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Das postapokalyptische Fantasy Rollenspiel Mythaloria lässt die Spielenden eine Welt erleben, die an das antike Griechenland und Rom erinnert. Die Charaktere führen ihre Schritte durch die Region Enìkien, die zwischen den verfluchten Ruinen der Vergangenheit und einer neuen Zukunft hin und her schwankt.

Auf dem Rollenspielmarkt gibt es unzählige Fantasy Rollenspiele. Oft werden allseits bekannte und beliebte Stereotypen der Fantastik miteinander vermischt, um eine neue Spielwelt zu erschaffen.

Mythaloria nimmt für sich in Anspruch, ein postapokalyptisches Fantasy Rollenspiel zu sein, und erschafft gleich ein neues Untergenre in der Fantasy. Im ersten Moment klingt es provokant, die Genres Postapokalypse und Fantasy zu mischen, aber es gibt bereits Systeme, wo das gemacht wurde. Bei Earthdawn und Engel wurden ebenfalls beide Genres verbunden, ohne jedoch diese Bezeichnung zu reservieren. Wie wurde dieser Anspruch nun bei Mythaloria zusammengefügt?

Mythaloria ist das jüngste Rollenspiel aus dem Heinrich Tüffers Verlag, der auch das Cyberpunk System Ultima Ratio entwickelte und veröffentlichte. Beide Rollenspiele teilen sich das Regelsystem und einige der innovativen Spezies, die die Spielwelten bevölkern.

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Die Spielwelt

Die Hauptregion des Spiels, Enìkien genannt, zieht viele Anleihen aus der griechischen und römischen Antike. Architektur, Namen, Glaubenswelt und Kleidung erinnern immer wieder daran. Wenn die Spielleitung die Welt weiter ausgestalten will, können weitere Ideen aus der antiken Mythologie gezogen werden.

Vor Jahrhunderten wurde die Welt Arkada von den Gottheiten, die als die Khaí zusammengefasst werden, wegen der Sünden ihrer Bewohner*innen bestraft. In der zurückbleibenden Asche kämpften Stämme von Überlebenden um Nahrung und fruchtbares Land.

Viele Generationen später erholte sich das Land und die Stämme besiedelten die Region Enìkien am Meer, die gemäßigtes Klima und genügend Früchte der Natur bot, damit die Stämme gedeihen konnten.

Die Landschaften Enìkiens haben sich von der Verwüstung erholt.
Die Landschaften Enìkiens haben sich von der Verwüstung erholt.

Es entwickelten sich Stadtstaaten, die mit Rohstoffen und Handelswaren einigen Einfluss auf die umliegenden Regionen ausüben konnten. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Stadtstaaten stieg auch die politische Macht der Eliten. Dieses neue Gefüge wurde von der Kirche der Khaí genutzt und gelenkt. Sie war eine politische Macht, die mit den religiösen Geboten der Khaí alle Bevölkerungsschichten Enìkiens kontrollierte. Gegenwärtig schürt die Kirche auch die beständige Furcht vor den Talokh, den Widersachern der Khaí. Und tatsächlich treiben sich in entlegenen Regionen monströse Wesen herum, mit denen die Talokh ihren Einfluss in Enìkien verbreiten wollen.

In ihrem Einflussbereich gleichen die Stadtstaaten Ländern.
In ihrem Einflussbereich gleichen die Stadtstaaten Ländern.

Der Hintergrund, die Lebensweise der Spezies und Landschaften Enìkiens werden im Buch auf zwölf Seiten erzählt, was recht wenig erscheint, aber ausreichend ist, wenn man die Gesamtseitenzahl des Buches betrachtet.

Dabei fällt die bisherige Geschichte der Welt nur kurz aus und mehr Beschreibung fließt in das Kastensystem, die Glaubenswelt und einen Überblick über die wichtigsten Regionen und Städte Enìkiens.

Die Spezies Mythalorias sind aus dem Science-Fiction Rollenspiel des Heinrich Tüffers Verlags Ultima Ratio bekannt. Von den neun Spezies wurden fünf in Enìkien beheimatet.

  • Die Keana entsprechen vom Aussehen den Menschen anderer Welten, wobei bei ihnen hellbraune Haut- und dunkle Haarfarben vorherrschen.
  • Kh’rell sind eine eingeschlechtliche muskulöse Spezies mit roter bis bronzefarbener Haut und einem beweglichen Schwanz.
  • Am beeindruckendsten sehen die Rhuna aus. Sie können bis zu 2,60 Meter groß werden und haben vier Unterarme und ein drittes Auge.
  • Sunrakhi haben eine schwarze bis blaugraue unbehaarte Haut und vier Finger an jeder Hand.
  • Die Szaxadi erkennt man an den feinen, am Kopf anliegenden Tentakeln, mit denen sie Illusionen erschaffen können.
  • Kulturell haben die einzelnen Spezies ein paar Eigenheiten, sind aber durch die Kultur Enìkiens miteinander verbunden.

 

Ein besonderes Merkmal Mythalorias ist, dass fast alle Bewohner Enìkiens angeborene magische Kräfte haben. Studium und Training beeinflussen natürlich das individuelle magische Potential.

v.l.n.r  Szaxadi, Kh'rell, Keana, Rhuna, Sunrakhi
v.l.n.r  Szaxadi, Kh’rell, Keana, Rhuna, Sunrakhi

Die Spezies, wie auch die Kulturen, werden im Buch nur recht kurz beschrieben, dabei wird aber Wert auf Diversität gelegt. Zwei der fünf Spezies sind nicht binär geschlechtlich und die enìkische Kultur ist matriarchalisch geprägt, was in Fantasywelten nicht oft der Fall ist. Hier wird wieder die Innovation der Welt aufgezeigt.

Die Regeln

Die Regeln sind einfach gehalten und erinnern an die der World of Darkness. Es wird mit einen Würfelpool aus vierseitigen Würfeln gewürfelt, der sich meist aus Attribut plus Fertigkeit zusammensetzt. Es gibt zehn Attribute (zum Beispiel Auffassung, Geschick und Manipulation) mit Werten zwischen eins und fünf. Die insgesamt 27 Fertigkeiten wurden in die Kategorien körperlich, sozial und geistig aufgeteilt und haben ebenfalls Stufen zwischen eins und fünf. Somit liegt der Würfelpool zwischen zwei und zehn Würfeln, je nach Punktwerten beziehungsweise Fertigkeit des Charakters.

Das Würfelergebnis aller Würfel wird dann zusammengezählt und muss die Schwierigkeit erreichen, um einen Erfolg zu erzielen. Die Schwierigkeit ist ein von der Spielleitung festgelegter Wert zwischen 4 und 35, abhängig von dem Herausforderungsgrad der Aufgabe.

Darüber hinaus gibt es sogenannte Szenepunkte, mit denen sich die Spielenden Erfolge, kritische Treffer oder Wiederholungswürfe kaufen können. Einen Szenepunkt gibt es automatisch und weitere können durch herausragendes Rollenspiel verdient werden.

Das Magiesystem folgt einem Baukastenprinzip, was einigen aus Magus: Die Erleuchtung, Wechselbalg: Der Traum oder Myranor bekannt vorkommen mag. Um einen Zauber zu wirken, wird eine magische Traditionen (göttliche, natürliche o.ä.), ein magischer Fokus (Areal, Kreatur o.ä.) und eine magische Schule (Erhaltung, Hervorbringung o.ä.) ausgewählt und miteinander zu einem Zauber kombiniert. Dann wird eine Probe gewürfelt, um den Erfolg zu bestimmen. Weil Magie anzuwenden in Mythaloria anstrengend ist, verursacht jeder Zauber Schaden an der Ausdauer des Charakters. Dieser sogenannte Entzug wird mit demselben Würfelpool wie die magische Probe gewürfelt.

Um dieses System einfacher zu gestalten, werden klassische Zauber wie Barriere, Licht, heilende Hände und einige weitere im Buch mit allen Spielwerten vorgestellt.

Der eigentliche Regelteil inklusive der Magie- und Kampfregeln umfasst etwa 30 Seiten des Buches und ist sehr übersichtlich gestaltet. Zusammenfassungen werden im Text in farbigen Kästen hervorgehoben. Insgesamt sind die Regeln für Spielende und Spielleitung einfach zu erlernen und zu merken.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung folgt in gewisser Weise dem Kaufen von Punkten, ist aber viel kreativer und an den Hintergrund des neu erschaffenen Charakters gebunden. Es werden eine Reihe von Fragen zum Hintergrund mit möglichen Antworten gestellt und daraus werden die Spielwerte ermittelt.

Zum Beispiel: Welche Profession hast du? Mit der Profession Kundschafter*in bekommt man Geschick +1 und einige passende Spezialfähigkeiten und Vorteile wie Bögen, Kräuterkunde, leichte Rüstung und so weiter. Weitere Fragen werden zur Spezies, zur Herkunft oder zur Motivation des Charakters gestellt und ergeben weitere Boni auf die Spielwerte. Dabei gibt jede Antwortoption denselben Bonus auf die Charakterwerte, also gibt es keine guten oder schlechten Antworten. Insgesamt sind zehn Fragen zu beantworten, um den Charakter abzuschließen. Eine dieser Fragen bestimmt das magische Potential des Charakters.

Der Charakterbogen ist ähnlich einfach und übersichtlich wie die Regeln gehalten.
Der Charakterbogen ist ähnlich einfach und übersichtlich wie die Regeln gehalten.

Bei Mythaloria gibt es keine Erfahrungspunkte und keine Charakterstufen. Stattdessen können Eigenschaften durch Training und Lernen durch Anwendung weiterentwickelt werden. Dabei wird während der Zeit zwischen den Abenteuern eine komplexe Probe gewürfelt und bei Erfolg die betreffende Eigenschaft gesteigert. Andere Spielwerte, wie magische Kräfte, werden durch kritische Erfolge (alle Würfel haben ein Ergebnis von 4) gesteigert.

Die Charaktererschaffung geht recht schnell von der Hand und begünstigt detaillierte Hintergründe für die Charaktere.

Das Steigerungssystem wirkt auf den ersten Blick zufällig und unbalanciert, aber Mythaloria folgt einer ausdrücklichen organischen Weiterentwicklung der Charaktere.

Erscheinungsbild

Im Buch ist alles enthalten, was man braucht, um in Enìkien zu spielen. Hintergrund, Regeln, einige Kreaturen und Beispielcharaktere. Außerdem gibt es auf den letzten sechs Seiten des Buches noch das kurze Einführungsabenteuer „Die Bestie von Dimas“, damit mit den Beispielcharakteren gleich losgespielt werden kann.

Das Buch ist vollfarbig und beinhaltet qualitativ hochwertige Illustrationen, die die Welt visualisieren. Alle Überschriften im Buch sind in einer antik wirkenden Schriftart gedruckt und der Seitenhintergrund ist in einer Eierschalenfarbe gefärbt. Beides erzeugt den Eindruck, ein antikes Pergament zu lesen. Der Text selbst ist gut zu lesen und verständlich geschrieben.

Im gesamten Buch werden konsequent nichtbinäre Begriffe genutzt, um alle Spielenden mit einzuschließen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Heinrich Tüffers Verlag
  • Autor*in(nen): Nikolas Tsamourtzis
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: 80
  • ISBN: 978-3-941340-30-5 (Hardcover), 978-3-941340-31-2 (PDF)
  • Preis: 29,95 EUR (Hardcover), 14,95 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG

 

Fazit

Mythaloria tritt unter dem selbsternannten Genre „postapokalyptische Fantasy“ in die Rollenspiellandschaft ein. Bei einem genaueren Blick in das Buch wurde eine authentische Welt erschaffen, die die erwähnte Postapokalypse mit einer innovativen Fantasywelt verbindet.

Trotz der antiken Kultur der Hintergrundwelt, enthält diese diverse nichtbinäre Spezies, was auch durch die entsprechende Schreibweise des Textes hervorgehoben wird.

Die Regeln von Mythaloria sind relativ einfach gehalten, schnell erlernbar und flüssig umzusetzen. Das Magiesystem liest sich erst kompliziert, fördert aber nach genauerem Auseinandersetzen einen kreativen Umgang mit der Magie. Anders als in anderen Fantasysystemen, ist bei Mythaloria jeder Spielcharakter magiebegabt.

Das Buch kostet 30 Euro und bietet eine ganze Hintergrundregion, das Regelsystem und ein Startabenteuer. Damit ist es ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Insgesamt eine gelungene Ergänzung des Heinrich Tüffers Verlag zu den bereits bestehenden Fantasywelten.

Ein Spielbericht, um die Spielbarkeit des Systems zu testen, ist in einem separaten Artikel erschienen.

 

  • Innovative Spezies

  • Zugängliche Spielwelt

  • Optisch ansprechendes Layout

 

  • keine

 

 

Artikelbilder: © Heinrich Tüffers Verlag
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Katrin Holst
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2 Kommentare

  1. Scarred Lands ist im übrigen ein weitaus älteres Setting das ebenfalls nach einer Apokalypse spielt.
    Ebenso könnte man die tiefgreifenden Ereignisse auf Faerun, die es vor jedem Ad&D bzw. D& D Editionswechsel gab, als Apokalypsen sehen.
    Spielt denn das apokalyptischen Ereignis irgendeine Rolle im täglichen Leben der PCs (Setting und Regeln)?

  2. Die apokalyptische Zerstörung spielt nur dahingehend eine Rolle, dass in der Spielwelt geheimnisvolle Ruinen verteilt sind, die erkundet werden können.
    Der Hintergrundteil im Buch geht nicht so weit in die Tiefe, um das Thema zu behandeln.

    Natürlich gibt es auch andere Systeme mit Apokalypsen.

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