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Mit Dur-an-ki zeigt Panini Comics eine andere Seite von Kentaro Miura, dem Schöpfer des legendären Mangas Berserk. In Dur-an-ki wächst Usumgallu im antiken Mesopotamien zwischen den Welten der Götter und der Menschen auf. Hat der verstorbene Miura damit an die Qualität von Berserk anknüpfen können?

Mit der düsteren Fantasy-Reihe Berserk erlangte Kentaro Miura Berühmtheit. Jene finstere Geschichte handelt von Guts, einem Söldner, der in einer dem Europa des 16. Jahrhunderts nachempfundenen Fantasywelt Dämonen jagt. Die dämonische Korruption lauert überall, und oft wird der um seine Menschlichkeit ringende Guts selbst für das Böse in Person gehalten. Berserk gilt als Meilenstein der Fantasy-Mangas und inspirierte zum Beispiel den Mangaka von Attack on Titan ebenso wie das Videospiel Elden Ring.

Warum diese Einleitung zu einem anderen Manga? Nun, Miura hat von 1989 bis zu seinem Tod 2021 einundvierzig Bände Berserk geschrieben und gezeichnet. Sein Name ist mit diesem Manga also praktisch synonym. In dieser Zeit produzierte er nur zwei andere Mangas: 2013 Gigantomachia und 2019/20 Dur-an-ki. Doch wer bei Dur-an-ki wieder eine düstere, brutale Geschichte wie Berserk erwartete, lag völlig falsch.

Miura erklärte in einem Interview, dass ihm durch Filme wie Die Eiskönigin: Völlig Unverfroren oder Mad Max: Fury Road ein Trend zu starken Frauenfiguren aufgefallen sei. Er wolle mit Dur-an-ki versuchen, dem vielleicht nächsten Trend vorzugreifen, und eine starke, androgyne Figur zum*r Protagonist*in zu machen. Er erwähnte auch, dass er einen bestehenden Trend in Mangas aufgreifen würde. Damit bezieht er sich darauf, dass Osamu Tezuka, der „Gott des Manga“, in Metropolis den künstlichen Menschen Michi schon 1949 mit der Fähigkeit schrieb, zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht zu wechseln. Außerdem schrieb Tezuka Ribbon no Kishi (etwa „Der Ritter der Schleife“), in dem eine Prinzessin sich als Ritter verkleidet. Diese Spannung zwischen männlichen und weiblichen Geschlechterrollen blieb über die Jahrzehnte ein Thema, etwa in dem 70er-Jahre-Anime Die Rosen von Versailles über eine als Junge erzogene Soldatin zur Zeit der französischen Revolution, oder dem 90er-Jahre-Klassiker Utena Revolutionary Girl über eine Schülerin, die beschließt, selbst ein Märchenprinz zu werden.

Usumgallu, die Hauptfigur von Dur-an-ki, ist intersexuell, wird in der Geschichte aber durchgehend als Junge behandelt. Entsprechend dem Manga-Text werden in dieser Rezension deshalb maskuline Pronomen für Usumgallu verwendet.

​Handlung

Dur-an-ki erzählt die Geschichte des jungen Usumgallu. Dieser wird von einer Gruppe Gottheiten als letzter „Göttersamen“ geschaffen. Andere Gottheiten scheinen jedoch etwas gegen diesen Zeugungsakt zu haben, und Usumgallu wird zu einem sterblichen Ehepaar gebracht, um unbemerkt bei ihnen aufzuwachsen.

Die Götter erschaffen
Die Götter erschaffen

Bei diesem Ehepaar handelt es sich um Utnapischtim und seine anscheinend namenlose Frau, die am Berg Nisir in den Überresten ihrer Arche wohnen. Damit wird der Handlungsrahmen vorgestellt: In der sumerischen Mythologie war Utnapischtim ein Noah-ähnliche Figur, die in göttlichem Auftrag eine Arche baute, um Menschen und Tiere vor einer großen Flut zu retten. Dur-an-ki spielt also im bronzezeitlichen Mesopotamien, einer vor-antiken Welt, in der die Mythen wahr sind und Gottheiten, Geister und Dämonen existieren. Duranki oder Ekur war bei den Sumerern der Name für das Haus, in dem die Götter wohnten.

Die Arche - Ein Werk der Götter
Die Arche – Ein Werk der Götter

Usumgallu hat eine besondere Rolle inne: Er steht zwischen allen Welten. Weder Mensch noch Gott, Teil der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, weder weiblich noch männlich, aber mit der Intelligenz von gleich zwei Weisheits-Gottheiten gesegnet. Das ist für Usumgallu sowohl von Vor-, als auch von Nachteil. Einerseits ist er ein Gesandter der Götter, der zwischen Mensch und Göttern vermitteln kann und seine göttliche Gabe zur Erfindungen von Technologien nutzt, um das Leben zu vereinfachen. Andererseits besteht immer die Gefahr, dass er von den Menschen nicht akzeptiert wird. Sei es aufgrund seiner übernatürlichen Natur, die zwischen Usumgallu und den sterblichen Menschen steht, oder wegen seines Körpers, der nicht den zweigeschlechtlichen Vorstellungen der Völker in seiner Umgebung entspricht. Hinzu kommt, dass Usumgallu mit seinen Adoptiveltern auf dem heiligen Berg Nisir wohnt, dessen Betreten von den Göttern verboten wurde. Nur Utnapishtim und seiner Frau ist es als Wächtern erlaubt, dort zu wohnen. Für Usumgallu bedeutet dies jedoch eine weitere Grenze, die ihn von der alltäglichen Welt der Menschen trennt.

Den Menschen fällt es schwer Leute zu akzeptieren, die anders sind als sie selbst
Den Menschen fällt es schwer Leute zu akzeptieren, die anders sind als sie selbst

Deswegen wächst Usumgallu allein bei „Großvater“ Utnapishtim und „Großmutter“ auf, mit dem kindlichen Hirtengott Pan als einzigem Freund. Eines Tages trifft Usumgallu jedoch im Wald auf eine Gruppe Kinder aus einem nahen Dorf und wird in die Welt der Menschen verwickelt …

Dur-an-ki ist eine fröhliche Entwicklungsgeschichte über die Jugend Usumgallus und darüber, wie er die Menschen kennenlernt und seinen Platz in der Welt findet. Es ist ein Shônen-Manga, ganz anders als die Seinen-Reihe Berserk. Es werden durchaus spannende und bedrohliche Situationen behandelt, etwa bei Begegnungen mit wilden Tieren im Wald, es bleibt aber insgesamt bei eher leichtherzigen Abenteuern. Die Bedrohung durch die anderen Gottheiten und die Reaktion der Menschen auf Usumgallu schweben zwar latent bedrohlich im Hintergrund, kommen jedoch nicht zum Tragen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der Manga nach sechs Kapiteln abgebrochen wurde. Es endet leider mitten in der Handlung, und aufgrund von Miuras Tod wird die Geschichte wohl unbeendet bleiben.

Geschlagene des Krieges
Geschlagene des Krieges

Die sechs Kapitel, die veröffentlicht wurden, erzählen jedenfalls eine unterhaltsame Geschichte, die in den Charakterisierungen noch etwas flach bleibt, aber die Saat einiger interessanter Ansätze enthält.

Der Manga Dur-an-ki stellt aber nur den halben Inhalt des Bandes. Die andere Hälfte ist das Exposé zu Dur-an-kis Prototyp Amazonen. In diesem ging es darum, dass ein Teenager aus dem modernen Tokio in der Zeit des Trojanischen Krieges landet. Aufgrund seines femininen Aussehens wird er von der Armee der Amazonen aufgenommen und hilft ihnen mit seinem modernen Wissen um Taktik und Wissenschaft im Kampf gegen die Hellenen. Auch hier gab es schon das Element des versteckten Geschlechts: Die Amazonen töten nämlich alle Männer, die ihre Stadt betreten, der Protagonist muss also ständig darauf achten, sich als Frau auszugeben. Nichtsdestotrotz fühlt er sich unter den Amazonen wohler als unter den brutal und barbarisch erscheinenden Griech*innen.

Die ersten sechs Kapitel des Exposés sind als Skript mit Dialog ausgeschrieben, die darauffolgenden Teile grob zusammengefasst. Letztendlich entschied sich Miura gegen diesen ersten Entwurf, da es zu jener Zeit eine Flut an sogenannten Isekai-Mangas gab, in denen moderne Personen in historische oder fantastische Welten versetzt werden. Um nicht im übersättigten Markt unterzugehen, arbeitete er Amazonen also zu Dur-an-ki um. Das Exposé wirkt jedoch nicht uninteressant. Den ersten Teil kann man wie ein Theaterstück oder Drehbuch lesen. Es wirkt zwar etwas klischeebeladen, aber durchaus unterhaltsam. Die späteren Teile klingen sogar sehr interessant. Dort sollten berühmte Sagengestalten wie Odysseus, Achilles oder Herkules auftauchen, während die Amazonen sich mit modernen Waffen wie Kanonen und steampunk-artigen Dampfpanzern wehren.

Trotz der enthaltenen, hübschen Entwurfszeichnungen handelt es sich hierbei aber doch nur um ein Exposé-Skript. Dieses mag für Miura-Fans interessant sein, der Mehrwert für Leser*innen, die ohne Vorwissen zu Dur-an-ki greifen, dürfte sich aber in Grenzen halten.

​Charaktere

Die Hauptfigur ist ganz klar Usumgallu. Dur-an-ki beginnt mit seiner Geburt als halbgöttliches Wesen zwischen den Welten und folgt ihm bis in seine Jugend, in der er die Welt jenseits seines Zuhauses entdeckt. In der Mythologie ist Usumgallu ein Drache, hier jedoch ist er ein Kind, dessen Name „Drache“ bedeutet. Als Kind der Götter ist Usumgallu mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet, und ihm ist vorbestimmt, das Schicksal der Welt zu beeinflussen. Zu diesen Fähigkeiten gehört, dass er die unsichtbare Welt der Geister und Götter sehen kann, die den Menschen verborgen bleibt.

Die Nymphen
Die Nymphen

Ansonsten ist er ein lebenslustiges, fröhliches Kind, das gerne herumtollt und mit seinem Freund Pan spielt. Er ist aber auch sehr einfühlsam und hilft gerne anderen, ob seinen Adoptiv-„Großeltern“ bei der täglichen Arbeit oder Fremden, die von wilden Tieren bedroht werden. Usumgallu ist eher zierlich und nicht besonders stark, daher benutzt er seine Gabe der göttlichen Weisheit, um hilfreiche Gerätschaften zu erfinden. Dazu gehören unter anderem Steigbügel, um sicherer reiten zu können, ein Wasserrad und Rohre, um den Weg zum Brunnen zu sparen, oder Armbrüste, die effektiver als Bögen sind.

Das Kind ist so einfallsreich
Das Kind ist so einfallsreich

Ein wenig erinnert Usumgallu damit an einen antiken Wickie, der ebenfalls Probleme mit anachronistischer Wissenschaft löste und mit seinen langen Haaren und rosa Rock für einige Verwirrung ob seines Geschlechts sorgte. Damit kommen wir zu Usumgallus vielleicht wichtigster Eigenschaft, seiner Androgynie bzw. seinem Hermaphroditismus, wie es im Manga genannt wird. Usumgallu besitzt sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane und fällt somit aus dem Weltbild seiner Mitmenschen heraus. Bei seinen Großeltern und Pan spielt dies keine große Rolle, außer dass Pan sich kindlich-naiv wundert, so etwas noch bei keinem anderen Tier gesehen zu haben. Usumgallu ist sich selbst seiner Identität noch unsicher und kann nicht sagen, was er ist. In der Geschichte wird er für einen Jungen gehalten und passt sich dem erstmal an, bezeichnet sich als Sohn Utnapishtims. Es gibt jedoch schon Hinweise, dass für den weiteren Verlauf der Reihe geplant war, dass seine Geschlechtsidentität sich noch ändern und die Liebe in verschiedenen Konfigurationen sowie Usumgallus Suche nach seiner selbstbestimmten Identität große Themen sein würden.

Der Gott des Wasserfalls
Der Gott des Wasserfalls

Die restlichen Figuren bleiben noch relativ blass. Pan ist ein lustiger, frecher kleiner Spitzbube, Utnapishtim und seine namenlose Frau sind wohlmeinende, sich sorgende Eltern. Die Kinder, denen Usumgallu im Wald begegnet, sind ebenfalls Klischeefiguren. Der ernste Anführer Kirtas, der schüchterne Tiyesulhi, der angeberische Sukritesb oder der dicke Tehiptira wirken zwar auf den ersten Blick sympathisch, erhalten jedoch nicht genug Raum, um wirklichen Charakter zu entwickeln.

​Zeichenstil

Der Zeichenstil ist typisch Kentaro Miura. Natürlich ist Dur-an-ki deutlich weniger düster als Berserk gezeichnet, aber Miuras Zeichnungen sind wie immer hervorragend. Landschaften, Felder, Wiesen und Wälder werden überzeugend dargestellt und erzeugen eine fröhliche, natürliche Atmosphäre. Actionszenen werden gewohnt spannend inszeniert und dynamisch energiegeladen gezeichnet, und Menschen überzeugen mit historisch recherchiertem Aussehen und äußerst detaillierten Entwürfen.

Auffällig sind die häufigen, sehr süßen Darstellungen von Pan als lustigem Frechdachs sowie die Nahaufnahmen von Usumgallus Gesicht. Letzteres entspricht sehr der japanischen Kawaii-Optik, mit großen runden Augen und Wimpern, kleiner Nase, kleinem Mund und rosigen Pausbäckchen.

Manga-typisch ist Dur-an-ki natürlich nicht koloriert und bleibt schwarz-weiß.

​Erscheinungsbild

An der Verarbeitung des Bandes ist nichts auszusetzen. Das Papier ist stark, der Druck detailgenau. Der Umschlag besteht aus dünner, beschichteter Pappe. Das Umschlagbild zeigt Usumgallu und Pan, die vor weißem Hintergrund auf einem Drachen oder einer gehörnten Schlange sitzen. Vielleicht eine Anspielung auf den Usumgallu der Sage? Auf der Rückseite schweben beide vor einem Regenbogen vorbei. Ein insgesamt niedliches Motiv, das zur Stimmung der Geschichte passt.

Dir-An-Ki

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini Comics
  • Autor*in(nen): Kentaro Miura
  • Zeichner*in(nen): Kentaro Miura
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 260
  • Preis: 19 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Panini Comics

 

​Bonus/Downloadcontent

Zwischen den Kapiteln finden sich Konzeptzeichnungen von Miura zu Figuren und Gegenständen. Außerdem ist eine farbige, ausklappbare Doppelseite mit zwei Pin-Ups von Usumgallu und Pan enthalten.

​Fazit

Dur-an-ki war für Kentaro Miura etwas ganz anderes. Statt der brutalen Macho-Grimdark-Action von Berserk erzählt es die Geschichte des jungen Usumgallu, der im antiken Mesopotamien seinen Platz zwischen Göttern und Sterblichen, Mensch und Natur, Mann und Frau sucht.

Wäre Dur-an-ki der erste Band einer fortlaufenden Reihe, könnte man getrost eine direkte Empfehlung aussprechen. Die Zeichnungen sind bereits hervorragend, während die Handlung und Figuren noch etwas flach sind. Es sind aber genügend Ansätze für Entwicklungen enthalten, die eine spannende Reihe versprechen würden. Das große Problem ist aber, dass Miura gestorben ist und Dur-an-ki wohl nicht mehr fortgesetzt werden wird. Um Berserk abzuschließen, hat sich ein Freund und Schüler Miuras gefunden. Dur-an-ki wird für so eine Rettungsaktion aber zu unwichtig sein.

Was bleibt also? Fans von Kentaro Miura kann Dur-an-ki bedenkenlos ans Herz gelegt werden. Schließlich handelt es sich um eine unterhaltsame kleine Geschichte von einem fähigen Autor, und besonders für diese Fans dürfte auch das Amazonen-Exposé interessant sein. Für Leute, die Berserk lieben, Miura aber egal ist, wird Dur-an-ki nichts sein. Dafür ist es einfach zu anders. Durchschnittlichen Leser*innen ist Dur-an-ki also leider nur sehr begrenzt zu empfehlen. Wer damit klarkommt, den Start einer Serie zu bekommen, die nie beendet werden wird, findet hier immerhin einen soliden Anfang.

  • Interessanter Anfang
  • Hervorragende Miura-Zeichnungen
  • Ungewöhnliches antikes Setting
 

  • Beginnt langsam
  • Reihe abgebrochen

Artikelbilder: © Panini Comics
Layout und Satz: Kai Frederic Engelmann
Lektorat: Simon Burandt
Fotografien: Paul Menkel
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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