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Am ersten Septemberwochenende war es so weit: Die Connichi, Deutschlands größte nichtkommerzielle Japan-Convention, öffnete dieses Jahr erstmalig in Wiesbaden die Tore. Der Umzug in das RheinMain CongressCenter scheint auf den ersten Blick geglückt. Wir haben das Event an allen drei Tagen besucht.

Als zum Ende der Connichi 2022 der Umzug des Events vom Kongresspalais in Kassel nach Wiesbaden angekündigt wurde, waren die Reaktionen des Publikums vorerst verhalten. Kassel als Standort begleitete das Event für beinahe zwei Jahrzehnte. Man war an die Umgebung und die Stimmung in Nordhessen gewöhnt. Gerade die Kritik, dass es im Norden Deutschlands kaum noch Events aus der Japan- und Cosplayszene gibt, wurde vielseitig geteilt. Doch das Team der Connichi blieb standhaft: Die Convention war dem Kongresspalais entwachsen, und es musste eine größere Location her.

Das, was neu ist: Wiesbaden und das RheinMain CongressCenter (RMCC)

Vom Hauptbahnhof Wiesbaden kommend, galt es nur eine Ampel zu überqueren, und schon sah man die ersten Cosplayer*innen im angrenzenden Park des RMCC ihre Picknickdecken aufschlagen. Allein dieser ist schon positiv zu bewerten: bei dem durchgängig guten Wetter gab es hier ausreichend Platz, um sich an der frischen Luft aufzuhalten und in den kleinen Gartenanlagen ringsherum schöne Cosplaybilder zu produzieren.

Über drei Eingänge wurden die Besuchenden der Connichi schließlich in das ausladende und von außen sehr schmucke RMCC geleitet. Auch wenn der Cosplay-Waffencheck teils etwas übereifrig schien, haben wir das Sicherheitspersonal als freundlich und grundsätzlich gut geschult empfunden. Besonders gelungen fanden wir auch, dass man im Gebäude verbotene Alltagsgegenstände oder abgewiesene Cosplay-Accessoires in einem Container vor dem Haupteingang kostenlos für den Tag unterbringen konnte.

Im Inneren des RMCC angekommen, wurde die Entscheidung des Connichi-Teams für uns bestätigt. Das über drei Ebenen ausladende Gebäude bot genug Platz, dass man sich zu keiner Zeit durch Menschentrauben drängen musste, selbst am Samstag nicht. Wir haben uns zudem auf Anhieb zurechtgefunden, die Wegführung und Ausschilderung haben wunderbar funktioniert.

Mit der Connichi-App das Gebäude erkunden

Ebenfalls neu in diesem Jahr war die hauseigene Connichi-App, die man ganz einfach via App Store auf das eigene Smartphone laden konnte. Wir haben uns in den Funktionsweisen sehr an die App der MCC Comic Con London erinnert gefühlt, welche wir ebenfalls sehr positiv bewertet haben. Neben einem Programmplan inklusive Favoriten- und Erinnerungsfunktion gab es zudem eine Schnitzeljagd quer durch das Gebäude. Via QR-Codes konnte man sich an jeder Station sowie durch das gegenseitige Scannen anderer Besuchender Lottoscheine für die täglich stattfindende Verlosung abholen. Es gab aber auch Community-Boni, so konnten sich beispielsweise alle gemeinsam durch Nutzen der App offizielles Merchandise wie ein Schlüsselband oder die Sammler-Bierdeckel erspielen.

Mit der Connichi durch Wiesbaden

Besonders positiv überrascht hat uns die erstklassige Kooperation zwischen dem Event und der Stadt Wiesbaden. Nicht nur hat die Wiesbadener Bürgermeisterin, Christiane Hinniger, das Event in einer Eröffnungsrede willkommen geheißen. Für cosplayende Gäste wurden das Kurhaus sowie die Villa Clementine als einmalige Foto-Locations extra geöffnet – die Slots konnte man im Voraus buchen. Am Freitagabend stieg zudem in dem beliebten und nahegelegenen Kulturzentrum Schlachthof Wiesbaden die offizielle Connichi-Party.

Das, was geblieben ist: Von Fans, für Fans

Schon immer stand die Connichi für ein Motto: Aus der Szene, für die Szene. Diesem ist das Event sich auch in diesem Jahr treu geblieben. Erneut gab es viele Workshops und spannende Diskussionen auf der Connichi-Couch, Showgruppen konnten auf der großen Bühne ihr aktuelles Programm präsentieren, und es wurden auch wieder tolle Fotoecken für Cosplayer*innen aufgebaut. Besonders erfreulich waren die Rückzugsräume im zweiten Stock. Zum einen gab es einen Cosplay-Reparaturraum, der vom Team der Deutschen Cosplaymeisterschaft betrieben wurde. Hier wurde abseits vom Trubel erste Hilfe für kaputte Kostüme geleistet. Zum anderen wurde sich sichtlich bemüht, ein familiengerechtes Event zu gestalten. Ein kurzer Blick in den eigens eingerichteten Rückzugsraum für Familien hat uns gezeigt, dass diese Bemühungen dankend angenommen wurden.

Neu war in diesem Jahr zudem das sogenannte Fan-MeetUp: Ein eigener Raum, in dem man sich um einen zweistündigen Zeitslot bewerben konnte, um sich und seine Werke zu präsentieren. Dies wurde beispielsweise von Cosplayenden mit großen Communitys in Social Media oder auch von Showgruppen genutzt.

Jedes Jahr ein Highlight sind außerdem die Ausstellungen der hauseigenen Zeichen- und Fotowettbewerbe, bei denen die Finalist*innen mit hochwertigen Kunstdrucken präsentiert werden. Durch die Platzierung der Werke im Gang zwischen den Eingängen waren sie auch nicht zu übersehen.

Ein Stück Japan vor der Haustür

Ebenfalls erhalten geblieben ist der besondere japanorientierte Fokus der Connichi, für den das Event bereits 2014 vom japanischen Außenminister ausgezeichnet wurde. Erneut konnten Besuchende sich Vorträge der aktuellen Japanforschung zu Gemüte führen. Mit nach Wiesbaden umgezogen ist zudem das Matsuri, das dem gleichnamigen, traditionellen japanischen Straßenfest nachempfunden ist. Leider kam das blendend gute Wetter dem Matsuri nicht entgegen. Es war beinahe unerträglich, sich in der prallen Sonne für einen der vielzähligen Stände anzustellen. Geschmeckt haben uns die japanischen Snacks, die wir am Sonntagnachmittag endlich probieren konnten, aber allemal.

Auch an deutschen und japanischen Ehrengästen hat es auch 2023 nicht gemangelt, stets mit Bezug auf japanische Populärkultur. So gab es einen bunten Mix aus Zeichner*innen, Synchronsprechenden und Musikacts zu treffen.

Ab auf die Bühne!

Den knapp 1800 Besuchende fassenden Bühnensaal können wir getrost als das Herzstück des RMCC bezeichnen. An allen drei Tagen war im wunderbar kühlen Saal das bunte Rahmenprogramm der Connichi zu begutachten. Eines der Programmhighlights war die japanische Rockband nano.RIPE, die am Samstagabend ihr Europa-Debüt auf dem Event bestritt. Besonders Cosplayer*innen kamen auf ihre Kosten: Die Connichi veranstaltete dieses Jahr ganze drei Cosplay-Wettbewerbe, zwei davon als Vorentscheid für internationale Veranstaltungen.

Der Connichi-Cosplay-Wettbewerb: Auf die Bretter, fertig, los!

Am Freitagabend ging es los mit dem hauseigenen Wettbewerb, bei dem es rein um die Performance ging. Das Kostüm wurde nicht mitbewertet. Damit wollte die Veranstaltung ein Konzept schaffen, bei dem Teilnehmende ungezwungen das „play“ in Cosplay zur Schau stellen konnten. Dieses Konzept ist aufgegangen, der Wettbewerb war ein bunter Mix aus verschiedensten, durchweg unterhaltsamen Vorführungen. Prämiert wurden jeweils drei Gruppen sowie drei Soloteilnehmende, und zwar mit großzügigen Sachpreisen. Die Entscheidung der Jury haben wir nicht ganz nachvollziehen können, aber das ist gerade bei Bühnenshows ja auch Geschmackssache. Wir gratulieren den Gewinnenden herzlich!

Der ECG wird zum Extreme Cosplay Gathering – und Deutschland zieht mit

Wer die internationale Cosplay-Wettbewerbsszene verfolgt, der weiß vielleicht bereits, dass aus dem European Cosplay Gathering jetzt das Extreme Cosplay Gathering geworden ist. Neue Regeln und vor allem neue teilnehmende Länder, auch von außerhalb Europas, haben dafür gesorgt, dass in Deutschland in diesem Jahr zwei Vorentscheide für das jährliche Event auf der Japan Expo in Paris stattfanden.

Am Samstagmittag durften die Teilnehmenden des Vorentscheids also zeigen, was sie können. Wir haben auch diesen Wettbewerb mit Freuden verfolgt – die Bühne des RMCC bietet tollen technischen Support, inklusive Live-Übertragung auf die große Leinwand.

Den Vorentscheid des World Cosplay Summit haben wir uns nicht angeschaut 

Ebenfalls mit viel Interesse wurde aufgenommen, dass die Connichi in diesem Jahr wieder als Ausrichter des Vorentschieds des World Cosplay Summits (WCS) fungierte. Doch das Event hat jüngst einen faden Beigeschmack erhalten, der uns dazu bewegte, das Event vorerst nicht weiter zu verfolgen. Der WCS kooperiert nämlich seit 2022 mit dem Land Saudi-Arabien, wo ein zweites Wettbewerbsevent (Gamers8 Cosplay Cup) abgehalten wird. Saudi-Arabien steht bezüglich Menschenrechten in der Kritik, und besonders Mitglieder der Cosplay-Community, die Minderheiten abbilden oder unter das LGBTQ+-Spektrum fallen, sind auf einem solchen Event nicht sicher oder müssen ihre Identität verbergen. Die Regeln für das saudische Event reflektieren leider die Werte des Landes, nicht die der Community. Zum Beispiel sehen diese angeblich* eine Einschränkung von Crossplay – das Darstellen von Charakteren eines anderen Geschlechts als des eigenen – vor. Erste teilnehmende Länder und Conventions, wie beispielsweise die dänische Jpop-Con oder das australische Eventteam, haben bereits Konsequenzen gezogen und sich vom Wettbewerb abgemeldet.

Auch aus der deutschen Community gab es viel Kritik. Wir haben die Connichi um ein Statement zu der Situation gebeten, welches leider unbeantwortet blieb.

*Unsere Informationen hierzu stammen unter anderem aus privaten Statements in Social Media sowie dem verlinkten Statement des australischen Teams. Das Regelwerk des Gamers8 Cosplay Cup ist nicht öffentlich einsehbar.

Den neuen Kinderschuhen bereits entwachsen?

Wir haben viel Lob für die Connichi und das neue Veranstaltungsgebäude. Es ist vieles beim Alten geblieben, und das, was neu war, hat uns oft beeindruckt. Überall war ersichtlich, das potenzielle Hürden schon im Vorfeld ausgeräumt wurden. Die metaphorischen Kinderschuhe hat sich das Team der Connichi definitiv nicht wieder anziehen lassen.

Das Programm war erneut bunt und hat sich einfach nach Connichi angefühlt. Die Entscheidung, keine der Programmpunkte live zu übertragen, fanden wir allerdings schade. Community-Beiträge wie die Connichi-Couch oder die internationalen Wettbewerbe wären für diejenigen, die den Weg nach Wiesbaden nicht auf sich nehmen konnten, sicherlich eine Bereicherung und eine Möglichkeit der Partizipation gewesen. Vielleicht ist ein hybrides Konzept zukünftig möglich – gerade weil das Online-Event ConLine 2020 so gut ankam.

Einzig die Partizipation des Events beim World Cosplay Summit und das Schweigen der Connichi zu den Kritiken diesbezüglich dämpft unseren Enthusiasmus ein wenig. Hier bleibt abzuwarten, was die Zukunft bringt.

Die nächste Connichi wird vom 06.-08. September 2024, erneut im RMCC in Wiesbaden, stattfinden.

Artikelbilder: © Connichi Dokuteam, mit freundlicher Genehmigung
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids
Fotografien: © Connichi Dokuteam, mit freundlicher Genehmigung

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