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Während jede Woche eine Folge Star Trek: Picard erscheint, wurde nach der dritten Folge auch der ergänzende Roman veröffentlicht. Dieser widmet sich der Vorgeschichte, welche die Serie nur in Rückblenden zeigt und zur dortigen Ausgangslage führt. Dabei treffen wir alte und neue Charaktere und erleben schmerzhaft mit, wie Zerstörung wütet.

Bewusst wurde der Roman dabei erst nach drei Serienfolgen veröffentlicht, um dort nicht zu spoilern. Allerdings nimmt der Roman auch Erzählungen voraus, die in den Folgen nach seinem Erscheinen noch in Rückblenden gezeigt werden.

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels ist gerade die fünfte Folge gelaufen. Wer sich bezüglich der Serie nicht spoilern lassen will, sollte besser nicht weiterlesen.

Story

Wie wir in der Fernseh-/Primeserie früh erfahren, ist Jean-Luc Picard, bekannt als Captain der Enterprise-D und -E, nicht nur Admiral geworden, sondern seit rund 14 Jahren im Ruhestand. Dieser Umstand ist allerdings nicht gänzlich freiwillig gewählt, sondern aus Verbitterung über den Verrat der Föderation an ihren eigenen Werten durch den Bruch des Versprechens an die Romulaner – die Einstellung einer Hilfsmission. In der Konsequenz fielen hunderte Millionen („romulanische“) Leben den Folgen der Supernova der romulanischen Sonne zum Opfer. Auch wissen wir, dass Androiden auf der Schiffswerft auf dem Mars Amok gelaufen sind und dort alles zerstörten.

Ebenfalls ist bekannt, dass Picard zur Zeit der Hilfsmission eine enge Beziehung zu Raffi Musiker geführt haben muss. Aus der Serie wird uns auch mitgegeben, dass Picard mit seinem Rücktritt gedroht hat, um die Einstellung der Hilfsmission zu verhindern – ohne Erfolg, mit der Konsequenz seines Austritts aus der Sternenflotte.

Der Roman endet zu dieser Zeit – mit der Einstellung der Hilfsmission und Picards Amtsniederlegung, 14 Jahre vor der Serie, im Jahr 2385. Doch das Buch beginnt noch einige Jahre davor – 2381, mit einem Briefing beim Sternenflottenkommando. Dort wird Picard über die anstehende Supernova unterrichtet, wobei ihm die Stelle als Leiter der geplanten Hilfsmission angedient wird – verbunden mit der Beförderung zum Admiral.

Wer Raffi, Maddox und die Anderen aus der Serie eigentlich sind, erfahren wir erst wirklich im Roman.

Von dort aus erfahren wir nicht nur, wer neuer Captain der Enterprise wird, sondern folgen vor allem über rund 5 Jahre der Geschichte der Hilfsmission, bevor sie auf bekannte Weise endet. Bis zuletzt dabei: Raffi Musiker als Picards Nummer 1 auf seinem neuen Schiff, der Verity. So erfahren wir mehr über Hintergrund, Denkweise und ihre Zusammenarbeit mit Picard. Etwas, was die Serie bislang noch nicht wirklich getan hat.

Aber wir erleben auch, wie sich der eigenbrötlerische Bruce Maddox und Agnes Jurati begegnen, sie als einzige zu ihm vordringt und sie über Jahre zusammenarbeiten. Auch Einblicke auf die Mars-Werft gibt es sowie Erzählungen von führenden Wissenschaftlern sowohl auf Seiten der Föderation als auch Romulus.

Die Hilfsmission selbst wird dabei ausschließlich über die Verity erzählt – Einblicke auf andere Schiffe gibt es nicht. Wir erleben jedoch auch so verschiedene kurze Geschichten – positive, aber vor allem negative. Skepsis, Feindseligkeit, Egoismus und der Tal Shiar sind Probleme, und nebenbei erleben wir den Zusammenbruch des romulanischen Imperiums. Zu Beginn der Handlung ist es noch die Föderation, die helfen will – während die romulanische Regierung dem skeptisch gegenübersteht und sich nur unter strengen Auflagen und in begrenztem Rahmen helfen lassen will. Später ändert sich dies, und neben dem Zerfall des Imperiums wird auch die Leugnung wissenschaftlicher Ergebnisse thematisiert.

Einen großen Teil stellt zudem die Politik dar. In der Serie wird es ja erwähnt – 14 Welten drohten mit dem Austritt aus dem Verbund, sollte die Hilfsmission nicht gestoppt werden. Doch wie kam es dazu? Es beginnt mit einer einzigen Person, und Stück für Stück folgen Ereignisse, die am Ende zu eben jener Drohung und der Einstellung der Hilfsmission führen, wie auch dem Rassismus, der in der Serie bislang nur in Details angedeutet wird.

So ist zwar klar, wie der Roman endet – aber der Weg dorthin ist dennoch spannend, denn wir erfahren nicht nur mehr über einige Personen, sondern erleben mit, wie die Föderation, die man sie kannte, zerstört wird, hin zu jener, die wir in der Serie erleben.

Schreibstil

Jedes Kapitel nach dem ersten beginnt mit einem Logbucheintrag von Picard, welcher entsprechend aus der Ich-Perspektive geschrieben ist. Der Rest der Kapitel ist wiederum unterteilt in wechselnde Abschnitte, die benennen wo die folgende Handlung spielt. Diese Abschnitte sind zwar nicht explizit aus der Sicht eines Charakters geschrieben, folgen jedoch meist einer Figur und geben auch dessen Gedanken wieder – so, wie zum Beispiel auch George R. R. Martin in Ein Lied von Eis und Feuer schreibt.

Dieser Stil vertieft die Charaktere ungemein und stellt die jeweilige Stimmung meist gut dar. Besonders deutlich wird es beim romulanischem Wissenschaftler, wenn dort beschrieben wird, wie aus seiner angelernten Sicht die Föderation regelrecht arrogant und feindselig sein soll.

Jedem Kapitel ist ein Logbuch-Eintrag vorweg gestellt.

Der Stil wird dabei nie kompliziert – der Roman lässt sich flüssig lesen und schafft es, dass man ihn nicht weglegen will. Man will wissen, wie es weitergeht, obwohl das Ende feststeht. Technische oder wissenschaftliche Beschreibungen gibt es nicht, aber Vorwissen wird vorausgesetzt: Die Vergangenheit zwischen Romulanern und Föderation wird nicht thematisiert, außer dass sie Feinde waren. Auch die Vorgeschichte von Picard, der Föderation und überhaupt der Star Trek-Welt wird nicht ausgeführt. Dies entspricht dem Stil der Serie, denn dort wird die Historie der Welt ebenso wenig thematisiert, wie die Vergangenheit bekannter Charaktere aus den älteren Serien erläutert wird.

Was jedoch fehlt, ist eine ordentliche Beschreibung der Zeitabstände. Zwar ist das Buch in drei Abschnitte eingeteilt, zu denen das jeweilige Zeitspektrum angegeben ist, aber innerhalb dieser Teile gibt es keine solchen Angaben. So ist es schwer zu erkennen, wie viel Zeit eigentlich vergeht. Der Spannung tut dies jedoch keinen Abbruch. Man sollte sich aber bewusst sein, dass hier keine zusammenhängende Geschichte in einem kurzen Zeitfenster (wie bei einer Serienfolge oder einem Film) erzählt wird, sondern einzelne Momente, Ereignisse und Episoden, die sich über Jahre hinweg ereignen und zusammen ein großes Ganzes erschaffen. Negativ zu erwähnen ist zudem, dass im Roman des Öfteren Kraftausdrücke benutzt werden, was man so nicht kennt aus dem Universum – dies könnte als störend empfunden werden.

Die Autorin

Die 1972 geborene Britin Una McCormack schrieb unter anderem vier Romane zur Kultserie Doctor Who für BBC Books und acht Star Trek-Romane. Darunter Cardassia – Die Lotusblume aus der Serie Die Welten von Star Trek – Deep Space Nine, die DS9-Romane Misstrauen und Mysterien sowie den New-York-Times-Bestseller Der Karmesinrote Schatten aus der Star Trek-Serie The Fall.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt ein Foto von Picard, wie er sein Abzeichen in der Hand hält – um es abzugeben, aufzugeben? Markant sticht vor allem der große Schriftzug Picard ins Auge, der sehr deutlich macht, dass dies der Roman zur Serie ist – der eigentliche Titel geht dagegen regelrecht unter, sowohl von der Größe als auch der gewählten, dünnen Schrift.

Die rund 400 Seiten des Taschenbuchs selbst sind in marktüblicher Qualität, weitere Abbildungen gibt es nicht. Die Logbucheinträge von Picard sind in anderer Schriftart abgedruckt, wodurch sie sich auch optisch vom Rest des Romans abheben.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cross Cult
  • Autorin: Una McCormack
  • Erscheinungsdatum: 12. Februar 2020
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Stephanie Pannen)
  • Format: Paperback (alternativ: Hardcover)
  • Seitenanzahl: 400 (416)
  • ISBN: 978-3864258633 (978-3864258626)
  • Preis: 15,00 EUR (16,00 EUR)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, Amazon (englische Originalausgabe)

 

Bonus/Downloadcontent

Bei Amazon gibt es mittels „Blick ins Buch“ eine kleine Lesevorschau zum Reinlesen.

Fazit

Picard – Die letzte und einzige Hoffnung nimmt uns mit auf eine Reise, die rund fünf Jahre andauert. Jahre, in denen sich die Star Trek-Welt, wie wir sie kennen, massiv wandelt. Es fällt nicht nur das romulanische Imperium durch die Supernova, sondern vielmehr wird das Idealbild der Föderation als hilfsbereite, humanistische Organisation eingerissen, und wir erleben es beim Lesen mit. Noch weit mehr als man es aus den Serien kennt, finden Politik und Gesellschaft unserer Gegenwart Einzug – nur ohne Happy End, ohne eine „gute“ Föderation, die sich mehrheitlich als humane Utopie, als Anker, erweist. Nein, Una McCormack vernichtet diese, lässt uns teilhaben am Ende, lässt uns miterleben wie Leben sterben, Hoffnung zersetzt wird. Bis am Ende Picard und jene, die für die ideellen Werte einstehen, nur noch eine Minderheit sind.

Dieser Roman ist düster. Wer auf ein gutes Ende hofft, wird ebenso enttäuscht wie jene, die wissen wollen, wie die Supernova entstand oder warum die Androiden Amok liefen – dies wird wohl der Serie vorbehalten sein. Stattdessen erfüllt der Roman genau das, was er sein will: Eine tiefere Ausgestaltung der Ereignisse, die zu dem führten, was wir in der Serie vorfinden. Dazu liefert er mehr Charaktertiefe, mehr Details und das Erleben eben jener genannten Zerstörungen.

Mit realpolitischen Bezügen sollte man jedoch nicht nur auskommen, sondern sie mögen – sie nehmen viel Raum ein, mehr als man es aus den Serien kennt. Solche Bezüge waren schon immer ein Teil von Star Trek – nur meist mit der Föderation als Sinnbild für das Gute. Dies wird nun eingerissen. Und es schmerzt, nach Jahrzehnten die Zersetzung dieses Sinnbildes zu sehen – und sich bewusst zu werden, dass diese Fiktion der Realität erschreckend ähnelt und Una McCormack in bester Star Trek-Manier die Finger in die Wunden der Gegenwart legt. So ergibt sich ein gemächliches, düsteres Werk, dass dennoch unverkennbar Star Trek ist und mich mit gebrochenem Herzen zurücklässt.

Artikelbild: © Cross Cult
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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