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Tausende Besucher strömen in die Bochumer Jahrhunderthalle, viele davon in viktorianischem Stil und mit Technik im Stile Jules Vernes gewandet – es ist Steampunk Jahrmarkt. Dieser fand am 11. Februar bereits das dritte mal statt, erneut im Rahmen des Historischen Jahrmarkts. Lohnte sich der Besuch?

Immerhin war der Marktbesuch teurer als bei anderen Veranstaltungen der Steampunk-Szene: Satte 20 EUR (VVK) beziehungsweise 24 EUR (Tageskasse) kostete der Besuch. Dafür jedoch war die Benutzung der historischen Fahrgeschäfte im Preis inbegriffen – der Besuch des an mehreren Wochenende stattfindenden Historischen Jahrmarkts kostet alleine bereits 15 EUR. Letzterer fand bereits in zehnter Auflage statt, und stellte eine echte Attraktion dar.

Location

Die Bochumer Jahrhunderthalle ist heute vor allem als Veranstaltungslocation bekannt, hat aber zugleich eine lange Historie: 1902 begann sie als Ausstellungshalle in Düsseldorf, bevor sie bereits 1903 nach Bochum verlegt wurde. Der industrielle Charme kommt hier wunderschön zur Geltung, so dass für ein Event dieser Art quasi perfekte Bedingungen gegeben sind. Zudem ist die Halle äußerst gut erreichbar: Lediglich zwei Haltestellen gilt es mit der Straßenbahn vom Bochumer Hauptbahnhof zu fahren, plus wenige Minuten Fußweg.

Die industrielle Herkunft ist gut zu erkennen – und soll es auch.
Die industrielle Herkunft ist gut zu erkennen – und soll es auch.

Dort angekommen, ging es rasch durch die Eingangstür ins Foyer (sofern diese nicht gerade geschlossen war – dann war die Eingangstür nicht zu erkennen), wo man sich nach rechts wandte um sich an der Kasse anzustellen. Danach ging es wieder zurück, um aus dem Foyer heraus in die eigentliche Halle zu gelangen – etwas ungünstig organisiert. Die Schlangen stellten sich allerdings dankenswerterweise fast jederzeit als recht kurz dar, so dass es nie mehr als ein paar Minuten Wartezeit gab. Und so war man tatsächlich erstaunlich schnell drin – und damit auf dem Jahrmarkt, der sich mit seinen bunten Lichtern sofort bemerkbar machte.

Zwei Schritte rein, und schon ist man mittendrin im Jahrmarkts-Trubel.
Zwei Schritte rein, und schon ist man mittendrin im Jahrmarkts-Trubel.

Der Jahrmarkt

Rund um die mittig gelegenen Attraktionen Riesenrad (aus dem Jahr 1902) und Kettenkarussell (1947) breitet sich der Historische Jahrmarkt aus. Neben Fahrgeschäften wie einem klassischen Holzpferdekarussell (Baujahr vor 1885), einer Raupenbahn (1926) oder Autoscooter (1950) gab es auch weitere Möglichkeiten, sich begeistern zu lassen – wie ein Spiegelkabinett (1922), eine Geisterbahn (1949) oder einen Flohzirkus (1948). Die Mehrheit stammte generell aus dem Zeitraum 20er- bis 40er-Jahre.

Ergänzt wurden die klassischen Jahrmarktsattraktionen um weitere Kleinode wie alte Orgeln oder ein Fotostudio von 1900. Und Imbisse sowie Spiele wie Dosenwerfen oder Entenangeln durften natürlich auch nicht fehlen – dies allerdings weitestgehend dezent und dem historischen Stil angemessen. Negative Ausreißer wie neonfarbene Ballons stellten zum Glück die Ausnahme dar.

Der Eindruck des Historischen Jahrmarkts selbst ist also in der Tat sehr gut – buntes Treiben in warmen Licht, eine stimmige Atmosphäre und schöner Detailgrad, so dass man sich fragt wieso es heute auf einer Kirmes nicht mehr so aussieht. Auch die dazwischen platzierten Aussteller ohne Fahrgeschäfte, wie Maler oder Zauberer trugen zur Stimmung bei.

Zauberkünstler Doctor Marrax bei der Arbeit.
Zauberkünstler Doctor Marrax bei der Arbeit.

Ebenfalls zwischen Fahrgeschäften und Imbissen zu finden: Diverse Anbieter vom steampunkigen Waren wie Kleidung, Schmuck oder Accessoires. Viele der entsprechenden Anbieter waren allerdings nicht in der Haupthalle, sondern davor im Foyer zu finden – was verbunden mit Einlass-/Kassenschlangen zu teils recht beengten Wegen führte.

 

Allgemeine Impressionen

Da der Historische Jahrmarkt wie auch die Aussteller und das Drumherum mit Worten niemals so gut zu beschreiben sind, wie es ein Bild tun würde – Vorhang auf für unsere kleine Galerie allgemeiner Impressionen:

 

Programm

Leider konnte das angebotene Programm nicht mit dem Historischen Jahrmarkt selbst mithalten – wobei dieser ja selbst schon ein Programm darstellt und bietet. Ich hätte mir dennoch mehr Programm speziell für den Steampunk Jahrmarkt selbst gewünscht, wie man es auch von anderen Veranstaltungen kennt.

Was gab es also? Ganztägig gab es eine „Teaparty“, Aussteller von Abacus Theater und ein aufgebautes Fotostudio.

 

Daneben gab es eine Eröffnungsrede, zweimal eine Lesung von Judith und Christian Vogt, und dreimal einen Auftritt der Band Drachenflug – zweimal unplugged im Foyer, und einmal abends um 22 Uhr auf der aufgebauten Bühne in der Halle. Dass die Ecke im Foyer direkt neben einem Ausgang der Halle war, dürfte ebenso für eine schlechte Platzierung sprechen wie auch die Tatsache, dass die umstehenden Leute an jener Stelle die Treppe und auch das Foyer selbst (wo sich ja auch Händler befanden) blockierten. Warum man diese Auftritte nicht ebenso auf der Bühne stattfinden ließ dürften wohl nur die Beteiligten wissen.

Drachenflug unplugged im Foyer.
Drachenflug unplugged im Foyer.

Einen weiteren Programmpunkt gab es aber noch, erstmals in diesem Jahr: Das „Finale“ beziehungsweise die „Defilee de Honoration“. Womit ein Gewandungswettbewerb gemeint war.

Gewandungswettbewerb

Dieser fand unter den fachkundigen Augen von fünf Szene-Ausstellern statt und wurde von Schaustellerpräsident Albert Ritter moderiert. Zuvor gab es jedoch die Bekanntgabe, dass über 3.700 Besucher an diesem Tag den Weg zur Veranstaltung fanden, sowie eine künstlerisch-turnerische Darbietung der aktuellen Kirmeskönigin NRW, Sofie Henziger.

Ihre Majestät, Königin Sofie, in Aktion.
Ihre Majestät, Königin Sofie, in Aktion.

Hiernach folgte der Wettbewerb, dem jedoch leider die mangelnde Erfahrung in diesem Bereich anmerkte. Nicht nur machte der joviale Moderator einen unkundigen Eindruck, vor allem organisatorisch hätte man einiges besser machen können. Dies fing damit an, dass die Teilnehmer mitten im Publikum warten mussten, bis ihre Nummer aufgerufen wurde, und sich dann durch eben diese drängeln mussten. Da recht viele Teilnehmer nicht auftauchten konnte der eigene Auftritt plötzlich schneller kommen als gedacht. Da die kleine Bühne ziemlich niedrig war (unter Kniehöhe), gab es zudem ein merkliches Gedrängel – schließlich ließen sich dank der Höhe eigentlich nur aus der ersten Reihe Bilder ohne Publikum im Weg schießen. Gerade bei der hohen Fotografendichte durchaus problematisch. Anstelle einer Darbietung mussten die Teilnehmer dem Publikum zunächst ihren Rücken zuwenden, um sich der frontal zu den Besuchern sitzenden Jury zu präsentieren. Hiernach folgte jeweils ein kurzes Interview durch Albert Ritter, bei dem es um die Frage ging, was für einen Charakter die Teilnehmer darstellten. Problem an der Sache: Waren die Teilnehmer nicht erfahren genug, selbst bei Betreten oder Verlassen der Bühne etwas abseits des Moderators zu posieren, war es teils schwierig, ein Bild ohne den nahen Moderator oder dessen Hand mit Mikrofon zu erlangen.

Davon abgesehen überzeugten die Teilnehmer mit vielen liebevollen und abwechslungsreichen Gewandungen, und teils auch erstaunlich durchdachten Charakterhintergründen. Die Entscheidung, wer prämiert wird, dürfte der Jury daher ziemlich schwer gefallen sein. Zu gewinnen gab es eine Reise mit Unterbringung für zwei Personen zum Asylum Steampunk Festival im britischen Lincoln.

Nachmittags – die beiden ahnen noch nicht, dass sie wenige Stunden später als Sieger aus dem Wettbewerb gehen werden.
Nachmittags – die beiden ahnen noch nicht, dass sie wenige Stunden später als Sieger aus dem Wettbewerb gehen werden.

Impressionen vom Wettbewerb

Eine unvollständige Auswahl von Teilnehmern bei der „Defilee de Honoration“, ohne Wertung:

Steampunk: Liebe zum Detail

War das eigentliche Programm, abseits des hervorragenden Historischen Jahrmarkts, nicht gerade üppig, lässt sich das Gegenteil über die Besucher sagen. Die Dichte an gewandeten Gästen war erstaunlich hoch, gerade in Anbetracht der hohen Besucherzahl. Deutlich wird: Die Steampunk-Szene wächst. Besonders schön ist dabei, dass es eine verbindende Szene ist, in der wirklich jedes Alter vertreten ist – ohne dass einzelne eine krasse Minderheit darstellen. Auch sind Überschneidungen zu LARPern und klassischen Cosplayern inzwischen keine Besonderheit mehr.

De Schnidder | Invebe | Sahki | Fancy Shadows Cosplay

Allen gemein: Die Liebe zum Detail. Seien es Verzierungen, Applikationen im Gesicht, kreative Accessoires oder Hüte mit mehr Dekoelementen als man zählen kann. Im Gegensatz zu früheren Jahren finden sich inzwischen auch viele farbenfrohe Elemente und Fantasy-Überschneidungen – etwas abseits vom klassischen Steampunk, dafür wird es aber auch umso abwechslungsreicher. Und umso vielfältiger sind die Geschichten des Charakters und der Gewandung – eine schöne Entwicklung wie ich finde.

Den berühmten Pip-Boy aus der Fallout-Welt findet man nun auch im Steampunk wieder – optisch entsprechend angepasst.
Den berühmten Pip-Boy aus der Fallout-Welt findet man nun auch im Steampunk wieder – optisch entsprechend angepasst.

Gewandungsimpressionen

Nicht nur beim Wettbewerb gab es wundervolle Gewandungen und Kostüme zu sehen! Eine kleine, nicht wertende Auswahl, folgt.

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Fazit

Eingangs stellte ich die Frage, ob sich der Eintritt lohnt. Sofern man auch Interesse am Historischen Jahrmarkt hat und die Attraktionen nutzen will – auf jeden Fall. Der Markt ist wunderschön. Hat man daran kein Interesse, könnte man mit anderen Veranstaltungen glücklicher werden – trotz niedrigerer Besucherzahl. Das angebotene Steampunk-Programm war leider überraschend dürftig und krankte zudem teilweise an Problemen.

Demgegenüber steht jedoch die besondere Atmosphäre und Besuchermenge – die jedoch auch  auch unglaublich viele Fotografen anzog, was mitunter negativ auffiel, da leider doch viele die übliche Etikette als „erst fragen, dann fotografieren“ ignorierten oder gar durch aggressiv-arrogantes Verhalten auffielen. Im Gesamten bin ich jedoch mit der Veranstaltung zufrieden. Und an den Mängeln lässt sich sicherlich was machen – damit es sich im nächsten Jahr auf jeden Fall lohnt.

Bilder: Michael Fuchs

 

1 Kommentar

  1. Wenn man für den historischen Jahrmarkt in Bochum gerne den doppelten Eintritt zahlt, mit 50% Steampunk 50% Fotografentreffen leben kann und eigentlich nur Showlaufen will…
    hat man dort auch vielleicht Spaß…

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