Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Das bisherige Kinojahr 2016 bestach insgesamt leider dadurch, dass es erfüllt war von einer großen Anzahl eher mittelmäßiger Filme. Neuauflagen, Fortsetzungen und auch ansonsten ziemlich konventionelle Filme, die zwar Geld eingespielt haben, aber kaum Begeisterung auslösen konnten, dominierten. Und auch Dr. Strange spielt in dem bereits in dreizehn Filmen aufgebauten Marvel Cinematic Universe (MCU), könnte also durchaus in die eben genannten Kategorien fallen. Aber bei genauerem Hinsehen offenbart sich glücklicherweise ein anderes Bild. Also, schauen wir genauer hin:

Story

Der brilliante aber egozentrische Neurochirurg Dr. Stephen Strange hat alles, was man sich im Leben wünschen kann: Erfolg, Ansehen, Reichtum, ein paar Freunde, die trotz seiner schwierigen Persönlichkeit zu ihm halten. Doch all das ändert sich schlagartig, als bei einem Autounfall seine Hände schwer verletzt werden und fortan nur noch schwach und zittrig sind.

Seiner Lebensgrundlage beraubt, sucht er nach Wegen, seine Hände zu heilen. Aber selbst experimentelle Verfahren bringen nicht die ersehnte Besserung, und bald ist sowohl das Vermögen als auch die Geduld seiner Freunde am Ende. Strange ist gebrochen und verzweifelt. Doch dann erfährt er von einem Mann, der eine eigentlich unheilbare Verletzung der Wirbelsäule hatte, heute aber wieder normal laufen kann. Er sucht diesen auf, um die Quelle des medizinischen Wunders zu erfahren, und wird von diesem nach Nepal geschickt.

Dort angekommen findet er heraus, dass es keineswegs Medizin ist, die dort Anwendung findet, sondern Magie. Nach anfänglicher Skepsis kann die Anführerin der Magier, die nur den Namen „Ancient One“ trägt, ihn durch ein paar Demonstrationen davon überzeugen, dass was sie sagt wahr ist.

Dr. Strange wird ihr Schüler und beginnt eine Reise, bei der er nicht nur unterschiedliche Welten, sondern vor allem auch sich selbst kennenlernen muss. Und am Ende natürlich die Welt retten. Sonst wäre es ja kein Superheldenfilm.

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte nur eine weitere Iteration bekannter Themen und Muster zu sein. Und in ihrer Grundstruktur ist die Geschichte auch keineswegs besonders innovativ. Was sie aber von den bisherigen Geschichten unterscheidet ist, dass die Zuschauer gemeinsam mit dem Protagonisten in eine Welt eingeführt werden, die bisher im Genre der Superheldenfilme nie beleuchtet wurde: Die Magie und damit verbundene andere Realitäten. Und in dieser Welt muss nicht alles der konventionellen Logik folgen. Das gilt sowohl für die Gesetze der Realität – Gravitation, Raum und Zeit sind nur drei Komponenten, mit denen im Film herumgespielt wird – als auch die konventionelle Logik, nach der Filme des Genres normalerweise aufgebaut sind. Insbesondere die finale Konfrontation ist erfrischend anders und zugleich absolut brilliant.

Darsteller

Benedict Cumberbatch (Sherlock, The Imitation Game) stellt abermals ein Genie mit exzentrischen Eigenschaften dar. Aber zu keiner Zeit kommt in dem Film das Gefühl auf, dass die Figur auf der Leinwand nur eine Kopie seiner bisherigen Rollen sei. Und auch die Wandlung, die der Protagonist im Laufe des Films durchmacht, ist absolut erkennbar und verständlich dargestellt.

Ausgelöst wird diese Wandlung vor allem durch die von Tilda Swinton (Die Chroniken von Narnia, Michael Clayton) dargestellte Figur der Ancient One. Viel war im Vorfeld des Filmes darüber diskutiert worden, dass diese Figur von einem asiatischen Mann in eine weiße Frau umgewandelt wurde. Aber die schauspielerische Leistung Swintons lässt derartige Kritik schnell vergessen. Unnahbar, kühl kalkulierend, aber zugleich auch mütterlich wirkt die Figur. Und auch in den Actionsequenzen kann Swinton vollends überzeugen.

Ebenfalls an der Seite von Dr. Strange stehen Mordo, gespielt von Chiwetel Ejiofor (Der Marsianer, 12 Years a Slave), und Wong, gespielt von Benedict Wong (Prometheus, Marco Polo (Netflix)). Beide Figuren sind anders, als Comicleser sie kennen, fügen sich durch diese Änderungen aber sehr gut in den Film ein. Auch die schauspielerische Leistung der Darsteller lässt hier keine Wünsche offen.

Auf der Gegenseite wäre vor allem der von Mads Mikkelsen (Casino Royale, Adams Äpfel) verkörperte Kaecilius zu nennen. Auch diese Figur ist ein gutes Stück anders als in den Comics. Und wie so oft in Marvels Filmen hat er zu wenig Zeit auf der Leinwand, um wirklich brillieren zu können. Die Zeit, die er hat, nutzt er jedoch gekonnt, um angemessen bedrohlich zu sein, zugleich aber auch eine Motivation zu offenbaren, die zumindest ein Stück weit nachvollziehbar ist.

Inszenierung

Ich habe noch nie LSD oder andere psychedelische Drogen genommen. Aber nachdem ich Dr. Strange gesehen habe, kann ich mir etwas besser vorstellen, wie die Welt aussehen könnte, nachdem man solche Substanzen konsumiert. Und das kommt nicht von ungefähr, denn die Bildsprache ist stark beeinflusst von Steve Ditkos frühen Geschichten um die titelgebende Figur, die in der Blütezeit dieser Art von Drogen entstanden sind.

Ein anderer deutlicher Einfluss war sicherlich auch der Film Inception. Wie schon in diesem falten sich ein ums andere Mal ganze Häuserschluchten ineinander, drehen sich, verändern sich konstant.

Und als wäre das nicht schon genug, so gibt es auch furiose Magie zu betrachten, die durch glühende schwebende Runen und Gebilde sowie durch verzerrende optische Effekte dargestellt wird.

Optisch ist dieser Film eines der größten Highlights des Jahres und der erste Film seit langer Zeit, bei dem 3D wirklich sinnvoll und gut eingesetzt wurde.

Die Musik, wenn auch nicht so bombastisch und bahnbrechend wie die Optik, ist ebenfalls sehr gelungen und unterstützt zu jeder Zeit die Stimmung des Films sehr gut. Und sie enthält sogar ein kleines Easteregg: Einer der Titel, die im Film gespielt werden, ist Pink Floyds „Interstellar Overdrive“. Der Song an sich ist dabei weniger relevant als die Band selbst. Denn Pink Floyd hat in den 60er Jahren sowohl Comicpanels von Dr. Strange in Covern ihrer Alben verwendet, als auch direkte Referenzen auf den Charakter in mehreren Stücken untergebracht.

Erzählstil

Abgesehen von der einleitenden Szene, in der gezeigt wird, wie Kaecilius einige magische Schriften entwendet, wird die Geschichte fast vollständig aus Sicht von Stephen Strange erzählt. Dadurch lernt der Zuschauer die Welt der Magie in kleinen und halbwegs verdaulichen Stücken kennen, und die wichtigsten Konzepte können nach und nach erklärt werden. Dennoch bleibt es viel Neues, was sich dem Zuschauer hier präsentiert, und für Leute, die nicht mit den Comics vertraut sind, kann es dabei schnell zu viel werden. Vermutlich war dies auch der Grund, warum das, was die Magie tun kann, in diesem Film weitestgehend eingeschränkt wird auf Teleportation, Raumfaltung, Schilde, Energiewaffen und astrale Projektion. All diese Dinge sind gut darstellbar und damit auch vermittelbar.

Erfrischend anders ist der Erzählstil des finalen Akts des Films. Dieser beginnt relativ genretypisch, wandelt sich dann aber sehr schnell in etwas völlig Anderes und Überraschendes.

Und natürlich darf auch in diesem Film der Marvel-typische Humor nicht fehlen. Aber so mancher Gag will hier nicht zünden, und insbesondere im eher bedrückenden Mittelteil des Films wirken sie manches Mal auch einfach nur fehl am Platze. Im späteren Verlauf des Films gibt sich das aber wieder, und die späteren Witze sind gut gelungen und platziert.

Preis-/Leistungsverhältnis

Da der Film in 3D ist, ist ein entsprechender Aufschlag auf den Kartenpreis nicht zu vermeiden. Die Länge von 115 Minuten kann ebenfalls für entsprechende Mehrkosten sorgen, ist aber bei einigen Kinos auch noch unter der Grenze von 120 Minuten. Für sein Geld erhält man ein furioses optisches Erlebnis, bei dem sich ausnahmsweise sogar 3D wirklich lohnt.

Ein Film, den man sich auf jeden Fall besser im Kino als auf dem heimischen Fernseher ansehen sollte.

Bonus/Downloadcontent

Abgesehen von mehreren Trailern (1, 2, 3) gibt es hier wenig Offizielles zu finden.

Natürlich gibt es auch wieder zwei Szenen im Abspann zu erleben. Die erste kommt relativ schnell, ist eher amüsanterer Natur und verbindet Dr. Strange mit dem Rest des MCU, die zweite kommt erst nach dem Ende des kompletten Abspanns und zeigt einen mutmaßlichen Vorgeschmack auf den nächsten Dr. Strange-Film.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

PGlmcmFtZSBjbGFzcz0ieW91dHViZS1wbGF5ZXIiIHdpZHRoPSI2OTYiIGhlaWdodD0iMzkyIiBzcmM9Imh0dHBzOi8vd3d3LnlvdXR1YmUtbm9jb29raWUuY29tL2VtYmVkL1hINjBCZGx6ZGQwP3ZlcnNpb249MyYjMDM4O3JlbD0xJiMwMzg7c2hvd3NlYXJjaD0wJiMwMzg7c2hvd2luZm89MSYjMDM4O2l2X2xvYWRfcG9saWN5PTEmIzAzODtmcz0xJiMwMzg7aGw9ZGUtREUmIzAzODthdXRvaGlkZT0yJiMwMzg7d21vZGU9dHJhbnNwYXJlbnQiIGFsbG93ZnVsbHNjcmVlbj0idHJ1ZSIgc3R5bGU9ImJvcmRlcjowOyIgc2FuZGJveD0iYWxsb3ctc2NyaXB0cyBhbGxvdy1zYW1lLW9yaWdpbiBhbGxvdy1wb3B1cHMgYWxsb3ctcHJlc2VudGF0aW9uIGFsbG93LXBvcHVwcy10by1lc2NhcGUtc2FuZGJveCI+PC9pZnJhbWU+

 

Fazit

000324_04_drstrange_hp_a1_rz_rgb-72Dr. Strange ist der vierzehnte Film im Marvel Cinematic Universe und der sechste große Superheldenfilm allein in diesem Jahr. Und selbst bei Fans des Genres setzt mittlerweile eine gewisse Müdigkeit und Übersättigung ein. Da hilft es auch nicht, dass viele der neueren Filme bei Publikum und Kritikern eher umstritten sind, als dass sie Begeisterung auslösen.

Diesem Trend widersetzt sich Dr. Strange jedoch gekonnt. Visuell und erzählerisch geht der Film bewusst neue Wege und verabreicht damit sich selbst und in Zukunft hoffentlich auch dem Genre an sich eine Frischzellenkur. Die schauspielerische Leistung ist ebenso gelungen wie die Effekte und der Einsatz von 3D. Und im letzten Akt überrascht der Film gar mit einer Auflösung, die völlig anders ist als alles, was uns Superheldenfilme in den letzten Jahren haben erwarten lassen.

Der einzige echte Kritikpunkt ist die verwendete Magie an sich. Denn sie bleibt weit hinter dem zurück, was mit Magie im Marvel-Universum möglich wäre und wird weitestgehend beschränkt auf eine kleine Anzahl an Möglichkeiten. Viel mehr wäre aber wahrscheinlich für Mainstream-Zuschauer zu viel gewesen, weshalb dieser Mittelweg die beste Wahl gewesen sein könnte. Nachvollziehbar, aber für mich als Comicfan leider etwas unbefriedigend.

Daumen4maennlichNeu

Artikelbilder: Walt Disney Pictures

 

9 Kommentare

    • Die sind aber von Fox, nicht von Marvel. Daraus ableiten zu wollen, dass „bei vielen Zuschauern Müdigkeit einsetzt“ finde ich gewagt. Ob ein Film gut oder schlecht ist, hat ja auch nichts mit einer möglichen Sättigung der Zuschauer zu tun. Fanta4 war einfach grottig und hatte deswegen wenige Zuschauer.

    • Stefan Holzhauer Von wem die Filme kommen, ist aber bei der Aussage erstmal egal. Wenn nicht empirisch, so immerhin unserer eigenen Wahrnehmung über verschiedene Freundeskreise über ganz Deutschland hinweg ist da eine gewisse Müdigkeit. Klar sind alle neugierig und natürlich geht jeder rein (wenigstens in Marvel-Filme), aber man fragt sich schon mancherorts, wo das noch alles hingehen und enden soll. ^roger

    • Wenn es eine solche Müdigkeit gäbe, müsste sich das aber doch in den Zuschauerzahlen niederschlagen, oder? Was es nicht erkennbar tut. Zu sagen „das will doch eh keiner mehr sehen, aber die rennen trotzdem rein“ finde ich … merkwürdig argumentiert.

    • Also, ich kann jeden verstehen, der von der Flut von Superheldenfilmen in den letzten Jahren genug hat. Am Anfang war es ja mal was neues, aber die Luft ist raus. Zumindest, was generische CGI- und Materialschlachten mit immergleichen Charakteren angeht.

      Allerdings bin ich persönlich selbst als Kind nie ein Fan von Superheldencomics gewesen. Deshalb würde ich mal sagen, dass sich die „Ermüdung“ eher bei Leuten zeigt, die zwar gerne mal einen gut gemachten phantastischen Film genießen, dabei aber keine großen Fans von Superman, Batman & Co.sind.

      Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass Dr. Strange mir sehr gut gefallen wird, alleine schon wegen der optischen (CGI) Zauberei. Ist der allererste Superheldenfilm, für den ich erwäge ins Kino zu gehen.

      Und wenn es in dem Genre weiterhin immer mal wieder gute Filme mit innovativen Ideen und interessanten Charakteren gibt, wird es trotz der Ermüdung zu Recht bestehen bleiben.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein