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Keine zwei Wochen nach Game of Thrones bekommt auch Der Herr der Ringe eine eigene neue Serie. Die ersten zwei Episoden von The Rings of Power sind seit Freitag auf Amazon Prime anzuschauen. Wir haben für euch reingeschaut und zusammengefasst, wie wir die Folge fanden.

Stellt euch vor, eine Produktionsfirma nimmt sehr viel Geld (ungefähr eine Milliarde Dollar) in die Hand, um eines der beliebtesten und bekanntesten Fantasy-Universen erneut mit Leben zu füllen. Mehr als zwei Jahrzehnte ist es her, dass die erste Trilogie alle Rekorde brach, und bis heute sind diese Filme ganz oben in der Liste der Lieblingsfilme vieler Menschen – auch jener, die sich sonst nicht unbedingt als Fantasy-Fans bezeichnen würden.

Nun lassen sich diese Produzent*innen im Detail erzählen, worum es geht, wie die Bildsprache funktioniert, wie Musik und Schauspiel und Thematik zusammenarbeiten. Sie heuern Expert*innen an, die ihnen tieferen Einblick in die Hintergrundgeschichte gewähren, und ihnen die komplexen Inhalte der Bücher erklären. Das Ziel ist klar: Dieses Fantasy-Universum für eine neue Gruppe Zuschauer*innen zu erschließen und die alten Fans mitnehmen.

Nur eines vergessen die Produzent*innen: Sich die Filme selbst anschauen, die Bücher selbst lesen. So oder so ähnlich muss es sich bei The Rings of Power zugetragen haben. Die Serie ist dabei keineswegs vollends misslungen, aber vor allem in der ersten der zwei veröffentlichten Episoden mangelt es an Seele.

Story

The Rings of Power spielt im zweiten Zeitalter, also chronologisch vor dem Herrn der Ringe. Zwar ist Morgoth, der große Böse des Herr der Ringe-Universums, zum Ende des ersten Zeitalters geschlagen worden, aber Sauron, sein General und seine rechte Hand, lebt noch und führt weiterhin nichts Gutes im Schilde. Während die Elben wie später im Herrn der Ringe schon in vergleichbaren Gesellschaften leben, gibt es viele Gegebenheiten des uns bekannten Mittelerde noch nicht. So kennt das zweite Zeitalter kein Gondor, und im Auenland leben noch keine Hobbits.

Wir begleiten einige Charaktere, die wir bereits aus dem Herrn der Ringe kennen – vor allem Galadriel und Elrond – und viele, die die nächsten gut 5000 Jahre bis zu den Ereignissen der Filmreihe wohl nicht überleben dürften. Galadriel und Elrond sind dementsprechend noch wesentlich jünger und auch deutlich weniger in der Gesellschaft der Elben etabliert, als sie es im dritten Zeitalter sein werden.

© Amazon
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Während Elrond zunächst lediglich als Redenschreiber und diplomatischer Berater des Hochkönigs Gil-Galad fungiert, befindet sich Galadriel auf einem Rachefeldzug gegen Sauron, die Orks und alles andere Böse, welches für den Tod ihres Bruders, Finrod, verantwortlich ist. Die restlichen Elben sind aber zunächst nicht so recht überzeugt, dass sich dieses Böse noch in der Welt befindet.

Weiterhin lernen wir Nori Brandyfoot, eine ‘Harfoot’, also eine Vorfahrin der Hobbits, kennen, die einen vom Himmel gestürzten Fremden findet. Der Elbensoldat Arondir ist gemeinsam mit der Menschenfrau Bronwyn einer Bedrohung aus dem Osten auf der Spur.

Darsteller*innen

Die Darsteller*innen sind das bei weitestem am stärksten scheinende Licht der ersten zwei Episoden. Morfydd Clark als Galadriel schafft es zwar nicht, direkt an Cate Blanchett anzuknüpfen, dies ist aber vermutlich nicht ihre Schuld. Für sich genommen spielt sie großartig, ihr Gesicht trägt jede Emotion, und sie verleiht jeder Szene, in der sie vorkommt, eine gewisse Ernsthaftigkeit. Selbst wenn sie in bester Legolas-Manier in den ersten Minuten einen Eistroll ersticht, lässt ihre Schauspielleistung dies halbwegs überzeugend wirken.

Auch Robert Aramayo als Elrond überzeugt und scheint geboren für die Rolle eines charismatischen Vermittlers. Markella Kavenagh als Nori übermittelt Leichtigkeit und schafft es, selbst die schlechteren Hobbit-Dialoge und Analogien sympathisch und mit Witz zu spielen. Ismael Cordova hat in den ersten zwei Episoden leider nicht viel Möglichkeit, mehr als zwei Gesichtsausdrücke zu machen, weil seine Rolle als Arondir dies anscheinend schlicht nicht vorsieht. Seine vorsichtige, weil halb-verbotene Zuneigung zur solide spielenden Nazanin Boniadi als Heilerin Bronwyn kommt aber gut zum Vorschein.

Unter den Nebenrollen muss Sophia Nomvete als Zwergenprinzessin Disa hervorgehoben werden, die in ihrer kurzen Szene großartig Wärme und emotionale Intelligenz übermittelt.

Inszenierung

Man merkt dieser Serie an vielen Stellen an, dass sie ein gigantisches Budget hatte. Viele der Bilder, die auf kleinen Bildschirmen sicherlich nicht gut wirken, sondern eher einen riesigen Fernseher oder Beamer benötigen, um ihre volle Wirkung zu entfalten, sind voller Details und ähneln fast Gemälden.

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Durchgehend benutzt die Serie die gleiche Film- und Kamerasprache wie ihr großes Vorbild; allerdings wirken diese Kamerafahrten und Inszenierungen häufig schwach, wenn sie konkreter werden. So fällt insbesondere das uninspirierte Kostümdesign ins Auge. Details der Kleidung wirken häufig eher gedruckt denn bestickt oder aufgenäht. Selbst im arktischen Winter der nördlichen Gebirge scheint es niemand für nötig zu halten, mehr als eine Schicht plus Rüstung oder gar einen Schal zu tragen, auch wenn die Elben im Nachgang über Frostbeulen klagen. Der Dreck, bei dem bei Menschen und Harfoots nicht gespart wurde, schreit seine Künstlichkeit hinaus und untergräbt so die Authenzität.

Die größte Sünde des Kostümdepartments ist aber sicherlich die modernen Kurzhaarfrisuren der Elben. So läuft Elrond nun nicht mehr mit Haaren bis zu den Schultern, sondern mit einem guten Kilo Haarspray durch die Wälder, und Finrod wirkt in seinen Rückblenden wie ein Model für eine Rasierermarke.

Das hohe Budget sorgt dafür, dass fast alle Bilder gestochen scharf sind. Leider steigert dies häufig die unrealistische Wirkung: einerseits, weil nicht ebenso viel Budget in das Set- und Kostümdesign gesteckt wurde; andererseits, weil diese Schärfe einfach unpassend und übertrieben modern wirkt.

Bear McCreary versucht als Komponist an Howard Shore anzuknüpfen und ihn dabei nicht zu kopieren. Man kann ihm wirklich nicht böse sein, dass ihm diese Mammutaufgabe nur teilweise gelingt. Häufig wirkt die Musik belanglos und deplatziert, manchmal vermag sie aber auch schöne Momente zu produzieren.

Erzählstil

The Rings of Power baut gerade am Anfang darauf, dass wir durch seine Verwandtschaft zu Der Herr der Ringe bereits grundlegend involviert sind. Im Vorfeld wurde der ersten Episode häufig ein langsamer Aufbau des Plots bescheinigt. Das Gegenteil ist der Fall – erst die zweite Episode nimmt sich wirklich Zeit, die Charaktere atmen zu lassen und die Konflikte aufzubauen, wo uns die erste direkt in die Geschehnisse wirft. Dies sorgt dafür, dass emotional bei den Zuschauer*innen rein gar nichts passiert, und schnell der Eindruck einer seelenlosen Produktion aufkommt.

Die zweite Episode macht vieles besser, ihre Dialoge wirken weniger holzschnittartig, und die Szenen bei den Zwergen schaffen es, dass tatsächlich ein nostalgisches Gefühl des Nachhausekommens aufkommt. Erstmals fühlt man sich ein wenig wie im Mittelerde der Jackson-Filme. Es gilt abzuwarten, ob die Serie sich hier fangen kann, oder wieder zurück in das unangenehme Gefühl der ersten Folge fällt.

Die harten Fakten:

  • Regie: Wayne Yip, J.A. Bayona, Charlotte Brandström
  • Darsteller*innen: Morfydd Clark, Lenny Henry, Markella Kavenagh, Sara Zwangobani, Megan Richard, Dylan Smith, Robert Aramayo, Ismael Cruz Cordova, Daniel Weyman, Nazanin Boniadi
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch/Englisch (angeschaut auf Englisch)
  • Format: Serie
  • Preis: In Amazon Prime enthalten
  • Bezugsquelle: Amazon Prime

 

Fazit

The Rings of Power hinterlässt einen gespaltenen Eindruck. Einerseits verspricht die Serie eine Rückkehr nach Mittelerde, auf die viele Fans seit Jahren warten, und möchte dort eine neue, epische Geschichte erzählen. Andererseits hat sie ein schweres Erbe zu tragen. So dürfen sich die Fehler der Hobbit-Trilogie nicht wiederholen, es darf aber auch nicht zu einem schlichten ‘Herr der Ringe 2.0’ verkommen.

Es erscheint instinktiv unfair, The Rings of Power mit dem Herrn der Ringe zu vergleichen, allerdings macht die Serie dies selbst die ganze Zeit: Sei es in der eigenen Bewerbung, sei es in der Bildsprache und den Dialogen. Und leider schafft sie es in den ersten zwei Episoden nicht einmal annähernd, dem gerecht zu werden. Während die erste Episode enttäuscht, deutet die zweite auf eine grundsolide, vielleicht sogar gute Fantasy-Serie hin. Aber nicht auf den Herrn der Ringe.

 

  • Hohes Produktionsbudget
  • Vielversprechende Geschichte
 

  • Kostüm und Styling
  • Seelenlose Bildsprache
  • Holzige Dialoge

 

Artikelbilder: © Amazon Prime
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Alexa Kasparek
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

 

Über der*die Autor*in

Te Gold liest und schaut Phantastik, seit sie*r lesen und schauen kann. Das Medium ist dabei meist egal, in den letzten Jahren fokussiert allerdings häufig Pen-and-Paper und Serienformate. Studiert hat sie*r Philosophie.

 

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