielt Maikas Freundin Tuya? Und wer ist Maikas Vater, angeblich der letzte Nachfahr der Shaman-Empress? Als Maika von einer Abordnung aus Thyria gefangengenommen wurde, tötete sie die gesamte Besatzung. Jetzt haben die Blood Queens es auf Maikas Kopf abgesehen, doch die Verfolgung nimmt ein abruptes Ende, als die Wächter der neutralen Stadt Pontus dem Mädchen und ihrer Crew Asyl gewähren.

Ein Einblick ins Heft
Ein Einblick ins Heft

Die Stadt ist ein uralter Zufluchtsort für Arcanics, die sich während des Krieges hinter einem Schutzschild der Shaman-Empress versteckten. Nach Friedensschluss wurde der Schild deaktiviert, doch der brodelnde Konflikt mit den Menschen zwingt die Führung von Pontus, den Schild erneut zu errichten. Aber das kann nur eine Blutsverwandte der legendären Erbauerin, und so wird Maika von Pontus zwangsrekrutiert, den Verteidigungsmechanismus zu reaktivieren. Allerdings die Shaman-Empress ließ ihre Anlage streng bewachen, und die Wächter hegen einen Groll gegen Zinn. Für Maika und ihr Monster beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, denn nicht nur Thyrias Flotte, auch die Hexen der Cumaea stehen vor den Toren der Stadt…

Die Stärke der Story von Monstress ist auch eine ihrer Schwächen. Die Vielschichtigkeit des Mysteriums um das Monster und diejenigen, die es jagen, macht es Gelegenheitslesern schwer, der Handlung zu folgen. Während in Kampfszenen jede Aktion eine sofortige, brutale Konsequenz hat, werden Intrigen und Ränke oft nur in einem Nebensatz eines Charakters angedeutet – und entfalten sich dann mehrere Kapitel später. Hin und wieder muss man zurückblättern oder auf die früheren Bände zurückgreifen, um einen Handlungsstrang zu verstehen. Das heißt nicht, dass die Handlung unnötig kompliziert oder zu intellektuell ist, aber sie ist definitiv nichts für ein kurzes Durchblättern in der Bahn oder vorm Schlafengehen. Monstress ist wie geschaffen für Lore-Nerds, die sich richtig in die Geschichte einer fiktiven Welt verbeißen können. Alle anderen sollten sehr aufmerksam lesen.

Charaktere

Ein Einblick ins Buch
Ein Einblick ins Buch

Es ist schon bemerkenswert, dass nach 18 Einzelheften die Protagonistin monströser geworden ist als das Monster. Zinn ist durch seinen doppelten Verrat zu einer tragischen Figur gewachsen und darf in fast menschlicher Gestalt umherwandeln. Maika jedoch zeigt zunehmend, was das unmenschliche Training ihrer Mutter und die Gräuel des Krieges aus ihr gemacht haben: eine bittere, rachsüchtige junge Frau, die wirklich jeden wie Dreck behandelt. Dabei sticht ihr Verhalten gar nicht heraus in dieser kriegerischen Welt: Fast jede Person, die Maikas Wege kreuzt, ist bereit, für ihre Ziele erbarmungslos zu töten.

Doch gerade die Brutalität der Welt ist es, die Maikas Begleiterin zur wichtigsten Person im dritten Band macht. Kippa das Fuchsmädchen, das zuvor immer recht farblos blieb und Maika hinterherlief, wird zu einer standhaften Verfechterin des Guten – aber auf ihre Art. Während Maika, Zinn, Corvin, die Cumaea-Inquisitrixen und die Arcanics um die Macht kämpfen und dabei morden, foltern und fluchen, kümmert sich Kippa um die Schutzlosen und Verfolgten. In einem Flüchtlingslager in Pontus schließt sie Freundschaft mit anderen Füchsen und hilft ihnen bei der Evakuierung der Stadt. Diese Charakterentwicklung ist glaubwürdig und tiefgründig, sodass es nicht albern wirkt, als das Kind den drei Erwachsenen Vihn, Corvin und Maika vorhält, dass sich jemand um die Schwachen kümmern müsse.

Im Verlauf dieser wenigen Seiten wandelt sich Kippa zum besten Charakter der Serie, weil sie in einer Welt voller Hass, Verrat und Mord grundlegende Werte wie Menschlichkeit, Anstand und Loyalität vertritt. Maika hält dies natürlich für naiv, auch wenn sie ihren Verbündeten aufträgt, Kippa um jeden Preis zu beschützen. Doch wie viele andere Kriegsversehrte in der Geschichte hat Maika vergessen, dass sie nicht um Macht oder das Überleben kämpft, sondern für die Hoffnung. Selbst Zinn, der sie in Band 1 immer wieder fressen wollte, nimmt Kippas drollige Versuche, mit ihm Freundschaft zu schließen, widerwillig hin. Und Ren ist von ihrer Freundschaftsbekundung so gerührt, dass er seine Befehle ignoriert und das Kind mit seinem Leben verteidigt.

Ein Einblick ins Buch
Ein Einblick ins Buch

Zynische Leser könnten jetzt argwöhnen, dass Kippas naiver Optimismus sie entweder umbringen, oder noch schlimmer, zu einer weiteren desillusionierten Mörderin machen wird. Doch vielleicht ist das Fuchsmädchen gerade deswegen vor einem grausamen Ende gefeit: weil diese Geschichte trotz aller menschlichen Abgründe einen Hoffnungsschimmer braucht. Und tatsächlich bietet Band 3 erstmals in der Serie ein paar positive Momente: die friedliche Ruhe im Zufluchtsort Pontus, die Annäherung zwischen Maika und Zinn sowie beider Einsicht, trotz der eigenen Schuldgefühle nach vorne zu blicken. Das Finale hält nach allen Schrecken einen emotional zufriedenstellenden Moment bereit, sowohl für Maika als auch den Leser.

Auch andere Charaktere finden in diesem Band die Einsicht, dass Gewalt allein nicht die Lösung des Konflikts bereithält. Atena und Resak treffen sich mit der Premierministerin der Menschen, um vor den Cumaea zu warnen. Tatsächlich ist die Politikerin nicht bereit, sich von den machthungrigen Fanatikerinnen in einen Krieg ziehen zu lassen und hat scheinbar noch ein As im Ärmel. Die bevorstehenden Verhandlungen zwischen den arkanen Höfen und der Föderation dürften im vierten Band eine größere Rolle spielen. Und in den arkanen Reichen, Dawn Court und Dusk Court, bahnt sich eine politische Hochzeit zur Zementierung der Allianz an. Die Schachfiguren sind in Position, wir können nach all den Schlachten vermutlich eine deutlich politischere Handlung erwarten.

Zeichenstil

Ein Einblick ins Buch
Ein Einblick ins Buch

Sana Takeda liefert wie schon in den vorigen zwei Bänden einen wahren Augenschmaus ab. Von der Farbenpracht des friedlichen Pontus bis zur technischen Kälte des unterirdischen Labors gibt es zahlreiche neue Hintergründe, vor denen sie die handelnden Figuren in Szene setzt. Nach wie vor sind Gebäude, Schiffe, Kostüme und auch Waffen detailreich verziert und in einem wunderschönen Art-Deco-Steampunk-Stil gehalten, der den Leser ins Staunen versetzt. Dementsprechend krass ist der Kontrast zum Flüchtlingslager, wo die Machtlosen der Welt größtenteils unverzierte, einfache Kleidung tragen und in Zelten hausen. Die Hauptfiguren waren zuletzt zu oft von prächtigen Uniformen und Fürstengewändern umgeben, jetzt sehen wir wieder diejenigen, die unter den Konsequenzen von Intrigen und Schlachtplänen leiden müssen.

Auch in einer anderen Sache ist sich Takeda treu geblieben: Noch immer werden Actionszenen von Blut und Gedärmen dominiert. Maika und Zinn haben weiterhin eine große Vorliebe dafür, ihren Feinden Gliedmaßen abzureißen, und Enthauptungen findet man häufiger als in Westeros. Man kann darüber streiten, ob Brutalität seine eigene Ästhetik hat, die den Gegenpol zu den filigranen Steampunk-Designs bildet. Takedas Zeichnungen driften auch zu keinem Zeitpunkt in Goreporn-Tiefen ab, wo Splatter nur noch zum Selbstzweck präsentiert wird. Aber man sollte sich als Leser darüber im Klaren sein, ob man explizite Gewaltszenen verträgt, denn diese haben in Band 3 nicht abgenommen.

Erscheinungsbild

Der Druck von Image Comics ist gewohnt hochwertig, mit sauberen Rändern und satten Farben. Auch das Papier ist stabil und bringt die Zeichnungen gut zur Geltung. Leider „verschluckt“ die Bindung im englischen Original manchmal die Seitenränder, besonders Ränder von Sprechblasen, sodass man an einigen Stellen das Buch dehnen muss. Besonders die Landkarte am Ende des Buchs leidet darunter, gerade die für die Handlung wesentliche Mauer in der Mitte des Kontinents verschwindet in der Bindung. Die deutsche Version von Cross Cult hat dies besser gelöst, dort ist die Weltkarte ein ausklappbarer Teil des Rückumschlags.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Image Comics
  • Autorin: Marjorie Liu
  • Zeichnerin: Sana Takeda
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Englisch (Rezensionsexemplar), Deutsch
  • Format: Taschenbuch, Digital
  • Seitenanzahl: 152
  • Preis: 15,61 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon: Englisch / Deutsch

 

Bonusinhalte

Band 3 enthält erstmals Zusatzmaterial: Vier A4-„Fanarts“ von mit Liu und Takeda befreundeten Comickünstlern finden sich am Ende des Buchs. Eine schöne Beigabe für alle, die Maika und Kippa mal in einem anderen Zeichenstil sehen möchten.

Fazit

Monstress ist in jeder Hinsicht episch. Die zuvor erwähnte Komplexität der Handlung, die auch mit der Vielzahl an fremden Namen zusammenhängt, macht das Werk zu einer anspruchsvollen Lektüre. Der Mystery-aspekt erinnert teilweise an die frühen Staffeln von Akte X, wo jede Antwort neue Fragen mit sich brachte und Fans befürchteten, Chris Carter hätte selbst keine Ahnung, wie die Verschwörungsstory aufgelöst werden könne.

Insofern ist Band 3 von Monstress eine willkommene Abwechslung, denn die Handlung ist hier verständlicher. Maika muss den Schutzschild aktivieren, alle anderen haben eine klare Motivation, sie zu unterstützen oder daran zu hindern. Flashbacks und Illusionen sind deutlicher als solche erkennbar als in vorigen Bänden. Und die Gründe, warum die verschiedenen Organisationen der Welt in den Konflikt eingreifen, werden auch direkter benannt. Natürlich sorgen die Plot Twists, mit denen Marjorie Liu schon öfters überrascht hat, auch hier für neue Wendungen, lassen den Leser aber nicht auf dem Trockenen sitzen. Liu hat verstanden, dass es wichtig ist, die politischen und geschichtlichen Hintergründe ihrer Welt klarer zu formulieren.

Somit ist „Haven“ vermutlich der bislang beste Monstress-Sammelband. Die Charaktere hatten genug Zeit, sich zu entwickeln, sind vielschichtige und einzigartige Persönlichkeiten geworden, die dennoch immer noch genügend Geheimnisse hüten, um die Spannung aufrechtzuhalten. Wegen der großen Komplexität der Handlung, die manchen Leser überfordern kann, reicht es nicht ganz für die Bestnote. Fans der Serie können aber getrost den senkrechten Daumen wählen, denn sie bekommen hier eine Graphic Novel der Spitzenklasse für ihr Geld.

mit Tendenz nach oben

Artikelbild: Image Comics, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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