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Als ob das Cowboy-Leben dank hinterlistiger Banditen und matschiger Bohnenpampe nicht schon Herausforderung genug wäre, bekommen Spieler*innen es in Hard West II mit dem leibhaftigen Teufel zu tun. Da heißt es kühlen Kopf bewahren, statt wild drauf los zu schießen – gut, dass die rundenbasierten Gefechte dafür genug Zeit lassen.

Der wilde Westen, bekannt geworden durch Filme amerikanischen oder italienischen Einflusses, lockt seit jeher mit einem Versprechen von Freiheit, kantigen Cowboys und einem Land das so weit wie gnadenlos ist. Dass dieses (Selbst)bild schon immer ein geschönter Blick gewesen sein dürfte (die krude Selbstbetrachtung des Manifest Destiny kommt einem hier in den Sinn) – geschenkt. Als altes Genre hat allerdings auch der Western über die Jahrzehnte Einflüsse und Experimente aus anderen Gattungen angezogen, beispielsweise den (laut Kritikern eher weniger gelungenen) Steampunk-Ausflug eines Wild Wild West. Eine erfolgreichere, wenn auch immer noch nieschige Gattung aus der Literatur ist dagegen der „Weird West“. Hier werden die Stereotypen der Westernerzählung mit übernatürlichen, okkulten oder lovecraftschen Ideen angefüttert – Cowboy trifft Cthulhu sozusagen.

Die Geschichte wird in animationsarmen, aber schön gezeichneten Zwischensequenzen erzählt

Im Film ebenfalls noch unterrepräsentiert, findet sich das Konzept nun aber vermehrt in Spielen wieder. Crytek hat mit Hunt: Showdown einen spannenden Shooter auf dieses Fundament gestellt. Zuletzt gab es mit Weird West sogar eine immersive Simulation in selbiger Welt. Und mit Hard West hat das Studio Creative Forge Games bereits gezeigt, wie sich der weirde Westen mit den Vorteilen des Taktik-Rollenspiels verbinden lässt. Für Hard West II ist mit Ice Code Games zwar ein neues Studio im Sattel, der Anspruch hat sich jedoch nicht geändert. Es soll rundenweise also wieder ordentlich geschossen, geprügelt und gezaubert werden.

Alles Einsteigen, nächster Halt – Hölle

Diesen Zug hätte die Gang rund um Ganove Gin Carter wohl lieber nicht mehr bekommen. Im Tutorial des Spiels werden keine kleinen Nuggets gesiebt, stattdessen geht es bereits hier zu einem westerngerechten Zugüberfall – der sich nach ausgeschalteter Besatzung allerdings als Höllentrip herausstellt. Nur eine Tunneldurchfahrt später verwandelt sich die eiserne Lok nämlich in eine auf Insektenbeinen krabbelnde Inferno-Maschine, das Zugpersonal besteht plötzlich nicht mehr aus Pistoleros, sondern gefräßigen Dämonen und der Zugführer verlangt als Fahrkarte direkt die Seelen seiner Fahrgäste für die eigene Kollektion. Gin und seine Gang können nur um Haaresbreite körperlich unversehrt entkommen – und setzen fortan alles daran, ihren Seelenfrieden zurück zu erlangen. Dafür gilt es in der kalten Einöde der Prärie den dämonischen Zug wieder ausfindig und seinem gefräßigen Lokführer den Garaus zu machen.

Etwa ein Drittel der Spielzeit verbringt ihr damit die Karte zu erkunden und Gespräche zu führen

Hierfür will eine einfach animierte, aber stimmige Landkarte durchritten werden, um Haupt- und Nebenaufgaben zu erfüllen, Charakterfähigkeiten auszubauen, schlagkräftige Gegenstände zu akquirieren und Informationen über den Verbleib des Zuges heraus zu bekommen. Die Dialoge eurer Crew finden dabei in statischen, aber sehr hübsch illustrierten Zwischensequenzen statt. Die gut besetzten Sprecher*innen (Batman-Sprecher Kevin Conroy spricht hier den Untoten Old Man Bill) zusammen mit den atmosphärischen Zeichnungen können auch ohne all zu viel Bewegung ordentlich Weird-Western-Stimmung erschaffen. Immer wieder winken auch kleine Entscheidungen in den Dialogbäumen, welche die Loyalität einzelner Crew-Mitglieder erhöhen. Besonders loyale Mitstreiter*innen erhalten spezielle Boni, so kann die Jägerin Cla’lish bei Rast für frisches Wildbret und damit aufgefüllte Lebenspunkte sorgen.

Schnell findet sich Gins bunte und verzweifelte Truppe aber am Ende aller diplomatischen Lösungsmöglichkeiten, auch weil sich im Land eine Untotenplage breit gemacht hat, welche die Prärie mit Angst und Schrecken überzieht. Da sich weder mit schießwütigen Banditen noch mit untoten Bergarbeitern verhandeln lässt, dürfen in Hard West II die Revolver sprechen. Und damit werden die Spielenden auf grafisch ansprechend gestaltete Karten in isometrischer Perspektive geworfen. Ab jetzt werden rundenbasiert Kugeln und Dynamitstangen ausgetauscht, bis eine Seite den Sieg davon tragen konnte. Auch hier winken kleine Nebenaufgaben, so gilt es beispielsweise eine Truhe mit interessanter Beute vor den Flammen eines brennenden Hauses zu bewahren.

Immer wieder gilt es kleine Entscheidungen im Dialogbaum zu fällen

Rundenstrategie und Schusswechsel im wilden Westen – geht das zusammen?

Taktikspiele dieser Güte kommen mit der inhärenten Herausforderung daher, dass sie sich letztendlich irgendwo auf einem Spektrum von Rundenstrategie an einem Ende bis hin zum knallharten Puzzlespiel am anderen platzieren müssen. Ein höherer Zufallsfaktor bringt hier eine Dynamik ins Spiel, die Entscheidungen für Spieler*innen weniger geradlinig zurück verfolgbar macht – und es so erleichtert mit den richtigen oder falschen Entscheidungen über die Partie hinweg zu leben. Ein Paradebeispiel dafür ist X-Coms, ein einen aggressiven Spielstil förderndes Gamesdesign gepaart mit prozentualen Trefferwahrscheinlichkeiten. Dagegen steht beispielsweise Into the Breach, welches seine Gefechte als kniffelige Knobeleien mit klar aufeinander folgenden Logikbausteinen präsentiert, die geknackt werden wollen.

Ice Code Games fahren für Hard West II einen Ansatz irgendwo dazwischen, der Taktiker*innen mehr Spaß machen dürfte, wenn sie verstanden haben, was die Gefechte tatsächlich sind, im Vergleich zu dem, was sie in den ersten Runden zu sein scheinen. Denn die detailverliebte Grafik, knallenden Soundeffekte, markigen Sprüche und ein treibender Western-Soundtrack, der zum Showdown einlädt, dürften so manchen Cowboy anfangs auf die falsche Fährte führen. Die Gegner sind oft zahlreich, aber niedrig an Lebenspunkten, per „trick shooting“ lassen sich Kugeln auch in unmögliche Winkel befördern und per verbrauchbarer Glückspunkte werden auch unwahrscheinlichste Schüsse sichere Treffer. Oben drauf kommt das fetzige sogenannte „Bravado-System“, das per knallendem Sound für getötete Feinde mit einem zusätzlichen Zug belohnt. Im Kern gilt es, diese Bonuszüge zu verheerenden Combo-Ketten zu verknoten und so eure Crew durch die Gegnerhorden fegen zu lassen.

Spezialfähigkeiten wie Teleportation oder Umgebungseffekte sind knallende Highlights

Die Sonderfähigkeiten sind das i-Tüpfelchen, um in den richtigen Momenten besonders gelungene Highlights abzufeuern. So kann sich die diebische Flynn mit ihrem Schattenschritt nicht nur an entlegene Ecken der Karte teleportieren – sondern auf Wunsch auch den Platz mit einem anderen Charakter tauschen. So werden nichts ahnende Feinde einfach mal mitten in den Kreis der eigenen Heldenriege befördert und dort mit Kugeln durchsiebt. All das würde in seiner Präsentation also zu dem Setting angemessenen wilden Schusswechseln führen.

Tür auf, Tür zu, Spielstand laden

Tatsächlich bietet Hard West II dieses lockere aus der Hüfte schießen besonders in den schwierigen Gefechten aber eben nicht. Nach dem Aufsatteln stellen Spieler*innen dagegen schnell fest, dass sich hinter den Schießereien große Puzzle verstecken, welche vom ersten Spielzug an richtig geplant werden wollen. Hard West II stellt sich damit voll in die Tradition eines Shadow Tactics oder Desperados. Ein wilder Spielstil wird meist schnell bestraft – dafür haben die Charaktere zu wenige Lebenspunkte und machen für die nötigen „Bravado“-Skills im Alleingang nicht genug Schaden. Stattdessen gilt es, die Landschaft und die Fähigkeiten der Gegner gut zu lesen, eure Kuhtreiber*innen gut zu positionieren und gut geplant möglichst viele Gegner in Folge mit so wenig verbrauchten Aktionen wie möglich in den Staub zu pusten.

Dies birgt natürlich seinen ganz eigenen Reiz, wie das zuvor erwähnte Glanzstück Into the Breach zeigt, allerdings gibt es hier ein paar nervige Punkte, die dem gelungenen Taktieren im Weg stehen können. So sind die Schlachtfelder, darunter Canyons im Schnee, verschachtelte Gleisfabriken oder eine Kirche mit Dorfvorplatz, weitestgehend vertikal entworfen. Es ist ein großer Vorteil, sich Höhen- und Sichtvorteile zu verschaffen, eine bessere Deckung ist obligatorisch. Umso ärgerlicher also, wenn Arealfähigkeiten auf eine Ebene begrenzt bleiben. Dies führt zu kuriosen Situationen, wie dass ihr mit dem breiten Radius einer Shotgun Gegner direkt vor eurer Nase, nur eine Balustrade darüber, gar nicht erst anvisieren könnt.

Ebenso wünscht man sich einen Knopf zum Zurücksetzen der letzten (Lauf)-Aktion, denn in einer isometrischen Perspektive hat man Winkel oder Deckungen schnell einmal falsch eingeschätzt – oder sich schlichtweg verklickt. In einem Spielsystem, in dem es auf jeden Zug ankommt, sehr ärgerlich.

Positionierung, Schusslinien und Trefferwahrscheinlichkeiten wollen gut kalkuliert sein

Auch für das übliche Spiel aus Speichern, Probieren, Laden findet Hard West II keine elegante Lösung. Dies kann man dem Titel selbst dabei nicht allein zum Vorwurf machen; diese Problematik ist dem Genre der Rundenstrategie inhärent. Leider schadet das aber dem Vorwärts-Ansatz der inszenierten Schießereien. Gerade da eine Mission 1-2 Stunden dauern kann, verfängt man sich schnell in dem Anlegen mehrerer Spielstände, um passende Rücksetzpunkte zu haben, wenn man in seiner Entscheidungsfindung falsch abgebogen ist. Und dass ein Ausspähen des nächsten Raumes ohne rein rennen, ausspähen und neu laden nicht auskommt, ist schlichtweg schade. Die Alternative wäre nämlich auch hier, einen kostbaren Zug der Figur zu verschwenden, welchen man später sicher brauchen wird.

Guten Charakter macht das richtige Kartenblatt

Damit kein falscher Eindruck entsteht, im Kern macht der Western-Taktiker eine ganze Menge  richtig: Die Gefechte sind durch den knackigen Schwierigkeitsgrad fordernd, der Einsatz der Fähigkeiten bereitet positives Kopfzerbrechen, und hat man die richtige Kombo erst einmal aufgereiht und erfolgreich durchgezogen, fühlt sich das richtig wuchtig an. Dazu kommt ein motivierendes Fortschrittssystem. Die meisten der gefundenen Items haben einen ordentlichen Einfluss, gerade stärkere Waffen zeigen einen spürbaren Unterschied, Levelaufstiege schalten mehr Lebenspunkte frei. Die wahre Charaktergestaltung findet aber über gefundene Boni in Form von Pokerkarten statt, die durch Nebenaufgaben in den Missionen oder als gefundene Schätze auf der Weltkarte in euren Besitz gelangen.

Gefundene Schätze und Karten verstärken die Schlagkraft eurer Truppe immens

Diese werden für jeden Charakter zu typischen Kartenblättern wie einem Flush oder Drilling kombiniert und geben teils mächtige Boni. Umso besser die Kartenhand, desto mehr ist raus zu holen, auch Erweiterungen von Fähigkeiten sind hier drin. Kostet Flynns Schattenschritt zu Beginn noch einen Teil ihrer eigenen Lebensenergie, lässt sich dieser Malus durch das richtige Kartenblatt komplett ausschalten. Da sich alle Charaktere einen gemeinsamen Kartenpool teilen, ist geschicktes Tüfteln gefragt, wo welches Blatt gerade besser aufgehoben ist, um die eigene Truppe möglichst schlagfertig zu halten.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Ice Code Games
  • Publisher: Good Shepherd Entertainment
  • Plattform: PC,
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Chinesisch
  • Mindestanforderungen:
    • Setzt 64-Bit-Prozessor und -Betriebssystem voraus
    • Betriebssystem: Windows 10 (64 Bit)
    • Prozessor: Quad-Core-Prozessor (4 CPUs) 2,5 GHz Intel Core i5-4690T 2,5 GHz/AMD Phenom X4 9850 2,5 GHz
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafikkarte: NVIDIA GeForce GTX 750 || Radeon RX 550
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 35 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Rundenbasierte Strategie
  • Releasedatum: 04.08.2022
  • Spielstunden: 20 – 30 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: Keine Angabe
  • Preis: 24,99 €
  • Bezugsquelle: MMOGA, Steam, Amazon

 

Fazit

Mit der Mischung aus kniffeligen Taktikgefechten und sauber eingefangener Western-Atmosphäre macht Hard West II seinem Titel absolute Ehre. Wer hier rasante Shootouts erwartet, dürfte jedoch schnell enttäuscht sein. Stattdessen motiviert der Titel durch das richtige Kombinieren von Charakterfähigkeiten, Trefferwahrscheinlichkeiten und dem nächsten „Bravado“-Zug.

Eine hakelige Steuerung, die verfehlte Klicks fördert, nervt zwar, ist aber leicht verschmerzbar. Das Zusammenspiel aus Charakterfähigkeiten und der richtigen Positionierung für den idealen Treffer funktioniert in großen Teilen und macht den Hauptreiz der teils zweistündigen Missionen aus. Außerhalb dieser ist die Story rund um den Geisterzug spannend genug, um Spielende bei der Stange zu halten. Die eigentlich unspektakuläre Weltkarte winkt mit hübsch animierten und sehr gut vertonten Gesprächen.

Alles in Allem machen Spieler*innen mit Hard West II genau dann nichts falsch, wenn sie mit der richtigen Erwartungshaltung in den Saloon marschieren. Lassen sie sich durch die fetzige Präsentation und das unverbrauchte Szenario nicht davon beirren, dass die Taktik-Gefechte im Kern ordentlich Hirnschmalz und Zeit zum Knobeln verlangen, statt den schnellen Zeigefinger am Abzug, steht dem Spaß im wilden Westen nichts im Wege.

 

  • Stimmige, unverbrauchte Westernatmosphäre
  • Guter Wechsel aus Story und Schießereien
  • Charakterfähigkeiten laden zu Experimenten ein
 

  • Schwierigkeitsgrad fördert Save-Scumming
  • Hakelige Steuerung in den Gefechten

 

Artikelbilder: © Ice Code Games
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Susanne Stark
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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