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Cosplay hat sich von seinen Anfängen in Deutschland vor über 20 Jahren stark verändert. Welche Veränderungen waren das und warum fühlt sich unsere Redakteurin von der Entwicklung abgehängt? Ein persönlicher Kommentar mit Erfahrungen aus 18 Jahren Cosplay und Blick auf die aktuellen Gegebenheiten im Hobby.

Früher war alles anders

Cosplay gab es in gewisser Weise schon immer. Dass man sich als Elvis verkleidet, oder als Superman, oder auch als Sailor Moon, ist aus vergangenen Jahrzehnten oft genug überliefert. Cosplay als solches, unter diesem Begriff, kam aber erst mit dem Aufschwung der Anime-Szene in Deutschland an.

In Japan hatte sich das Hobby seit den 70ern langsam entwickelt, in den 90ern wurde es dann wirklich breiter sichtbar, und legte damit den Grundstein für den Export als Hobby in die ganze Welt. In den frühen Nullerjahren waren dann mit den ersten Cons wie der AnimagiC und etwas später auch Connichi Cosplayende Teil einer sich etablierenden Szene. Und zwar: Der Convention-Szene.

Cosplay wurde in dieser Zeit fast ausschließlich auf Conventions ausgeübt. Anfangs waren die meisten Cosplayer*innen eher für ihren Auftritt auf der Bühne, in Showgruppen oder für Cosplay-Wettbewerbe, im Cosplay unterwegs. Doch die Anzahl der kostümierten Besucher*innen stieg stetig an, was einen deutlichen Unterschied zu „klassischen“ Kostüm-Hobbies wie Theater darstellte, die eher auf Bühnen ausgeübt wurden. Die Faszination hier: Jeder konnte ohne Anlass in diese Kostüme, diese Rollen schlüpfen. Es brauchte keine Theatergruppe oder einen Karnevalsverein, um ein Kostüm tragen zu „dürfen“.

Wer cosplayen wollte, hatte anfangs keine spezifischen Cosplay-Ressourcen zur Verfügung, sondern behalf sich mit gekaufter Kleidung, die angepasst wurde, und nähte den Rest selbst. Perücken waren erst mit dem Aufkommen von ebay und Internetshops Mitte der Nullerjahre ganzjährig verfügbar, außer man lebte zufällig in der Nähe eines Perücken- oder Karnevalsladens, der ganzjährig Ware führte. Doch gerade im stationären Handel waren Perücken oft so teuer, dass das begrenzte Budget der Studierenden und Schüler*innen, die damals das größte Interesse an Cosplay hatten, die Anschaffung eher verbot. Internet-Bestellung ging nur über Accounts der Eltern, die oft solche frivolen Anschaffungen der Kinder nicht unterstützten. Auslandsbestellungen über Kreditkarten waren ein ferner Traum.

Das sah natürlich entsprechend aus, mehr Liebe als Können war Standard. Da Cosplay damals aber eben reine Liebe war, als Ausdruck des eigenen Fan-Daseins, war das absolut akzeptiert.

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P steht für Professionalisierung

Das Interesse an Cosplay stieg innerhalb der Szene rasant an. Auch durch den regen Online-Austausch auf Animexx wurden Bezugsquellen und Techniken weit verbreitet, und immer mehr Leute begannen, ihre eigenen Kostüme zu schneidern, und dabei immer mehr Fähigkeiten zu erwerben.

Das Interesse zog Geschäftsmodelle nach sich. Das Angebot wurde besser, denn hier war Geld zu verdienen – und mit der rasanten Ausbreitung von Online-Shopping wurde man gleichzeitig viel unabhängiger davon, Dinge lokal in Geschäften kaufen zu müssen. Eltern bestellten mittlerweile selbst viel im Internet und standen dem Ganzen nicht mehr pauschal ablehnend gegenüber. Wo erste Berichterstattung noch sehr negativ, abwertend und exotisierend über Cosplay berichtet hatte, wurde die erhöhte Präsenz von Cosplayenden zum Alltag auf Messen und Conventions in allen Teilen Deutschlands, und für immer mehr Anwohner zur Attraktion an sich.

Immer neue Werkstoffe aus allen Bereichen, zudem neue Erfindungen (wie die Thermoplastik-Mischungen von Worbla oder der 3D-Druck) fanden Einzug in die Arbeitstechniken, und brachten neue Möglichkeiten mit sich, originalgetreuere, detailliertere und beeindruckendere Cosplays zu machen.

Innerhalb von ca. 10 Jahren wurde Cosplay zu einem Massenphänomen. Wo noch Mitte der Nullerjahre Cosplay eine Nische darstellte, war Mitte der Zehnerjahre Cosplay fast zum „Muss“ innerhalb der Szene geworden.

Was ebenfalls mehr in den Vordergrund rückte: Neben der steigenden Qualität der Kostüme wurden auch Fotos und Inszenierung kompletter Fotoshootings wichtiger. Zu Beginn des Cosplay in Deutschland war es üblich, dass es ein paar Fotos von einem von der Convention gab, idealerweise Ganzkörper um das komplette Kostüm samt Accessoire (zum Beispiel Schwert) zu sehen. Doch mit der Professionalisierung wurden nicht nur Make-up und Posing der Cosplayer*innen selbst wichtiger, sondern auch der Hintergrund des Fotos und es wurde begonnen, mittels aufwändigerer und gezielt gesuchter Hintergründe und einer ganzen Serie von Fotos, die den Charakter bei „typischen“ Tätigkeiten o.ä. zeigte, die Darstellung auf Fotos auf eine andere Ebene zu heben.

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Cosplay als Beruf

Zudem kam eine Möglichkeit auf, die für frühe Cosplayer*innen vollkommen utopisch geklungen hatte: Man konnte Cosplay zum Beruf machen. Das betraf und betrifft zwar nur eine kleine Gruppe von Menschen und ist bis heute keine wirklich gezielt planbare Karriereoption, aber es ist möglich.

Die Option, Cosplay zum Beruf zu machen, macht zudem Cosplay auch wieder für mehr Leute sichtbar. Hier wird überwiegend eine sehr sichtbare Performance (oftmals als Werbung für Videospiele) betrieben, die ein größeres Publikum erreicht verglichen mit Cosplay im Hobbybereich. Für viele Videospiele-Fans ist Cosplay ein bekanntes Phänomen, auch wenn sie niemand persönlich kennen, der das Hobby betreibt.

Dass auf der Gamescom 2017 Angela Merkel vor den Teilnehmenden des Cosplay-Wettbewerbs fotografiert wurde, deren Kostüme selbst in Massenmedien keine große Erläuterung mehr brauchten, zeigt, wie stark Cosplay in der Gesellschaft angekommen ist.

Die Pandemie und ihre Folgen

Seit 2020 hat sich Cosplay noch einmal stark verändert. Mit den Ausgangsbeschränkungen und der Absage öffentlicher Veranstaltungen wurde eine sich schon länger abzeichnende Veränderung stark beschleunigt: Cosplay wurde von Conventions entkoppelt.

Bereits seit Jahren wurden Fotoshootings viel wichtiger für viele Cosplayer*innen – auf der Convention waren die komplexen, aufwändigen und gegebenenfalls unbequemen Cosplays immer weniger beliebt, diese wurden gezielt für Fotoshootings getragen. Für viele Cosplayer*innen war damit auch das Interesse, überhaupt auf Conventions zu gehen, stark gesunken. Viele Cosplayer*innen kauften schon länger keine Tickets mehr, da sie sich nicht für Programm und Händlerbereiche interessierten – und das Cosplay draußen auf dem umgebenden Freigelände stattfand, für das ein Ticket unnötig war.

Während die Pandemie also die Convention-Szene komplett lahmlegte, verschob sich Cosplay in einen ganz anderen Raum: Ins digitale.

Schon in den Jahren vor der Pandemie waren Fotos von Fotoshootings, Selfies auf Instagram und TikTok-Clips wichtiger geworden, um als Cosplayer*in Präsenz zu zeigen. Die paar Leute, die einen auf einer Convention mit dem Kostüm sehen konnten, waren nicht annähernd vergleichbar mit den zigtausenden Views und Likes, die auf den Social Media-Plattformen erreichbar waren.

Wie viele Digitalisierungs-Prozesse verstärkte die Pandemie auch diesen: Cosplay aus dem Wohnzimmer oder dem eigenen Garten wurde zum fast einzigen Cosplay, das zeitweilig durchführbar war. Viele Make-up Tests, für die nur Perücke und Make-up erforderlich waren, kamen in Selfie-Form auf allen Plattformen an. Ohne Conventions verringerte dies für einige Leute die Einstiegsschwelle zum Cosplay: Es brauchte eben nur ein Smartphone, eine Perücke und Make-up, und Smartphone und Make-up hatte man sowieso schon.

Die ebenfalls schon in den Vorjahren angelaufene andere Entwicklung, die vielen Leuten den Zugang zu Cosplay erleichterte, wurde ebenfalls verstärkt: Gekaufte Kostüme sind inzwischen leichter denn je verfügbar, zu günstigen Preisen. Online-Shopping ist alltäglich, und Cosplay ist auf den großen Plattformen nur einen Klick entfernt, spezielle Shops muss man nicht mehr kennen oder finden.

Cosplay from home wurde zum neuen Standard – und auch mit dem gerade in Deutschland doch eher längeren Ausfall der allermeisten Conventions gewöhnte man sich an diese Form. TikTok-Videos zu machen und bei neuen Cosplay-Hypes auf der Plattform teilzunehmen ist für viele jüngere Cosplayer viel eher „Cosplay“ als ein Cosplay auf einer Convention zu tragen.

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Die Schattenseiten und ich

Veränderungen sind Teil des Lebens. Man muss irgendwie damit klarkommen. Leider haben all diese Veränderungen viele der Dinge reduziert, die für mich Cosplay ansprechend und zu einem coolen Hobby gemacht haben, und Dinge verstärkt, die mich entweder nicht interessieren oder sogar stören.

Zunächst die gekauften Cosplays. Ich finde es wirklich schön für alle, die keine handwerklichen Talente haben, dass ihnen die Option offensteht, ebenfalls an Cosplay als Hobby teilzunehmen. Für mich war der handwerkliche Aspekt des Hobbies aber immer zentral. Und dieser ist sehr stark in den Hintergrund gerückt, wird immer mehr zum reinen Prestigeprojekt einer kleinen Gruppe von Leuten, die explizit mit sehr hohem Fähigkeits-Level an Cosplay-Wettbewerben teilnehmen. Im Panorama einer Convention sind selbstgemachte Cosplays gefühlt mehr zur Randerscheinung geworden, als sie es in den frühen Nullerjahren waren. Und so sehr ich all den insbesondere jungen Menschen ihre Uwowo– und Amazon-Cosplays gönne, so sehr vermisse ich es, die breite Variation zu sehen, die selbst gemachte Cosplays bieten, wo es für dasselbe Kostüm dutzende unterschiedliche Details gab.

Und: Cosplay ist stellenweise in Konkurrenz zu Fast Fashion getreten, und das ist eine Entwicklung, die ich sehr bedenklich finde. Für einen Trend auf TikTok ein Cosplay bestellen, um es dann ein oder zwei Mal zu tragen – sofern es schnell genug geliefert wurde, dass der Trend noch aktuell ist – und es dann wegzuschmeißen, ist massive Ressourcenverschwendung. Diese Kleidungsstücke gehen damit denselben Weg der vielen Fast Fashion-Abfallprodukte, die so billig produziert werden, dass sie nicht haltbar sind und auch oft nicht recyclingfähig. Endpunkt für den textilen Plastikmüll ist bestenfalls eine Müllverbrennungsanlage, öfter aber eine Mülldeponie. Dass Cosplay diese Umweltschädigung mit befeuert, finde ich schlimm.

Der andere Punkt, der mit der starken Digitalisierung des Hobbies einher geht, ist die Verlagerung in die ätzende Aufmerksamkeitsökonomie der Sozialen Medien. Um auf Social Media mit dem eigenen „Content“ die maximale Aufmerksamkeit zu erringen ist primär wichtig, das Social Media Game zu beherrschen. Die massenhafte Social Media-Resonanz auf Cosplay kommt nicht von aktiven Cosplayer*innen – sondern von Leuten, die Cosplay-Content konsumieren. Um den Algorithmen und dem angeblichen Massengeschmack zu gefallen, geht der Fokus viel auf Selfies und sehr bekannte Charaktere. Man muss ständig präsent bleiben, also viel und insbesondere häufig „Content“ raushauen. Für Menschen, die Cosplay als Hobby betreiben, bedeutet das: Ein Make-up-Test jede Woche, bei dem 30 Selfies gemacht werden, ist viel interessanter für das Social Media-Game als sechs Wochen an einem Cosplay zu nähen und Props zu bauen.

Cosplay in Social Media ist eine Selfie-Flut der gefühlt selben 10 Charaktere, von denen 9 aus Videospielen stammen, die mich sowieso nicht interessieren. Ich sehe nichts von Kostümen, teilweise gibt es keine – für ein Selfie ist schon das Oberteil nicht besonders relevant. Viele Bilder sind zudem von moderner Bildbearbeitung so glattgezogen, dass die individuellen Züge der Menschen hinter den Fotos verschwimmen.

Da ist so wenig übrig, was mich interessiert, sodass diese Art des Cosplays mich einfach nicht anspricht. Etwas für mich Interessantes zu finden, in all der Flut an Bildern, ist zudem so anstrengend, dass die Beschäftigung damit oft noch eine besondere Frustration hervorruft. Freude beim Anschauen der Cosplay-Bilder auf Instagram will sich dann nur wenig einstellen.

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Ist Cosplay kaputt oder bin ich zu alt?

Konsequenz daraus ist für mich: Mir macht Cosplay nicht mehr annähernd so viel Spaß wie früher. Tatsächlich Gleichgesinnte zu finden, die das gleiche Hobby wie ich betreiben, ist schwieriger geworden: Das Hobby, das ich betreibe, ist das „alte“ Cosplay, in dem man selbst etwas näht und bastelt, um damit Spaß zu haben. Nicht (nur) um mit allen neuesten Materialien und krassesten Arbeitstechniken Wettbewerbe zu gewinnen, sondern um sowohl an Anfertigung wie auch beim Tragen Liebe und Faszination für Charaktere auszuleben und mit Gleichgesinnten Spaß zu haben.

Ich habe schon lange das Gefühl, nicht mithalten zu können, im Bereich der Arbeitstechniken ebenso wie im Social Media-Game. Ich habe nähen gelernt, aber Perückenstyling ist ebenso wie Prop-Bau keine meiner Stärken, ich habe mit allen digitalen Aspekten des Hobbies so meine Schwierigkeiten (Bildbearbeitung ebenso wie jeder Versuch, irgendwelche Dateien für 3D-Druck auch nur zu verstehen). Es reicht also auch nicht, um in der Wettbewerbs-Sphäre Fuß zu fassen, in der inzwischen ein beeindruckendes Niveau erreicht wird – das aber auch weit von dem entfernt ist, was eine breite Masse an Leuten mal nebenher lernen kann. Und neben der Arbeit so viel und regelmäßig Cosplay-Fotos zu machen, um Social Media aktiv zu bespielen: Da werde ich schon beim Gedanken müde.

So irrlichtere ich nun etwas heimatlos durch das Hobby. Ü30, mehr als mein halbes Leben schon aktiv in der Cosplay-Szene, aber letztlich abgehängt von der Entwicklung dessen, was Cosplay heute ist. Wenn sich eine Selbsthilfegruppe alternder Cosplayer*innen meiner erbarmen möchte: Ich habe noch freie Wochenenden.

Artikelbilder: depositphotos © wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos © ChinaImages
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt

2 Kommentare

  1. So geht es mir genauso. Habe von 2005-2014 das Hobbie Cosplay betrieben mit allen Facetten (Nähen, Bauen, Perücke stylen).

    In meinem letzten Jahr 2014 hat aber das Hobbie schon keinen Spass gemacht. Man konnte auch damals keine Random Leute ansprechen für gemeinsame Photos. Die haben dann erstmal nach deinen Referenzen gefragt und wie ich Social Media technisch aufgestellt bin. Ehm okay? Hat sich dann wie eine Bewerber-phase für gemeinsamen Spass vor der Kamera (was früher eine Selbstverständlichkeit war) angefühlt.
    Nach dieser Erfahrung habe ich mein Geld und Erfahrung zu 100% ins LARP gesteckt.

  2. Ich (M32) verstehe das, ich habe auch bereits 2004 mit Cosplay angefangen, und seither alles selbst erstellt. Schon damals fand ich es irgendwie nervig, dass viele ihre Cosplays in China gekauft hatten. Aber dafür hatte ich den Vorteil, dass meine Versionen immer einzigartig waren. Zudem hatte ich jahrelang sehr viel Spaß in der Wettbewerbsszene, die du oben ja so sehr preist. Denn das ist die einzige Nische, in die du gehen kannst, wenn du Spaß daran hast deine Cosplays selbst zu erstellen und dort trifft man tatsächlich noch gleichgesinnte. Ich werde nie den Moment auf der Dreamhack vergessen, wo einer Cosplayerin ihr Stab umfällt und wir standen zu 5 im Kreis drumherum und schauten uns den Stab am Boden an, da sich keiner von uns aufgrund des schweren Kostüms bücken konnte. Und es geht bei diesen Wettbewerben auch nicht darum zu gewinnen, sondern um hinter der Bühne Leute kennenzulernen, die genauso bescheuert sind wie man selbst.

    Seit es aber keine Cons mehr gibt ist dieses Hobby für mich aber auch Geschichte, ich habe seit 2020 exakt einmal meine lieblings Monster Hunter Rüstung getragen. Früher hab ich jede Con mitgenommen die man mitnehmen konnte, jetzt hab ich nichtmal mehr die Lust mich zu informieren welche Cons überhaupt stattfinden.

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