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Vampire Live bietet oftmals viel zum Anschauen: Kämpfe gegen feindliche Vampire, große gesellschaftliche Treffen, öffentliche Verhandlungen. Wer genießt das nicht? Gleichzeitig sind diese Szenen nur möglich, wenn die Teilnehmer auch selbst aktiv werden. Was aber tun, wenn man sich nicht traut, über den eigenen Schatten zu springen?

Der Unterschied zwischen LARP und einem Theaterbesuch ist, dass du beim LARP nicht danebensitzt und die Schauspieler bewunderst, sondern selbst aktiv mit ihnen interagierst. Du bist selbst einer der Schauspieler und kein verkleideter Zuschauer. Und das heißt: Stürze dich ins Spiel und nehme aktiv daran teil, statt dich nur berieseln zu lassen.

Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Wer im echten Leben schüchtern ist, wird dies schwerlich sofort ablegen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber den meisten fällt dies alles andere als leicht. Nicht jeder Spieler ist eine Rampensau, die sich energisch in den Mittelpunkt drängt.

Gleichzeitig tut es gut, den eigenen Wohlfühlbereich immer wieder einmal zu verlassen und zu sehen, wie viel man schaffen kann. Das fühlt sich gut an und gibt Selbstvertrauen.

Komfortzone = Konsumhaltung?

Grundlegend ist die eigene Komfortzone nicht schlimm. Denn wer in seiner Komfortzone bleibt, ist nicht automatisch ein reiner Konsument, der sich vom Spiel berieseln lässt. Wer innerhalb seiner Komfortzone aktiv ist, kann durchaus einen wertvollen Beitrag zum Spiel leisten.

Gleichzeitig liegt aber sehr viel von der Spannung und dem Nervenkitzel des Vampire Live darin, sich in Situationen wiederzufinden, mit denen man nicht vertraut ist. Ein wichtiges Element des Spiels ist es, bewusst die eigene Komfortzone zu verlassen. Selbst, wenn der Charakter scheitert, erfährt der Spieler, dass er sich der Herausforderung stellen konnte.

Natürlich gibt es auch die Konsumenten. Wie an einer Teflon-Bratpfanne gleitet alles an ihnen ab, ohne eine Reaktion zu provozieren. Sie nehmen Impulse auf, ohne selbst etwas beizusteuern. Damit tun sie aber niemandem einen Gefallen: Sie bereichern weder das Spiel der anderen noch ihr eigenes. Denn sehr bald wird niemand mehr wirklich mit ihnen spielen, da nie etwas zurückkommt.

Hier ist jeder Spieler gefragt, sich selbst kritisch zu hinterfragen: Verlässt du deine Komfortzone oder bewegst du dich in ihr? Was hält dich davon ab, einmal mehr auszuprobieren? Was soll schon Schlimmes passieren, wenn du es tust?

Die Komfortzone ist sehr individuell

In der Theorie ist LARP ideal, um aus sich herauszugehen und Dinge zu probieren, die man sonst nie tun würde. Im Vampire Live darf man grausam sein, andere beleidigen, Rufmord begehen, Schwächere angreifen. Und das alles unter der Sicherheit, dass es nur eine gespielte Rolle und nicht man selbst ist. Nach dem Spiel kann man sein gewohntes Leben weiterführen.

Trotzdem sind viele Menschen zu schüchtern, extrem aus sich herauszugehen. Denn wir sind trotz aller Verkleidung und Schminke noch immer nur Menschen mit den gleichen Ängsten und Sorgen, die wir auch im realen Leben haben.

Nie vergessen sollte man, dass jeder Mensch eine ganz eigene Komfortzone hat: Es gibt Spieler, die eine unglaubliche Angst davor haben, im Spiel einen Ancilla oder gar Ahnen, also alte und einflussreiche Charaktere überhaupt nur anzusprechen. Diese Angst ist für sie ebenso groß wie die Angst des anderen, eine Rede vor 100 Vampiren zu führen. Es gibt keine „gute“ oder „schlechte“ Komfortzone, sondern nur die, die ein Spieler individuell für sich empfindet.

Du siehst nicht jede Reaktion

Ein großer Fehler unterläuft vielen auch erfahrenen Spielern: Wenn sie etwas im Spiel nicht erleben, gehen sie davon aus, dass es nicht stattgefunden hat. Dabei bekommt niemand, wirklich niemand, alles mit, was sich ereignet.

Es ist deshalb leicht zu glauben, dass viele Charaktere bloß Konsumenten sind. Schließlich reagieren sie nicht so öffentlich, dass es viele erleben. Dieser Trugschluss ist fatal. Denn er setzt Spieler unter Druck, nicht auf ihr Charaktergefühl zu hören, sondern nur möglichst laut und vor großem Publikum zu spielen, um dem Vorwurf zu entgehen, ein Konsument zu sein.

Dadurch wird aber die große Ebene der persönlichen Interaktion ignoriert, die ein wichtiger Bestandteil des Spiels ist. Sehr viel emotionales Drama entsteht gerade in kleinen Gruppen, in denen intensive persönliche Beziehungen aufgebaut werden. Wo es möglich ist und passt, sind große Reaktionen natürlich klasse, da sie vielen anderen die Chance geben einzusteigen. Aber sie sind nicht die einzig legitime Art zu reagieren.

Weshalb Druck nicht funktioniert

Es ist naheliegend zu versuchen, Charaktere zu ihrem Glück zu zwingen und zu drängen, ihre Komfortzone auch einmal zu verlassen. Leider funktioniert dies nicht immer gut. Denn Druck ist ein probates Mittel unter Vampiren, aber nicht unter Menschen. Wenn einem Spieler der Druck im Spiel zu groß ist, kann er einfach aufhören. Das ist dann für alle Beteiligten unbefriedigend und frustrierend, und dem Spiel ist damit auch nicht geholfen.

Natürlich ist dies kein Manifest für eine gewaltfreie Vampirgesellschaft. Druck, Gewalt und Zwang gehören ins Vampire Live. Aber es muss der richtige Mittelweg gefunden werden. Das Ziel ist, Druck auf den Charakter auszuüben und gleichzeitig dem Spieler Mut zu machen, sich ins Wagnis zu stürzen.

Werde zum Macher!

Die Welt gehört den Tüchtigen! Charaktere, die seicht vor sich hin existieren oder immer nur in ihren bekannten Gesprächsrunden verbleiben, werden niemals so viel erreichen wie Charaktere, die es wagen weiterzugehen. Um neue Verbündete zu finden, neues emotionales Spiel zu erfahren oder große Abende zu gestalten, musst du wohl oder übel aus deinem gewohnten Habitus ausbrechen.

Frage dich selbst, was dir im Spiel (noch) Angst macht. Ist es ein bestimmter Charakter oder eine bestimmte Situation? Setze dir selbst immer wieder Herausforderungen. Du wirst vielleicht tausend Tode sterben, während du in der Situation steckst. Aber hinterher wird es dir großartig gehen, denn du weißt, dass du etwas geschafft hast, vor dem du Angst hattest. Zumindest mir geht es auch nach 15 Jahren Spielerfahrung noch immer so.

Damit es leichter wird, sich den eigenen Dämonen zu stellen, kann jeder einen Teil beitragen. Für ein cooles Spiel, in dem niemand mehr nur Konsument sein will, müssen verschiedene Aspekte stimmen: Die Stimmung der Spielgruppe im Off muss gut sein, im Spiel muss das passende Umfeld gegeben sein und wer Hilfe sucht muss diese auch erhalten.

Etwas tun heißt nicht, dass es auch klappen muss

Eines sollten alle Spieler im Hinterkopf haben: Aktiv zu sein heißt nicht, dass man mit seinen Aktionen auch Erfolg haben wird. Es ist in einer Vampirgesellschaft mit so vielen verschiedenen Zielen und Wünschen, wie es Charaktere gibt, überhaupt nicht möglich, dass jeder sein Ziel erreicht.

Aber es geht ja in den meisten Gruppen auch nicht ums Gewinnen, sondern um das Erleben des Kampfes selbst. Letztlich ist die einzige Garantie, die du und dein Charakter haben, diese: Wenn du nichts machst, wirst du dein Ziel auf jeden Fall nicht erreichen. Oder, um es mit den Worten von Bertolt Brecht zu sagen: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

Die offplay-Stimmung muss stimmen

Was motiviert dich mehr: Dass deine Mitspieler deine Bemühungen im Spiel wertschätzen, auch wenn sie furchtbar schiefgegangen sind? Oder dass sie sie bestenfalls ignorieren oder ein paar flapsige Witze darüber machen?

Die Art und Weise, wie eine Spielgruppe außerhalb des Spiels auf etwas reagiert, hat einen großen Einfluss. Je mehr Überwindung es jemanden kostet, sich im Spiel etwas zu trauen, desto demotivierter ist er es erneut zu versuchen, wenn er außerhalb des Spiels dafür aufgezogen wird. Auch gutgemeinte Witze können hier fatal sein.

Harsche Kritik und Gegenwind im Spiel sind gerade für schüchterne Spieler schon genug Stress. Aber sie sind viel eher bereit sich dem erneut zu stellen, wenn sie außerhalb des Spiels positiv bestärkt werden. Und wenn wir ehrlich sind: Jeder braucht Lob.

Wichtig ist dabei eine Unterscheidung: Es geht nicht darum, dass eine Aktion im Spiel besonders klug, sinnvoll oder durchdacht ist. Vampire sind keine Roboter, sondern hochemotionale Wesen, die auch Fehler machen. Motiviere Spieler, etwas zu tun, das ihrem Charakter entspricht. Auch dann, wenn dadurch Konflikte im Spiel entstehen. Denn von denen lebt Vampire Live.

Was können Spieler tun?

Mache es dir zur Angewohnheit, nach dem Spiel andere für coole Augenblicke ihres Charakters zu loben. Selbst, wenn dies Dinge waren, die dir persönlich nicht schwer fallen, kann ein solches Lob dem anderen sehr viel bedeuten. Verzichte auf neckende Witze, wenn du nicht sicher weißt, dass der andere sie gut aufnimmt.

Auch, wenn etwas vollkommen in die Hose gegangen ist, kannst du positive Worte finden. Hat sich z.B. jemand in eine öffentliche Diskussion gewagt, aber vollkommen verhaspelt, schlucke die Sprüche darüber herunter, dass er alle zum Lachen gebracht hat. Sage lieber, dass es toll war, dass er sich getraut hat nach vorne zu treten und etwas zu sagen.

Das Schöne an solch einem Lob? Andere werden dies spiegeln. Du kommst ins Gespräch, und erhältst Feedback über dein Spiel. Indem du beginnst für eine gute Stimmung in der Gruppe zu sorgen, profitierst du auch selbst davon.

Was kann die Spielleitung tun?

Als Spielleitung bist du maßgeblich dafür verantwortlich, welchen Stil deine Spielgruppe lebt. Du lebst vor, welches Verhalten erwünscht ist – nicht nur, indem du es selbst an den Tag legst, sondern auch, indem du es anderen durchgehen lässt. Wenn du Spielern zeigst, dass du ihre Bemühungen im Spiel wertschätzt, werden auch andere beginnen das zu tun.

Es ist nicht immer leicht, ein professionelles Fairness-Level zu leben. Mit einigen Spielern bist du enger befreundet als mit anderen und nach einem langen Spiel wahrscheinlich zu müde, um alles mitzukriegen, was erzählt wird. Dennoch hast du einen Einfluss auf die Art und Weise, wie die Spieler miteinander umgehen. Etabliere eine Kultur der positiven Bestärkung und nehme die Spieler für ein Gespräch zur Seite, die andere (absichtlich oder unabsichtlich) demotivieren.

Beim Vampire Live solltest Du nicht wie im Theater nur daneben sitzen

Es muss die richtige Bühne vorhanden sein

Jeder Charakter hat sein eigenes Feld, auf das er ausgerichtet ist und auf dem er brillieren kann (oder dies zumindest hofft). Der eine will großartige Abende ausrichten, der nächste sucht physische Herausforderungen, der dritte politische Intrigen oder emotionales Drama. Nicht alles lässt sich im aktuellen Spiel gleich gut umsetzen.

Natürlich ist es auch spannend, wenn der eigene Charakter genötigt ist sich in Feldern umzutun, die ihm nicht sonderlich liegen. Wenn dies aber die Regel ist, kann es schnell frustrieren.

Was können Spieler tun?

Suche Möglichkeiten, die Umgebung zu schaffen, die du für dein Spiel brauchst. Das kann ein neuer Spielort sein, der andere Möglichkeiten bietet als der bisherige. Aber dies kann auch eine Gesprächsrunde sein, die einen anderen Diskussionsstil pflegt als er bisher üblich war. Oder du etablierst die Basis für emotionales Drama auf kleinen, privaten Treffen, wo du dich in Ruhe auf dein Opfer konzentrieren kannst.

Sprich auch mit deiner Spielleitung. Sie kann dich dabei unterstützen und Tipps geben, wie du deine Ziele erreichst und im Idealfall noch andere Charaktere mitziehst.

Was können Spielleitungen tun?

Achte darauf, schon bei der Charaktererstellung den Stil des Spiels zu erklären, den ein Spieler erwarten kann. Wenn in deiner Gruppe z.B. selten bis nie ein Plot mit dem Sabbath, einer feindlichen Vampirgruppierung, geführt wird, ist dies für Charaktere frustrierend, die insbesondere gegen den Sabbath kämpfen wollen.

Gleichzeitig können die Wünsche von Spielern eine großartige Chance sein, das Spiel deiner Gruppe voranzutreiben. Wenn ein Salon mit Diskussion gewünscht ist – warum nicht? Auch ein Ball oder ein Kampftraining ist machbar. Setze dich mit den Spielern zusammen und gehe ihre Ideen durch. Wenn diese mit mehr Planungsaufwand verbunden sind, hole sie in die Verantwortung und teile die Arbeit mit ihnen.

Biete Tipps an

Was hindert viele daran, ihre eigene Komfortzone zu verlassen? Das Gefühl nicht zu wissen, wie das, was sie gerne tun würden, überhaupt geht.

Wer das letzte Mal vor einer größeren Gruppe gesprochen hat, als er in der Schule ein Referat halten musste, wird sich schwer tun, aus dem Nichts heraus vor zwei Dutzend Vampiren eine Rede zu halten. Das Wissen, dass viele Vampire nur darauf lauern, andere angreifen und niedermachen zu können, mindert das Lampenfieber nicht im Geringsten.

In solchen Fällen können schon ein paar gute Tipps und Kniffe helfen jemanden zu motivieren, sich aus seiner Komfortzone zu wagen. Und es muss ja nicht gleich eine Rede vor der gesamten Vampirgesellschaft sein – ein halbes Dutzend Vampire ist auch ein guter Anfang. Eine kleine Aktion ist immer besser als gar keine Aktion.

Was können Spieler tun?

Ein Macher zu sein und die Komfortzone zu verlassen, kann ganz verschiedene Ansätze haben

Erschlage andere Spieler nicht sofort mit Tipps. Aber habe ein offenes Ohr dafür, wenn sie von ihren Schwierigkeiten sprechen, etwas zu tun. Wenn du kannst, biete eine Hilfestellung an.

Wichtig ist, dass du die Gratwanderung zwischen Helfen und in eine Richtung drängen schaffst. Es geht nicht darum, dass sie etwas so tun, wie du es machen würdest. Viel eher sollst du ihnen helfen, ihren eigenen Weg und ihr eigenes Spiel zu finden und zu gehen. Auch, wenn das heißt, dass ihr Charakter am Ende gegen deinen Charakter arbeitet.

Was kann die Spielleitung tun?

Nimm dir die Zeit, immer wieder ein Gespräch mit den einzelnen Spielern zu suchen. Frage sie, wie es ihnen im Spiel geht, in welche Richtung sie ihren Charakter weiterentwickeln wollen, und ob sie dabei noch Probleme haben.

Auch hier geht es nicht darum, sie in eine Richtung zu drängen, sondern ihnen das Handwerkszeug zu geben, ihren eigenen Weg zu gehen.

Veränderungen geschehen nicht von jetzt auf gleich

Zumindest keine relevanten. Die Spielleitung kann natürlich motivierende Reden halten und jeder Spieler sich vornehmen, von heute an aktiv aus sich herauszugehen. Das allein reicht aber noch nicht. Veränderungen sind ein Prozess, der ein wenig Zeit in Anspruch nimmt.

Das heißt allerdings nicht, dass man eine solche Veränderung anstößt und sich dann nicht mehr darum kümmert. Wenn du siehst, wie du etwas im Spiel verbessern kannst, brauchst du Geduld und Durchhaltevermögen. Hilf anderen nicht nur einmal, über den eigenen Schatten zu springen, sondern immer wieder. Nur so etabliert sich nach und nach ein Spielstil des aktiven Mitmachens, an dem alle Spaß haben.

Fazit: Es sind alle gefragt, zu Machern zu werden

LARP und damit Vampire Live lebt davon, dass alle sich aktiv beteiligen. Wer nur am Rand sitzt und zuguckt, kann genauso gut zuhause sitzen und einen beliebigen Vampirfilm schauen. Gerade LARP bietet einem die Chance, sich selbst auszuprobieren und zu testen, wie viel mehr man kann, als man selbst dachte.

Aber jeder Mensch hat seine eigene Komfortzone, die er nur ungerne verlässt. Einigen fällt es dabei leichter, über ihren Schatten zu springen als anderen. Wenn das Umfeld der Spielgruppe stimmt, fühlen sich auch schüchterne Spieler motiviert, aus sich herauszugehen und noch mehr zum Spiel beizutragen. Davon profitieren alle: Die Spieler, die sich trauen, und alle anderen, die neue Spielimpulse kriegen.

Deshalb ist jeder gefragt, seinen Teil beizutragen – eben nicht nur ein Konsument zu sein, sondern auch ein Macher, der auch offplay etwas für ein cooles Vampire Live tut.

Artikelbild: gustavofrazao,kvkirillov, pittore | depositphotos.com

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