Amazon-Prime-Kunden dürfen sich immer wieder über neue US-Serien freuen. Einer der neuen Exklusiv-Titel heißt The Man in the High Castle und entführt den Zuschauer des Streamingdienstes in eine düstere Geschichtsvision. In der 1962 erschienenen gleichnamigen Romanvorlage (Deutsch: Das Orakel vom Berge) von Philip K. Dick gewinnen Deutschland und Japan den 2. Weltkrieg. Amerika wird von den Siegermächten in Besatzungszonen aufgeteilt. Die Deutschen schnappen sich die Ostküste als Teil ihres „Greater Nazi Reich“, während die Japaner die Westküste zu ihren „Japanese Pacific States“ annektieren. Dazwischen, in Höhe der Rocky Mountains, spannt sich eine Art neutrale Pufferzone, doch der Frieden ist trügerisch.
Für die Verfilmung der Vorlage wurde ordentlich investiert. Ridley Scott ist als ausführender Produzent dabei, der u.a. für die Serie Akte X verantwortliche Frank Spotnitz arbeitet an der Serienumsetzung mit und auch mit dem Cast der zahlreichen Haupt- und Nebenfiguren sowie der Filmausstattung gab man sich Mühe.
Als Zuschauer muss man jedoch zunächst einmal damit leben, dass der berühmte Times Square mit einem riesigen Hakenkreuz „verziert“ wird. Es ist hier Alltag, dass Menschen sich in New York mit „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“ grüßen, während es auf Seiten der Japaner ebenfalls nicht zimperlich zugeht. Wer sich auf die dystopische Geschichtsversion einlassen kann, darf sich auf eine spannende Erzählung freuen. Im Folgenden geben wir euch einen ersten Eindruck der Serie und verraten, ob sich ein Blick auch für euch lohnt.
Story
Es ist 1962, das Leben in Amerika geht weiter, wenngleich die Bewohner unter der harten Herrschaft der Besatzungsmächte Deutschland und Japan zu leiden haben. Der Führer lebt zwar noch, doch seine Parkinsonerkrankung löst erste interne Machtkämpfe um die künftige Führung des Großreiches aus. Der Frieden zwischen Japan und Deutschland ist trügerisch und es geht das Gerücht herum, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Nazis eine Atombombe Richtung Japan schicken.
Im Mittelpunkt der Ereignisse stehen aber einfache amerikanische Bürger. In San Francisco gerät die junge Juliana Crain unfreiwillig in den Schlagabtausch zwischen der Widerstandsbewegung und den japanischen Besatzern. Ihre jüngere Schwester übergibt ihr eine mysteriöse Filmrolle, beschriftet mit „The Grasshopper Lies Heavy“ – und wird kurz darauf erschossen. Juliana sieht sich mit ihrem Lebensgefährten Frank Frink die seltsame Videoaufnahme an. Zu ihrem Erstaunen erblicken sie dort, wie die Amerikaner gemeinsam mit den Alliierten ihren Sieg im 2. Weltkrieg feiern und sowohl über Deutschland als auch Japan triumphieren. Die Bilder lassen insbesondere Juliana keine Ruhe mehr.
Währenddessen schließt sich im fernen New York der junge Joe Blake einer Widerstandszelle an. Getrieben von turbulenten Ereignissen finden Juliana und Joe schlussendlich in der neutralen Zone zusammen. Es gilt herauszufinden, was es mit dem mysteriösen Filmen auf sich hat. Hinter allem scheint jemand zu stecken, der sich selbst „The Man in the High Castle“ (hier übersetzt als: „Der Mann im hohen Schloss“) nennt. Doch auch Japanern und Nazis sind die Filme nicht entgangen und beide Mächte setzen alles daran, jeglichen Widerstand aufs Schärfste zu bekämpfen. Juliana und Joe finden sich schnell in einem gefährlichen Spiel wieder, in dem sie niemanden vertrauen können.
Darsteller
Zahlreiche Darsteller tummeln sich in der fiktiven Geschichtsversion. Im Fokus der ersten Staffel steht das ungleiche Duo Juliana Crain (Alexa Davalos) und Joe Blake (Luke Kleintank). Beiden Schauspielern nimmt man ihre Rolleninterpretation durchaus ab. Jedoch gelingt es nicht, trotz packendem Setting, beiden Hauptcharakteren die nötige Tiefe zu schenken, die man sich insbesondere bei modernen Serienumsetzungen wünscht. Spannender ist hier die Figur von
Julianas Freund, dem jüdischstämmigen Frank Frink (Rupert Evans). Frank hat am deutlichsten unter den Ereignissen zu leiden. Der Zuschauer dürfte hier am meisten mitfiebern, wohl auch, weil Evans‘ Charakter unmittelbar während des Serienverlaufes von den Ereignissen überrollt wird und sich die Figur damit auch nachvollziehbar wandelt.
Sehr klischeehaft wirken die vielen Nebenfiguren. Hier muss man die deutlichste Kritik an der Serienumsetzung anbringen. Die Figuren scheinen hier direkt am Reißbrett entworfen zu sein, sehr geradlinig und im Endeffekt sehr platt gestalten sich all die harten Männer, vom Nazianführer über den japanischen Chefinspektor bis hin zum grimmigen Kopfgeldjäger. Natürlich erfüllen die Figuren ihren eigentlichen Zweck, im Rahmen einer Serienhandlung darf man aber von den Charakteren mehr erwarten, wenn man sie über mehrere Folgen mit zentralen Funktionen betraut und folglich genug Raum zur Entwicklung vorhanden sein sollte.
Inszenierung
Es geht kaum negativer: Das Setting von The Man in the High Castle fesselt mit seiner abscheulichen Idee der Geschichtsumschreibung. Die Achsenmächte triumphieren. In diesem Horrorszenario sind die vermeintlich Guten deutlich in der Minderheit. Die Handlung konzentriert sich zunächst auf die beiden jungen Amerikaner Juliana und John. Gerade die Perspektive des normalen Bürgers, der unter den Repressalien der Besatzer zu leiden hat, nimmt den Zuschauer direkt mit. Packend zeigt die Serie, unter welchen Bedingungen man in den jeweiligen Herrschaftsgebieten lebt und mit welcher Härte jegliches Aufbegehren im Keim erstickt wird. Ironischerweise scheint es in diesem Fall egal, welches totalitäre Regime die Knute schwingt, die Brutalität spürt man in jeder Zone der Besatzungsmächte.
Während die Umsetzung der Figuren hier und da bemängelt werden darf, ist die Inszenierung in Summe dennoch gelungen. Der brisante Mix aus Agentengeschichte und Film Noir im historischen Gewand überzeugt. Über dem Überlebenskampf der Hauptfiguren schwebt die Neuauflage des Kalten Krieges zwischen den „neuen“ Siegermächten. Der Zuschauer sieht die Ereignisse auf allen Ebenen, und während die Gefahr eines weiteren Weltkrieges deutlich näher rückt, eskalieren die privaten Situationen der Hauptfiguren.
Der größte Pluspunkt der Serie ist, dass man sich nach einigen Folgen einem „Verfremdungs- und Entfremdungseffekt“ ausgesetzt sehen dürfte. Das Amerika der 60er Jahre haben die meisten noch anders in Erinnerung, von der aufkeimenden Popkultur bis hin zum Mythos Hollywood. All dies wird hier durch die eigene Symbolkraft der Besatzungsmächte verdrängt. Bekannte Motive werden in The Man in the High Castle gerne verdreht, z.B. während sich SS-Offiziere über einen gerade erlebten Anschlag austauschen, der im Dialoglaut auch einem Gespräch über die aktuelle Terrorbedrohung zwischen Polizeibeamten entsprungen sein könnte. Der Fakt, dass es sich bei den beiden Charakteren um fiese Nazis handelt, verschwimmt im Zuge der Szene und konfrontiert den Zuschauer mit einer verstörenden Wirkung, in der man aufpassen muss, dass all das „Beiwerk“ wie Hakenkreuze und Hitlerrufe nicht zu schnell ins Hintergrundrauschen übergeht.
Erzählstil
Die Erzählung der Geschichte konzentriert zunächst auf die Hauptfiguren. Im Verlauf der Serie werden jedoch immer mehr Nebenfiguren eingeführt, womit die Handlung zwischen den unterschiedlichen Perspektiven „Überlebenskampf des einfachen Bürgers“ und „Machtkampf der Politiker und Ideologien“ springt. Um den unterschiedlichen Handlungsebenen und Protagonisten folgen zu können, bleiben die drei Handlungsorte glücklicherweise feste Orientierungsanker. San Francisco steht für die japanische Zone, New York ist das Gegenstück bei den Nazis und die ungemütliche Kleinstadt Canon City bildet den zentralen Handlungsort in der neutralen Zone.
Preis-/Leistungsverhältnis
Wer Abonnent von Amazon Prime ist, kann die Serie ohne weitere Kosten anschauen. Für alle anderen entstehen die marktüblichen Kosten von 2,49 EUR (SD) oder 2,99 EUR (HD) pro Folge. Immerhin ist die Länge einer Folge mit gut 60 Minuten recht großzügig bemessen. Wie bei allen Amazon-Prime-Serien gilt schlussendlich jedoch: Entweder man kann sie im Rahmen des Streamingangebots nutzen oder nicht. Der Einzelabruf dürfte gegenüber den monatlichen Kosten kaum attraktiv sein.
Fazit
Die Alliierten verlieren in der fiktiven Geschichte den 2.Weltkrieg. Deutschland und Japan besetzen als Siegermächte fortan Amerika. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, darf sich auf eine spannende Geschichte freuen. Kritisch zu bewerten ist die kaum stattfindende Entwicklung der Figuren, hier wird mit gradlinigen Reißbrettcharakteren bisher schlicht viel Potenzial verschenkt. Für die packende Inszenierung gibt es jedoch jede Menge Pluspunkte. Die unterschiedlichen Handlungsebenen sind durchaus spannend in Szene gesetzt und man fiebert mit, wenn einfache Bürger den Gräueltaten der Besatzer ausgesetzt sind und auf höchster Ebene sich der Kalte Krieg beider Mächte immer mehr zuspitzt.
Atmosphärisch ist die Serie durchaus gelungen und damit hat sie in jedem Fall bei Kunden des Streamingdienstes eine Chance verdient. Luft nach oben hat die Umsetzung aber dennoch und so darf man gespannt sein, wie es weiter geht. Denn für den US-Markt scheint sich die Amazon-Serie letztes Jahr schon gelohnt zu haben, Ende Dezember wurde verkündet, dass es eine weitere Staffel von The Man in the High Castle geben wird.
Artikelbilder: Amazon Studios
Wirklich unglaublich gut! Meine Freundin und ich haben die erste Staffel regelrecht gefressen umd warten sehr sehnsüchtig auf die zweite :)
Fand ich grundsätzlich nett, aber nicht überragend, man merkt halt, wer es geschrieben hat und für welches Publikum. „Vaterland“ (der Roman, nicht die zweitklassige HBO-Verfilmung) ist an der Wirklichkeit näher dran, denn der Autor malt ein durchaus realistisches Bild, was Amazon leider nur teilweise gelingt.
fast vergessen: Das Buch, auf dem die Serie basiert, ist um Längen besser, wer es überprüfen will:
http://www.amazon.de/High-Castle-Penguin-Modern-Classics/dp/0141186674
(ja, ohne Vermittlerbonus!)
(die deutsche Übersetzung (Das Orakel vom Berge) ist dort auch verlinkt)
…wer erklärt mir das Ende ???
ganz tolle Unterhaltung !
aber der Schluss ist für mich unverständlich……
Man in the High Castle von Philipp K. Dick ist schon gut, aber persönlich finde ich die Erzählung derselben Story von Robert Harris sehr viel besser. http://www.amazon.de/dp/0099576570
Nur mal so ne kleine Bemerkung am Rande.
Warum begrüßen sich einige Charaktere in der Serie mit „Sieg heil“?
Der „Endsieg“ auf den damit abgezielt wird wurde ja in der Serie eigentlich schon errungen, oder nicht?