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Ein Run läuft nie nach Plan, genau wie das Leben in den Schatten. Im Rhein-Ruhr-Plex, zwischen Drohnen, Gangs und dem immerwährenden Regen, gilt das im Besonderen. Der Anführer eines aufstrebenden Runnerteams versucht, sich seinen moralischen Kompass zu bewahren, während er ein Team leitet und mit privaten Problemen kämpft.

Mit „Orks weinen nicht“ schafft Jan-Tobias Kitzel den zweiten Roman der in der Allianz Deutscher Länder (ADL) angesiedelten Reihe von Pegasus Spiele. Die Protagonisten versuchen, in der schwierigen Umgebung eines Megaplex‘ ihren Kopf über Wasser zu halten und sich dabei selbst nicht zu verlieren. Kitzel beschreibt auf eindrucksvolle Art den Weg eines Anführers, der mit seinem Team eine schwierige Zeit durchlebt und alle seine Fertigkeiten braucht, um nicht zu ertrinken.

Story

Der in die Jahre gekommene, sympathische Ork Rex leitet ein Runnerteam der alten Schule, das im Rhein-Ruhr-Megaplex agiert. Neben seinem erfahrenen Anführer, der außerordentlich gut im Entwickeln von Plänen ist, besteht das Team aus drei weiteren Mitgliedern: Neon, einer Ex-Militär mit entsprechender Professionalität, Erfahrung und Cyberware, Ladybug, einer Aspektmagierin, und Samson, ein zwergischer Rigger mit etwas Erfahrung im Decken. Für ihren neuesten Auftrag sollen sie beim Bund für Mobilen Notfall-Arzteinsatz (BuMoNA), einem in den ADL sehr bekannten medizinischen Gefahreneinsatzdienstes, einbrechen. Keine leichte Aufgabe, aber da sich Rex strikt gegen Wetwork wehrt, sind Aufträge rar und das Team braucht den Job.

Ohne ins Detail zu gehen, besteht die Geschichte aus zwei Teilen: einem klassischen Run mit wirklich allen Aspekten und einer darauffolgenden spontanen Improvisation, denn kein Plan überlebt den Feind. Die Reputation des Teams ist gefährdet, als etwas schiefläuft, und um alles gerade zu biegen, muss das Team nochmal ran: mit weniger Zeit und Ressourcen. Beides wird ausgezeichnet dargestellt und ist nicht nur für Spieler des Rollenspiels gut nachvollziehbar.

Rex steht zwar im Mittelpunkt der Geschichte, aber die anderen Mitglieder des Teams bringen ihre eigenen Geschichten glaubhaft mit ein. Das Thema, welches immer wieder auftaucht, ist die Frage danach, wie viel Privates ein Runner mit ins Team bringen sollte bzw. wie viel vom Team in sein Privatleben gehört. Es gibt emotionalen Ballast, der die Professionalität gefährden kann, gleichzeitig bringt ein gewisser freundschaftlicher Zusammenhalt auch Vertrauen und eine bessere Kommunikation. Auf diesem Grat wandert der Roman.

Hinzu kommen zahlreiche Probleme, denen sich die Charaktere stellen müssen. Rex‘ Frau Doro ist krank und er benötigt Geld für die Behandlung, während es Ladybug finanziell ziemlich gut geht – Magier sind ja auch gefragt. Neon kämpft manchmal mit Phantomschmerzen in den Cyberbeinen und Samson will doch eigentlich nur eine eigene Werkstatt. Keine Sorge, das sind nicht alle Probleme, die die vier verarbeiten müssen.

Die Nebencharaktere werden passend eingesetzt und unterstützen die dichte Handlung. Der Roman vermittelt die verschiedenen Aspekte im Plex, sowie das daraus entstehende Ungleichgewicht: Krankheit und Rassismus, Elend und Wohlstand, Legalität und Runnerteams. Interessant und lobenswert ist zu erwähnen, dass der Autor problemlos Homosexualität als natürliches Element der Gesellschaft einbringt, ohne dass es aufgesetzt oder seltsam wirkt.

Durch die facettenreiche Darstellung der Umgebung wird der Leser eng am Geschehen gehalten und mitgerissen. Die Geschichte ist spannend, nicht nur durch Schusswechsel, es gibt aber auch nachdenkliche Passagen, die den Charakteren Tiefe verleihen. Doch steuert alles auf eine unausweichliche Katastrophe hin, die den Leser kaum innehalten lässt.

Schreibstil

Der Schreibstil in Orks weinen nicht ist einheitlich und gut zu lesen. Die Kapitel tragen keine Überschriften oder sind nach Charakteren sortiert, sondern bilden eher Sinneinheiten innerhalb der Geschichte. Der Aufbau ist durchweg kohärent, spannend und der allwissende Erzähler verrät nicht zu viel. Die Dialoge sind oft bissig und stimmungsgeladen, was den Charakteren zu Gute kommt, und alle Orte werden detailreich und atmosphärisch beschrieben.

Ein Shadowrun-Roman lebt auch vom Vokabular und der Verarbeitung der Inhalte des Rollenspiels. Sowohl die typischen Flüche und Begrifflichkeiten („Drek!“), als auch die Funktionsweise aller wichtigen Elemente, wie zum Beispiel das Askennen von Auren oder Funktionalitäten von Cyberware, sind so in die Welt eingearbeitet, dass selbst Laien diese verstehen können.

Der Autor

Jan-Tobias Kitzel, geboren 1980 in Ahaus, ist hauptberuflich im Bankenwesen tätig. Als Science-Fiction-Autor hat er bereits einige Romane veröffentlicht, namentlich unter anderem Flammenmeer und Froststurm, welche beide im Shadowrun-Universum spielen. Außerdem verfasste er Beiträge für LodlanD und war von 2000 bis 2006 Redakteur beim Envoyer. Weitere Informationen finden sich auf seiner Autorenseite jtkitzel.de. Er lebt mit seiner Frau und einer Tochter in Gelsenkirchen.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt Rex mit seinem Bauchansatz im Profil vor der versifften Kulisse des Rhein-Ruhr-Megaplexes. Über ihm prangt das Shadowrun-Logo. Der gezeichnete Ork trägt eine typische Sonnenbrille mit zahlreichen integrierten Funktionen, eine Jacke mit Krupp-Aufschrift und schaut den Betrachter an. Die zahlreiche AR-Reklame im Plex und der dunkle Smog zeigen deutlich, wie man sich ein Leben im Ruhrgebiet der späten 2070er Jahren vorzustellen hat, außer man lebt in Essen, der durch Hochsicherheitszonen geprägten Konzerngroßstadt. Ein großes Gebäude von BuMoNA ist ebenfalls abgebildet und spielt in der Geschichte eine wichtige Rolle. Mit dem Cover von Andreas Schroth wird der Leser direkt in die Welt eingeführt, kann sich wortwörtlich ein Bild davon machen. Es ist durchdacht und hochwertig, dabei aber nicht aufdringlich.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor: Jan-Tobias Kitzel
  • Erscheinungsdatum: 1. Juli 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 283
  • ISBN: 978-3-95789-178-5
  • Preis: 12,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Die Reihe beinhaltet standardmäßig eine Passage namens „Willkommen in der Sechsten Welt“, die auf zwei Seiten den groben Korpus der dystopischen Zukunft von Shadowrun darstellt. Hinzu kommt ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen. Interessanterweise fehlt dort der BuMoNA, obwohl diese Firma eine essentielle Rolle im Roman spielt.

Das Werk ist dem 2017 verstorbenen André Wiesler gewidmet, Autor von Fantasy- und Science-Fiction-Romanen, sowie Rollenspielentwickler und Träger des Deutschen Rollenspielpreises in der Kategorie Person 2003.

Fazit

Der zweite Roman der Shadowrun-ADL-Reihe von Pegasus Spiele ist ganz anders als der erste, aber doch vertraut. Es geht um die klassische Runnerarbeit, von Anfang an: den Johnson treffen, den Run planen, ausführen und mit allen möglichen Unwegsamkeiten die vorher akribisch geplanten Abläufe über Bord werfen. Das Buch liest sich wie ein schöner Spieleabend mit Freunden, hat sympathische Protagonisten und wirklich ätzende Gegenspieler. Die Story ist an einigen Stellen überraschend und insgesamt fesselnd. Außerdem ist es besonders spannend, die im Roman gestellten Fragen zu verfolgen und vielleicht selbst in seine Runden mitzunehmen. Die Waage zwischen privater Vertrautheit und Professionalität unter Runnern zu halten, kann eine schwierige Angelegenheit sein.

Der Autor weiß, worüber er schreibt, denn inhaltlich sind keine Mängel festzustellen und auch das Vokabular ist erwartbar schattenhaft. Für knapp 13,00 EUR bekommt man eine gelungene Geschichte mit viel Freude und Leid und genau der richtigen Mischung aus Action und Beinarbeit. Auch Leser, die das Shadowrun-System nicht kennen, aber sich an Geschichten in einer nahen dystopischen Zukunft erfreuen können und dabei nicht von ein bisschen Magie abgeschreckt werden, kommen hier auf ihre Kosten. Für Fans des Systems ist der Roman absolut empfehlenswert.

Artikelbild: © Pegasus Press, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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