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Die Verleihung der Hugo-Awards auf der 78. Worldcon sorgte dieses Jahr für Kontroversen: Selten wurde der Bruch zwischen frischem Wind und alter Schule so greifbar wie während der Verleihung. Dabei geraten die exzellenten Gewinner*innen immer weiter aus dem Blick. Wir stellen, wie jedes Jahr, alle Romane der Shortlist vor.

Zugegeben: Die Veranstalter*innen von CoNZealand, der 78. Worldcon, die eigentlich in Neuseeland stattfinden sollte, hatten es nicht leicht. Wegen Covid-19 musste die gesamte Veranstaltung, einschließlich der Verleihung der prominenten Hugo-Awards – immerhin der älteste bis heute bestehende Science-Fction-Preis der Welt – digitalisiert werden. Bereits im Vorfeld hatte es unzufriedene Stimmen gegeben, weil bei der Verleihung der sogenannten Retro-Hugos, die Jahre abdecken sollen, in denen es zwar eine Worldcon, aber noch keinen Award gab, der Cthulhu-Mythos als beste Reihe ausgezeichnet wurde. Obgleich H. P. Lovecraft längst nicht mehr allein für die Reihe verantwortlich ist, ist das Verhältnis der gegenwärtigen Phantastikszene zu dem Großmeister des Cosmic Horrors mehr als gespalten. Doch letztlich war es die Hauptveranstaltung, die als eine der unangenehmsten und problematischsten in die Worldcon-Geschichte eingehen wird.

Um es kurz zu machen: In einem unglücklichen Zusammenspiel von schwierigen technischen Voraussetzungen und einem eklatanten Mangel an Taktgefühl machte Toastmaster George R. R. Martin es sich in der Rolle eines tatterigen Märchenonkels bequem, der eine ansonsten etwa anderthalbstündige Veranstaltung auf über drei Stunden dehnte, in denen er eine persönliche Worldcon-Anekdote nach der anderen vom Stapel ließ, die überwiegend davon handelten, welchen historischen Science-Fiction-Größen er in welchen Kontexten schon begegnet war. Was für die aufgeregten Nominierten, die von Martin weder explizit vorgestellt noch geehrt wurden, ohnehin schon eine Tortur gewesen sein muss, wurde dadurch verschärft, dass die Geschichte der von der World Science Fiction Society verliehenen Publikumspreise selbst ein Politikum ist. Die Rede der Nachwuchsautorin Jeannette Ng hatte im letzten Jahr dafür gesorgt, dass der John W. Campbell Award for Best New Writer umbenannt wurde, und Martins Kommentare und wiederholte Lobestiraden auf Campbell wirkten wie unnötige Seitenhiebe gegen die junge Frau. Dass er im Laufe des Abends zahlreiche Künstler*innen und sogar den Namen des nominierten FIYAH-Magazins falsch aussprach, wirkte dann wie absichtlich an den Tag gelegtes Desinteresse an der Science-Fiction-Szene der Gegenwart. Der Eindruck verschärfte sich durch die zwischendurch eingespielten Dankesreden, in denen Künstler*innen eindringliche politische Kommentare abgaben und an die weltweite Fangemeinde appellierten, die Szene als einen offenen Raum für Minderheiten zu gestalten.

Während der Ärger mehr als verständlich ist, sollte nicht darüber hinweggesehen werden, dass die Community sich auch dieses Jahr wieder einmal für Inklusivität und Perspektivenvielfalt ausgesprochen hat. Tatsächlich war es ein ungewöhnlich starkes und vielfach überraschendes Jahr. So gewannen Amal El-Mohtar und Max Gladstone für die charmante Novelle über zwei verliebte Zeitreiseagentinnen This Is How You Lose The Time War. N. K. Jemisin durfte für die Novellette Emergency Skin ihren vierten Hugo in Empfang nehmen, R. F. Kuang, Autorin von The Poppy War, gewann den nun in Astounding Award umbenannten Preis für die beste neue Autorin, und Jeannette Ngs Rede vom letzten Jahr wurde mit „Best Related Work“ ausgezeichnet. Spätestens damit haben sich die Fans klar positioniert. Die – wenigstens für mich persönlich – größte Überraschung war jedoch der beste Roman.

Die Nominierten:

The Light Brigade – Kameron Hurley (Angry Robot)

Kameron Hurley gewann 2014 den Hugo für „Best Fan Writer“ und „Best Related Work“, letzteres für den Essay ‚We Have Always Fought‘: Challenging the ‚Women, Cattle and Slaves‘ Narrative, der heute aktueller scheint denn je. Die Autorin mehrerer Trilogien und zahlreicher Kurzgeschichten war mit The Light Brigade erstmals für einen Roman nominiert. Damit zeigt sie, was in den letzten Jahren auch schon Yoon Ha Lee immer wieder bewiesen hat: Military-Science-Fiction muss kein Relikt einer patriarchalen Vergangenheit sein, sondern vollzieht die aktuellen Entwicklungen des Genres mühelos mit.

In dem stetig neu entfachten Krieg zwischen den großen Konzernen der Erde und der abtrünnigen Marsbevölkerung werden Truppen verheizt wie Grillkohle, doch noch immer lassen sich junge Menschen willfährig rekrutieren. Sie folgen dem Versprechen des sozialen Aufstiegs und träumen von Heldentaten. Unter ihnen ist auch Dietz, wütend, rachedurstig und bereit, sich mit neuester Technologie in Licht verwandeln und aufs Schlachtfeld beamen zu lassen. Doch bereits beim ersten Einsatz geht etwas schief. Ist Dietz nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit gereist? Oder sind die Kriegserlebnisse mehr, als die menschliche Psyche ertragen kann?

Die exzellent konzipierte Mischung aus Memento und Sternenkrieg wird zu einer packenden Chronik sinnloser Konflikte, die sich nicht lange mit Heldenverehrung aufhält. So umgeht Hurley direkt eine der größten Schwächen von Anti-Kriegs-Narrativen, die oft nicht widerstehen können, den Gegenstand ihrer Kritik zugleich unterhaltsam darzustellen.

In The Light Brigade ist es jedoch nicht der Krieg, sondern die achronologische Erzählweise, die für Spannung sorgt. Denn während die Zukunft immer weiter enthüllt wird, drängt sich die Frage auf, wie die charmanterweise bis zum Ende geschlechtsneutral geschriebene Hauptfigur dorthin gelangen soll. Wenn schließlich alles aufgeht und keine losen Fäden verbleiben, blickt man auf den Roman wie auf ein kompliziertes 1000-Teile-Puzzle, das endlich vollendet vor einem liegt: erschöpft, aber äußerst befriedigt.

Die harten Fakten

  • Verlag: Angry Robot
  • Autorin: Kameron Hurley
  • Erscheinungsdatum: 19. März 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 464
  • ISBN: 978-0-8576-6823-3
  • Preis: 10,37 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Middlegame – Seanan McGuire (Tor)

Seanan McGuire ist nicht nur für die Hugo-prämierten Wayward-Children-Novellen bekannt (der vierte Teil, In An Absent Dream, stand auch dieses Jahr wieder auf der Shortlist), sondern war zudem bereits für mehrere Romane nominiert, die sie unter ihrem Pseudonym Mira Grant veröffentlicht hatte. 2013 stellte sie den Rekord für die meisten Nominierungen der selben Person in einem Jahr auf. Als Comicautorin schreibt sie außerdem für Marvel an der neuen Spider-Gwen-Reihe. Mit Middlegame legt das hyperproduktive Allroundtalent einen ihrer seltenen alleinstehenden Romane vor.

Um das universelle Prinzip des Ethos in menschliche Form zu bannen, züchten skrupellose Alchemisten in geheimen Laboren Zwillingspaare und lassen die ahnungslosen Kinder getrennt bei Pflegeeltern aufwachsen. Das vielversprechendste Paar entwickelt überraschend ein telepathisches Band, und so werden Roger und Dodger über hunderte Kilometer hinweg füreinander zu Phantasiefreunden. Doch die Geheimorganisation lässt sie nicht zusammenkommen, und bald bringt ihre heimliche Komplizenschaft alle, die ihnen nahestehen, in Gefahr…

Die Geschichte isoliert aufwachsender Nachwuchsnerds, die sich in den Strudeln des Erwachsenwerdens finden und wieder verlieren, bevor sie sich schließlich gegen ihre Schöpfer auflehnen, enthält viele kleine Wahrheiten über die Einsamkeiten und Abhängigkeiten des Teenagerdaseins. Insbesondere Dodger als mathematisch hochbegabtes Mädchen stellt eine ständige Auseinandersetzung mit der doppelten Ausgrenzung dar, die junge Frauen in der Geekkultur erfahren. Zugleich wurde das schwere Los besonderer Kinder in den letzten Jahren durch Jo Walton, Charlie Jane Anders und nicht zuletzt McGuire selbst als Thema etwas überstrapaziert, und so hat der berührende Einstieg gleichwohl seine Längen. Zum Glück gehören Geschwisterdynamiken zu den Stärken der Autorin, sodass jeder Kontakt oder Verrat zwischen den Kindern als genauso einschneidend empfunden werden kann, wie er sich anfühlen muss, um über die etwas abgedroschenen Teenage-Angst-Motive hinwegzuhelfen. Ebenfalls unverschämt gut umgesetzt ist die Zeitreisethematik, die man über die erste Hälfte des Romans hinweg kaum bemerkt, bis sie sich dann subtil einschleicht. Allein die wenig durchdachten Wissenschaftsbegriffe sorgen letztendlich für Unstimmigkeiten, denn während Dodger zu einer Art mathematischer Superheldin wird, verkörpert Roger zwar das Prinzip der Sprache, darf aber höchstens die Funktion eines Synonymwörterbuchs erfüllen.

Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Linguistik und Mathematik hätte man von einer Autorin mit McGuires Output allerdings kaum erwarten können, und so ist Middlegame wohl nicht der beste, aber mit Sicherheit einer der unterhaltsamsten Romane des Jahres.

Die harten Fakten

  • Verlag: Tor
  • Autorin: Seanan McGuire
  • Erscheinungsdatum: 10. Juni 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 528
  • ISBN: 978-1-2502-3420-9
  • Preis: 15,70 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

The City in the Middle of the Night – Charlie Jane Anders (Tor)

Charlie Jane Anders ist international als Autorin des 2017 hugonominierten und mit einem Nebula-Award ausgezeichneten Romans All the Birds in the Sky (Deutsch: Alle Vögel unter dem Himmel) bekannt, gewann aber bereits 2012 einen Hugo für die Novelle Six Months, Three Days. Gemeinsam mit ihrer Partnerin, der Autorin Annalee Newitz, nimmt sie seit 2018 den Science-Fiction-Podcast Our Opinions Are Correct auf, der dieses Jahr zum zweiten Mal den Hugo für „Best Fancast“ gewann. Ihr zweiter Roman kombiniert erneut Science-Fiction-Elemente mit einer subtilen Jugendbuchatmosphäre.

Der Planet January hat aufgehört, sich zu drehen, und ist unterteilt in eine unbewohnbare Feuerlandschaft und eine ebenso tödliche Eiswüste. Allein auf der dämmrigen Grenze zwischen immerwährendem Tag und ewiger Nacht leben Menschen in Städten, deren strenge Gesetze das Überleben der Bevölkerung sichern sollen. Als die junge Sophie die Schuld für einen Diebstahl auf sich nimmt, den ihre ehrgeizige Freundin Bianca verübt hat, wird sie verbannt und zum Sterben im Eis zurückgelassen. Als ausgerechnet eines der wilden Tiere, die in der Stadt für Monster gehalten werden, sie rettet, beginnt sie, die Ordnung ihrer Gesellschaft zu hinterfragen. Als Revolutionärin wider Willen gelingt es ihr, Bianca auf ihre Seite zu ziehen, und gemeinsam können die beiden fliehen. Aber wie sehr kann sie der charmanten Freundin wirklich trauen?

Nachdem All the Birds im Kern eine Liebesgeschichte war, widmet sich City einem anderen, ungleich schmerzhafteren Moment des Erwachsenwerdens queerer Teenager: der unerwiderten und sogar unerkannten Liebe einer jungen Frau zu ihrer Freundin, irgendwo zwischen Wie-sie-sein-wollen und Sie-für-sich-haben-wollen. Dabei wird das Motiv des Grenzganges, des ewigen Zwischen, erst spät richtig aufgegriffen, und die gleichwohl treffenden Beschreibungen einer toxischen Freundschaft stehlen dem Worldbuilding mitunter die Show. Dafür nimmt das letzte Drittel eine überraschende transhumanistische Wende, wenn Sophies Begegnung mit der Alienspezies die Frage aufwirft, wie körperliche Hürden bei der Kommunikation zwischen Spezies überwunden werden können.

Anders‘ Entwicklung als Autorin ist noch lange nicht abgeschlossen, aber die Begeisterung, mit der sie als die Le Guin einer neuen Generation gepriesen wird, ist auch nicht ganz aus der Luft gegriffen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Tor
  • Autorin: Charlie Jane Anders
  • Erscheinungsdatum: 12. Februar 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: gebunden
  • Seitenanzahl: 487
  • ISBN: 978-0765379962
  • Preis: 12,80 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

The Ten Thousand Doors of January – Alix E. Harrow (Redhook)

Alix E. Harrow gewann letztes Jahr den Hugo für die Kurzgeschichte A Witch’s Guide to Escape: A Practical Compendium of Portal Fantasies. Mit ihrem ersten Roman wurde sie neben dem Hugo auch für den Locus-Award und für den World Fantasy Award nominiert.

January Scaller wächst um 1900 im mit Schätzen aus aller Welt vollgestopften Haus des wohlhabenden Mr. Locke auf, für den ihr Vater um die Erde reist, auf der Suche nach Artefakten und seltenen Objekten. Der alte Mentor wird zu einer zwiespältigen Vaterfigur für das schwarze Mädchen, das unter dem Rassismus seines Umfelds leidet. Als January heranwächst, entdeckt sie eines Tages ein geheimnisvolles Buch, dessen Inhalt ihr Leben verändern soll…

Die Portal-Fantasy-Geschichte eines Mädchens, das Türen in andere Welten öffnen kann, vermeidet konsequent jedes Risiko und bleibt mit seiner blumigen Sprache und überzogenen Alltagsverwunschenheit immer an der Oberfläche der Handlung. Dass der Roman mit seiner wohltemperierten Traurigkeit und einem gehörigen Schuss Empowerment letztlich eine absolute Feelgood-Lektüre ist, erklärt vielleicht seinen Erfolg, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nicht besonders gut erzählt ist. Die emotionale Bedeutung der Handlung – Rebellion, Verrat, Selbsterkenntnis – speist sich aus einer Kindheit, von der man wenig weiß, sodass alle relevanten Erinnerungen immer erst nachträglich aus dem Hut gezaubert werden.

Januarys Ermächtigungsszenen, in denen sie sich gegen rassistische und kolonialistische Strukturen stellt, wirken ähnlich inkonsistent, da Harrow wenig Interesse daran hat, schmerzliche Diskriminierungserfahrungen darzustellen. Letztendlich teilt der Roman viele Schwächen mit The Calculating Stars, dem Siegertitel des letzten Jahres, den ich ebenfalls arg überbewertetet fand, ohne jedoch dessen Stärken zu teilen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Redhook
  • Autorin: Alix E. Harrow
  • Erscheinungsdatum: 10. September 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: gebunden
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN: 978-0-3164-2199-7
  • Preis: 24,54 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Gideon the Ninth – Tamsyn Muir (Tor)

Tamsyn Muir wurde zwar schon für verschiedene Awards nominiert, jedoch noch nicht für den Hugo. Der Debutroman der neuseeländischen Autorin und Auftakt zu ihrer Locked Tomb-Trilogie kam für viele Fans quasi aus dem Nichts, schlug aber ein wie eine Bombe und belegt bei der Auszählung der Hugo-Stimmen aus dem Stand den dritten Platz. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die spektakulären Cover der Reihe, entworfen von Tommy Arnold.

Eigentlich träumt Gideon Nav von nichts anderem als davon, dem düsteren Planeten des im Niedergang befindlichen Neunten Hauses des galaktischen Imperiums endlich den Rücken zu kehren. Aber es kommt anders, denn der Kaiser persönlich ruft die Erben aller neun Häuser zu sich, um sich ihre nekromantischen Fähigkeiten zu Nutze zu machen. Harrowhark Nonagesimus, Erbin des Neunten Hauses, eine mächtige Totenbeschwörerin und Gideons Erzfeindin, wählt Gideon als ihre Begleitung aus. Gemeinsam sollen sie ihren Planeten repräsentieren und sich den uralten Rätseln einer verfallenen Villa stellen. Zunächst scheint es, als müsse Gideon dabei nur schweigend am Rande stehen und bedrohlich gucken, doch schon bald gibt es die ersten unerklärlichen Todesfälle…

Der Science-Fantasy-Roman kombiniert lässigen Totenbeschwörerinnencharme mit Locked-Room-Mystery-Elementen, schwebt tonal irgendwo zwischen magischem Duell und Schulausflug, lässt Raum für genuinen Horror und ebenso genuine zwischenmenschliche Tiefe und nimmt einen mit auf das rasanteste Abenteuer des Jahres. Muir schickt ihre Figuren auf einem geheimnisvollen Planeten durch einen Rätselparkour mit all den Morden und Intrigen, die man sich nur wünschen kann, und erzählt dabei so unprätentiös, wie es zwischen Todeskultnonnen und magischen Skeletten eben geht.

Gideon selbst ist eine der sympathischsten und zugleich echtesten Figuren, die die Phantastik der letzten zwanzig Jahre hervorgebracht hat: cool und tough, zynisch und zerbrechlich zugleich, mit dem Herzen am rechten Fleck und der Sonnenbrille auf der Nase vermisst man sie ab dem Moment, in dem man das Buch zuschlägt. Die Fortsetzung Harrow the Ninth erscheint GOTT SEI DANK diesen August.

Die harten Fakten

  • Verlag: Tor
  • Autorin: Tamsyn Muir
  • Erscheinungsdatum: 10. September 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: gebunden
  • Seitenanzahl: 448
  • ISBN: 978-1-2503-1319-5
  • Preis: 16,66 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon (auch auf Deutsch), idealo

 

Der Gewinner:

A Memory Called Empire – Arkady Martine (Tor)

Arkady Martine ist das Pseudonym der US-amerikanischen Historikerin AnnaLinden Weller, die 2014 über das byzantinische Mittelalter promovierte. Seit 2012 schreibt sie außerdem Science-Fiction-Kurzgeschichten. A Memory Called Empire ist ihr erster Roman und weist thematische Parallele zu ihrer Dissertation auf. Beide behandeln den Blick auf ein kulturell überlegenes Imperium aus der bewundernden Außenperspektive jenseits der Metropole.

Mahit Dzmare wird als Botschafterin einer unabhängigen Raumstation ins Zentrum des teixcalaanischen Imperiums entsandt, wo sie einerseits die Annexion ihrer Heimat verhindern und andererseits das Schicksal ihres unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommenen Vorgängers aufklären soll. Sie findet die von Dichtung und Literatur geprägte Hochkultur in einer gravierenden Umbruchsphase vor: Der Kaiser liegt im Sterben und die Nachfolge ist umkämpft. Während sie versucht, die Gepflogenheiten einer Gesellschaft zu durchschauen, die sie längst als Barbarin abgestempelt hat, muss Mahit sich eingestehen, dass das bestgehütete Geheimnis ihrer Raumstation längst zum Gegenstand politischer Intrigen geworden ist.

Martine verbindet die Tragik, die darin besteht, eine Kultur zu lieben, die einen kontinuierlich als ‚fremd‘ markiert, mit den verschiedenen Erfahrungen von Einsamkeit, Abgeschnittenheit und unterbrochener Kontinuität, die ihre Protagonistin machen muss. Dabei trifft sie subtile Zwischentöne, die der Komplexität des Themas angemessen sind. Mahit ist als Figur nicht nur von ihrer Kultur, sondern auch von der einzigen Person abgeschnitten, die ihr beim Umgang mit der teixcalaanischen Lebensweise helfen könnte. Bedacht zeigt Martine die verschiedenen Denkweisen der Akteure auf, die von Lebensumständen, Geschichte und Sprache geprägt werden und letztlich sogar auf ein unterschiedliches Verständnis davon, was es überhaupt heißt, eine Person zu sein, hinauslaufen. Alles in allem ist A Memory Called Empire ein wundervoller Roman für Fans von imperialer Weltraumpolitik und auf kulturelle Strukturen bedachter Science-Fiction, der mitunter an die Ancillary-Romane von Ann Leckie erinnert und eine willkommene Alternative zu John Scalzis etwas drögem Imperium der Ströme darstellt.

Zugleich scheint es beinahe, als hätten die Fans mit ihrer Wahl das Problem, das sich bei der Verleihung so deutlich gezeigt hat, vorweggenommen, werden doch gerade das Verhältnis zwischen Vergangenheit und Zukunft, Innen und Außen in dem Roman ausführlich verhandelt. Martines Auftreten, als sie per Video dazugeschaltet wurde, trug dem Rechnung. In Ihrer Dankesrede, die sie später auf ihrer Homepage veröffentlichte, betonte sie, dass sie die freundliche Aufnahme ihres Romandebuts nicht als Selbstverständlichkeit sehe und darauf hinarbeiten werde, dass wirklich alle in der Szene willkommen geheißen werden: „What doors I can hold open and what belaying ropes I can send back down I will.” – “Welche Türen ich offenhalten kann, werde ich offenhalten, und welche gesicherten Seile ich wieder herunterlassen kann, werde ich herunterlassen.”

Sich einen Platz in einer geliebten Kultur zu sichern, die plötzlich ihre Zähne zeigt, ist nicht einfach, und auf viele Neuzugänge wird die letzte Hugo-Verleihung alles andere als einladend gewirkt haben. Vor diesem Hintergrund wirkt Martine mit ihrem Roman wie eine Dea ex Machina, die im letzten Augenblick erscheint, um doch noch den richtigen Weg zu weisen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Tor
  • Autor: Arkady Martine
  • Erscheinungsdatum: 23. Januar 2020
  • Sprache: Englisch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 464
  • ISBN: 978-1-5290-0159-4
  • Preis: 10,14 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Artikelbilder: © die Verlage
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids

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