Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Vielleicht ist Freaks Out es wert, für die wunderschönen Momente und talentierten Schauspieler*innen gesehen zu werden. Doch letztendlich ist der italienische Import über Zirkusdarsteller*innen mit Superkräften im besetzten Rom des Zweiten Weltkriegs zu dünn und zusammenhanglos, und manchmal auch unangenehm sexualisiert.

Erscheinen sollte Freaks Out, der zweite Film des vielgelobten italienischen Schauspielers und Filmemachers Gabriele Mainetti, eigentlich 2020. Pandemiebedingt verschob sich die Premiere auf 2021. Und erst dieser Tage erschien eine deutsche Fassung des historischen fantastischen Films mit Superheld*innenallüren, der international auch als Freaks vs. The Reich betitelt wurde.

Zirkusfreaks werden Superheld*innen, im von den Nazis besetzten Teils Italiens des Jahres 1943. Freaks Out hat schillernde Protagonist*innen, einen halbwahnsinnigen Nazi als Bösewicht, dazu wilde Partisan*innen und den Hintergrund des besetzten Rom. Vieles spricht für den Film. Doch was kann ein fast zweieinhalb Stunden langes Epos wie dieses zusammenhalten?

Triggerwarnungen

sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, Gewalt, Blut, Gore, Folter, psychische Krankheiten, Diskriminierung, Deportation, Holocaust, Antisemitismus, Ableismus, Misogynie, Belästigungsapologie

[Einklappen]

Story

Freaks Out folgt einer kleinen Zirkustruppe, die durch die italienischen Dörfer zieht und die übernatürlichen Fähigkeiten ihrer vier Mitglieder nutzt, um eine gute Show zu bieten. Geführt werden sie vom jüdischen Zirkusdirektor Israel, der die Freaks in seinem Zirkus zusammengeführt hat. Der alternde Mann will mit seinen Schausteller*innen nach Amerika fliehen und muss dafür gefälschte Papiere besorgen. Als er nicht zurückkehrt, machen die Vier sich auf die Suche nach ihm.

Israel und die Freaks

Doch schon hier wird der Film ein wenig wirr und ambig. Der kleine Zirkus wird familiär dargestellt, ist zu Beginn der Handlung schon beisammen. Trotzdem misstrauen manche Protagonisten ihrem väterlichen Mentor sofort und nehmen an, er habe sich mit ihrem Geld aus dem Staub gemacht, antisemitische Vorurteile inklusive. Wie eng oder nicht eng die Freaks verbandelt sind, bleibt über lange Strecken des Films hinweg sehr unklar, geradezu flexibel.

Franz

Diesen Konflikten entsprechend trennen sich die Wege der Protagonist*innen teils recht schnell. Letztlich geraten sie jedoch alle ins Visier eines deutschen Zirkusdirektors, der dem Führer Menschen mit Superkräften demonstrieren will und diese in grausamen Experimenten tötet, wenn sie nicht genug leisten können – obwohl er selbst Superkräfte hat.

Die einzelnen Stationen, die die Held*innen auf ihrem Weg durch Rom machen, sind für dieses Review gar nicht so wichtig. Teils episodisch wirken sie, und beizeiten scheint auch der Film nicht alles, was passiert, so wichtig zu finden. Allgemein leidet Freaks Out darunter, dass es zwar eine recht klassische Handlung hat und damit offensichtlich etwas machen will, sie aber nicht mit Leben füllt. Als fundamentaler Kommentar für die Formeln des Superheld*innengenres ist es aber auch wieder zu nah am Geschehen, zu direkt und menschlich.

Darsteller*innen

Matilde

Wichtigste Figur des Films ist Matilde, gespielt von Aurora Giovinazzo. Giovinazzo legt eine beeindruckende schauspielerische Leistung vor und ist ein emotionaler Anker, wann immer sie die Möglichkeit dazu hat. Leider ist ihre Figur, obwohl der unbestrittene Kern des Films, charakterlich recht dünn. Sie ist gutherzig, naiv, traumatisiert, jung… Mehr eine Ansammlung von Klischees über junge Frauen und den Stereotyp der von den eigenen Superkräften verängstigten Heldin. Dass ihr elektrizitätsbasiertes Set von Kräften enorm vage ist, scheint fast eine bewusste Verlängerung davon zu sein.

Ihre Begleiter sind weniger klischeehaft, zumindest teilweise. Der beharrte Fulvio ist mit seiner Superstärke und seinen Aggressionsproblemen noch recht klassisch. Albino Cencio kontrolliert Insekten und wird von den anderen Charakteren oft als schmutzig und unattraktiv beschrieben, ohne dass Pietro Castellittos Aussehen und Aufmachung dazu einen Anlass bieten würden. Seine Belästigungen der als Teenagerin bezeichneten Matilde scheinen dagegen weniger Anstoß zu erregen. Der Kleinwüchsige und geistig eingeschränkte Mario kann Metall schweben lassen. Giancarlo Martini mimt einen gutmütigen, kindlichen Menschen und hat von allen vier Freaks definitiv am wenigsten zu tun.

Fulvio und Cencio

Antagonist ist Nazi-Zirkusdirektor Franz, dargestellt von Franz Rogowski. Auch Rogowski sticht aus dem allgemein starken Ensemble heraus. Zwischen manischer Obsession, tiefer Bösartigkeit und schockierender Menschlichkeit findet er immer den richtigen Ton im richtigen Moment. Franz kann in die Zukunft sehen und wird getrieben von Visionen eines untergegangenen Dritten Reiches, ebenso wie von seinem Drang zu beweisen, dass er mehr ist als nur ein zwölffingriger Musiker.

Giorgio Tirabassis Vaterfigur Israel ist eine klassische gute Seele, die in ihrer Weisheit auch im düstersten Moment anderen Hoffnung und Inspiration spendet. Wie die meisten anderen Nebencharaktere ist er nicht komplex, doch konstant sehr gut dargestellt.

Inszenierung

Das Wichtigste zuerst: Freaks Out ist ein wunderschöner und ästhetisch absolut gelungener Film. Wenn er schön sein will, ist er farbenstark und eindrücklich, wenn er eklig oder brutal sein will, hält er sich nicht zurück. Dynamisch fängt die Kamera aus unterschiedlichsten Perspektiven elegante, raue und emotionale Szenen ein. Auch die Produktionsqualität und die sonstige Inszenierung sind durchgehend hochwertig.

Leider macht der Film aus diesen einzelnen Eindrücken und Szenen nichts Konkretes. Offensichtlich wollte Schöpfer Mainetti eine ganze Menge und versucht es alles. Leider greift er damit an vielen Enden zu kurz. Der Ton wechselt ständig – zwischen Humor und Drama, zwischenmenschlicher Intensität und distanzierter Stilisierung. Die Charaktere sind keine wirklichen Symbole und keine allzu komplexen Menschen, die Handlung ironisch, aber nicht emotional distanziert. Die Harmonie aus Karikatur beziehungsweise Kritik und emotional fesselnder Handlung kann funktionieren. Berühmtestes Beispiel ist hier sicherlich Starship Troopers, dass sich ebenfalls mit Faschismus auseinandersetzt. Doch Freaks Out kommt an diesen Klassiker nicht heran und sieht bei dem Versuch streckenweise entweder hilflos oder albern aus.

Matilde im Zirkus

Für eine echte Synergie von Storytelling und Metakommentar muss ein Film sehr gut designt und auf sein Projekt und seine Ideen fokussiert sein. Gerade Fokus ist jedoch eine klare Schwäche von Freaks Out. Wenn der Film dramatisch wird, grätschen plötzlich die seltsame Charakterisierung der Protagonist*innen, ein schlecht platzierter Gag oder die offensichtliche Faszination des Regisseurs mit übergriffiger Sexualität dazwischen. Will man einen Schritt zurück machen, fehlt die inszenatorische Ruhe und Flexibilität.

Und auch das zentrale Motiv, die Verbindung und der Kontrast zwischen Zirkusshow und Superheld*innen, verliert an Nachdrücklichkeit, da das Superheld*innenthema kaum explizit gemacht wird. In Zeiten von MCU Phase 4, angesichts der absoluten Ambiguität von Superheld*innentropen, wirkt Freaks Out weniger wie ein Superheld*innenfilm und mehr wie Post-Superheld*innen-Phantastik. Seine Symbolik wird oft gelobt, mich konnte sie leider gar nicht ansprechen.

Erzählstil

Effektiv fühlt sich Freaks Out gleichzeitig zu lang an und als hätte es eigentlich eine Netflixserie mit circa 8 Stunden Laufzeit sein sollen, manchmal hektisch, dann wieder gedehnt. Die Zeit, die es hat, nutzt es leider nicht, um seinen Darsteller*innen mehr Bühne zu bieten, was angesichts des großen Talents dieser zumindest in Deutschland nicht sonderlich bekannten Gesichter sehr schade ist.

Innere Logik sucht man bei Freaks Out sowieso vergebens. Doch auch für die ästhetische Ebene wirken einige Entscheidungen sehr befremdlich. Einiges an den Protagonist*innen wirkt abstoßend. Abgesehen von der lieben, schützenswerten und streckenweise langweiligen Matilde sind alle Freaks sexuell übergriffig oder aggressiv und egoistisch. Manchmal verschwimmt hier die Grenze zu den menschlicheren Momenten des Antagonisten. Das mag auch wieder ein Kommentar, ein philosophisches Gedankenspiel sein. Doch es kommt leider nicht an, weil Freaks Out gleichzeitig noch fünf andere Dinge will.

Auch über den Umgang des Films mit sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt muss man noch einmal explizit sprechen. Cencio ist das Urbild des sympathischen Belästigers. Er drängt sich Matilde auf, obwohl er sie nicht berühren kann und soll, wird in diesem Sinne allgemein als unangenehm und misogyn charakterisiert. Die anderen Charaktere gehen darüber hinweg. Und am Ende liegt Matilde ihm recht unvermittelt in den Armen. Mario masturbiert ständig, auch in Gesellschaft. Und eine versuchte Vergewaltigung ist samt spontanem Anlass und erregtem Phantasieren über die Jungfräulichkeit des Opfers zwar nicht falsch, aber doch sehr klischeebeladen eingefügt. Gemeinsam haben alle diese Dinge vor allem eins: Sie sind überflüssig. Sie vermitteln nicht viel, und was sie sagen, bedarf nicht der Sexualisierung.

Erscheinungsbild/Umfang

Die BluRay-Version von Freaks Out bietet einen deutschen und den originalen italienischen Sprachtrack an, dazu deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Ich habe den Film in deutscher Sprache angeschaut, kann also zu den Untertiteln nichts sagen. Die BluRay bietet auch die üblichen Extras wie Making-Offs und Trailer. Zum Leihen und Kaufen ist Freaks Out auch auf Amazon Prime verfügbar.

Ich habe, da mein BluRay-Laufwerk kaputt ist, den Film auf einer geliehenen Playstation 3 geschaut. Selbst habe ich noch nie eine Playstation besessen. Darum kann es sein, dass die folgende Kritik auf meinem Unvermögen beruht. Aber es scheint so, als sei dem Menü von Freaks Out grundsätzlich ein ziemlich langer Trailer vorgeschaltet, der sich nicht abbrechen lässt.

Auffällig ist die teils mäßige Synchronisation. Angesichts der fast zwei Jahre späteren deutschen Veröffentlichung fragt man sich, warum es falsch betonte Sätze und unpassende Formulierungen in die finale Version geschafft haben.

Die harten Fakten:

  • Regie: Gabriele Mainetti
  • Darsteller*in(nen): Aurora Giovinazzo, Franz Rogowski, Pietro Castellitto
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: BluRay
  • Preis: circa 13-15 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Freaks Out will viel, aber die Ambitionen sind hier weder charmant noch sinnvoll. Ist Freaks Out ein Superheld*innenfilm? Na ja, so ein bisschen. Ist es zu lang oder zu kurz? Von beidem ein bisschen. Will es seine Genres kommentieren und reflektieren? Definitiv, aber nicht auf Kosten von irgendetwas anderem.

Im richtigen Moment beeindruckend

Freaks Out hat eine großartige Idee und eine einzigartige historische Kulisse. Es setzt enorm talentierte Schauspieler*innen wunderbar in Szene. Eigentlich sollte sich aus diesen elementaren Bausteinen etwas schaffen lassen. Doch alle derartigen Konstrukte halten immer nur für Momente dem konstanten Ansturm von Ideen, Ebenen, Ansprüchen und Symbolen stand.

Ich mag solche Mixturen häufig. Gemeinsam mit dem unangenehmen Hang zu problematischer Sexualisierung bleiben in Freaks Out jedoch nur einzelne Elemente positiv in Erinnerung.

 

  • Schön und eindrücklich
  • Sehr gute Schauspieler*innen
 

  • Nonchalanter Umgang mit sexueller Belästigung
  • Unfokussiert und zu lang
  • Versucht vieles, schafft wenig

 

Artikelbilder: © Goon Films
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Rick Davids

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel enthält Affiliate-Links. Durch einen Einkauf bei unseren Partnern unterstützt ihr Teilzeithelden, euer Preis steigt dadurch nicht.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein