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Heutzutage muss man schon froh sein, wenn ein Werwolf sein T-Shirt anbehält. Die wandelnden Bestien werden bei vielen Autoren zu pelzigem Romantikmaterial für einsame Teenager. Nathaniel „Nate“ Palmer, aus der Mondwandler-Romanreihe von Ulli Schwan, ist da eine Ausnahme. Er ist ein Außenseiter und zugleich der hartgesottene Beschützer der Werwolf-Sippe der Kartheiser. Diese leben verborgen im heutigen Deutschland, mitten im Ruhrgebiet. Wie ein echter Wolf bewacht Nathaniel sein „Rudel“ mit allen Mitteln und ist auch in menschlicher Gestalt ein beinharter Profi – irgendwo zwischen Bodyguard und Privatdetektiv. Bereits im ersten Band, Das Blut der Mondwandler, konnte er im Kampf gegen den Ober-Vampir Samuel seine Fänge zeigen. Und Vampire, die sind bei Ulli Schwan so richtig böse. Mit dem zweiten Teil der Romanreihe verwischen nun die klaren Fronten.

Die Story

Wolfszorn beginnt mit einem weiteren Fall für Nathaniel, wird aber bald zu einer handfesten Fehde mit Klauen und Fängen. Die Sippe leckt sich noch die Wunden nach dem Kampf gegen Samuel, da zieht ein fremdes Werwolf-Rudel in die Stadt. Das Problem dabei: Nathaniel war dort einst Mitglied und hat keine guten Erinnerungen an Barna und seine Meute. Diese halten wenig von Menschen und bringen durch brutale Methoden auch die Kartheiser in Gefahr, entdeckt zu werden. Der Konflikt ist deutlich problematischer als „Gut gegen Böse“ oder „Rudel gegen Rudel“, auch wenn Barnas Wölfe nicht mit Bluttaten sparen. Der Roman dreht sich zusätzlich um das Verhältnis der Werwölfe zu den Menschen und ihre Natur als Monster. Die Geschichte könnte damit glatt als Lehrmaterial für das Rollenspiel Werewolf: The Forsaken herhalten.

Nathaniel ist diesmal, noch stärker als in Das Blut der Mondwandler, mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Der Leser erfährt mehr darüber, wie der Beschützer zu seiner heutigen Rolle gekommen ist und was dazu führte, dass er eine frühere Familie verloren hat. Seine positiven Erinnerungen an den Schamanen Tamas drohen ihn dabei zu lähmen; immerhin waren sie einst Freunde. So ist der zentrale Konflikt des Romans wieder etwas Politisches, als auch Persönliches für den grimmigen Helden. Nathaniels Wissen um das andere Rudel sorgt dafür, dass diese eben nicht zu platten Bösewichtern verkommen, sondern zu in ihren Motiven nachvollziehbaren Figuren werden. Eine offene Konfrontation wäre dazu nur auffällig und könnte die Lebensweise der Kartheiser bedrohen. Doch Diplomatie ist schwierig, wenn der Gegner weiß, dass man darauf angewiesen ist.

Schön ist, dass Ulli Schwan in Wolfszorn die Welt der Mondwandler-Reihe weiter ausbaut. So wird Simon Frosts Magazin über die Welt des Obskuren durch die Ereignisse bedrohlicher und der Journalist zum interessanten Nebencharakter.

Schreibstil

Bei vielen Büchern um Werwölfe muss man sich vor allem vor der Schreibe der Autoren fürchten. Nicht so bei Ulli Schwan. Dessen kurze Sätze wirken zu Beginn zwar abgehackt, zogen mich als Leser aber in den Bann und gaben ein hohes Tempo vor. Der Schreibstil ist schnörkellos, verwendet aber eindringliche Beschreibungen an wichtigen Stellen. Damit liest sich Wolfszorn flüssig, vom Anfang bis zum Schluss. Besonders interessant ist die Eigenart von Ulli Schwan, den Geruchssinn des Protagonisten in den Vordergrund der Beschreibungen zu bringen – ist ja auch logisch, bei der Wolfsnase.

Nathaniel ist ein erfrischend „realistischer“ Werwolf. Er hat einiges an Gewalt und menschlichen Abgründen gesehen, und das merkt man. Er hadert mit seiner Aufgabe und ist zugleich Mensch und urbanes Monster. Im Dienst der Kartheiser geht er in der Beschützer-Rolle auf, ohne zum strahlenden Helden zu werden. Töten macht ihm keinen Spaß, aber er tut es kompromisslos, wenn er muss. Das passt zur Dualität des Werwolf-Daseins. Gerade die Konfrontation mit einem früheren Rudel nimmt Autor Ulli Schwan zum Anlass, Nathaniel über seine Existenz grübeln zu lassen. Dass er dabei vom Stil her einem zynischen Detektiv eines Film Noir ähnelt, samt glücklosen Beziehungen zu seinen Mitmenschen und -wölfen, ist sympathisch.

Wolfszorn gehört, wie schon der erste Teil, dem Genre Urban Fantasy an und kann mit hartgesottenen Detektivromanen verglichen werden. World of Darkness trifft auf Tatort, im positiven Sinne. Der Schauplatz in Deutschland ist nach wie vor spürbar und originell. Smartphones und Websites geben dem Setting einen modernen Anstrich. Dass der Autor einen Ich-Erzähler verwendet, ist gewöhnungsbedürftig, dürfte Lesern aber schon aus dem ersten Teil bekannt sein und passt zur persönlichen Geschichte und Perspektive. Das Einzige, was mich an Wolfszorn dann doch am Ende gestört hat, war der knappe Erzählstil. Hier hätten ein paar mehr Beschreibungen und Kapitel dem Buch gut getan. Der nächste Mondwandler-Roman darf ruhig ein paar Dutzend Seiten länger sein.

Preis-/Leistungsverhältnis

12,90 EUR für ein spannendes Buch – ein fairer Preis, wenn der Inhalt stimmt. Wer es günstiger mag, kann sich Wolfszorn auch für 5,49 EUR als E-Book herunterladen.

Erscheinungsbild

Wolfszorn CoverDas Cover zeigt eine Konfrontation zwischen einem Werwolf und zwei mit Gewehren bewaffneten Männern. Das bereitet gut auf Stil und Inhalt vor und verdeutlicht, was passiert, wenn Menschen einmal herausfinden, dass es Monster wirklich gibt. Das sonstige Erscheinungsbild des Buches ist im Vergleich zum Vorgänger besser geworden.

Das größere Format ist griffiger als das schmale Taschenbuch, und die Schrift wirkt weniger gedrängt. Dass Kapitelhinweise auf jeder Seite fehlen, ist nicht schlimm – in Wolfszorn blättert man nicht hin- und her, das liest man in einem Rutsch.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Eigenverlag
  • Autor(en): Ulli Schwan
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: großes Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 360
  • ISBN: 978-3000459689
  • Preis: 12,90 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus-/Downloadcontent

Auf der Website des Autors finden sich ein Probekapitel von Wolfszorn, Grund der Furcht – eine Audio-Kurzgeschichte eines anderen Falls von Nate und Feuer und Silber, eine Kurzgeschichte.

Fazit

Das Blut der Mondwandler war ein vielversprechender Auftakt der Romanreihe und Wolfszorn erfüllt die Erwartungen. Wieder ein spannender Fall, wieder toughe Action und interessante Überlegungen des fraglos coolsten Werwolf-Detektivs der Urban Fantasy. Vampire, Magier und sonstiges Übernatürliches kommt in Wolfszorn nur am Rande vor. Es geht um Rudel, Rivalitäten und tragische, persönliche Beziehungen.

Dabei tritt die Action im zweiten Teil des Buches eher in den Hintergrund – trotzdem ist der Roman Nonstop-Lesematerial für eine schlaflose Nacht. Aber Vorsicht: der beißt. Manche düstere Szenen, Blut und Gewalt sind nichts für zartbesaitete Leser. Trotzdem bin ich spätestens ab Wolfszorn ganz im „Team Nathaniel“. Der nächste Teil kann gar nicht schnell genug kommen.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Ulli Schwan

 

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