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In meinem vorherigen Artikel bin ich auf  den ultimativen Häuptling als Rolle eingegangen, respektive der Bitte an seine Indianer, ihn zu unterstützen und Vorschuss zu gewähren, damit er überhaupt eine Chance bekäme, seine Rolle auszufüllen. Zu Recht kam daher von vielen Seiten die Kritik auf, der Artikel wäre zu einseitig gewesen und konzentriere sich nur auf die Rechte eines Häuptlings, nicht aber auf die Pflichten. Dem muss ich zustimmen, hätte eine umfassende Beleuchtung des Häuptling-Indianer-Prinzips jedoch dem Punkt geschadet, den ich versuchen wollte klarzustellen.

Dennoch wollte ich nun den Ansprüchen unserer Leser, als auch meinen eigenen, gerecht werden und werde daher nun versuchen, das Thema etwas allgemeiner, dafür aber umfassender zu beleuchten.

Von den Gründen, einen Häuptling zu spielen

Lasst uns einmal zum Einstieg erneut die Prämissen betrachten, auf deren Basis diese Betrachtung fußt. Es gibt im LARP zumeist eine natürliche Diskrepanz zwischen dargestellter Rolle und dem Darsteller selbst. Dies liegt vor allem daran, dass wir meist etwas anderes erfahren wollen als das, was wir im Alltag bereits erleben. Also suchen wir uns Rollen, welche uns – hoffentlich zumindest – die gewünschten Erfahrungen ermöglichen. Gerade daher kommt wahrscheinlich auch die Fülle an Rollen in Führungspositionen im LARP. Führungsposition, das ist in der Regel Macht über andere, aber auch Belohnung. Im realen Leben muss man sich das Vertrauen, dass einem andere zur Führung anvertraut werden, erst einmal verdienen.

Man trägt Verantwortung, ist nicht einer unter vielen, sondern sticht heraus. Aber tut man das wirklich? Wenn es wieder so viel mehr Führungspersonen als in der Realität gibt, ist man dann nicht sogar schon wieder doch nur einer unter vielen? Führt sich damit dieser Grund, eine Führungsposition zu spielen, ad absurdum? Im LARP allerdings ist das einfacher. Man ist ja „nur“ IT eine Führungsperson, OT ist man den anderen gleichgestellt. Hier ist also das Prestige, das man sucht, sehr viel einfacher zu erreichen, ohne den hohen Aufwand, den man in der Realität hierfür betreiben muss.

Ein Trugschluss.

Von der Schwierigkeit, einen Häuptling zu spielen

Was man nicht vergessen darf: LARP ist kein Buch. LARP ist keine Geschichte, die man selbst schreibt. LARP ist vielmehr eine Summe aus vielen Geschichten, die alle Teilnehmer zusammen schreiben. Zu sehr großen Teilen besteht die eigene Geschichte daraus, wie andere Charaktere auf den eigenen Charakter reagieren. Diese Reaktion kann man ihnen allerdings nicht, anders als den Charakteren in einem Buch, vorschreiben. Natürlich gibt es auf Cons mit Punkteregelwerken Fähigkeiten, bei denen man „verlangen“ kann, dass auf sie adäquat reagiert wird. Aber das ist nicht das, was ich hier meine. Vielmehr geht es um die Reaktionen auf den Charakter an sich, auf sein Spiel, abseits von jeden Regelwerksfertigkeiten.

Einen König, der saufend in der Taverne sitzt, wird man in den seltensten Fällen als König ernst nehmen, auch wenn der Charakter den Titel trägt. Es geht um rollengerechtes Verhalten, das dazu führt, die gewünschten Reaktionen auf die eigene Rolle zu erhalten. Das heißt auch, dass man sich in einer Führungsposition entsprechend verhalten sollte. Man muss führen können, Ausstrahlung besitzen und seine Leute fair (wie auch immer das im Kontext genau aussehen mag) behandeln. Das ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, ist es doch der Kern der Rolle, über den man Bescheid wissen muss. Ein Heiler-Spieler benötigt für eine gute Darstellung fundiertes Wissen über die Grundlagen der Anatomie und Medizin; ein Magier benötigt eine Magietheorie und in Klischeefällen die berühmte mystische Aura. Ebenso benötigt ein Hauptmann oder König, ein Anführer, nun einmal Führungskompetenz. Wenn man diese nicht OT besitzt, wird man sie schwerlich IT darstellen können. Ein Leitsatz, den ich einmal am Anfang meiner LARP-Laufbahn hörte, bietet sich hier an:

„Du kannst immer etwas spielen, was schlechter ist als du selbst. Schwer wird es aber, wenn du etwas spielen willst, das besser ist als du.“

Und es stimmt: Wenn man keine Führungskompetenz besitzt, kann man auch keinen Charakter verkörpern, der Führungskompetenz besitzt. Wohl kann man sie sich dank Bleed per LARP aneignen und erlernen, aber damit erlernt das OT-Ich dieses Fähigkeiten. Das hilft, dies im LARP zu verkörpern.

Von der Hilfe, die Indianer bieten

Wie bereits oben einmal angedeutet, ist Niemandem gedient, wenn alle Häuptlinge spielen wollen. Dann ist nämlich wieder niemand etwas Besonderes, Herausstechendes, sondern einer unter vielen. Außerdem ist der Begriff „Führungsperson“ schwachsinnig, wenn niemand da ist, der sich führen lässt. Eben habe ich beschrieben, welche Fähigkeiten und Überlegungen daher ein Häuptling haben sollte, um überhaupt ernst genommen zu werden. Doch das alles nützt nichts, wenn er keine Leute hat, die ihm folgen. Ein Häuptling braucht Indianer. In nicht wenigen Regelwerken ist sogar festgeschrieben, dass man, um einen adeligen Charakter darstellen zu dürfen, eine Mindestanzahl an Gefolge mitbringen muss. Hintergrund ist hier die Glaubwürdigkeit des Konzeptes. Ein Häuptling ist nichts ohne seine ausführenden Organe. Er ist zumeist der Kopf, der die Befehle gibt. Aber in den seltensten Fällen wird er derjenige sein, der die Hauptarbeit erledigt.

Genau dafür sind die Indianer dann da. Sie vervollständigen das Bild und machen die Gruppe fähig, effektiv zu handeln. Von außen betrachtet ist es einfach sinniger, einen Hauptmann mitsamt seiner Truppe zu sehen, anstatt allein in einer Ecke. Es vervollständigt das Bild. So, wie Zwerge (relativ) klein und stämmig sein sollten, und die meisten Krieger nicht von halben Hemden gespielt werden sollten. Es macht es einfacher für uns, wenn die Welt, wie sie sich uns präsentiert, zu den Vorstellungen in unserem Kopf passt. Dann ist es leichter, die „suspension of disbelieve“ zu nutzen und in die generierte Welt einzutauchen. So sind also Indianer ein integraler Bestandteil des Bildes, das ein Anführer für seine Mitspieler zu zeichnen beginnt. Zusammen bilden sie eine Einheit und ein Gesamtbild, das für Außenstehende (und im Idealfall auch für sie selbst) rund sein sollte.

Den Indianern kommt hierbei ein besonderes Maß an Gewicht zu. Denn durch ihre Reaktion auf ihren Häuptling bestimmen sie maßgeblich mit, wie andere Spieler auf diesen reagieren werden. Wenn sie sein Spiel unterstützen und die Rolle, welche er darstellt, ebenso mitspielen, wirkt das Ganze sehr viel mehr, als er es alleine je könnte. Hierzu reichen auch oftmals Kleinigkeiten. Seien es Geschichten und Anekdoten, die von den grausamen Bestrafungen des harten Hauptmannes berichten, geflüstert hinter vorgehaltener Hand von einem seiner Mannen in der Taverne, oder Frauen, die Geschichten über die Machenschaften eines Weiberheldes ausplaudern. Solche Dinge zeichnen sehr viel stärkere Bilder in die Köpfe der Mitspieler, als es reines Charakterspiel je könnte. Es verstärkt die Immersion und hilft, aus den Abziehbildern echte und tiefe Charaktere zu entwickeln.

Von dem Zusammenspiel, zwischen Häuptlingen und Indianern

Und das ist der Grund, warum ein Häuptling Indianer benötigt: weil nur sie es schaffen, der Rolle den nötigen Realitätsgrad zu verleihen den er für sein Spielerlebnis benötigt. Doch heißt das damit auch, dass die Indianer Macht über ihren Häuptling haben. Sie haben jede Macht, das Bild des Häuptlings in der Rezeption der anderen Mitspieler zu verändern. Eine nicht zu unterschätzende Macht, wenn man bedenkt, dass LARP hauptsächlich von Reaktionen der Mitspieler auf einen selbst abhängt.

Dieser Macht, die die Indianer über ihn haben, sollte sich der Häuptling bewusst sein und daher alles Vertretbare tun, um seine Indianer bei Laune zu halten. Auf der anderen Seite hat er natürlich auch Macht über die Indianer, ist seine Rolle doch ein ebenso integraler Bestandteil der Gruppe wie sie, nur gegenpolig gelagert. Kein Teil kann ohne den anderen ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Eine disziplinierte Militärgruppe ist nichts ohne Offiziere, ein Offizier aber auch nichts ohne Untergebene und, ihm loyale, Soldaten. So bilden sie eine Symbiose, eine gemeinsame Einheit, die nur zusammen funktionieren kann und immer und immer wieder ihr Zusammenspiel neu bewerten und ausgleichen muss.

Der Häuptling sollte sich hierbei bemühen, seine Rolle als Anführer möglichst gut auszufüllen, damit er den Respekt seiner Indianer auch verdient. Er muss schauen, dass er das OT-Gleichgewicht beibehält und sie auf Augenhöhe betrachtet, sich seine Rolle nicht zu Kopf steigen lässt. Er muss auch dafür Sorge tragen, dass er für seine Indianer genügend Spielanreize bietet und sie bei Laune hält.

Die Indianer ihrerseits sollten den Häuptling in seinem Spiel unterstützten, denn wenn sie ihn unterstützen, tut er dasselbe für sie und das Gesamtbild der Gruppe festigt und vertieft sich. Oftmals ist es nicht leicht, in Vorleistung zu gehen, was Unterstützung und Vertrauen angeht, doch ist es am Ende auch für den eigenen Spielspaß wichtig. Natürlich sollen Indianer ihrem Häuptling nicht blind und nur einseitig vertrauen. Aber es ist manchmal auch besser, sich im Spiel unterzuordnen, um so dem Gesamtbild Genüge zu tun.

Arti­kel­bil­der: Nabil Han­ano, Dra­chen­fest 2013, Diemelstedt

 

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