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Falten im Gesicht? Ein dicker Bauch? Das alles hat nun ein Ende: Unser Mittel ermöglicht dir das Aussehen, von dem du immer geträumt hast. Die Welt wird dir gehören. Der koreanische Anime-Horror Beauty Water übt scharfe Kritik an gesellschaftlicher Oberflächlichkeit und Schönheitswahn. Leider schießt er dabei über das Ziel hinaus.

Der Anime-Horrorfilm Beauty Water ist das Debut des koreanischen Regisseurs Kyung Hun Cho und wird am 28.12.2021 im Rahmen der „Kazé Anime Nights“ in zahlreichen deutschen Kinos gezeigt werden. Auf Blu-ray und DVD erscheint der Film voraussichtlich am 17.02.2022. In 83 Minuten geht der Film hart mit dem oberflächlichen Schönheits- und Schlankheitswahn – insbesondere der koreanischen Gesellschaft – ins Gericht. Dabei setzt er sich vor allem mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung übergewichtiger Menschen, übersteigerten Schönheitsidealen und deren psychischen Konsequenzen auseinander. Sind auch einige Ansätze interessant und die Grundaussage des Filmes unterstützenswert, so weist der Film in Handlung und Darstellung doch zahlreiche Defizite auf, die daran zweifeln lassen, dass er seinen eigenen Ansprüchen gerecht werden kann.

Story

Yaeji arbeitet als Kosmetikerin für einen Werbefilmproduzenten. Die junge Frau leidet unter der gesellschaftlichen Ausgrenzung, die ihr aufgrund ihres starken Übergewichtes entgegenschlägt. Insbesondere von der bildhübschen Schauspielerin Miri wird sie permanent beleidigt.

Durch Zufall muss sie kurzfristig für eine Statistin in einem Werbespot einspringen und vor der Kamera große Mengen essen. Als die ungünstigen Bilder ins Internet gelangen, ziehen sie unliebsame Aufmerksamkeit auf sich. Yaeji sieht sich einer Welle an Cybermobbing ausgesetzt. Sie erleidet einen depressiven Schub, isoliert sich und gibt sich hemmungslos ihrer Depression und ihrem gestörten Essverhalten hin.

Schließlich erhält sie ein ominöses Angebot: Eine Firma bietet ihr an, ihr ein Produkt zuzusenden, das sie von einem Moment auf den anderen wunderschön macht. Zwar hält sie dies zunächst für Spam, dennoch ist sie neugierig auf die Wirkung des sogenannten „Beauty Water“, das sie bald erreicht. Das Mittel soll es möglich machen, das Gesicht nach einigem Einweichen perfekt umzuformen und überschüssiges Gewebe zu entfernen. Haut und Fett werden sozusagen zur Modelliermasse. Ihr erster Versuch funktioniert mehr schlecht als recht, und Yaeji gestaltet ihr Gesicht zu einer eher grotesken Anime-Version ihrer selbst um. Sie vereinbart einen Termin bei der seltsamen Firma, die scheinbar nur aus einer einzigen wunderschönen Frau besteht. Diese bietet Yaeji an, ihre Fehler zu beheben und den ganzen Körper zu optimieren. Dafür fällt jedoch der stolze Preis von 200.000.000 ₩ (ca. 150.000 EUR) an.

Sie presst die Summe ihren Eltern ab, die ohnehin bereits in bescheidenen Verhältnissen leben. Das Mittel erweist sich als sehr effektiv und eröffnet der nun wunderschönen Yaeji ungeahnte Möglichkeiten – kann sie vielleicht den Platz der verhassten Miri einnehmen? Sie ändert ihren Namen und beginnt eine neue Karriere. Doch mit ihren Chancen und ihrer Schönheit wächst auch Yaejis wahnhafte Furcht, wieder zu ihrem alten, unansehnlichen Ich zu werden. Dieser Wahn, die Faulheit am Erhalt des Körpers zu arbeiten und die Gier nach immer mehr Selbstoptimierung mittels „Beauty Water“ ziehen furchtbare Konsequenzen nach sich. Doch vielleicht findet sie ja in der Beziehung zum wunderschönen Jihoon – einem ehemaligen Schauspieler – neues Glück?

Die Konsequenzen

Eine Behandlung mit „Beauty Water“ geht für Yaeji schief: Die Haut an ihrem gesamten Körper zerfließt. Um sie zu retten, spenden ihre Eltern ihr so viel ihrer Haut, wie sie können und ähneln fortan wandelnden Mumien. Doch dies reicht nicht. Yaeji bleibt entstellt und hat nicht genügend Geld, um eine Wiederherstellung zu bezahlen. Schließlich ermordet Sie in einem Wutanfall die Frau, die ihr das Mittel verkauft hat und nimmt deren Haut, um sich wieder in ihren „perfekten“ Zustand zu versetzen

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Die Grundidee der Handlung von Beauty Water ist nicht schlecht: Der Wahn um das eigene Aussehen, überhöhte Idealbilder und gesellschaftliche Ausgrenzung bilden eine gute Basis für stimmungsvollen Psycho-Horror. Auch das bekannte Motiv eines Wundermittels, das das Opfer ins Unglück stürzt, hat Potenzial.

Leider schießt die Handlung des Filmes entweder am Ziel vorbei oder darüber hinaus. Vor allem die Kritik an der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Übergewicht, einer eigentlich sensiblen Thematik, ist zweifelhaft umgesetzt: Yaeji frisst – anders kann man es nicht ausdrücken – ungesundes Essen animalisch in sich hinein. Sie zeigt keinerlei Selbstdisziplin und unternimmt keine Versuche, etwas an ihrer Lage zu ändern. Zwar wird klar, dass sie depressiv ist, dies rückt jedoch aufgrund ihres plakativ präsentierten Verhaltens in den Hintergrund. Selbst mit ihrem wunderschönen neuen Körper und ihrem gesellschaftlichen Erfolg ändert sie ihre Essgewohnheiten nicht, treibt keinen Sport und nimmt sofort wieder zu. Wir ekeln uns vor der Protagonistin, die eigentlich eine tragische Gestalt sein sollte, die durch ein Kindheitstrauma ins Binge-Eating getrieben wurde. Adipositas scheint in der Logik des Filmes die Konsequenz eines schwachen Geistes beziehungsweise ein charakterlicher Mangel zu sein. Von Anfang bis zum Ende ist die Protagonistin – egal ob schön oder hässlich – unsympathisch. Eine Identifikation mit der Figur kommt somit nicht zustande.

Kaum ist Yaeji „schön“ liegt ihr die Welt zu Füßen und alle Türen stehen ihr offen, ebenso wie anderen „schönen“ Menschen. Mit Schönheit sind hier gigantische Brüste, extreme Schlankheit und ein makelloses Gesicht mit riesigen Augen gemeint. Diese Darstellung erscheint zweifelhalft, denn zwar entwickeln einige der gutaussehenden Menschen einen arroganten und egozentrischem Charakter, gleichzeitig gehören ihnen aber auch Erfolg, Ansehen und Geld.  Genau die Klischees, die durchbrochen werden sollen, werden bedient.

Was der Film kritisieren will artet somit zu regelrechtem Fat-Shaming aus. Die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Oberflächlichkeit und der Bedeutung der körperlichen Erscheinung bleibt zwar erkennbar, geht allerdings hinter der fragwürdigen Handlung unter.

Animation

Die Animation von Beauty Water ist weitgehend in Ordnung. Sie kann nicht durch besondere Kreativität, Detailverliebtheit oder einen individuellen Stil überzeugen. Vielmehr ähneln Schauplätze und Figuren oft gesehenen und bekannten Anime-Szenerien ohne besonderes Alleinstellungsmerkmal. Vor allem die Hintergründe wirken bisweilen steril und leblos. Prinzipiell ist der Film jedoch sauber, wenn auch nicht raffiniert animiert.

Leider trägt der oberflächliche Zeichenstil dazu bei, dass gerade das, was besonders schockierend sein sollte – die vom „Beauty Water“ entstellen Körper – nicht glaubhaft wirkt. Das, was eine verzerrte und auseinandergeflossene Schreckensgestalt sein sollte, wirkt wie ein runzeliger Gnom. Dies ist eher befremdlich als erschreckend.

Inszenierung

Wie in Bezug auf die Thematik zu erwarten, hebt der Film die körperlichen Merkmale der Figuren besonders hervor. Yaejis anfängliches Übergewicht wird ebenso in Szene gesetzt, wie ihre spätere Attraktivität. Dabei betont der Film durchaus explizit die Reize der nicht immer bekleideten Protagonistin.

Explizite Darstellung

Im Finale hängt Yaeji kopfüber im Bade-/Operationszimmer eines Wahnsinnigen. Sie ist nackt, geknebelt und ihre Brüste wackeln in der Schwerkraft. Hier bewegt sich der Film irgendwo zwischen Body-Horror und Hentai.

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Allgemein ist Beauty Water allerdings eher unauffällig. Weder Musik noch weitere inszenatorische Elemente bleiben in besonderer Erinnerung. Zugutehalten kann man dem Film indes, dass es durch düstere und kühle Farbgebung gelingt, die bedrückende Grundstimmung zu unterstreichen. Vor allem wirken die Räume, in denen sich die Figuren bewegen, häufig schmutzig, abgenutzt und lieblos. Auch dies passt zur bisweilen drastischen Handlung. Tatsächliche Spannung bleibt indes aus. Selbst Kampfszenen oder dramatische Monologe ziehen sich in die Länge und wirken eher albern als schockierend. Zu keinem Zeitpunkt gelingt es dem Film also zu schockieren oder gruselig zu sein, eher hinterlässt er ein ungutes, mulmiges Gefühl.

Erzählstil

Die Erzählung folgt chronologisch der Geschichte Yaejis, wobei die Herkunft des „Beauty Water“ erst gegen Ende im finalen Twist aufgedeckt wird. Leider ist die Narration des Filmes ebenso wie seine Animation nicht sehr raffiniert. Tatsächlich ist jeder einzelne Moment des Filmes vorhersehbar: Natürlich wird Yaeji Probleme mit dem „Beauty Water“ bekommen. Natürlich ist nicht alles wunderbar, selbst wenn sie wunderschön ist. Natürlich nimmt alles kein gutes Ende und so weiter. Die Einführung des Filmes, in dem ein Anwendungsvideo zu dem Mittel gezeigt wird, weckt Interesse. Leider kann dieses Interesse nicht gehalten werden und erwacht erst wieder mit dem finalen Twist. Dies ist etwas zu spät, und somit betrachtet man den Film die meiste Zeit eher mit einem Gefühl zwischen Irritation und Langeweile.

Der finale Twist

Jihoon entpuppt sich als Wahnsinniger, der hinter der „Beauty Water“-Produktion steckt. Er selbst wurde als Kind wegen seines Aussehens gehänselt und hat sich mit Hilfe des Mittels zu einer perfekten Schönheit umgeformt. Seines Erachtens gibt es jedoch zu viele andere schöne Menschen, sodass er nicht einzigartig genug ist. Dementsprechend versucht er das absolut perfekte Aussehen zu erreichen oder vielmehr eine pervertierte Form dessen. Dazu sucht er junge Frauen mit besonders markanten und schönen Körperteilen (Augen, Nasen, Münder) und baut diese in seinen eigenen Körper ein. Die Opfer behalten dabei auf irgendeine Weise ihr Bewusstsein und leben als Körperteile in seinem Körper fort. Auch die Protagonistin fällt ihm schließlich zum Opfer, und er integriert ihre Augen in sein Knie ein. Dies ist, auch wenn man den Film gesehen hat, ebenso befremdlich und wenig nachvollziehbar, wie es klingt. Der Höhepunkt des Irritierenden ist wohl in der abschließenden Szene erreicht: Jihoon hat in sein Knie Yaejis Augen und Miris Nase eingepflanzt. Ein Mund soll bald hinzukommen. Er schminkt sein „Kniegesicht“, gesteht ihm seine Liebe und küsst es.

Dass Jihoon als Frau geboren wurde und sein Geschlecht wechselte, da er sich als Mann mehr Macht über Frauen erhofft, offenbart einen bedenklichen Blickwinkel auf Transsexualität. Aber neben allem anderen wirkt dies fast nebensächlich.

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In einigen albtraumhaften Zwischensequenzen sehen wir Yaeji als Mädchen Ballett tanzen. Wie wir erfahren, ist das Ballett für sie mit einer traumatischen Erfahrung verknüpft. Sie spricht von einer „unsichtbaren Mauer“, die sie daran hinderte ihre Karriere fortzuführen. Später wird gezeigt, wie sie bei einem Ballett-Wettbewerb „nur“ den zweiten Platz erreicht. Ob dies nun das Trauma ist, von dem Yaeji spricht, ist nicht eindeutig klar. Diese Einschübe wirken bisweilen fehl am Platze und irritierend. Dies mag allerdings bewusste Strategie des Filmes sein: Yaeji scheint ihr Leben lang unter ihrem Aussehen zu leiden, unabhängig von ihrem Übergewicht. Letztlich wirkt allerdings auch dieser Erzählstrang eher wie ein halbgarer Versuch, der Protagonistin psychologische Tiefe zu verleihen und nicht wie ein organischer Teil der Handlung.

Die harten Fakten:

  • Regie: Kyung Hun Cho
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch/Koreanisch
  • Format: Kino, DVD/BluRay
  • Preis: 24,95 EUR (DVD), 29,95 EUR (BluRay)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Beauty Water ist ein Film, der nach dem Ansehen im Gedächtnis bleibt und eine bedrückende Stimmung hinterlässt. An sich wäre dies auch das Merkmal eines guten Horrorfilmes. Die Hauptfrage, die in diesem Fall allerdings auf dem Gemüt der Zuschauer*innen lastet, ist ein leicht angeekeltes: „Was habe ich hier gerade gesehen?“

Das Regiedebüt des koreanischen Regisseurs mag zwar eine lobenswerte gesellschaftskritische Intention verfolgen. Jeder positive Ansatz scheitert jedoch: Die Handlung ist krude und bisweilen schwer nachzuvollziehen. Die Charaktere sind genau da unsympathisch, wo sie sympathisch sein sollten, ihre Interaktion ist überzogen und unglaubwürdig, über das hinaus, was für Animes üblich ist. Die visuelle Umsetzung schwankt zwischen uninspiriert und lieblos, und Spannung kommt erst in den letzten zehn Minuten ansatzweise auf.

Mit viel Wohlwollen kann man Beauty Water also zugestehen, dass es sich um eine interessante Thematik bemüht, auch wenn ihm die ernsthafte Auseinandersetzung damit misslingt. Für den nächsten Horror- oder Anime-Abend sollte man eine Alternative wählen.

 

  • Interessante Handlungsansätze
 

  • Fragwürdige Moral
  • Eher krude Handlung
  • Animation und Zeichenstil lieblos

 

Artikelbilder: © Kazé
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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