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Es gibt sie noch, die kleinen, feinen Nischen-LARP-Cons mit Wohlfühlcharakter abseits der stärker ausgetretenen Fantasy-Pfade. Redakteurin Myriam Bittner hat sich zum ersten Mal in den wilden Westen gewagt und dort große und kleine Geschichten mit viel Herzblut erlebt. Treibt die Rinder zusammen, es geht auf den Trail!

Rott am Inn, 1. bis 3. Juni 2018, oder besser: Routt County im Territorium Wyoming, Juni 1881: Während nach dem Ende des Amerikanischen Bügerkriegs immer mehr Ordnung und Verwaltung in die bereits gegründeten Vereinigten Staaten einkehrt, ist man hier noch dem ‚wilden Westen‘ näher, selbst im Jahr 1881. In den weiten Plains gibt es große, prosperierende Rinderfarmen, und wie jedes Frühjahr versammeln sich die wenigen Einwohner von Routt County zum ‚Roundup‘, um gemeinsam ihre Rinder zum Verkauf zu treiben. Durchreisende, Geschäftsleute und Landvermesser treffen ebenfalls auf der Ranch von Hank „River“ Jordan ein.

Doch hier ist längst nicht alles Lagerfeuerromantik und heile Wildniswelt! Wo sich Rinderfarmer, Schafzüchter und eine ominöse Mining Company um das unendliche Land der unbegrenzten Möglichkeiten streiten, ist noch lange nicht geklärt, wer hier zuletzt lacht. Wenn alteingesessene Siedler auf frisches Blut aus dem Osten treffen, weiß niemand, hinter welchem Gesicht sich ein düsteres Geheimnis verbirgt. Und dann gibt es da noch diesen Problembären …

Die Pflicht: Organisation der Con

Im Vorfeld

Da ich nur über zwei Ecken etwas von der Con erfahren hatte und auch zuerst nur über dieselben Ecken Informationen bekam, gestaltete sich die Anmeldung und Bestätigung etwas kompliziert. Dies ist aber natürlich nicht den Organisatoren selbst anzulasten. Schon eine Weile vor der Con ging eine ‚Save the Date‘-Mail an alle Interessierten. Es handelte sich um eine Semi-Einladungscon, viele Teilnehmer kannten sich nicht erst seit Routt County 1 persönlich, aber es gab auch einige Slots für Gäste, die über Mund-zu-Mund-Propaganda und Facebook-Werbung eingeladen wurden. Die weitere Email-Kommunikation zwischen der zweiköpfigen SL und der Spielerschaft war spärlich, aber rechtzeitig zur Con waren auch an die Neulinge alle wichtigen Infos verteilt und alle Unklarheiten beseitigt.

Während der Con

Am besten funktioniert eine Organisation dann, wenn man absolut nichts von ihr bemerkt. Sicher, der Aufwand einer Kleincon ist mit dem einer Con von bis zu oder sogar über 100 Teilnehmern nicht zu vergleichen, dennoch sollte der wirklich reibungslose Ablauf von Aufbau bis Abbau eine Erwähnung finden. Es brauchte keine langwierige OT-Ansprache, sondern nur eine kurze erinnernde Einführung ins genaue Setting und die Order „Seid fair, habt Spaß!“ Viele Hände griffen ineinander, ohne dass dies extra kommuniziert werden musste, und bis auf gelegentliche sichtbare Handgriffe hier und dort hätte ein Uneingeweihter von außen Spieler und SL nicht voneinander unterscheiden können. Auch die kurzen Zwischenspiele von Spielern, die zu NSCs wurden, geschahen trotz der geringen Teilnehmerzahl so diskret und subtil, dass erst beim Auftritt selbst auffiel, dass die Spieler sich auf Geheiß der SL entfernt hatten, um in ihre NSC-Rollen zu schlüpfen.

Von dieser unaufgeregten aber kompetenten Organisation könnten sich viele andere Orgas von kleinen bis mittelgroßen Cons eine Scheibe abschneiden.

Die Kür: Setting und Plot

Wie schon Routt County 1 im Herbst 2017 spielte die Con im an Colorado grenzenden Territorium Wyoming zu Beginn der 1880er. Der Osten der Vereinigten Staaten blüht nach dem verhängnisvollen Bürgerkrieg langsam wieder auf, und die Zivilisation schreitet voran. In diesem County jedoch, noch jenseits der wachsenden Eisenbahnstrecken gelegen, vergeht die Zeit noch langsamer und gemächlicher. Das Leben ist um einige Annehmlichkeiten verlegen. Doch gerade hier ist noch Raum, um Pläne und Träume zu verwirklichen, wenn man gute Ideen mit harter Arbeit kombiniert. Gerade einmal knapp über hundert Einwohner zählt das County, weit verstreut liegen die Siedlungen und Ranches. Auf der Ranch von Hank Jordan, genannt ‚River‘ trafen sich nun gut 30 Seelen zum ‚Roundup‘, dem Zusammentreiben und -führen jener Rinder, die entlang der Trails zur Verkaufsstelle – oft viele hunderte Meilen entfernt – geleitet werden sollen. Ein letztes ‚Hurra‘ für die Cowboys, eine letzte Gelegenheit, Freunde und Familie bei sich zu haben, bevor es für Monate auf eine anstrengende Reise gehen sollte. Wie auch heutzutage zog diese Zusammenkunft Händler und andere geschäftstüchtige Durchreisende an.

Und dann wären da noch die aufkeimenden Streitigkeiten um das weite Land, das bisher teilweise nach Gewohnheitsrecht genutzt wurde, weil es zu wenig anderem als zum Weiden von Rindern gebraucht werden konnte. Nicht nur sich ansiedelnde Schafzüchter wollen etwas davon abhaben, auch die Halcombe Mining Corporation zeigt verdächtig viel Interesse … und ist sich auch nicht zu fein, im Zweifelsfall die Waffen sprechen zu lassen.

Soweit das vorgegebene Setting und der sich auch aus der letzten Con ergebende Plot. Große Aktionen und verzweigte Plotstränge waren schon deshalb nicht geplant, da es NSCs im eigentlichen Sinne nicht gab, sondern bei wenigen Gelegenheiten SCs kurz auf die NSC-Seite wechselten. Schlachten und zahlreiche Kämpfe waren aufgrund des Western-Settings ohnehin nicht vorgesehen – denn wo keine magische Heilung, da ein ungleich höheres Risiko, dauerhaft beeinträchtigt oder allzu schnell getötet zu werden. Im Endeffekt gab es eine einzige Auseinandersetzung mit larptauglichen Schusswaffen, welche allerdings so weit vom Haupthaus der Ranch stattfand, dass den zurückgebliebenen Frauen davon nur erzählt wurde. Für kurze Spannungsmomente sorgte das Auftauchen eines jungen Bären, dem später die Bärenmutter folgte und beinahe mit einer großen Schinkenkeule verschwand.

Um des Schinkens und des wertvollen Fells habhaft zu werden, versuchte sich ein Trapper an einem Ringen mit dem Bären in bester Old Shatterhand Manier – zu seinem Glück kam er bei diesem verwegenen Wild-West-Stück nur mit Bärenkrallenspuren im Gesicht und einer oberflächlichen Wunde davon, und dem Bär wurde mit vereinten Kräften der Garaus gemacht.

Jetzt mag man denken, dass aufgrund dieses vergleichsweise geringen Bedrohungsszenarios recht schnell Langeweile aufkommen könnte, oder dass eine als „gemütliche kleine Atmosphäre-Veranstaltung mit Cowboy-Lagerfeuer-Romantik“ deklarierte Con irgendwann in ein Gewandungsgrillen abrutscht. Doch von Langeweile war man weit entfernt. Vielmehr waren es die vielen großen und kleinen Geschichten, die Pläne der einzelnen Charaktere, welche einen ununterbrochenen Spielfluss garantierten. Ganz im Sinne des Roundups wurden auf der einen Seite Listen gewälzt und Pläne geschmiedet, auf der anderen Seite Waren präsentiert und Geschäftsmodelle angepriesen.

Auch wenn nicht offiziell als ‚Bring your own Plot‘-Con deklariert, griffen die verschiedenen Ansätze unverhofft so gut ineinander, dass nicht nur die Spieler dauerhaft beschäftigt waren, auch die Infrastruktur des County könnte in folgenden Cons bei konsequentem Spiel einen gewaltigen Schritt Richtung Fortschritt tun, weil die richtigen Geschäfts- und Talentkombinationen ungeahnte Synergie-Effekte erzeugten.

Auch wenn es sich nicht um ein Reenactment-LARP handelte, waren die Geschlechterrollen doch erwartungsgemäß eindeutiger verteilt als auf Fantasy-Cons. Das trug jedoch, wenn überhaupt nur positiv zum Setting bei. Zu keiner Zeit hatte ich als Frau den Eindruck, irgendwie ausgeschlossen zu sein, sondern es ergab sich einfach aus konsequentem Spiel, dass die Frauen eher zwangloser untereinander spielten und je nach Stand und Herkunft mal mehr, mal weniger mit den anwesenden Männern redeten. Auch die Moralvorstellungen der Zeit wurden durchweg stimmig thematisiert.

Wo es Abweichungen gab (eine der Organisatorinnen als Frau in Männerkleidung oder ein unverheiratet zusammen reisendes Spielerpaar), wurden diese thematisiert und als fremdartiges Konzept betrachtet, das entweder mit der Abgeschiedenheit von Routt County oder der unaufhaltsamen Modernisierung erklärt, aber nicht unbedingt entschuldigt werden konnte. Schließlich war man bemüht, bei aller Vorliebe für LARP dennoch ein gutes Maß an Authentizität zu bieten, das sich nicht im Nachspielen von Karl May Büchern erschöpft.

Ein bisschen ‚typische‘ Wild-West-Romantik kam dann doch noch abends am Lagerfeuer mit einem stilechten Liedrepertoire oder beim gemeinsamen Tanzen des Virginia Reel auf.

Alles in allem ist auch bei Kleincons eine so geringe Plotvorgabe ein Wagnis, aber man merkte recht schnell, dass die Organisatoren ihre Spielerschaft einfach gut kennen und wissen, dass es nicht mehr als kleine Anstöße braucht, um für Stunden wieder alle 30 Teilnehmer beschäftigt zu halten.

Der Rest: Das Gelände und die Spieler

Gespielt wurde auf dem Gelände des Jugendzeltplatzes Stöbersberg bei Rott am Inn, ca. 60 km südöstlich von München, inmitten von sehr passender landwirtschaftlicher Idylle. Die Kühe des nahen Bauernhofes und die Gemeinschaftshütten gaben die stimmungsvolle Kulisse für die Jordan Ranch, auf der sich alle versammelten. Die nahen Alpen fungierten als Rocky Mountains. Für eine Con von bis zu 80 Teilnehmern ist der Platz gut geeignet, alles darüber wäre ziemlich beengt. Auch wenn die moderne Zivilisation nur eine Waldwegbiegung vom Gelände entfernt war und man daher auch nachts ein wenig die Lautstärke am Lagerfeuer reduzieren musste, half der Wald rings um die Kuhweide und den Zeltplatz dabei, sich vorzustellen, man sei ganz allein mitten im Nirgendwo des Westens.

Die Western-LARP-Gemeinde war lange Zeit so stark aus dem Fokus von Spielern anderer Genres verschwunden, dass sie beinahe als nichtexistent wahrgenommen wurde. In unserer Teilzeithelden Umfrage 2018 zu LARP-Genres und Stilen bekamen zwar verschiedene Punk-Genres einen eigenen Slot, wer aber nach ‚Western‘ suchte, musste sich entweder unter ‚Histo-LARP‘ oder ‚Sonstiges‘ eintragen. Aber Totgeglaubte leben bekanntlich länger, auch wenn Western-Cons immer noch rar gesät sind. Gut ein Fünftel der Spielerschaft waren vergleichsweise Western-Neulinge, welche von den ‚Eingefleischten‘ jedoch bald nicht mehr zu unterscheiden waren. Selten habe ich ein so herzliches Willkommen und so wenig Berührungsängste vor und während einer Con erlebt. Nach ein paar Stunden wurde man ins Spiel einbezogen, als wäre man schon immer dabei gewesen.

Überhaupt gab es von Spielerseite eine große Bandbreite an Konzepten, die jedes für sich genommen schon eine Menge Spielansätze boten, aber gemeinsam noch mehr zum Immersionserlebnis beitrugen. Vom schottischstämmigen Trapper über einen New Yorker Geschäftsmann bis hin zur Schneiderin für Damenunterwäsche und einem Wissenschaftler mit einem Aromadestillator – der Fantasie wurden keine Grenzen gesetzt. Für besondere Heiterkeit sorgte eine Heiratsvermittlerin, die je nach Wunsch Männer oder Frauen aus der ganzen Welt zusammenführen konnte und jeden dazu ermunterte, sich nach eingehendem Interview in die Kartei eintragen zu lassen. Aber auch ein ausgefuchster Anwalt aus Georgia passte perfekt in das Setting um den Landstreit und konnte sich vor Konsultationen kaum retten.

Die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Gruppen ergaben sich dank aufmerksamen Spiels wie von selbst. So konnten sich die Organisatoren gepflegt zurücklehnen und den Spielern dabei zuschauen, wie sie zum guten Teil 24 Stunden IT blieben. Ob dies an der kleinen Spielerschaft generell oder an deren unbedingtem Willen lag, sei einmal dahingestellt. In jedem Fall zeugt es gerade dann von der Qualität der Spieler, wenn diese sich auch ohne äußere Impulse ständig im Einklang mit dem Setting und ihrem Charakterkonzept verhalten, selbst wenn sie um halb acht Uhr morgens zerzaust aus dem Zelt schlüpfen. Von kurzen OT-Kommentaren, meistens in Form von modernen Insiderwitzen, einmal abgesehen, habe ich auf dieser Con keine einzige OT-Blase erlebt.

Fazit

Die Con war ein echtes Erlebnis, gerade für jemanden, dem Western als Spielgenre noch fremd war. Immersionsspieler kamen voll auf ihre Kosten, wer sich allerdings mehr Action und Kämpfe wünschte, dem mag das Setting ganz ohne typische Indianer- oder Banditenüberfälle und häufige Scharmützel etwas zu zahm gewirkt haben. Routt County war kein Tarantino-Western, kein Karl May, sondern etwas zutiefst Reales. Das wirklich-wahre Leben der Charaktere stand im Vordergrund, nicht ein cineastisch-episches Abenteuer für Ausnahmehelden.

Wenn es im Spielstil Nordic LARP zum Ziel des Spielerlebnisses gehört, so tief in der Geschichte zu stecken, dass man sogar nachts als sein Charakter träumt, dann darf sich die Con Routt County 2 definitiv mit einer Nordic LARP-Medaille schmücken. Oder um es mit den Worten einer Spielerin auszudrücken: „Routt County lebt!“

Fotografien: Johannes Steinbach, Judith König, Christine Gerstl

 

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