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Wolkodav hat jahrelang als Sklave in den Edelsteinminen geschuftet, jetzt ist er frei und sinnt auf Rache. Romanredakteurin Marie hatte mit seiner Geschichte zum ersten Mal ein Buch in der Hand, wo am Anfang der Rat gegeben wird, erst das Glossar zu lesen. Sie hat untersucht, ob es sich lohnt.

>Die in Deutschland verbreitete Fantasy schöpft selten aus dem slawischen Kulturraum, üblicherweise bedient sie sich wie bereits Tolkien im Bereich der nordischen Mythologie und der Sagen um König Artus und seine Tafelrunde. Hin und wieder erreicht uns aber auch ein Werk mit slawischen Wurzeln, so auch Wolkodav I – Schwert des Grauen Hundes.

Story

Das Dorf des Stammes der Grauen Hunde wurde überfallen und fast alle Bewohner getötet. Wolkodav war einer der wenigen Überlebenden und wurde als Sklave in die Edelsteinminen verfrachtet. Jahrelang schuftete er dort, litt und erkämpfte sich schließlich die Freiheit. Jetzt sinnt er auf Rache an dem, der einst das Dorf überfiel. An dieser Stelle beginnt das Buch, die Vorgeschichte erschließt sich im weiteren Verlauf und zeigt auch, dass Wolkodav jetzt der Letzte der Grauen Hunde ist.

Bis zu diesem Zeitpunkt scheint die Geschichte vertraut und erinnert etwas an Conan. Doch bereits die Art, wie Wolkodav seine Rache vollzieht, ist ganz anders, als ich erwartet hatte. Die Details verschweige ich an dieser Stelle, um niemanden zu spoilern. Eigentlich hatte Wolkodav geplant, dabei zu sterben, doch dann brauchen zwei unschuldige Menschen seine Hilfe, um aus der brennenden Burg des Feindes zu entkommen. Er hilft ihnen bereitwillig, doch weder die junge Frau noch der alternde Zauberer sind bereit, ihn anschließend zurückzulassen. So hat der schweigsame Kämpfer plötzlich wieder das, von dem er glaubte, es für immer verloren zu haben: eine Familie.

Getrieben von dem Gefühl der Verantwortung und auf der Suche nach einem Platz für sich, zieht Wolkodav mit seiner kleinen Familie in die Handelsstadt Galirad. Auf dem Weg nimmt er bei einem  Überfall einem Räuber ein besonderes Schwert ab. Es spricht mit seinem Träger in dessen Träumen und wird Wolkodav aufgrund eines Missverständnisses in Galirad eine Anstellung als Leibwächter der jungen Knesin (Herrscherin) verschaffen. Doch dann erhebt die Vergangenheit wieder ihr hässliches Haupt.

Der aktuelle Handlungsstrang wird immer wieder durch Erinnerungen Wolkodavs unterbrochen, die den Zugang zur Figur verbessern. Dies hilft der Figur, nicht jedoch dem ohnehin immer wieder schwächelnden Spannungsbogen. Nachdem das Buch mit einem Knall begonnen hat, fällt die Spannung stark ab, steigt dann wieder an, um erneut nachzulassen, und das mehrfach. Bis kurz vor dem Ende mäandern viele Elemente der Geschichte vor sich hin und haben wenig bis keinen Zusammenhang bis auf die Beteiligung der Hauptfigur. Seine kleine Familie wird immer wieder um weitere Personen ergänzt, deren Funktion bis zum Ende des Buches unklar bleibt. Grundsätzlich wird sehr episodenhaft erzählt, was es nicht immer leicht macht, der Handlung zu folgen, weil sie immer wieder hinter der aktuellen Episode zurücksteckt. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass sich die einzelnen Episoden im weiteren Verlauf zu einem großen Gesamtbild zusammenfügen werden, Das Schwert des Grauen Hundes ist schließlich nur Teil 1.

Schreibstil

Die Welt von Wolkodav ist fremd. Die groben Konzepte sind alle sehr vertraut, doch die Details sind anders. So lässt sich beispielsweise an Kleidung und Haartracht ablesen, zu welchem Volk und welchem Clan jemand gehört, und auch, ob er erst vor kurzem getötet hat. Nichts davon wird wirklich erklärt, da aus außenstehender Perspektive eng an Wolkodavs Gedanken erzählt wird, für den diese Dinge vertraut sind.

Dies macht Wolkodav zu einer interessanten, aber nicht unbedingt einfachen Lektüre, da immer wieder das Gefühl aufkommt, man habe etwas übersehen, weil die Details und Handlungen erst dekodiert werden müssen. Außerdem ist die Hauptfigur nicht konsequent erzählt. Teilweise reagiert Wolkodav verwirrt auf Handlungen und Ansichten, schließlich hat er viele Jahre in den Minen verbracht und ist mit Anfang zwanzig auch noch relativ jung. Dann wiederum erkennt er jeden fremden Dialekt und ist mit Sitten fremder Regionen vertraut, da er schon fast überall gewesen zu sein scheint. Ein wenig scheint er der ideale Bewerber zu sein, der im Alter von zwanzig bereits dreißig Jahre Berufserfahrung hat.

Semenova hat ein hohes Sprachniveau, welches zu übersetzen sicher nicht einfach war. Die Welt selbst wird immer nur sehr knapp beschrieben, und abseits der welteigenen Bezeichnungen finden zahlreiche eher unübliche Begriffe Verwendung ohne weitere Erklärung. Leser, die auswendig wissen, was Welf bedeutet, was ein falbes Pferd oder eine Wassernuss ist, sind hier eindeutig im Vorteil, da sie immerhin an dieser Stelle sofort wissen, was gemeint ist. Leider liegt in der Kürze der Weltbeschreibung auch eine der Schwierigkeiten bei der Lektüre des Buches. In einigen Fällen hilft das Glossar im Anhang weiter, doch im Ganzen wird durch ungewohnte Worte und fehlende Ausführungen der Eindruck der Fremdheit der Welt verstärkt. Das kann sehr reizvoll sein, ist aber Geschmackssache. Leider wird die potentielle Immersion immer wieder gebrochen, da das Wort Schild mit dem falschen Artikel versehen wurde. Ich gehe nicht davon aus, dass die Kämpfer der Welt mit Straßen- oder Preisschildern ausgerüstet sind, sondern mit Schilden. Die Abwehrwaffe heißt der Schild und nicht das Schild. Ende der Durchsage.

Jedes Kapitel wird von einem Liedtext eingeleitet, der sich am ehesten in Bezug zu Stimmung und Situation der Hauptfigur setzen lässt, denn diese Texte sind nicht Teil der Geschichte selbst. Dies verstärkt die Fremdheit, da die Texte auch nicht mit vertrauten Metaphern arbeiten, was natürlich die Lesbarkeit nicht erleichtert.

Die Autorin

Informationen über die Autorin Maria Semenova sind kaum zu finden, wenn man nicht der russischen Sprache mächtig ist. Sie wurde 1958 geboren, wurde zuerst Ingenieurin für Elektrotechnik und beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte von Wikingern und Slawen. Im russischen Sprachraum gehören ihre Bücher heute zu den Bestsellern der phantastischen Literatur. Die Geschichte um Wolkodav wurde 2006 verfilmt.

Erscheinungsbild

Das Cover ziert ein Mann mit langem Haar und archaisch anmutender Kleidung, der sich auf ein Schwert stützt und dem Hauptdarsteller der Verfilmung relativ ähnlich sieht. Während hinter ihm Flammen lodern, flattert an seiner Seite eine Fledermaus. Unter der weiß-grauen Schrift des Titels ist außerdem eine brennende Burg zu erkennen. Dem Cover gelingt es, sehr gut auf den Buchinhalt Bezug zu nehmen, so hat Wolkodav als Begleiter tatsächlich eine Fledermaus. Allerdings bekommt man es bei der Lektüre selten zu Gesicht: Wolkodav ist auf Deutsch nur als E-Book erhältlich, daher lässt sich über Druck und Papier keine Aussage treffen. Der Satz ist schlicht und gut lesbar, und abseits des oben erwähnten Fehlgriffs hat das Lektorat ordentlich gearbeitet. Jedes Kapitel wird mit einer kleinen, schwarz-weißen, zum Kapitelinhalt passenden Landschaftszeichnung eingeleitet und lässt sich problemlos über das Inhaltsverzeichnis vorne im Buch ansteuern.

Hinten erwartet den Leser ein Glossar verwendeter Begriffe, das jedoch keine einfache Übersetzung von ungewohnten Worten ist, sondern knappe Erklärungen bereithält, die das Verständnis enorm erleichtern. Bereits im Vorwort wird geraten, zuerst das Glossar zu lesen und dann das Buch. Dieser Empfehlung kann ich mich nur anschließen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Valkyren Verlag
  • Autor(en): Maria Semenova
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch/Russisch
  • Format: E-Book
  • Seitenanzahl: 325
  • ISBN: 978-3-946608-06-6
  • Preis: 4,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Website des Verlags gibt es eine Leseprobe für alle Unentschlossenen, und selbstverständlich bietet auch Amazon den obligatorischen Blick ins Buch.

Fazit

An Wolkodav ist für unsereins vieles fremd. Die Welt schöpft aus dem slawischen Kulturraum und ist dadurch anders als viele vertraute Fantasywelten. Gepaart mit einer teils altertümlichen Sprache, wenigen Erklärungen und einer eher episodenhaften Geschichte ist es keine leichte Lektüre. Dafür belohnt es den Leser mit einer phantastischen Welt, die sehr anders ist als das Vertraute. Nebenbei gibt es eine Menge neues Wissen, wenn man verwendete Begriffe nachschlagen musste.

Leider ist jedoch die Hauptfigur dieses Romans, Wolkodav, nicht gut zugänglich. Er schwankt zwischen sozial unfähigem Rächer, dem brutalen Überlebenden der Sklaverei und dann wieder dem erfahrenen Leibwächter. Alles in allem eine inkonsequente Mischung. Kombiniert wird alles mit einem etwas langatmigen Erzählstil, bei dem immer wieder Episoden das Tempo der Geschichte reduzieren.

Allerdings handelt es sich bei Schwert des Grauen Hundes um die erste Hälfte des ersten Bandes einer Reihe, wodurch das Buch mit einem Cliffhanger abbricht und viele einzelne Episoden in keinerlei Kontext zu stehen scheinen. Eventuell wird es mit den Folgebänden besser, sodass einige Ereignisse nicht mehr wie Zeitverzögerung wirken, sondern eine Bedeutung für die Handlung bekommen. Teil zwei erscheint im September 2017.

Aufgrund des moderaten Preises ist Wolkodav jedoch für alle, die sich für Fantasy mit anderen als den vertrauten Wurzeln interessieren, die Lektüre wert. Wer allerdings eine schnell lesbare Unterhaltungslektüre sucht, sollte Abstand nehmen.

Mit Tendenz nach Oben

Artikelbild: Valkyren Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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