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Fulminate Revolver-Action und stramme Ritte durch die Prärie: Auf den ersten Blick wirkt Weird West wie ein klassischer Western. Doch der Eindruck täuscht, denn hinter altbekannten Genre-Klischees stecken übernatürliche Wesenheiten, Magie und eine Reise, die fünf ganz unterschiedliche Menschen miteinander verbindet. Sattelt die Pferde, es geht Richtung Westen.

Gehen eine Hexe, ein Werwolf und ein Schweinemensch in den Saloon… was wie ein schlechter Witz klingt, beschreibt die Essenz von Weird West passgenau. Diese fast schon absurde Mischung nimmt Spieler*innen mit auf eine ebenso mysteriöse wie spannende Reise durch die Prärie. Hierbei begleiten sie insgesamt fünf Hauptcharaktere, deren Geschichten nacheinander erzählt werden. Alle hier vorgestellten Inhalte und Screenshots beziehen sich auf die ersten beiden dieser Geschichten. Inhalte zu den anderen drei Protagonist*innen werden zur Vermeidung von Spoilern nicht aufgeführt.

Das Hauptmenü von Weird West.

Für diesen Spieltest wurden der Schwierigkeitsgrad Normal sowie die englische Sprach- und Textausgabe gewählt. Zum Durchspielen von Weird West wurden ca. 25 Stunden benötigt.

Ganz schön weird: Von Schweinemenschen und Werwölfen

Wie die Einleitung bereits vermuten lässt, handelt es sich bei dem Debüt-Titel von WolfEye Studios nicht um einen klassischen Western. Weder das Setting noch die Handlung des actionreichen Dark-Fantasy-Rollenspiels bewegen sich innerhalb vertrauter Parameter, weswegen sowohl Spielwelt als auch die Geschichte einer näheren Betrachtung bedürfen.

Spielwelt

Der Wilde Westen: rauchende Colts, gut gefüllte Saloons und die unendlichen Weiten der Prärie. Trotz der ominösen Warnungen und Verheißungen im Intro-Video von Weird West wirkt die Spielwelt initial klischeebeladen. Spätestens dann jedoch, wenn sich schweineköpfige Bestien, Hexen und fleischfressende Sirenen zu alteingesessenen Stereotypen gesellen, entsteht ein anderes Bild. Unheimliches und Übernatürliches machen den Westen nicht nur eine ganze Spur wilder, sondern auch ziemlich weird. Der Genre-Mix wird nicht nur durch Haupt- und Nebenquests lebendig; Spielende erhalten durch Zeitungsnachrichten und Briefpost gewöhnlicher Bewohner*innen der Spielwelt eine Idee vom Alltag in dieser einzigartigen Interpretation des Wilden Westens.

In der lebendigen Spielwelt lassen sich viele verschiedene Orte besuchen.

Nichtsdestotrotz bleiben Überraschungen nicht aus. So können eben noch revolverschwingende Räuber*innen plötzlich zum Werwolfrudel werden und auf Tuchfühlung, also in den Nahkampf, gehen oder aber ein Hexenritual schlägt fehl und Zombies greifen an. Die Illusion, dass dies eine klassische Wild-West-Geschichte ist, wird demnach schnell zerschlagen.

Neben bedeutsamen Einzelpersonen wird die Spielwelt von unterschiedlichen Fraktionen wie beispielsweise der gefährlichen Stillwaters-Bande oder den mysteriösen Träumerinnen und ihrer fremdartigen Magie geprägt.

Nicht ungefährlich: Eine Begegnung mit den Träumerinnen.

Handlung

Die Geschichte beginnt mit einem geheimnisvollen Raum, in welchem neben fünf Portraits einige verhüllte Gestalten zu sehen sind. Nur wenige Worte werden gesprochen, dann geht es ins Abenteuer: Spieler*innen schlüpfen in die Rolle der Kopfgeldjägerin Jane Bell. Diese hatte das gefährliche Leben hinter sich gelesen und ihre Waffe begraben. Nun jedoch wurden ihr Sohn ermordet und ihr Mann entführt. Ihre Mission ist Rachefeldzug und Rettungsaktion in einem.

Jane kann, wie auch die übrigen Protagonist*innen, Kopfgeldaufträge und Nebenquests annehmen, um Geld zu verdienen. So kann sie sich beispielsweise Waffen und ein Pferd leisten. Auch ist es ihr möglich, bis zu zwei Begleiter*innen zu rekrutieren. Neben blassen Nebencharakteren lassen sich Personen einsammeln, die für die Handlung relevant sind. Darüber hinaus können sowohl bewohnte als auch verlassene Städte und Farmen erkundet und mit Karten gespielt werden. Wird die Weltkarte erst von Schwärze dominiert, kann sie nach und nach aufgedeckt werden. Es gilt, neue Freund*innen und Feind*innen zu gewinnen, Diebespack zu bekämpfen und mithilfe wichtiger Entscheidungen das Schicksal des Westens zu verändern.

Wer bin ich und was passiert hier? Die Anfangssequenz von Weird West wirft Fragen auf.
Halb Mensch, halb Schwein – eine ungewöhnliche Erscheinung.

Wenn Janes Geschichte endet, hat Weird West gerade einmal Fahrt aufgenommen. Nun, da alle Grundlagen was Kampf und Erkundung angeht, bekannt sind, können sich Spieler*innen ins zweite Kapitel des Abenteuers stürzen. Erneut gibt es den mysteriösen Raum zu sehen, der bereits am Anfang des Spiels in Erscheinung trat, und spätestens jetzt wird klar, dass Janes Reise nicht für sich steht, sondern eng mit dem Schicksal vier weiterer Personen verknüpft ist.

Jetzt ist die Geschichte des Schweinemenschen Cl’erns Qui’g an der Reihe. Ein jähes Erwachen, ein veränderter Körper und ein selbstmörderischer Baum? Die Ereignisse überschlagen sich und der zweite Weird West-Protagonist muss sich, geächtet und gefürchtet, auf die Reise machen. Anders als Jane kann er sich nicht überall sehen lassen, denn nicht wenige fürchten den Schweinemenschen. Doch es hat auch Vorteile, eine Bestie zu sein: Cl’erns Qui’g kann zum Regenerieren von Lebenspunkten Kadaver verzehren.

Die Handlung bleibt streckenweise oberflächlich, erzeugt jedoch keinesfalls Langeweile. Zu jeder Zeit des Spieltests bestand aufgrund des einzigartigen Settings und der rasanten Kämpfe Motivation zum Weiterspielen.

Protagonist*innen

Neben der Kopfgeldjägerin Jane Bell und dem verfluchten Schweinemann gibt es noch drei weitere Protagonist*innen in Weird West. Nach und nach treten diese in Erscheinung und Durchleben eine persönliche Geschichte, die Teil einer größeren Erzählung ist. Alle fünf Geschichten zusammen ergeben die Handlung von Weird West. Jeder Charakter weist einen individuellen Hintergrund auf, der einen frischen Blickwinkel auf die spielweltverändernden Geschehnisse gestattet.

Während jeder Charakter über vier einzigartige Talente verfügt, haben alle Protagonist*innen Zugriff auf die gleichen Waffen-Talentbäume. Diese Talente müssen in jedem Abschnitt erneut freigeschaltet werden, sodass jeder Charakter andere Lieblingswaffen für sich entdecken kann und Spielende zum Ausprobieren eingeladen werden. Für die Freischalten müssen sogenannte Nimp-Relikte gefunden und entsprechend investiert werden.

Anders sieht dies bei den Extras aus. Zwar muss auch hier eine Art Währung – nämlich goldene Pik-Asse – eingesammelt werden, allerdings bleiben einmal freigeschaltete Extras für alle nachfolgenden Charaktere nutzbar. Ein Levelsystem, das auf Erfahrungspunkten oder etwas Ähnlichem basiert, existiert nicht.

Ganz schön dynamisch: Eine Welt im steten Wandel

Weird West bringt neben einem spannenden Setting auch hinsichtlich des Gameplays einige interessante Aspekte mit. Zusammen mit den technischen Grundlagen ermöglichen diese eine dynamische wie auch angenehme Spielerfahrung.

Es geht immer weiter oder Handlungen und Konsequenzen

Weird West zählt zu den sogenannten immersiven Simulationen. Die Spielwelt und ihre Bewohner*innen reagieren auf die Handlungen und Entscheidungen der Spielfiguren und entwickeln sich entsprechend weiter. Spieler*innen werden mit den daraus resultierenden Konsequenzen konfrontiert. Beispielsweise kann das Erschießen einer Person dafür sorgen, dass jemand Rache schwört und zu einem späteren Spielzeitpunkt für Probleme sorgt. Andersherum können durch das Befreien einer eingesperrten Person Freundschaften geschlossen werden. Wird es einmal eng im Kampf, stößt so ab und zu Verstärkung hinzu und rettet den Tag.

Ein anderes Beispiel für Handlungen und ihre Konsequenzen sind die Schicksale von Siedlungen. Wer zum Beispiel ganze Siedlungen ausrottet, muss sich auf Geisterstädte einstellen, die möglicherweise Bandit*innen anlocken. Aufmerksamen Beobachter*innen dürfte nicht entgehen, dass Leichen nicht auf der Straße liegen bleiben. Beim nächsten Stadtbesuch findet man diese in Gräbern auf dem örtlichen Friedhof wieder. Hat man versäumt, ihnen das Hab und Gut aus den Taschen zu ziehen, lassen sie sich praktischerweise wieder ausgraben. Die Spielwelt macht einen lebendigen Eindruck und wird durch die Handlungen der Spielfiguren geformt. Ein mehrmaliges Durchspielen ist dadurch besonders attraktiv.

Kampf und Crafting

Schleichen oder Schießen – in den meisten Situationen können sich Spielende zwischen diesen beiden Optionen entscheiden. Das Kämpfen in Weird West beschränkt sich keinesfalls auf das bloße Austauschen von Munition in Echtzeit, sondern bringt taktische Komponenten und Abwechslung mit sich. So gibt es eine Vielzahl von Umgebungseffekten wie beispielsweise Feuer oder Nässe, die innerhalb des Kampfgeschehens zum eigenen Vorteil genutzt werden können. Durch die Auswahl von Waffen, Talenten und Extras bleibt das Kämpfen abwechslungsreich und unterhaltsam.

Auch wenn die Kämpfe spannungsgeladen sind, können sie aufgrund der künstlichen Intelligenz (KI) der Figuren frustrieren. Mit Ausnahme des gesteuerten Charakters verzichten Kampfteilnehmer*innen freiwillig darauf, in Deckung zu gehen oder laufen durch lodernde Flammen hindurch und nehmen Schaden.

Schleichend und leise schießend: So werden nicht alle Gegner*innen auf einmal aufgescheucht.

Neben den kämpferischen Aspekten gibt es in den Weiten der Prärie, aber auch beim örtlichen Waffenschmied, einiges zu tun. Zufallsbegegnungen – netter und weniger netter Art – gehören ebenso zum Tagesgeschäft wie das Aufwerten der eigenen Ausrüstung. Dabei können sowohl Schießeisen als auch schützende Kleidung mithilfe eines einfachen Crafting-Systems verbessert werden. Wer sich das Geld für eine Übernachtung im Saloon sparen möchte, kann das Lager unter dem Sternenhimmel aufschlagen und auf die Jagd gehen. Ungeduldigen Reisenden kann der Erwerb eines Pferds nahegelegt werden. So gelangt man rasch zum Wunschziel und kann überdies jede Menge Beute in den Satteltaschen lagern. Angesichts des geringen Inventarplatzes ist das mehr als hilfreich.

Das begrenzte Inventar macht ein häufiges Aufräumen und Verkaufen von Gegenständen nötig.

Die technischen Details

Weird West kann sowohl mit Tastatur und Maus als auch mit Controller gespielt werden. Für diesen Spieltest wurde ersteres gewählt. Die Steuerung ist rasch erklärt und dank des bebilderten Tutorials ist ein leichter Einstieg ins Spielgeschehen gegeben. Spieler*innen können aus unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden ein für sie angenehmes Herausforderungslevel auswählen.

Die musikalische Untermalung sowie die rauchige Erzählerstimme in englischer Sprachausgabe sind der Atmosphäre zuträglich. Die Grafik verliert sich nicht in Details, erfüllt aber ihren Zweck und wird durch schöne Charakterillustrationen, die beispielsweise beim Abschließen eines Abschnitts oder beim Aufrufen des Menüs bewundert werden können, aufgewertet.

Während des Spieltests traten kleinere Bugs auf. Zum Beispiel blieb Protagonistin Jane in einem Fass voller Giftstoffe stecken, was ärgerlich war. Als das Fass dann jedoch auch noch vom Boden abhob, konnte die Spieltesterin nur noch lachen. Da neben manueller Speicherung seitens des Spiels automatische Speicherstände erzeugt werden, war dies verzeihlich. Es ging kaum Fortschritt verloren. Zu Abstürzen kam es im Rahmen des Spieltests nicht.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: WolfEye Studios
  • Publisher: Devolver Digital
  • Plattform: PC (Steam, Epic Store, GOG), PlayStation 4, Xbox One, Xbox Game Pass
  • Sprache:
    • Sprachausgabe: Englisch
    • Text: Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Japanisch, Russisch, Chinesisch, Koreanisch, Portugiesisch
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Windows 10
    • Prozessor: Intel Core i5-2380 oder AMD FX-6100 oder Vergleichbares
    • Arbeitsspeicher: 6 GB RAM
    • Grafik: GeForce GTX 650 Ti (1024 MB) oder Radeon HD 7770 (1024 MB) oder Vergleichbares
    • Speicherplatz: 16 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: RPG, Action, Western
  • Releasedatum: 31.03.2022
  • Spielstunden: 25 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: USK 16, ESRB 17+
  • Preis: 39,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Ganz schön gut: Ein Fazit

Fünf Charaktere, die unterschiedlicher kaum sein könnten, erleben im weirden Westen ein Abenteuer der besonderen Art. Es gilt, schleichend oder schießend, den regulären, aber auch übernatürlichen Gefahren der Prärie zu trotzen. Hierfür steht eine Reihe von Waffen und Talenten sowie Crafting-Optionen zur Verfügung. Die Schwierigkeit kann entsprechend der individuellen Bedürfnisse der Spielenden angepasst werden.

Ein Schweinemensch, der in Reimen spricht? Nicht die seltsamste Entdeckung in Weird West.

Das Setting ist erfrischend und interessant. Trotz teils oberflächlicher Handlungsverläufe und Schwächen wie einer fragwürdigen KI macht das Spielen Spaß. Diese Unterhaltsamkeit zog sich durch den gesamten Spieltest, der insgesamt 25 Stunden beinhaltete. Aufgrund der dynamischen Natur von Weird West, die Spieler*innen mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert, ist ein hoher Wiederspielwert gegeben. Damit überzeugt das Spiel auf (fast) ganzer Linie und hat sich definitiv einen Platz auf der Festplatte verdient.

 

  • Interessantes, erfrischendes Setting
  • Dynamische Spielwelt
 

  • Fragwürdige KI der Figuren
  • Kleinere Bugs

 

Artikelbilder: © WolfEye Studios, Devolver Digital
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Nina Horbelt
Screenshots: Yola Tödt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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