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Fremde Planeten in der fernen Zukunft, verschiedenste Spezies und paranormale Begabungen: das ist die Welt von Nova. Sieben Kurzgeschichten erlauben uns einen tieferen Einblick in das 27. Jahrhundert und die Einzelschicksale zeigen vor allem eines: Man muss kein Mensch sein, um bestimmte Erfahrungen machen zu können.

Zwei Horizonte ist eine Anthologie von Kurzgeschichten, die im Universum von Nova angesiedelt sind. Nova ist ein Science-Fiction-Rollenspiel, das erstmals 2010 von Daniel Scolaris veröffentlicht wurde. Obwohl es sehr beliebt ist, muss ich gestehen, dass ich zuvor nicht davon gehört hatte. Aber vielleicht bieten die Kurzgeschichten ja den perfekten Einstieg in diese Welt.

Handlung & Charaktere

Die Kurzgeschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Edles Blut, kaltes Blut von Christof Schwab stellt eine Ritualjagd zu Ehren angebeteter Gottheiten in scharfen Kontrast zum Unterhaltungsfernsehen derjenigen, die verächtlich auf eine vermeintlich minder entwickelte Zivilisation herabschauen. Zudem wird die Frage gestellt, ob Manipulierter und Manipulator zwingend starre Rollen sind.

Mein Horizont von Herausgeber Daniel Scolaris wiederum erinnert an eine Black Mirror Folge. Man folgt dem Protagonisten Evam, der ausschließlich in der digitalen Welt von Horizon lebt und sein Leben jenseits davon – das reale Leben – ohne jegliche Erinnerungen daran hinter sich gelassen hat. Doch was, wenn das jenseitige Leben ihn einholt und die Erinnerungen daran das einzige sind, was ihm hilft?

Einen anderen Weg geht Jan-Niklas Bersenkowitsch mit Die Blinden. Die ironische bis sarkastische Protagonistin bildet ein Spannungsgefüge mit der eher unverhohlenen Kritik gegenüber Staat und Polizei beziehungsweise Militär.

Auszug: Zwei Horizonte © Torsten Low Verlag
Auszug: Zwei Horizonte © Torsten Low Verlag

Echo hingegen zeigt, dass falsche Entscheidungen nicht nur sprichwörtlich jemanden sehr lange verfolgen können und wie schwierig es ist, Verantwortung für vergangene Taten zu übernehmen. Bastian „Balu“ Reitter schafft es hier auf großartige Art und Weise, zwei Geschichten miteinander zu verweben, die mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Sarah Fabers Beitrag Eine Frage der Effizienz beleuchtet die Frage nach Moral in einem Universum, in dem jeder zuerst an sich selbst denkt. Viel wichtiger ist jedoch die Erkenntnis, dass jeder zu Veränderung fähig ist, wenn nur die Möglichkeit dazu gegeben ist.

Die letzte reguläre Kurzgeschichte stammt von Sidney Ristock. Mahlstrom zeigt auf berührende Weise die Schwierigkeit, sich zwischen Erinnern und Vergessen entscheiden zu müssen, und die Konsequenzen, die sich aus der jeweiligen Wahl ergeben. Auch hier geht es um Verantwortung, die man übernehmen muss, und solche, die man übernimmt, um jemanden zu schützen.

Die siebte und letzte Geschichte stammt erneut von Daniel Scolaris und unterscheidet sich von den vorherigen dahingehend, dass man als LeserIn selbst entscheidet, wie die Geschichte weitergeht; ganz im Stil von Die Insel der 1000 Gefahren. Laut Aussage des Autors sind in Freigang sechs verschiedene Enden möglich. Protagonist ist hier Nankrom, der bei einem Deal übers Ohr gehauen wurde und nun mit zu wenig Treibstoff am Rand der Galaxie gestrandet ist. Die Entscheidungen, die man treffen kann, beziehen sich vor allem darauf, ob Nankrom die Droge, nach der er süchtig ist, nehmen soll oder nicht. Besonders interessant ist hier, dass Nankrom von den anderen Figuren eher als Antagonist wahrgenommen wird, was die Frage nach Moral, die die Geschichte stellt, besonders spannend macht.

Schreibstil

Wenig überraschend ist, dass sich die Schreibstile der AutorInnen in Zwei Horizonte deutlich voneinander unterscheiden. Die meisten Geschichten sind flüssig zu lesen, bei anderen ist es sicher sinnvoll, Vorwissen bezüglich Nova zu haben. So hat mich Edles Blut, kaltes Blut mit seinem Wust an Fantasieworten verwirrt und verhindert, dass ich mich mehr für die Schicksale der Figuren interessiere. Auch bei Mein Horizont bin ich mir nicht ganz sicher, verstanden zu haben, worum es wirklich geht.

Davon abgesehen machen die Geschichten neugierig auf mehr aus dem Nova Universum und schaffen es, Charaktere zu erschaffen, in denen man sich unweigerlich wiedererkennt oder die die LeserInnen zwingen, sich selbst Fragen zu stellen.

Besonders schön sind die kleinen Illustrationen vor jeder Geschichte, die sich auf deren Inhalt beziehen und oft schon neugierig darauf machen, was die LeserInnen wohl erwarten wird.

Hier und da sind dem Lektorat zwar ein paar Tippfehler durch die Lappen gegangen, im Großen und Ganzen fällt das aber kaum ins Gewicht.

Der Herausgeber

Daniel Scolaris ist insbesondere in der deutschen Tischrollenspiel-Szene bekannt. Jahrgang 1981, begann er zunächst ein Studium in Physik, das er abbrach, um stattdessen einen Bachelor in „Media Productions“ und ein Diplom im Bereich Drehbuch zu absolvieren. Wenn er nicht gerade dabei ist, das Universum von Nova zu erweitern, arbeitet er als Drehbuchautor und Dramaturg in Leipzig.

Das Universum zu Nova umfasst inzwischen das Basisbuch, das sich die Kollegen aus dem Rollenspiel-Ressort bereits vor einiger Zeit genauer angesehen haben, in der zweiten Edition und unzählige Booklets, die das Regelsystem modular erweitern und weitere Hintergrundinformationen bieten. Zwei Horizonte ist die erste Anthologie, die Geschichten, die in dem Universum spielen, in sich vereint. Wer bei dem Wort „Science-Fiction“ sofort an epische Raumschiffschlachten denkt, wird hier enttäuscht sein. Vielmehr stehen interspezifische Beziehungen mit Fokus auf Einzelschicksalen im Vordergrund.

Erscheinungsbild

Nimmt man Zwei Horizonte in die Hand, besteht kein Zweifel daran, dass es sich um eine Science-Fiction-Anthologie handelt. Die blau-rote Galaxie im Hintergrund, deren Sterne sich um ein Schwarzes Loch drehen, lassen zumindest kaum einen anderen Schluss zu. Je eine Silhouette dreier Spezies und der Hinweis auf Nova runden das Gesamtbild ab.

Allerdings muss man hier zugestehen, dass es nicht einfach ist, die Inhalte einer Anthologie, die aus Geschichten verschiedener AutorInnen besteht, auf dem Cover anzudeuten. Davon abgesehen wirkt das Cover ansprechend und in sich stimmig.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Verlag Torsten Low
  • Herausgeber: Daniel Scolaris
  • Erscheinungsdatum: November 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 412
  • ISBN: 978-3-96629-007-4
  • Preis: 14,90 EUR (Print)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Zwei Horizonte bietet einen Einblick in das Universum von Nova. Diejenigen, die mit dem Rollenspiel bereits vertraut sind, dürften sich über die Erweiterung der Welt freuen und vielleicht den ein oder anderen Anstoß für eigene Kampagnen finden. NeueinsteigerInnen finden die Kurzgeschichten vielleicht teilweise überwältigend aufgrund der vielen unbekannten Begriffe. Das dürfte sich mit der Zeit geben, sodass dem Lesespaß nichts im Wege steht.

Die Tiefe mancher Geschichten hat mich oft überrascht. Es steckte doch mehr dahinter, als es auf den ersten Blick schien, was ich nur positiv betonen kann. Zwei Horizonte zeigt eindrucksvoll, dass die Probleme und Gedanken, die uns heute beschäftigen, weder auf unsere Spezies noch auf unsere Zeit beschränkt sind. Vorurteile sind (leider) übergreifend, aber ebenso wichtig ist es, diese zu hinterfragen, egal ob im 21. oder 27. Jahrhundert.

Mein Favorit ist definitiv Eine Frage der Effizienz, das einen großartigen Cast an Charakteren vereint. Die Spannung entsteht hier nicht durch Actionszenen, sondern durch die jeweiligen Motivationen, was zu einem explosiven Cocktail führt.

Von mir gibt es also eine klare Leseempfehlung für die Anthologie, die trotz kleinerer Schwächen neugierig auf mehr macht.

Artikelbilder: © Verlag Torsten Low
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Jessica Albert
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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