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Mit dem Erebor-Quellenband bekommt das The One Ring-Rollenspiel langbärtige Verstärkung. Doch nicht nur der einsam thronende Berg liegt im Fokus dieses Bandes. Auch von mutigen Nordmenschen und schuppigen Würmern wird berichtet. Doch kann der Inhalt in den Wirren des ausgehenden Dritten Zeitalters Mittelerdes bestehen?

Während die letzten großen Quellenbände des The One Ring-Rollenspielsystems jeweils große Gebiete Mittelerdes bespielbar machten, wendet sich der Erebor-Band wieder gen Norden. Doch wer hier schon den glockengleichen Klang der Zwergenhämmer aus ihren tiefen Hallen emporschallen hört, der wird sich vielleicht wundern, denn lauteres Geläut steigt vor dem Einsamen Berg in die klaren Himmel der nördlichen Welt. 

Inhalt

Der Titel dieses Bandes leitet fehl, denn hier wird nicht nur Material zum Einsamen Berg und seinen Einwohnern geboten. Die Informationen zur Menschenstadt Thal im Schatten des Berges nehmen nur eine unwesentlich kleinere Anzahl an Seiten ein. Außerdem werden die umliegenden Gebiete, im Norden bis zum Grauen Gebirge, im Osten bis zu den Eisenbergen, und im Süden die Lande zwischen dem Rotwasser und dem Eilend beschrieben. Davon abgesehen bleibt das Quellenbuch seinem Zwergen-Thema treu, denn sowohl die jüngere Geschichte der zähen Langbärte, als auch allerhand zusätzliche Möglichkeiten für zwergische Abenteurer wurden zwischen den Buchdeckeln untergebracht. Abgerundet wird das Ganze mit einem Kapitel über die schuppigen Erzfeinde der Zwerge: die Drachen.

Von klingenden Hämmern in tiefen Hallen

Die Inhalte zum Erebor an sich sind ein wenig enttäuschend: Es werden zwar einige interessante Orte beschrieben, die abgebildete Karte ist aber unübersichtlich bis zur Unbrauchbarkeit, und es werden nur drei Personen vorgestellt, die nicht Teil von Thorins Abenteuerfahrt waren. Die Informationen zu den überlebenden Mitgliedern werden dagegen auf sechseinhalb Seiten ausführlich breitgetreten, und jeder davon wurde mit einer blassen und nichtssagenden Zeichnung versehen, was für den extremen Seitenbedarf sorgt. Wenigstens sind die Informationen hier spannend, da sie die Möglichkeit bieten, die zwergischen Helden des Hobbit-Romans in ihrer neuen Stellung in die Geschichte zu integrieren.

Das nachfolgende kurze Kapitel kann hingegen mehr überzeugen. Es widmet sich ganz der hohen Schmiedekunst der eifrigen Zwerge. Konkret bedeutet das zusätzliche Optionen zu den Regeln aus dem Rivendell-Quellenband, und eine spezielle Regel für das Schmieden einer einmaligen Waffe durch einen zwergischen Abenteurer. Die Ergänzungen sind zwar kurz, aber stimmig gehalten. Die Mechaniken des Schmiedens dürften Spieler eines Handwerkers wirklich erfreuen, denn eine Waffe oder Rüstung aus der Esse zu heben, die eines wahren Meisters würdig ist, dürfte einen Höhepunkt im Leben eines Helden darstellen. Der Rivendell-Band ist hier allerdings Voraussetzung. Unschön, wenn man bedenkt, dass dies nirgends kenntlich gemacht wird.

Von neuerstandener Stadt und wilden Landen

Das Material zu Thal ist umfangreich und detailliert. Die Stadt und ihre Bewohner werden ausgiebig beschrieben, und die Karte ist hier tatsächlich brauchbar. Gerade die sehr ausführliche Beschreibung der neuerrichteten Stadt lässt das Material zum Erebor etwas mager erscheinen. Während hier dem Spielleiter viel in die Hand gegeben wird, um seine Spieler durch die Stadt der vielen Glocken zu führen, muss für das effektive Erleben des Königreiches unter dem Berg noch einiges an eigener Arbeit einfließen. Das ist natürlich der Vielschichtigkeit der zahlreichen Stollen und Hallen im Berg und der schieren Größe der wiedergewonnen Zwergenfeste geschuldet, aber von dem Quellenband, der den Namen eben jenes Berges trägt, hätte ich doch mehr erwartet. Thal bietet ebenfalls mehr Ansätze, um Konflikte und Orte handlungsrelevant in die eigene Geschichte einzubauen, und somit gelingt dieses Kapitel besser als das namensgebende.

Die Seiten zu den Landen, die den Berg umgeben, bilden einen sinnvollen und schön geschriebenen Komplex, angereichert mit einer Menge guter Ideen und vielen Anreizen. Von den unter der Herrschaft König Bards wiederbesiedelten Gebieten nördlich und südlich der Stadt, über die Einöde, so krank durch Smaugs Verwüstung, dass der Boden nie mehr geheilt werden kann, bis hin zu den unteren Marschen, in denen man Menschen aus dem Osten und Dorwinion begegnet – überall lockt spannender Inhalt. Auch die verlassenen Zwergenfesten des Grauen Gebirges und die harten Waffen-und Rüstungsschmiede der Eisenberge laden zu einem Besuch ein. Zu jedem dieser Gebiete werden relevante Personen und Feinde sowie besondere Orte präsentiert. Dieser Teil bringt viel Abwechslung und zählt zu den Stärken des Bandes. Zu bemängeln ist allerdings, dass ein paar Materialien aus dem Abenteuerband Tales from Wilderland, dem Quellenband The Heart of the Wild und dem Kampagnenband The Darkening of Mirkwood recycelt werden, beziehungsweise dass ohne nähere Beschreibung auf diese Bände verwiesen wird. Das mag so üblich sein, bei den kurzen Beschreibungen zur jeweiligen Region kann so aber ein merklicher Teil schon bekannt oder aber unzureichend beschrieben sein. Ein kleines, aber unschönes Detail.

Über Drachen – Concerning Dragons

Den großen Würmern des Nordens ist ein eigener Abschnitt zugedacht worden. Dieser ist hinreichend umfangreich: Von Regeln zur Erstellung eines wahrlich gefährlichen Antagonisten, über die mögliche Ausgestaltung des Hortes, bis zu Gerüchten über Drachen wurde an alles Nötige gedacht. Zwei ausgearbeitete Drachen liegen vorbildhaft auf ihrem Schatzhaufen bereit, um direkt ins Spiel zu kriechen oder aber als Inspiration zu dienen. Gerade hier wird wieder der Aspekt, den ich an The One Ring besonders schätze, deutlich: der respektvolle Umgang mit Tolkiens Welt. Bereits die Verdeutlichung der Besonderheit der schuppigen Ungetüme, und die Mahnung, sie angemessen zu verwenden, machen dies deutlich. Die Drachen werden durch die Persönlichkeit, die ihnen während der Erstellung verliehen wird, keine tumben Monster, sondern zu wirklichen Widersachern mit ausgefeiltem Charakter. Allein schon die Möglichkeit, ein Gespräch mit diesen Scheusalen zu führen, birgt die Chance auf großartige Momente am Spieltisch. Smaug der Goldene mag zwar in den Langen See gestürzt sein, aber dank dieser Spielhilfe wird einer seiner gepanzerten Verwandten den Norden wieder unsicher machen können.

Insgesamt gefällt dieser Teil also sehr gut, nur die Häufigkeit, in der diese Regeln am Spieltisch zum Einsatz kommen, wird wohl ziemlich gering sein. Da ein Drache der große Gegenspieler einer ganzen Kampagne sein sollte, nicht aber die schnelle Feuerbringerin für zwischendurch, bleiben diese Mechaniken toll ausgearbeitete, aber eben auch sehr spezielle Ergänzungen.

Der große Rachekrieg und die neuen Optionen für zwergische Helden

Die folgenden Passagen beschäftigen sich mit der Geschichte des Krieges zwischen den Zwergen und den Orks des Nebelgebirges, der mit der Ermordung Thrórs durch die Klaue Azogs beginnt und in der Schlacht von Azanulbizar gipfelt. Der Lesestoff ist hier dicht und spannend gewebt. Auch die gewonnenen Informationen können für die Ausgestaltung eines zwergischen Abenteurers, der aufgrund der Langlebigkeit seines Volkes selbst an diesem Krieg teilgenommen haben kann, von Nutzen sein. Der Abschnitt schließt mit einer Mechanik zum Groll der Zwerge auf ein anderes der freien Völker Mittelerdes. Diese kann genutzt werden, um Schattenpunkte effektiver abzubauen.

Die neuen heldenhaften Kulturen sind die martialischen Zwerge aus den Eisenbergen und ihre immer noch vertriebenen Verwandten aus dem Grauen Gebirge, die seit der Wiedergewinnung Erebors neue Hoffnung mit Blick auf ihre alten Festen schöpfen. Beide Kulturen bekommen den üblichen Satz an Hintergründen. Bei den kulturellen Belohnungen und Vorteilen erhalten beide Völker aber nur jeweils eine Option, die eine Wahlmöglichkeit der Zwerge Erebors aus dem Grundbuch ersetzt. Das ist ein wenig dünn, und so bilden die beiden neuen Langbartkulturen zumindest auf Regelebene keine vollwertige Alternative.

Erscheinungsbild

Das Erscheinungsbild bleibt dem Stil des Systems treu. Die Druck- und Papierqualität ist hoch, der Einband ein Hardcover, und die 112 Seiten sind übersichtlich gestaltet, wobei ein Index unnötiges Blättern verhindert. Die Illustrationen sind solide bis gut, bis auf oben genannte Zeichnungen von Thorins Gefährten. Leider reichen weder die Qualität noch die Anzahl der Bebilderung an frühere Bücher des Regelwerkes heran. Nichtsdestotrotz gehört der Band zu den besseren Gestaltungen im Tischrollenspielbereich, auch wenn man hier vielleicht nicht die ganze Pracht des Königs unter dem Berg erblicken kann.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cubicle 7 Entertainment Ltd.
  • Autor(en): Gabriel Garcia, Andrew Kenrick, Francesco Napitello u.a.
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Englisch
  • Seitenanzahl: 112
  • ISBN: 978-0-85744-279-6
  • Preis: ab 19,99 GBP (Hardcover+PDF), 17,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

​Fazit

Das Erebor-Quellenbuch, das zu wenig vom Einsamen Berg an sich bietet, dafür aber die Lande östlich des Düsterwaldes sowie die Stadt Thal gut beschreibt, gibt dem Leser ein solides Werk in die Hände. Der Anteil an wirklich interessantem und neuem Material hätte höher ausfallen können. Die Höhepunkte des Bandes stellen die Beschreibungen und Regeln zu den Drachen, sowie einige spannende Ideen im Abschnitt zu den Regionen um den wiedererstarkten Erebor dar. Was Regelergänzungen anbelangt, sind diese für den Spieler eines zwergischen Heroen eine Bereicherung zur Ausgestaltung seines Charakters. Der Preis für die digitale Variante allein fällt zu hoch aus.

Das Paket-Angebot von Hardcover und PDF bedient aber jeden The One Ring-Spieler gut, der Interesse an Zwergen im Allgemeinen und den Gebieten östlich und nördlich des Düsterwaldes im Speziellen hat. Dieser Quellenband ist mit Sicherheit kein Machwerk der alten Zwergenschmiede aus Belegost und Nogrod, aber auch die jüngeren Arbeiten der Meister des Dritten Zeitalters können sich ja durchaus sehen lassen. Im Klartext: Das The One Ring-System hat stärkere Bände hervorgebracht, trotzdem ist dieser hier ein gutes Tischrollenspielbuch.

Mit Tendenz nach Unten

Artikelbilder: Cubicle 7 Entertainment Ltd.

Über den Autor

nick-randackNick Randack ist bei Tischrollenspielen mit erzählerischem Tiefgang und starker Hintergrundwelt schnell Feuer und Flamme. Das Regelkonstrukt des System sieht er mehr als notwendiges Übel für ein erfolgreiches Zusammenspiel, denn als wirkliche Bereicherung. Bei der Auswahl der Spielwelten ist er prinzipiell offen, wobei zu abstruse und schillernde Realitäten ihn eher schrecken und bodennahe und am besten an echter Mythologie angelehnte Kosmen seinen mentalen Geschmacksorganen munden.

 

 

 

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