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Im 1920er-Jahre-Straßenzug der Eloria Erlebnisfabrik in Bottrop werden in Kooperation mit dem Waldritter e.V. Larps rund um die Goldenen Zwanziger organisiert. Weniger golden, dafür umso düsterer, wird es in Nebel über Innsmouth zugehen, einem Horror-Larp auf den Spuren Lovecrafts, das erstmals im November 2022 stattfindet.

Mary Stormhouse schreibt nicht nur als Redakteurin für die Teilzeithelden, sondern organisiert auch LARPs. Sie gehört zum Team hinter Nebel über Innsmouth und berichtet für uns von den Herausforderungen hinter den Kulissen.

Alle, die mal ein Larp geplant haben, wissen: Das ist kein Kinderspiel. Gerade in den letzten Jahren, und mit High-Class-Veranstaltungen wie dem College of Wizardry, sind die Ansprüche von Spielenden und Orgas gewachsen. Die Chance, in einer Location mit einer filmreifen 1920er-Jahre-Kulisse Larps zu veranstalten, hat ein Orga-Team des Waldritter e.V. so sehr begeistert, dass sie nicht nur Exploria – Goldene Zeiten umgesetzt haben, sondern direkt damit begannen, ein zweites Larp in der gleichen Location zu entwickeln. Bereits am Anfang der Kooperation stand im Raum, dass die 1920er nach einem von Lovecraft inspirierten Larp verlangen. Irgendjemand rief dann “Schatten über Innsmouth, wir bauen die Location zur Hafenstadt um!”. Und weil ja nicht einfach das Buch umgesetzt wird, wurde daraus dann Nebel über Innsmouth. Mit dem Ziel, Spielenden am Ende Tod oder Wahnsinn zu bescheren. Erfahrungen, die man im echten Leben zum Glück selten macht.

Noch wirkt die Location friedlich, und das Auto der Familie Marsh steht mitten auf dem Marktplatz.
Noch wirkt die Location friedlich, und das Auto der Familie Marsh steht mitten auf dem Marktplatz.

Die Herausforderungen einer Kooperation

Mit einer Location zu kooperieren ist etwas ganz Anderes, als sie nur anzumieten – es entstehen neue Chancen und Herausforderungen. Wenn zwei Larp-Orgas miteinander kooperieren, werden unterschiedliche Vorstellungen von Larp und verschiedene Spielschwerpunkte aufeinandertreffen. Meistens.

Eine Kooperation mit einem Partner, der nicht aus dem Larp-Umfeld stammt, stellt den LARP-Partner vor andere Herausforderungen. Die ELORIA Erlebnisfabrik ist in erster Linie ein Escaperoom-Anbieter. Geschäftsführer Michael Bierhahn erlebte das Konzept Larp auf einer Konferenz und trat mit dem Waldritter e.V. in Kontakt, um Larps in einer bis ins kleinste Detail durchgeplanten Kulisse zu veranstalten. Wer sich an Jugendherbergstage erinnert, an denen man sich vorgestellt hat, in einem fantastischen Reich zu schlafen, wird die Begeisterung aller Beteiligten verstehen. Dennoch ist engzahnige Kommunikation notwendig, damit Escaperoom-Planende und Larp-Enthusiast*innen Räume schaffen, die beide Zielgruppen begeistern. Während bei den Escaperooms viel Wert auf den Rätselbau und einzelne Details gelegt wird, die alle lösen können, geht es bei Nebel über Innsmouth darum, eine Geschichte zu erzählen, die durch die Teilnehmenden bewegt wird. Charakter XY braucht vielleicht genau das Amulett, das zu seinem Hintergrund gehört, andere sind auf der Suche nach verschollenen Büchern. Es gibt nicht einen Erzählstrang, sondern viele einzelne, die durch den Austausch der Charaktere im Spiel zusammenkommen können und sollen.

Rollenschreiben als Berufung

Apropos Charaktere. Nebel über Innsmouth ist ein Larp mit fertig geschriebenen Rollen. Das bedeutet, wer sich anmeldet, bekommt einen Castingbogen zugeschickt, beantwortet den und erhält am Ende eines Auswahlprozesses der Orga eine Rolle mit eigenem Hintergrund, Ängsten, Schwächen, Zielen und Verknüpfungen zu anderen Charakteren. Der Vorteil bei dieser Art Spiel ist: Niemand steht allein da, neue Bekanntschaften werden geknüpft. Wenn Spielende, die sich vorher nicht kannten, einander gegenüberstehen, kann viel mehr Spannung entstehen, als wenn sie immer in den gleichen Gruppen spielen. Außerdem bleiben Menschen, die allein anreisen, nicht lange allein, denn sie werden in verschiedene Gruppen integriert. Die Art des Spiels orientiert sich dabei am sogenannten “Nordic Larp”, das längst nicht mehr nur im skandinavischen Raum gespielt wird und ein “Play to lose“ in den Vordergrund stellt.

Es ermöglicht auch, Drama durch die Charaktere zu erschaffen und weg vom rein plotbasierten Spiel zu gehen (ja, es wird Plots in Nebel über Innsmouth geben, aber viel wird durch das Charakter-Spiel erzeugt). Das bedeutet aber auch, dass alle Rollen detailliert und mit Blick auf Gruppierungen und Verknüpfungen geschrieben werden müssen. Alle 120.

Wir dachten kurz darüber nach, ob es einer Person allein möglich wäre, alle Rollen zu schreiben. Dann lachten wir laut und griffen zu einem anderen Konzept: Wir fragten Schreibende, ob sie Lust hätten, für uns Charaktere zu schreiben. Statt Larpende, die beruflich etwas ganz Anderes machen, suchten wir uns Menschen, denen das Schreibhandwerk im Blut liegt. Werbetexter*innen, Autor*innen, Redakteur*innen, Hobbyschreiber*innen: Menschen, die sich fürs Schreiben begeistern, die aber alle nur eine Handvoll Rollen schreiben, der Rest wird vom Team aufgefangen. So haben wir bereits im ersten Entwurf stimmige und atmosphärische Charaktere, die nur in Details angepasst werden müssen. Durch verschiedene Schreibstile und Ideen entstehen spannendere, unterschiedliche Rollen, als wenn nur zwei – drei Autor*innen im Schreibprozess involviert gewesen wären.

Wie kommt der Horror in ein Larp?

Lovecrafts Horror arbeitet oft mit dem Grauen, das unter der Oberfläche lauert. Mit Misstrauen und Ängsten, einer Welt, die neben unserer liegt und in der alle Menschen nur unbedeutend sind im Vergleich zu uraltem Schrecken. Um Nebel über Innsmouth zu einem Horror-Larp zu machen, wird mit mehreren Prämissen gearbeitet. Die wichtigste: Am Ende des Spiels wird jeder Charakter tot oder wahnsinnig sein. Es gibt keinen Ausweg aus der Geschichte, ganz nach dem Vorbild Lovecrafts. Aus dieser Ausgangssituation, Mechanismen für die Einbindung von Wahnsinn, subtilem Einsatz von Technik und einer gruseligen Hintergrundgeschichte will das Team eine erschreckende Erfahrung schaffen, die alle Spielenden an ihre Grenzen bringt. Letztlich kommt es natürlich – wie bei allen Larps – auch auf die Spielendenden an, ob es gelingt, die gewünschte Stimmung von Anfang bis Ende durchzuhalten. Dazu kommen natürlich noch Effekte von außen: Momente in der Geschichte, die Special Effects sowie die Atmosphäre der Location selbst müssen zum Gefühl einer kommenden Katastrophe beitragen.

Von den Roaring Twenties zur heruntergekommenen Hafenstadt

Wer keine Arbeit hat, macht sich welche: Die 1920er-Jahre-Kulisse der Eloria Erlebnisfabrik befindet sich in einer Ausbaustufe, in der viele Räume fertig gestaltet und komplett bespielbar sind. Grund genug für das Team, die Anforderungen komplett über den Haufen zu werfen, und ab Halloween für einen Monat einen gruseligen Hafenort aus der trendigen 20er-Jahre-Stadt zu machen. Ein wahnsinniges Vorhaben, das perfekt zu einem Spiel rund um den Wahnsinn passt.

Die “Pfandleihe Schmitz” wird bald dem “Innsmouth Museum of Local History” weichen.
Die “Pfandleihe Schmitz” wird bald dem “Innsmouth Museum of Local History” weichen.

Dieser Umbau wird natürlich auch durch die Geschichte bedingt: Selbst, wenn sich nicht zu 100 Prozent an die Vorlage gehalten wird, so braucht ein Fischerdorf doch andere Geschäfte: Einen Fischladen statt einem Obstladen, eine Kneipe statt einer Modeboutique. Natürlich kommt hinzu, dass Spielende von Exploria – Goldene Zeiten sich nicht sofort zurechtfinden sollen. Wie im Buch Schatten über Innsmouth soll zumindest ein bisschen auch mit Desorientierung gespielt werden. Mehrere Ortsbegehungen und Planungen mit dem Team vor Ort fanden statt, um einen Stadtplan für Innsmouth zu erstellen und dabei nicht nur die Vorteile der zugrunde liegenden Escaperooms zu nutzen, sondern auch die Besonderheiten des Larps zu berücksichtigen. Beispielsweise benötigen alle vorhandenen Gruppierungen einen eigenen Ort. Verschiedene Szenen, die geplant sind, müssen mit den Mitteln vor Ort inszeniert werden. Umfassende Proplisten werden erstellt, zwischen den einzelnen Teams verteilt und mit Prioritäten versehen. Was ist relevant für den gesamten Plot, was ist wichtig für einzelne Rollen und was ist einfach Nice-to-have, um die Vision in den Köpfen der Machenden näher an einen trashigen Indie-Film aus dem Lovecraft-Universum zu bringen? (Niemand macht sich da etwas vor, für Hollywood wird das Budget nicht ausreichen.)

Special Effects zum Gruseln

Ein Teil des Teams konzentriert sich aktuell darauf, Special Effects, Props und Make-up zu planen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Gestaltung von Licht und Sound gelegt. Gerade mit Ton lassen sich subtil Stimmungen beeinflussen. Wer die ganze Zeit Möwenkreischen im Ohr hat, glaubt eher, dass er*sie sich in einer Hafenstadt und nicht in einer alten Waschkaue befindet. Damit alles perfekt ineinander spielt, müssen aber auch Sounds und Musik ausgewählt und abgemischt werden. Welche Lautstärke ist wo passend? Wo muss die Musik laufen, damit das Gefühl von Wellenrauschen in der Ferne erzeugt wird, ohne dass Menschen in Innenräumen denken, die Flut spült zwischen ihren Füßen hindurch?

Damit die Technik auch funktioniert, müssen sich die Menschen, die das übernehmen, in der Location und mit der installierten Technik auskennen. Daher werden betreffende Personen schon im Vorfeld angelernt, da alle Licht- und Soundanlagen ihre Eigenheiten besitzen.

Auch Make-up nimmt viel Raum ein, da hier auf ein eigenes Design gesetzt wird, zugunsten einer Distanzierung der Degenerierten Wesen bei Lovecraft. Wer sagt, dass Schauriges nicht auch schön sein kann?

Player’s Guide und Workshops

Wie bei anderen geskripteten Larps gibt es auch hier ein Design-Dokument, das den Spielenden als Player’s Guide zur Verfügung steht, in dem die Grundregeln des Spiels erklärt werden. Ergänzend werden am Freitag Workshops stattfinden, die verschiedene Mechanismen, den Umgang mit Wahnsinn und andere Details den Spielenden nahebringen.

Während der verschiedenen Workshops werden auch die Gruppierungen zusammengeführt, damit niemand im Spiel allein dasteht..
Während der verschiedenen Workshops werden auch die Gruppierungen zusammengeführt, damit niemand im Spiel allein dasteht..

Auch wird es die Möglichkeit geben, die verschiedenen Menschen der eigenen Gruppierung vor dem Spiel kennenzulernen. Im Anschluss an das Spiel wird es außerdem Angebote geben, um mit dem Bleed umzugehen, einer Vermischung von Zügen der gespielten Rolle und der eigenen Person. Etwas, das bei intensivem Spiel und gerade bei Rollen mit tragischen Verstrickungen immer geschehen kann.

Eine wichtige Implementierung ist das Konzept von “Queermouth”. Im Gegensatz zur Feindlichkeit, die Lovecraft gegenüber anderen Geschlechtern und sexuellen Orientierungen an den Tag legte, spielt Nebel über Innsmouth ohne diese Einschränkungen. Egal welches Geschlecht Spielende wählen, es sind, bis auf eine Handvoll Rollen, in denen das Geburtsgeschlecht eine Rolle spielt, alle Charaktere zugänglich. Bedrohung von außen und interne Konflikte sollen bespielt werden können, ohne dabei in Situationen zu verfallen, die manche Menschen im Alltag erleben müssen. 

Die Planung eines Larps stellt Orgas immer vor Herausforderungen. Nebel über Innsmouth ist durch die Art der Location, die in Deutschland aktuell einmalig ist, ein Sonderfall, da hier viele Dinge weit im Vorfeld geklärt werden müssen. Hinzu kommt, dass das Team komplett remote arbeitet, die Orga zwischen der Schweiz und Norddeutschland verteilt ist und sich in wöchentlichen Videocalls auf dem Laufenden hält. Das erfordert, dass sich alle aufeinander verlassen können. Denn nur, wenn sich alle Bestandteile am Ende zusammenfügen, wird die Vision, so wie sie am Anfang stand, im November verwirklicht.

Artikelbilder: © Waldritter e.V.
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids
Fotografien: Ralf Hüls

Über die Autorin

Mary Stormhouse schreibt, podcastet, larpt und lebt zwischen Feenstaub und Sternenschiffen. Sie schweigt darüber, wie lange sie schon larpt, weil dadurch Rückschlüsse auf ihr Alter gezogen werden können. Meist ist sie auf geskripteten Larps unterwegs.

 

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