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Farbschnitte sind im Trend. Überall begegnen uns Bücher mit farbigen Seitenrändern, von schlicht einfarbig bis zu komplexen Mustern und Symbolen. Aber was ist ein Farbschnitt eigentlich, seit wann gibt es das und ist das wirklich nur schön bunt? Teilzeithelden-Redakteurin Marie wirft einen Blick auf den aktuellen Trend.

Seit einigen Jahren lässt sich im Buchladen, auf den Messen und vor allem im Internet ein Trend zu ästhetisch schönen Büchern beobachten. So gibt es zum Beispiel Kunstledereinbände, Kapitelzieren, Cover mit Prägung oder Spotlackverzierung. Seit etwa einem Jahr ist der absolute Hit bei der Buchverzierung der Farbschnitt.

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Farben? Farben!

Farbschnitt – was ist das überhaupt? Bei einem Farbschnitt werden die Schnittkanten des Buchblocks mit Farbe verziert. Wer, wie, was, Buchblock, Schnittkanten? Ein kleiner Ausflug in die Buchherstellung.

Die Seiten eines Buches werden – üblicherweise – auf großen Papierbögen gedruckt, die anschließend gefaltet werden. Daraus entsteht der Buchblock. Dieser enthält alle Seiten eines Buches, von der ersten bis allerletzten. Zusammen mit Dingen wie dem Lesebändchen wird der Buchblock an der (zukünftigen) Rückseite zusammengeleimt oder anderweitig verbunden. Anschließend wird die Rückseite mit dem Einband verbunden. An den anderen drei Seiten muss der Buchblock beschnitten werden – schließlich soll man das Buch nachher aufschlagen und lesen können. Diese Seiten werden als Buchschnitt bezeichnet, dort wurde schließlich etwas abgeschnitten.

Die ersten Farbschnitte wurden in einer Zeit angefertigt, als Bücher noch von Hand kopiert wurden, also vor Erfindung des Buchdrucks. Jedes einzelne Exemplar war ein Unikat und ein Kunstwerk für sich. Die Farbschnitte konnten dann Teil des Gesamtkunstwerks sein, einige waren kleine Gemälde, andere überzogen den Buchschnitt mit Gold oder Silber. Historisch sollten Farbschnitte das Buch jedoch nicht nur verzieren, sondern es auch vor Schmutz und Vergilben schützen. Teilweise wurde der Titel auf die Schnittkante geschrieben und das Buch anschließend mit dem Beschnitt nach vorn im Regal platziert. So war der Titel auf einen Blick zu erkennen. Entsprechende Informationen auf den Buchrücken zu prägen oder zu drucken kam erst später auf, hat sich aber bis heute gehalten.

Heute haben Farbschnitte vorwiegend eine ästhetische Funktion, dabei machen sie Bücher auch ansprechender für Fotos auf Social Media. Letzteres scheint an dem aktuellen Trend für Farbschnitte nicht ganz unschuldig zu sein. Dabei können sie einen Mehrwert für Lesende bieten, so wie beispielsweise die Markierungen auf dem Buchschnitt bei Lexika das Auffinden bestimmter Stellen erleichtern. Sie können auch Bücher eines Verlags auf einen Blick kenntlich machen, wie es eine Weile der blaue Farbschnitt bei Langenscheidt-Werken tat.

Farbschnitte aktuell

Mittlerweile ist der rein einfarbige Buchschnitt seltener geworden. Es gibt zarte Blumenranken auf dem Schnitt, mystische Symbole, kleine Bilder oder einfach Glitzerstaub. Oft wird das Design des Covers aufgegriffen, so dass das Buch zu einem Gesamtkunstwerk wird. Anders als vor mehreren hundert Jahren ist das Kunstwerk allerdings gedruckt, nicht gemalt.

Beim Lesen kann die Optik jedoch leiden. Wenn die Seiten durch die Benutzung nicht mehr alle perfekt aufeinander liegen, sieht der Farbschnitt unter Umständen nicht mehr perfekt aus. Viele Farbschnitte sind auch nicht komplett lichtecht, bleichen also auf die Dauer bei Sonnenbestrahlung aus, einige sollen sogar abfärben. Dennoch sind die bunten Schnitte schön und eignen sich wunderbar, in der eigenen Buchsammlung präsentiert zu werden.

Farbschnitte machen sich gut im Regal. © Janina Mottl

Eine Weile waren Farbschnitte selten, auch weil sie die Anfertigung verteuern. Leigh Bardugos Lied der Krähen war mit dem schwarzen Schnitt etwas besonderes und stach damit aus der Masse hervor. Andere Bücher folgten und allgemein ging der Trend in den letzten Jahren wieder mehr zum ästhetischen Buch. Dazu passen ansprechende Farbschnitte natürlich gut. Seit etwa einem Jahr gibt es einen regelrechten Hype darum und kaum ein stark beworbener Titel der Phantastik kommt noch ohne auf den Markt.

Verlage lassen Bücher direkt mit bunten Schnittkanten drucken oder sie kooperieren mit einem der Anbieter wie Bücherbüchse oder Buchtüte. Diese bieten Exklusivausgaben mit Farbschnitt, Goodies und anderen Dreingaben an, die sich gut im Regal und auf Social Media machen. Auf den Messen herrscht an den entsprechenden Ständen stets ein reger Andrang.

Auch Selfpublisher*innen veröffentlichen Bücher mit Farbschnitt. Teilweise kooperieren sie wie die Verlage mit entsprechenden Anbietern. Doch auch verschiedene Distributoren wie Books-on-Demand bieten für ihre Autor*innen mittlerweile Farbschnitte als Option an. Ein farbiger Buchschnitt ist also nicht länger auf einzelne Verlagswerke beschränkt.

Farbe mit Schattenseiten

So sehr der Hype um Farbschnitte uns wunderschöne Bücher beschert, er hat auch seine Schattenseiten. Erst einmal verteuert ein Farbschnitt das Buch in der Herstellung, entsprechend steigt auch der Buchpreis. Aber das ist für die meisten recht verständlich.

Dann ist es natürlich so, dass ein schöner Buchschnitt nichts über den Inhalt aussagt. Es hat sicher schon der eine oder andere Farbschnitt dazu verführt, ein Buch zu erwerben, das sich nachher als Fehlkauf herausstellt. Das kann jedoch auch bei einem Cover oder einem Klappentext passieren, ist also, leider, vollkommen normal und hat nicht nur etwas mit Farbschnitten zu tun.

Innen und dank Farbschnitt auch außen großartig. © Penhaligon

Das Buch Fourth Wing ist ein gutes Beispiel für ein anderes Phänomen. Fourth Wing – Flammengeküsst war mit Farbschnitt angekündigt worden und die Vorbestellungen überstiegen die Menge der ersten Auflage. Es wurde jedoch nur diese mit einem Farbschnitt gedruckt, dadurch erhielten Einige am Erscheinungstag ein Exemplar der zweiten Auflage – ohne Farbschnitt. Die Folge waren etliche Retouren, enttäuschte Beschwerden und wütende Postings. Seitdem wird von allen Verlagen immer sehr explizit darauf hingewiesen, dass die Exemplare mit Farbschnitt limitiert sind und es keine Garantie gibt, ein solches zu bekommen.

Diese Begrenzung der Anzahl von Büchern mit zusätzlicher Ausstattung führt zu etwas, das man auch aus anderen Bereichen kennt: Manche Käufer*innen nutzen sie, um Geld zu machen. Sicher ist es nicht verboten, ein Buch vorzubestellen und dann das Exemplar mit Farbschnitt einen Tag nach Verkaufsstart als „gebraucht“ weiterzuverkaufen – für einen überhöhten Preis, versteht sich. Doch es ist traurig zu sehen, wie etwas, das Freude machen soll, für Geldmacherei genutzt wird.

Fazit

Farbschnitte sind keine Erfindung der letzten Jahre. Seit Jahrhunderten werten sie Bücher optisch auf. Obwohl sie heute nicht mehr handgemalt werden oder nur noch sehr selten aus Blattgold bestehen, können sie ein Buch zu einem echten Blickfang im Regal und im Internet machen. Über den Inhalt des Buches sagen sie jedoch absolut nichts aus.

Ein bunter Schnitt macht kein gutes Buch. Wir können und dürfen uns an einem wunderschönen Farbschnitt erfreuen. Aber am besten steckt auf den verzierten Seiten auch eine großartige Geschichte.

Artikelbilder: © Sandralise | depositphotos.com, © gornostaj | depositphotos.com, © Penhaligon
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Hendrik Pfeifer
Fotografien: © Marie Mönkemeyer | © Janina Mottl

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