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Ehre. Männlichkeit. Rittertum. Was bedeuten diese Begriffe? Bedeuten sie denn überhaupt etwas? David Lowery geht in The Green Knight diesen Fragen auf den Grund. Mit seiner gewagten Dekonstruktion, einer Mischung aus den Genres Arthouse und Horror, greift er den Stoff der Artussage auf. Niemals war Langeweile so schön.

Handlung

Wir befinden uns am Hof König Artus‘ am Weihnachtsabend. Der Hof des Königs hat sich in Camelot versammelt, um die Fleischwerdung des Herrn zu feiern. Geschichten von Heldentaten und Ritterlichkeit werden zum Besten gegeben. Mitten darunter, etwas still und verloren, der „Held“ dieser Geschichte, Gawain. Als Neffe König Artus‘ hält er selbstverständlich einen Ehrenplatz an der Tafel. Doch trotz seines hohen Ranges (immerhin ist er dank der Kinderlosigkeit des Königs der Thronfolger) ist Gawain unglücklich, hat er doch noch keine große Heldentat vollbracht, wie all die anderen hehren Recken in der gefüllten Halle.

Plötzlich öffnen sich die Tore zu dieser Feierlichkeit und eine berittene Gestalt reitet hoch zu Ross in die Versammlung. Der grüne Ritter fordert die Anwesenden zu einem Spiel heraus: er will sich mit einem Ritter aus König Artus‘ Hof messen. Ein Ritter darf ihm einen Streich versetzen, unter der Bedingung, dass der grüne Ritter diesen Streich binnen einen Jahres in der grünen Kapelle, ein paar Tagesreisen nach Norden, vergelten darf.

Gawain sieht seine Chance gekommen, Ruhm zu erringen. Er stürmt nach vorne, stutzt nur kurz, als  der grüne Ritter keinerlei Anstalten macht, sich zu wehren und vielmehr den erwarteten Schlag ohne Gegenwehr empfangen wird. Gawain ergreift die Gelegenheit beim Schopfe und enthauptet den Eindringling. Er wendet sich zu seinem Onkel Artus zurück, der grüne Ritter allerdings hebt seinen abgeschlagenen Kopf auf und verkündet „Ein Jahr!“, bevor er lachend davon reitet.

Ein viel zu schnelles Jahr vergeht. Gawain macht sich auf nach Norden…

Darsteller*innen

Die Geschichte der Reise Gawains zur grünen Kapelle und seiner Begegnungen auf dem Weg dorthin wird über die weiteste Strecke vom Hauptdarsteller Dev Patel getragen, welcher als Hauptdarsteller von Slumdog Millionaire Berühmtheit erlangt hat. Unterstützt wird Patel in seiner Rolle als unsicherer Königsneffe Gawain von seiner Geliebten Essel (Alicia Vikander – gewann den Oscar 2016 für die beste Nebenrolle in The Danish Girl), welche als „Die Dame“ später im Film eine Doppelrolle spielt.

Sean Harris (Micheletto in Die Borgias) als König Artus dürfte der bekannteste Schauspieler in der Besetzung des Films sein. In weiteren Rollen sind Joel Edgerton (Owen Lars in Star Wars 2), Sarita Choudhury (Egeria in Die Tribute von Panem), Kate Dickie (Lysa Arryn in Game of Thrones), Erin Kellyman (Enfys Nest in Solo: A Star Wars Story) und Ralph Ineson (Amycus Carrow in Harry Potter) zu sehen. Man sieht also, dass David Lowery in diesem Film eine erlesene Auswahl an gegenwärtigen britischen Schauspieler*innen versammelt hat.

Keine*r der Schauspieler*innen enttäuscht. Es ist eher schade, dass neben Gawain die meisten Figuren eher wenig Zeit auf der Leinwand bekommen. Am ehesten wird noch Gawains Geliebte Essel, eine Prostituierte, die ihn aufgrund ihres Status nicht zum Weihnachtsfest am Hofe begleiten darf, charakterisiert. Zwar liebt sie ihn, macht aber gleichzeitig deutlich, dass sie sich Hoffnungen auf den Thron macht, sobald Gawains Zeit kommt. Und sie ist die einzige Person, mit der der Antiheld Gawain über sein Inneres reden kann. Sobald dieser jedoch auf seine Queste aufbricht, bleibt sie zusammen mit allen anderen Figuren in Camelot zurück.

Inszenierung

The Green Knight ist ein faszinierendes Erlebnis. Es werden unglaublich schöne Bilder gezeigt, besonders die karge Landschaft aus Wäldern und Mooren Englands sucht ihresgleichen. Die monotone Landschaft und die Eintönigkeit des Reisens an sich werden immer wieder durch Begegnungen am Wegesrand unterbrochen und aufgelockert. In jeder der Rittertugenden – Keuschheit, Demut, Freigiebigkeit, Tapferkeit et cetera wird Gawain geprüft. Und scheitert an jeder. So fragt er eine Witwe, die ihn nach ihrem Kopf tauchen lassen möchte, was sie ihm dafür geben will. Schläft mit der Braut seines Gastgebers, welche ihn an seine Geliebte erinnert. Und ruft vorbeiziehende Riesen an, sie mögen ihn ein Stück des Weges tragen. Fantasy, Horror und klassische Aventiure in Form der monumentalen Ritterverfilmungen der 50er bis 70er vermischen sich hier und zeigen die Gebrochenheit des Charakters Gawain, der sich dem Unausweichlichen in der grünen Kapelle stellen will oder vielmehr muss. Denn schließlich geht es um seine Ehre als Ritter, und was ist er ohne diese?

Das Vergehen der Zeit und die Unsicherheit, wann geträumt wird oder man sich in einer Vision befindet, werden mithilfe intelligenter Andeutungen vollzogen. So wird das Verstreichen des Jahres, welches Gawain vom grünen Ritter gewährt wird, in Form eines Puppenspiels für die Kinder der Festung Camelot gezeigt – geköpfte Ritter inklusive. Man ist sich auch nicht immer sicher, wann Gawain wegen Hunger und Müdigkeit zu träumen beginnt und man sich auf ihn als unser Tor in diese Welt nicht mehr verlassen kann. Die vorbeiziehenden Riesen als Beispiel wurden bereits erwähnt.

Das Genre des Films orientiert sich stark an Horror und Arthouse, obwohl beide Themen nicht dominant sind. Den Film durchzieht die grundlegende Melancholie eines jungen Mannes, der trotz seiner hohen Geburt nichts Rechtes mit sich anzufangen weiß und an der Erwartungshaltung seiner Umgebung zu zerbrechen droht. Das geht schließlich so weit, dass er lieber der Ehre wegen in den ziemlich sicheren Tod reitet, anstatt mit seiner Geliebten vom Hof seines Onkels zu fliehen.

Gawain ist es nicht gewährt, klassische Heldentaten zu begehen und wird als arm(selig)er Ritter gezeigt, der von seinen Ängsten und Zwängen getrieben ist. Und das führt zu der größten Schwäche und Stärke des Films.

Erzählstil

The Green Knight ist langweilig. Langatmig in seiner besten Form, lässt Lowery jeder Szene Zeit zu atmen. Das Vergehen der Zeit, Gawains Visionen (oder Träume? Wahnvorstellungen?) verschwimmen und lassen das Gefühl aufkommen, dass etwa ein Drittel weniger Spielzeit dem Film nur gutgetan hätte. Die tollen Bilder und Landschaften trösten nicht immer darüber hinweg, dass ein Action gewöhntes Publikum wohl zu wenig Tempo in dem Film finden wird (und das, obwohl wir wissen, dass Action und ein klassischer Stoff kein Widerspruch sein müssen). Trotz aller Schönheit lässt sich eine gewisse Langatmigkeit und Verlorenheit gemeinsam mit dem Hauptcharakter nicht verneinen.

Dennoch ist es dem Regisseur hoch anzurechnen, dass er in diesem Punkt keine Kompromisse gemacht und seinen eigenen Weg beschritten hat. So hat The Green Knight zwar seine Längen (und ist streckenweise langweilig), aber man erinnert sich an ihn.

Die harten Fakten:

  • Regie: David Lowery
  • Darsteller*in(nen): Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sarita Choudhury, Sean Harris, Kate Dickie, Barry Keoghan, Erin Kellyman, Ralph Ineson
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Mit The Green Knight kam ein Ritterfilm ins Kino, der die Aspekte Männlichkeit und Rittertum scharf seziert und postmoderner Kritik aussetzt. Der Film lässt seinen Helden auf vielfältige Art scheitern und stellt damit die Konzepte seines Selbstverständnisses in Frage. Was bleibt vom Mann, vom Ritter und von seiner Ehre, wenn er sich diesen Erfordernissen nicht gewachsen zeigt?

Der Film verlangt nicht nur seinem Helden, sondern auch dem Publikum einiges an Durchhaltevermögen ab. Zuseher*innen, die sich eine rasche Abfolge von Ereignissen oder spannende Schwertduelle erwarten, werden sicherlich enttäuscht. Für Freund*innen ausgedehnter Ritte und Wanderungen durch die englische Natur, Begegnungen mit toll dargestellten Baummenschen und der Haltung, dass nicht alle Fragen eines Filmes auch gelöst werden müssen, finden hier sicherlich einen der schönsten Filme des Jahres.

 

  • Wunderschöne Bilder
  • Mut zum langen Atem
  • Ein klassischer Stoff in neuem Gewand inszeniert
 

  • Langatmigkeit
  • Manches Rätsel wird nicht gelöst

 

Artikelbilder: © Eurovideo
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Katrin Holst
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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