Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

In meiner Kolumne „Die Letzte Seite“ möchte ich in regelmäßigen Abständen Schlaglichter auf Phantastik und Co. werfen. Heute befasse ich mich mit Details und der Frage, in welchem Maß sie einer Erzählung helfen und ab wann sie hinderlich sein können.

Was ich an Büchern liebe, ist, dass sie meine Fantasie beflügeln. Ich mag es, wenn das geschriebene Wort vor meinem geistigen Auge zu einem Bild wird, zu einer Vorstellung. Die Frage ist nur immer: Was braucht es, damit diese Transformation funktioniert? Muss ein Autor mir wortgewaltig jedes Detail einer Szene beschreiben, oder reicht es, wenn er sich auf das Wesentliche konzentriert? Die Fragestellung ist wahrscheinlich so alt, wie die Debatte über das Huhn oder das Ei. Ob es dabei einen Königsweg gibt, möchte ich gleich zu Beginn anzweifeln – aber die Überschrift weist schon deutlichst darauf hin, zu welcher Art von Lesern (und Autoren) ich gehöre. Und das möchte ich begründen.

Es gibt Autoren, die beschreiben mir lang und breit die grüne Auenlandschaft, durch die sich ihre Protagonisten bewegen. Sie verlieren Worte über die farbenfrohen Blumen am Wegesrand, die ihre Köpfe in der sanften Brise wiegen; über die dünnen Wolkenschleier, die über den blauen Himmel treiben; den kräftigen Ball der warmen Sonne und sie erwähnen den breiten Flussarm, der sich in einigen Kilometer majestätisch durch das Land wälzt, dessen Oberfläche glitzert und schimmert. Und das tun sie nicht in fünf knappen Zeilen, dazu brauchen sie womöglich Seiten. Der Gedanke dabei ist nachvollziehbar, es geht um die Immersion. Hilfreich ist das dennoch nicht. Denn während ich mich durch die langen Beschreibungen wälze, frage ich mich, was der Mehrwert ist. Und seitdem ich selbst Bücher schreibe, tue ich das umso mehr. Denn die Wahrheit ist doch, dass es egal ist, wie detailliert du es beschreiben wirst. Zehn Leser werden ganz unterschiedliche Bilder im Kopf haben. Als Autor habe ich oft das Gefühl, einfach Zeilen zu verschenken. Und als Leser frage ich mich, ob der Autor mich für blöd hält. Ich war schon in Landschaften, die er beschreibt, ich brauche die Detailfülle nicht. Und sie trägt (in den meisten Szenen) zur Handlung nicht genug bei, um diese Fülle zu rechtfertigen.

Oder eine andere Szene: Da gerät ein Protagonist in die Fahrzeugkontrolle eines Militärpostens. Die Soldaten dort tragen nicht schussbereite Sturmgewehre, sondern eben AK-74, G36KV oder FNFAL. Der Radpanzer, der die Sperre flankiert, die aus einer Nagelkette, Sandsäcken und einem Stacheldrahthindernis besteht, ist ein M1128 Stryker MGS. Für mich hat das nichts mit Flair zu tun, sondern nur mit dem Versuch des Autors, mit Namedropping das Gefühl besonderer Recherche und Kenntnis der Materie zu erwecken. Für den Protagonisten, der in die Sperre kommt, ist egal, welche Waffen die Soldaten tragen (wahrscheinlich kennt er sie nicht einmal) und ebenso wird er nicht erkennen, dass es sich um einen Stryker-Panzer handelt (noch weniger übrigens, um welches Modell). Für den Leser, der vielleicht gar keine Ahnung hat, wie die genannte Variante des Sturmgewehrs oder ein bestimmtes Fahrzeug aussieht, beginnt nun das Dilemma. Wenn er kein Bild vor Augen hat, dann will er jetzt vielleicht nachschlagen (was dank des Internets und Smartphones viel einfache geworden ist) und legt das Buch zur Seite. Wenn das passiert, dann ist wirklich etwas falsch gelaufen.

Details dort, wo sie passend sind!

Ich will hier überhaupt nicht dafür stimmen, Geschichten nur noch auf der Handlungsebene zu erzählen und die Details völlig verteufeln. Aber sie sollten an der richtigen Stelle gesetzt werden – nämlich dort, wo sie a) Stimmung erzeugen und b) wichtig für die Geschichte sind. Lasse ich meinetwegen einen Veteranen in oben genannte Straßensperre stolpern, dann ist es durchaus hilfreich, die Waffentypen zu bestimmen und zu nennen, vielleicht mit einigen zotigen Gedanken und Anekdoten des Charakters garniert. So verleihe ich dem Mann Tiefe. Ist der Protagonist ein Computerexperte – warum zur Hölle sollte er die Waffen erkennen und was habe ich als Leser von der genauen Typenbezeichnung in diesem Fall?

Im Grunde ist es für mich ganz einfach: Details immer dann, wenn sie entweder zum jeweiligen Protagonisten und seinem Wissen passen (siehe vorhergehenden Abschnitt) – oder dann, wenn sie relevant für eine Geschichte sind. An dieser Stelle plaudere ich gerne aus dem Nähkästchen: Während des Lektorats eines meiner Bücher, das in einer postapokalyptischen Welt spielt, gab es eine Szene, in der zwei Charaktere in ein Auto stiegen und in Richtung einer großer Stadt fuhren. Die Szene endete mit dem Start des Wagens, das nächste Mal hatten die Charaktere ihren Auftritt in der Stadt. Das Lektorat war der Meinung, dass man an dieser Stelle einfügen sollte, wie es denn mit Sprit in der postapokalyptischen Welt bestellt ist. Grundlegend könnte man das machen – aber ein solches Detail liefert für die eigentliche Geschichte überhaupt keinen Mehrwert. Es mag relevant für die Welt sein – da funktionstüchtige Fahrzeuge aber in den vorhergegangenen, veröffentlichten Bänden bereits vorkamen, mag man sich schon fragen, warum man solche Details gerade an dieser Stelle nennen soll. Sie haben schlichtweg keine Relevanz – und sie erklären dem Leser etwas an der völlig falschen Stelle. Ich behaupte einfach mal, die meisten Leser werden sich diese Frage in genau dieser Szene eben nicht stellen.

Wäre das Fahrzeug der beiden Protagonisten liegengeblieben, hätten sie keinen Sprit gehabt und sich den erst organisieren müssen – dann, ja, dann hätte es sich angeboten, ein bisschen zu erklären. Ansonsten bleibe ich dabei – es ist Ballast, der die eigentliche Geschichte nur aufbläht und keine Facetten hinzufügt.

Ein anderes Beispiel aus der Praxis: In dem gleichen Buch gibt es ein Kapitel, das in einem „Endzeit-Puff“ spielt, dort gibt es ein angeschlossenes Casino. In einem knappen Satz erwähne ich, dass Spieler dort Haus und Hof verzocken – und das Lektorat will wissen, mit was dort gespielt wird. Nun, mit der Ersatzwährung, mit der in jedem Casino gespielt wird, nämlich mit Chips. Um ehrlich zu sein, setzte ich dieses Wissen aber bei der Leserschaft voraus, das muss ich nicht erklären. Es weicht nicht von dem Bild ab, das die Leser vor Augen haben, wenn sie an ein Casino in der heutigen Zeit denken. Dennoch war das Lektorat der Meinung, so ein Detail wäre unverzichtbar.

Ausbremsen

Natürlich sollte man immer vorsichtig damit sein, was man bei der Leserschaft voraussetzt und was nicht. Als allgemeine Faustformel gilt für mich: Wenn es um etwas Alltägliches geht, dann sind erklärende Details meist fehl am Platz. Der Leser könnte sich womöglich verarscht vorkommen, weil der Eindruck erweckt wird, man halte ihn für ein kleines Kind, dem man die Welt erklären muss.

Und wie oben schon angerissen, eine Detailfülle muss nicht zwangsläufig zur Immersion beitragen, sie bremst den Lesefluss womöglich aus, erschlägt den Leser oder wirkt einfach fehl am Platz. So könnte ich natürlich ein Gebäude meiner Heimatstadt ziemlich detailgetreu beschreiben, aber was bringt das dem Leser, wenn er weiß, wie die Hochhäuser in der Straße „Am Bahnhof Tierpark“ in Dortmund genau aussehen? Ich stelle maximal meine Recherchequalitäten unter Beweis, mehr aber auch nicht. Spielen nicht gerade 90 Prozent der Handlung an diesem Ort, ist es verschenkter Platz, sind es Informationen, die dem Leser überhaupt nichts bringen.

Und je nach Genre kann die Detailfülle im oben genannte Beispiel auch befremdlich wirken. In einen Thriller mit einer Verfolgungsjagd gehört beispielsweise keine genaue Beschreibung der Häuser. Die Protagonisten werden nämlich besseres zu tun haben, als sich die Bauwerke anzusehen. Und es handelt sich eben auch um einen Thriller und keinen Architektur-Roman.

Möchte ich besonders auf Lokalkolorit setzen, kann ich besondere Details natürlich einstreuen. Aber auch hier kommt es auf das Mengenverhältnis an. Wenn ich mir eine Horrorgeschichte zulege, will ich als Leser entsprechend unterhalten und nicht mit langen Umgebungsbeschreibungen gelangweilt werden; außer es handelt sich beispielsweise um die Beschreibung eines Verstecks Überlebender, der in einem anderen Kapitel lang und verlustreich verteidigt werden muss. Dann haben die Details durchaus Relevanz.

Geschmäcker sind verschieden

Natürlich gibt es Leser, die auf Detailfülle stehen. Muss es ja geben, sonst wären nicht viele Werke mit diesen Dingen vollgestopft. Man sollte darüber hinaus auch nicht vergessen, dass es die andere Seite aber auch gibt.

Richtig ist auch, dass es eine Frage des Genres ist. In militärischen Geschichten erwarten die Leserschaft möglicherweise Details zu Waffen und Ausrüstung, im Genre der Hard Science-Fiction sollte schon erklärt werden, wie Sternenreisen funktionieren, so denn es für die Geschichte relevant ist (sprich: Protagonisten Sternenreisen unternehmen).

Geschmäcker sind eben unterschiedlich, und ich ahne bereits, was dieser Artikel für Reaktionen hervorrufen könnte – nicht aber zwangsläufig muss. Ich für meinen Teil mag detailarme Geschichten, mag es, wenn ich eben nicht an die Hand genommen werde und mir jede Facette lange erklärt wird. Andere sehen das anders.

Woran das liegen mag? Vielleicht an der „Bücher-Sozialisation“. Ich lese seit Jahrzehnten beispielsweise gerne und immer wieder die Werke von David Gemmell, der leider viel zu früh verstarb. Gemmell schrieb bekennend spartanisch und nachweislich hatte er damit ziemlichen Erfolg. Ich nehme an, das hat mich geprägt, so wie andere Leute eben von anderen Autoren und ihrem Schreibstil geprägt werden.

Artikelbild: fotolia (c) norman blue

 

1 Kommentar

  1. Hallo, ich sehe das ganz ähnlich: Details sollten kein Selbstzweck sein. David Gemmell ist darüber hinaus ein gutes Beispiel, wie man ohne viel Blabla packende Geschichten erzählen kann. Schade, dass er selbst keine Gelegenheit mehr dazu hat.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein