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Am zweiten Novemberwochenende fand auf Schloss Burgau bei Düren der zwölfte Tanzball des Saltatio – Historisches Tanzen Aachen e.V. statt. Die Karten waren zwar nach wenigen Minuten ausverkauft, aber wir sind in letzter Sekunde noch an welche gekommen – und berichten nun von einem Abend voll Tanz, Kurzweil und leckerem Essen.

Der Tanzball des Saltatio ist eine bekannte und beliebte Größe der historischen Tanzszene. Der gesellige Abend im großen Winkelsaal des Wasserschlosses Burgau findet alljährlich statt und zieht Gäste aus ganz Deutschland an. Getragen vom Saltatio und organisiert durch ein eingespieltes Team, bietet der alljährliche Herbstball ein umfangreiches und hochwertiges Abendprogramm.

Der Einmarsch

Der eigentliche Ball beginnt mit dem Einzug aller Tänzer in den Winkelsaal. Geschickt leiten mehrere Tanzmeister, die bunte, weit sichtbare Tanzstäbe in den Händen halten, den Zug aus 100 unglaublich schön anzusehenden Paaren in gewundenen Schlangen in den Saal. Die Lichter werden gedimmt, und der Eröffnungstanz nimmt seinen Lauf: Ausgewählte Paare tanzen einen Candles in the Dark. Die Menge kommt zur Ruhe für einen Moment, der seine ganze eigene Ästhetik besitzt. Dann begrüßt der Baron de la Lyra die Gäste, und man stellt sich auf für das erste Set.

Der Winkelsaal hat seinen Namen nicht von ungefähr: Er ist geformt wie der Buchstabe L. In dem kürzeren Teil finden sich die Tische, an denen man ausruhen kann. Sie sind gediegen dekoriert: Stilvolles Herbstdekor auf durchgehenden Tischläufern, abgerundet durch Kerzen, die ein sanftes Licht spenden, sorgt in Kombination mit der unaufdringlichen Saalbeleuchtung für ein elegantes, angenehmes Ambiente. Der längere Teil des Saales ist dem Tanz vorbehalten. Wenn tatsächlich alle 200 Gäste auf der Tanzfläche sind, wird es sogar etwas eng, aber das tut dem Abend keinen Abbruch: Es herrscht von Beginn an eine verzauberte Stimmung, die ihresgleichen sucht.

Ein Blick, ein Lächeln und ein Knicks

Das Tanzen auf diesem Ball besitzt seinen ganz eigenen Zauber. Grade Tänze mit Partnerwechseln sind es, die diesen Zauber transportieren. Man genießt die gemeinsame Zeit, findet vielleicht Gelegenheit für ein Kompliment, und weiter wird gewirbelt. Die Tanzliste enthält Reihentänze wie eine Gallopede, aber auch Sets, in denen Tänze wie Jenny Pluck Pears in Aufstellungen à sechs TänzerInnen getanzt werden. Für Paartänze haben die Veranstalter eigens ansprechende Karten bereitgestellt, auf welchen man sich notieren kann, mit wem man zum Beispiel einen Walzer oder einen Candles in the Dark tanzen möchte.

© Hagen Hoppe Fotografie
© Hagen Hoppe Fotografie

Für diejenigen, die einen Herrenpart tanzen (denn auch manche Damen, die nur eine Herrenkarte ergattern konnten, finden sich auf Herrenseite wieder), wurden bei der Ankunft jeweils drei Ringe ausgeteilt. Diese kann man einem Tanzpartner vermachen, von dem man besonders begeistert war. Auch andere elegante Verwendungen sind möglich, beispielsweise als Bitte um Verzeihung für einen Fehltritt, den man sich geleistet hat. Die Idee ist, dem Abend etwas Spielerisches zu geben, was durchaus mit einem Flirt zu tun haben kann, ein verbales Mit- und Gegeneinander, unterstützt durch elegante Bewegungen beim Tanz.

Auch Regeln und Etikette gibt es. Welcher gediegene Herr lässt schon seine Dame nach erfolgtem Tanze auf dem Parkett einfach stehen? Es gehört zum guten Ton, die Dame vom Parkett zurück zu ihrem Platz (oder wohin sie sonst möchte) zu geleiten. Natürlich handelt es sich lediglich um ein Angebot des Veranstalters, es gibt keine Polizei, die diese Regeln forciert. Nichtsdestotrotz sorgen diese Regularien für so manchen spannenden Moment, und das Publikum hält sich gerne an den höfischen Rahmen.

So bewegt man sich durch die 40 Tänze, die auf der Liste stehen, und ist das offizielle Programm vorbei, finden sich immer wieder kleinere Gruppen zusammen, die dann in Absprache mit dem Tanzmeister manche Tänze wiederholen oder sogar andere Tänze, die nicht getanzt wurden, miteinander genießen.

Tanzen geht nur mit Tänzern

Wesentliches Element, das zum Erfolg der Veranstaltung führt, sind eben die Teilnehmer. Stefan Koch, der Hauptorganisator des Balls, spricht von den Gästen in den höchsten Tönen und erzählt eine Anekdote: 2016 hatte der Tanzball den gewohnten Rahmen verlassen. Der Ball jährte sich zum zehnten Mal. Man wählte die historische Stadthalle Wuppertal und vergrößerte das Teilnehmerfeld von bisher 200 auf 800 Menschen. Eine Herausforderung, die das Team trotz unbekannten Terrains meisterte und die auch die Aufmerksamkeit des Lokalfernsehens erregte. Bei einer solchen Teilnehmerzahl kam man nicht umhin, eine Security-Firma anzuheuern, und deren Wachleute wurden überrascht: Eine Veranstaltung dieser Größenordnung, auf der die Wachleute sich ausnahmslos langweilten, wo es nicht einen einzigen Zwischenfall gab, das habe man noch nicht erlebt – trotz Alkoholausschanks!

Kostenfreiem Alkoholausschank zum Trotz ist es tatsächlich noch nie zu großen Zwischenfällen gekommen. Das Publikum des Tanzballs besteht aus sehr positiv eingestellten Menschen, die schlicht Lust am Tanzen haben. Man pflegt ein familiäres Miteinander, ist hilfsbereit und geht aufeinander ein. Das wird auch für mich deutlich: Ich kenne zwar einige der Teilnehmer, aber längst nicht alle. Nichtsdestotrotz werden eigene Fehler rasch verziehen, man führt offene, angenehme Gespräche und tanzt auch gerne mit vorher völlig unbekannten Gästen.

Aber wie kam es eigentlich zu dieser Veranstaltung, die sich zum zwölften Mal gejährt hat?

Am Anfang war die Turnhalle

© Hagen Hoppe Fotografie
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Wir schreiben das Jahr 2004. In einer Turnhalle im Kölner Stadtteil Ehrenfeld finden sich einige Rollenspieler zusammen und üben historische Tänze ein. Es sind Mitglieder des Zarorien e.V., des Engonien e.V., und der LARP-Gruppe BORRR. Mit der Zeit entwickelt sich der Gedanke, nicht nur unter den Neonröhren auf einem Hartgummiboden zu tanzen, sondern einmal unter Kronleuchtern seine Kreise zu drehen: Die Idee eines Tanzballs war geboren.

Auf der Suche nach einer geeigneten Location musste irgendwie der Spagat zwischen ausreichendem Platz und geringem Preis gefunden werden, und das Schloss Burgau passte wunderbar in diese Kategorie (obgleich es keine Kronleuchter hatte). 2006 war es dann soweit. Im November füllte sich der Winkelsaal mit Tänzern in historischer oder historisch inspirierter Gewandung. Um ein ungefähres 1:1-Verhältnis von Männern wie Frauen zu schaffen, erzählt Stefan, kam recht früh die Idee auf, die Teilnahme so simpel wie möglich zu gestalten. Es sollte lediglich der Preis für die Karte bezahlt werden, ein Buffet und auch die Getränke sollten kostenfrei verfügbar sein. Abseits von diesem Unkostenbeitrag sollte man das eigene Portemonnaie nicht hervorholen müssen.

Tanz, Buffet und Kurzweil

Der Tanzball ist nicht zuletzt so beliebt, weil er für den verhältnismäßig geringen Preis eine Vielzahl von Leistungen erbringt. Der Eröffnungstanz findet zwar um 17:00 Uhr statt, jedoch werden Tänze bereits ab 13:00 Uhr unter Anleitung von Vertretern des Saltatio eingeübt. Schon bei dem Training gibt es Verpflegung in Form von Wasser und belegten Brötchen, und den ganzen Abend über sind Getränke, inklusive Rot- und Weißwein, kostenfrei erhältlich.

Ist die Hälfte der Sets getanzt, wird das Buffet aufgetragen, das Jahr für Jahr durch Mitglieder des Zarorien e.V. vor Ort frisch zubereitet wird und auch Vegetariern und Veganern Rechnung trägt. Und fast in jedem Jahr gibt es zusätzlich zum Tanzprogramm noch eine andere Attraktion. In diesem Jahr war es eine Ballett-Gruppe, die ihre Künste dargeboten hat, im letzten war es ein Chor, und davor kamen Teilnehmer in den Genuss einer Seil-Artistin.

Die Zeit, die ich dort verbringe, ist umwerfend, schön, angenehm und inspirierend. Die Atmosphäre sucht ihresgleichen, die Tänze sind sowohl toll zu tanzen als auch ästhetisch anzusehen, und die Tanzliste schafft eine gesunde Balance zwischen fröhlichen, ausgelassenen Sprüngen, würdevollen, langsamen Pavanen und intimen Paartänzen. Ob es nun der freche Flirt ist, der einen auf die Tanzfläche treibt, die Freude an der Bewegung, das Bestaunen der Gewandungen oder einfach die Lust am Tanz, es fällt wirklich schwer, an diesem Abend keine Freude zu haben.

Und was hat das jetzt mit LARP zu tun?

© Hagen Hoppe Fotografie
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Ganz einfach: Der Gastgeber ist der Baron de la Lyra, ein von Stefan gespielter NSC aus dem DSA-Hintergrund, der jedes Jahr einen großen Ball gibt und weder Kosten noch Mühen scheut, seinen Gästen einen unvergesslichen Abend zu schenken. Gewollt ist ganz klar, ein LARP-Setting zu stellen, allerdings gibt es keinen Plot und auch keinen Zwang, zu spielen. Wer will, der kann, wer nicht will, der wird nicht gezwungen. Das Teilnehmerfeld bestand früher aus einer recht homogenen Masse von Liverollenspielern. Mit den Jahren kamen viele reine Tänzer und auch Reenactoren dazu, eine Entwicklung, der das Organisationsteam rund um Stefan nun erstmals aktiv Rechnung tragen möchte. So soll es im nächsten Jahr statt eines gemeinsamen Balls zwei getrennte geben: Eine Veranstaltung, die allein dem Tanzen gewidmet ist, und eine zweite, die vorrangig Liverollenspielern vorbehalten ist. Auch die Kartensituation soll damit verbessert werden: Larpgruppen, die mit zehn, zwölf Teilnehmern kommen würden, verzichten oft auf eine Anmeldung, da nur ein Bruchteil rechtzeitig an Karten käme und die Teilnahme als Adelsgruppe oder mit einem ähnlichen Konzept somit kaum Sinn macht.

Vom Tanzen zur Tradition

Die Resonanz auf die erste Veranstaltung war äußerst positiv, und so war recht bald abzusehen, dass eine Wiederholung stattfinden würde. Diese Wiederholungen ziehen sich bis ins Jahr 2018, und mit den Jahren wuchsen gewisse Strukturen in dem damals noch unerfahrenen Organisationsteam heran. Man professionalisierte eigene Prozesse, ohne am Konzept der Veranstaltung oder am Preis große Änderungen vorzunehmen. Stefan betont, dass mit geringen Preisen und einer Querfinanzierung von Teilnehmern auch Studenten oder anderen Geringverdienern die Möglichkeit gegeben werden soll, an diesem Abend teilzunehmen.

© Hagen Hoppe Fotografie
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2010 stieß ebendieses Orgateam allerdings erstmals an seine Grenzen. Es gab Absagen in letzter Sekunde, und es waren Mitglieder des Condra e.V., die vor Ort aushalfen. Dieser Umstand war ein Nukleus für die Gründung des Saltatio, der heute einmal pro Woche in Aachen historisches Tanztraining anbietet.

Der Verein wurde 2011 Träger der Veranstaltung, nicht zuletzt aus Versicherungs- und GEMA-Gründen. Bis heute sind es Mitglieder dieses Vereins, die im Vorfeld wie auch vor Ort ehrenamtlich helfen. Man trifft sich im Frühjahr mit 10–15 Teammitgliedern in Aachen, Stefan holt dann ungefähr 40 Karteikarten heraus, auf denen er Aufgaben, die jedes Jahr erneut anstehen, erfasst hat. Das kann die Koordination von Fahrern sein, Thekenbeauftragte oder auch das Organisieren und Bereitstellen der Raum- und Tischdekoration. Und dann gibt es natürlich noch die Fusselbeauftragte: Die Person, die am Ende der Veranstaltung jeden einzelnen Stuhl mit der Fusselrolle bearbeitet, um Fellreste, lose Fäden und andere Gewandungshinterlassenschaften zu beseitigen. Im Oktober gleicht man schließlich den Stand dieser Grobplanung ab und beginnt, die Feinheiten zu planen.

Saltatio – Historisches Tanzen Aachen e.V.

© Hagen Hoppe Fotografie
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Der Saltatio wurde nicht nur aus dem Gedanken heraus gegründet, den Tanzball zu tragen. Vielmehr war es so, dass 2010 die bisherige Location der Tanztrainings verloren ging, und man fasste eine Turnhalle ins Auge. Turnhallen sind allerdings meist Sportvereinen vorbehalten, und da man sich ohnehin schon mit dem Gedanken einer Vereinsgründung trug, kam rasch eins zum anderen. Von vornherein herrschte das Selbstverständnis eines professionellen, gemeinnützigen Tanzsportvereins, inklusive Beitritt zu einem Dachverband. Dieses Selbstverständnis zieht sich von der Regelmäßigkeit des Trainings bis hin zur sportlichen Richtigkeit der Tänze. Bis heute gibt es im Monat vier Trainingseinheiten, die sich auf unterschiedliche Bereiche konzentrieren und die jeweils 90 Minuten andauern.

Beim „Historischen Training“ werden pro Abend sechs oder sieben Tänze erklärt, trocken getanzt, dann zur Musik geübt. Bei der „Historisch-Intensiv“-Einheit geht es beispielsweise darum, einen bestimmten Tanz zu perfektionieren, was Haltung oder Figuren angeht, oder auch darum, eine bestimmte Etikette einzuüben.

Das „Technik-Training“ wiederum bewegt sich weg von den eigentlichen Tänzen. Es handelt sich dabei um einen vom Modern Dance/Jazzdance inspirierten Workout-Block, der allerdings auf Dinge ausgerichtet ist, die bei historischem Tanz von Nutzen sind: Raumgefühl, oder das Trainieren bestimmter Muskelgruppen, beispielsweise der beim historischen Tanz sehr beanspruchten Waden. Das ist schweißtreibender Sport, erklärt mir Thomas Michalski, Schriftführer des Saltatio, und eben nicht nur das Nachtanzen bestimmter Schritte.

Zuletzt gibt es noch das „Technik-Intensiv“-Training. Hier werden ganz spezifisch einzelne Techniken verfeinert, wie zum Beispiel der Menuettschritt. Auch werden einzelne Tänze eingeübt, um genau eine Technik, die bei diesem Tanz Verwendung findet, zu optimieren.

© Hagen Hoppe Fotografie
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Einsteigern wird empfohlen, zunächst das historische bzw. das historisch-intensive Training zu besuchen. Darauf aufbauend, ist die Teilnahme an den anderen Trainings dann auch schnell möglich. Was in diesen Trainings eingeübt wird, kann durchaus auch öffentlich bewundert werden. Zwar sucht der Verein nicht aktiv nach Gelegenheiten, aufzutreten, ist aber regelmäßiger Gast beim Aachener Aktionstag Ehrenwert und auch an anderer Stelle ab und an zu finden. Einen festen Auftrittskader gibt es nicht, man stellt sich schlicht die Frage, ob für den anstehenden Auftritt genügend Leute Zeit finden, die trittfest sind.

Den Fokus der Trainings und auch des Tanzballs legt der Saltatio vor allem darauf, zugänglich zu bleiben. Man versteht sich als einsteigerfreundlicher Verein und möchte den historischen Tanz als Ganzes, nicht in einer bestimmten Ausprägung, fördern. Es gibt keinen strikten Anspruch an Authentizität oder historische Belegbarkeit der Tänze, und der Dresscode des Balls ist bewusst vage auf „Festkleidung zwischen 1200 und 1800“ ausgelegt. Die Trainings finden in Straßen- beziehungsweise Sportkleidung statt, sind unabhängig voneinander besuchbar, und das übergeordnete Ziel ist es immer, Spaß am Tanzen in die Welt zu tragen.

Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass genau das dem Saltatio-Tanzball hervorragend gelingt.

Artikelbild: Hagen Hoppe Fotografie, Bearbeitet von Verena Bach

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