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In Durchgeblättert werfen wir regelmäßig einen kritischen Blick auf Neuerscheinungen, Geheimtipps oder Klassiker aus der vielfältigen Welt der Graphic Novels. Diese Ausgabe schickt uns auf Entdeckungsreisen in die Wildnis Yucatáns, postapokalyptische Städte, auf den fremden Planeten Belzagor und in die zerrüttete Gedankenwelt einer Kriegsveteranin.

Unentdeckte Orte finden sich heute meist nur noch in der Tiefsee. Ganz anders war dies der Fall im 17. Jahrhundert, als die Seemächte Europas um die Vorherrschaft in den Weltmeeren kämpften. Welche Dinge mochte man unweit der heimatlichen Häfen entdecken? Diese Frage treibt auch die Akteure im ersten Band von Die Treibjäger an, die sich auf der Suche nach dem Ungeheuer einer uralten Legende befinden.

Eine ähnliche Situation findet sich im Abschlussband von Rückkehr nach Belzagor. Hier ist das Ziel der Expedition jedoch noch bedeutsamer – die Suche nach der Unsterblichkeit! Und welche Auswirkungen Unsterblichkeit auf die Sichtweise gegenüber Menschen hat, muss der Protagonist der Nikopol-Trilogie am eigenen Leib erfahren.

Die letzte Graphic Novel dieser Ausgabe von Durchgeblättert macht uns mit einer Kriegsveteranin vertraut, die gemeinsam mit einem Gorilla die Machenschaften dubioser Unternehmen verhindern muss. Und ach ja: Außerirdische spielen in Motor Girl auch eine Rolle!

Wir hoffen, ihr habt beim Lesen dieser Kritiken ebenso viel Spaß, wie uns das Lesen der rezensierten Werke bereitet hat. Über Fragen oder Diskussionen in den Kommentaren freuen wir uns ebenso wie über generelles Feedback zu unserem Format Durchgeblättert!

Die Nikopol-Trilogie

Klassiker im Bereich der Graphic Novels sind eine komplizierte Angelegenheit. Wie sehr beeinflusst Nostalgie die Wahrnehmung? Ist ein Vergleich mit aktuelleren Werken überhaupt angebracht? Erfolgt eine Verzerrung durch Adaptionen in anderen Medien? Demzufolge ist es für mich zunächst nicht einfach gewesen, der gesammelten Nikopol-Trilogie von Enki Bilal unvoreingenommen entgegenzutreten.

Bilal ist besonders im Bereich der Science-Fiction-Geschichten und Politthriller einer der bekanntesten Namen der französischen Comicliteratur. Wie die Asterix-Schöpfer Uderzo und Goscinny wurde er durch Veröffentlichungen in Magazinen wie Pilot und Schwermetall einem breiteren Publikum bekannt. Als eines seiner bekanntesten Werke gilt hierbei die Nikopol-Trilogie, die den gleichnamigen Protagonisten auf seinen Abenteuern in einer postapokalyptischen Welt begleitet. Sie war die erste Tätigkeit von Bilal als Autor, der bis dahin nur als Zeichner aufgetreten war. Später wurden Teile der Trilogie auch als Film unter dem Titel Immortal – New York 2095: Die Rückkehr der Götter adaptiert.

Die Nikopol-Trilogie besteht aus den einzelnen Geschichten Die Geschäfte der Unsterblichen, Die Frau in der Zukunft und Äquatorkälte. Zwischen den Erzählungen liegen Zeitsprünge von mehreren Jahren. Das Hauptthema ist das Aufeinandertreffen ägyptischer Gottheiten mit einer postapokalyptischen Zivilisation und die Verbindung von Alexander Nikopol mit dem abtrünnigen Gott Horus.

Von allen drei Geschichten hinterlässt Die Geschäfte der Unsterblichen den meisten Eindruck. Neben der Etablierung der Rahmenhandlung kann besonders die Atmosphäre innerhalb eines faschistischen Paris überzeugen. Bilal gelingt exzellent der Aufbau einer tristen, aber dennoch glaubhaften Diktatur. Zudem fasziniert die Interaktion zwischen dem überforderten Nikopol und dem auf Rache gegen sein Göttergeschlecht sinnenden Horus. Die beiden folgenden Geschichten bauen auf diesem Grundsatz auf, aber erreichen nicht das gleiche erzählerische Level. Zu schnell verlieren sie sich in Andeutungen, unbeantworteten Fragen und irrelevanten neuen Charakteren. Somit fühlt man sich als Leser nicht mehr nahe am Geschehen.

Dennoch verströmen alle drei Geschichten Charme hinsichtlich ihrer Science-Fiction-Elemente. Die in den Jahren 1980-1992 veröffentlichten Erzählungen weisen eine hohe Kreativität hinsichtlich zukünftiger (in unserem Fall gegenwärtiger) Technologien, Kulturen und Gesellschaften auf. Zwischen den Zeilen erkennt man auch viele sozialkritische Elemente. Das ist womöglich nicht jedermanns Geschmack.

Der visuelle Stil von Bilal ist als sehr individuell zu bezeichnen. Laut Angabe seiner Biografie bei Egmont verwendet er bei seinen Zeichnungen zum Großteil Acryl. Die daraus entstehenden Bilder wirken in Kombination mit der starken Strichführung sehr eindrücklich. Stellenweise entsteht der Eindruck, man würde Reliefzeichnungen in Farbe betrachten. Im Hinblick auf die Bedeutung ägyptischer Mythologie verstärkt dies die mystische Atmosphäre. Bei der Farbgestaltung fällt der Einsatz kalter und schmutziger Farben auf. Grau, Braun und Blau dominieren in vielen Szenen. Besonders deutlich wird das bei der Gestaltung der Protagonistin Jill in Die Frau in der Zukunft. Blaue Haare und weiße Haut geben ihr einen unnatürlichen Eindruck, der dennoch harmonisch in Bilals gesamtes Werk passt.

Generell weicht die zweite Geschichte von den beiden anderen ab. Zum einen liegt das daran, dass Nikopol in ihr nur eine Randrolle spielt. Zum anderen wird die Handlung auf eine andere Art und Weise präsentiert. Im Gegenzug zu Die Geschäfte der Unsterblichen und Äquatorkälte werden hauptsächlich innere Monologe verwendet. Der Leser erhält dadurch einen detaillierten Einblick in Jills Seelenleben. Gleichzeitig verzerrt das die Wahrnehmung von Ereignissen durch die subjektive Sichtweise der Protagonistin.

Eine herausragende und zwei gute Geschichten machen die Nikopol-Trilogie auch beinahe 30 Jahre nach ihrem Abschluss zu einer unterhaltsamen Lektüre. Jedoch muss man als Leser auch bereit sein, sich auf die gleichzeitig faszinierende und verstörende Welt von Enki Bilal einzulassen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Carlsen
  • Autor: Enki Bilal
  • Zeichner: Enki Bilal
  • Seitenanzahl: 184
  • Preis: 40 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Rückkehr nach Belzagor. Band 2: Buch 2

Der erste Band der Reise nach Belzagor überzeugte im Januar 2018 mit dem Aufbau eines spannenden Mysteriums und seiner faszinierenden Welt. Gleichzeitig gibt es hinsichtlich der Charaktergestaltung jedoch Schwächen, die zu oberflächlichen Protagonisten führt. Der zweite Band von Rückkehr nach Belzagor bildet gleichzeitig den Abschluss der Handlung. Kann die Adaption der Erzählung Mysterien von Belzagor von Robert Silverberg auf der Zielgeraden überzeugen?

Das Wissenschaftler-Paar Wingate befindet sich mit seinem Führer Gundersen und weiteren Begleitern auf der Suche nach dem Ritual der Wiedergeburt. Dieses gilt als das größte Geheimnis von Belzagor und weckt entsprechende Neugier. Die Spur führt den Erkundungstrupp immer näher zur Lösung des Rätsels, aber auch zu Gundersens altem Gegenspieler Kurtz.

Leider weist der Abschlussband von Rückkehr nach Belzagor die gleichen Schwächen wie der Vorgänger auf und kann nicht an dessen Stärken anknüpfen. Die Charaktere stechen hierbei als größter Kritikpunkt hervor. Ausnahmslos sind sie oberflächlich und eindimensional gehalten, selbst die im Vorgänger interessanten Gundersen und Kurtz. Unnötigerweise wird zudem eine Dreiecksbeziehung eskaliert, welche erzwungen wirkt. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit der gesamten Rahmenhandlung.

Lediglich gegen Ende nimmt die Handlung an Fahrt auf. Die Erforschung des Rituals der Wiedergeburt lässt das mystische Flair des ersten Bandes stellenweise wieder aufleben. Darüber hinaus gelingt dem Autor am Ende ein Twist, der nicht sofort ersichtlich ist. Leider schafft es Rückkehr nach Belzagor. Band 2: Buch 2 dabei nicht, die bis dahin oberflächliche Handlung nochmals entscheidend aufzuwerten.

Schade ist zudem, dass Laura Zuccheri (Zeichnungen) und Silvia Fabris (Farben) wenig Gelegenheit zur Präsentation der Welt erhalten. Durch den Fokus auf die Charakterinteraktionen gerät Belzagor selbst in den Hintergrund. Auch dies bessert sich gegen Ende des Bandes. Im Zusammenhang mit dem Ritual werden hier sowohl faszinierende, wie auch erschreckende Szenen präsentiert. Dadurch hinterlässt die visuelle Gestaltung nochmals Eindruck, allerdings im Gesamtbild deutlich geringer, als im Einstiegsband.

Der Abschluss dieser Science-Fiction-Adaption hinterlässt deswegen einen zwiespältigen Eindruck. Im Zusammenspiel mit dem ersten Band treibt den Leser die Neugier auf die Erkundung des mysteriösen Rituals an. Als Einzelband bleiben bei Rückkehr nach Belzagor. Band 2: Buch 2 jedoch hauptsächlich die Schwächen bei der Charaktergestaltung in Erinnerung.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Robert Silverberg, Philippe Thirault
  • Zeichner: Laura Zuccheri, Silvia Fabris
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 14,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Motor Girl

Die angenehmste Überraschung bei Durchgeblättert ist immer, wenn eine Graphic Novel vollkommen unerwartet Eindruck hinterlässt. Autor und Zeichner Terry Moore ist durch seine Reihen Strangers in Paradise oder Rachel Rising bekannt. Besonders Erstgenanntes weist viele Elemente einer Seifenoper auf und trifft damit tendenziell nicht meinen persönlichen Geschmack.

Umso überraschter bin ich gewesen, als ich Motor Girl zu Ende gelesen habe. Die Geschichte dreht sich um die verwundete und hartnäckige Kriegsveteranin Sam, die nach ihrer Rückkehr auf dem Schrottplatz ihrer Freundin Libby arbeitet. Dieses Unterfangen gerät jedoch in Gefahr, als dubiose Geschäftsleute den Schrottplatz aufkaufen wollen. Gemeinsam mit Libby und dem Gorilla Mike wehrt sich Sam gegen die „Eindringlinge“ und kommt einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur.

Gerade dem Charakter Mike wird im Laufe der Handlung eine große Rolle zuteil. Bereits nach wenigen Seiten wird seine Bedeutung für Sam klar. Er dient als Motivator, aber spricht auch oftmals Warnungen aus. Zunächst erscheint dies verwunderlich. Warum hört eine junge Frau ausgerechnet auf einen rüpelhaften Gorilla? Doch nach und nach fügen sich einzelne Puzzlesteine zu einem Gesamtbild zusammen, das die Beziehung zwischen den beiden erläutert.

Das Besondere an Motor Girl ist die Verbindung einer ernsten Erzählung mit liebenswertem Humor. Moore gelingt an vielen Stellen die Auflockerung der Handlung, ohne in das Lächerliche zu gleiten. Großen Beitrag leisten dabei Nebenfiguren wie der Gorilla Mike oder die Handlanger Larry und Vic. Gleichzeitig dreht die Handlung besonders gegen Ende hin an den emotionalen Stellschrauben. Die Geschichte gipfelt schlussendlich in einem Finale, das zugleich unerwartet und stimmig ist. Seinen Anteil daran hat auch das Erzähltempo. Über die gesamte Graphic Novel schreitet die Handlung sichtlich, aber gleichzeitig behutsam fort. Der Leser hat damit die Möglichkeit Ereignisse und Charaktere auf sich wirken zu lassen ohne das Gefühl von Langeweile zu haben.

Bereits nach dem ersten Durchlesen erkennt man die Sorgfalt, mit der Terry Moore seine Handlung geplant hat. Als Leser nimmt man beim nochmaligen Lesen Hinweise wahr, die den Ausgang der Handlung über den gesamten Band hinweg andeuten. In dieser Hinsicht erinnert Motor Girl an Filme wie Fight Club, Lucky Number Slevin oder Se7en.

Motor Girl ist komplett in Schwarz-Weiß gehalten. Auch setzt Moore nicht auf detailreiche Hintergründe. In vielen Fällen wird der Großteil der Panels lediglich von den Charakteren eingenommen. Die daraus entstehende Simplizität hilft der Fokussierung auf die Charaktere und die Handlung. Besonders bei emotional starken Szenen kommt dies zum Tragen. So gewinnt beispielsweise die erste „Begegnung“ von Sam mit Mike durch den Einsatz von Nahaufnahmen auf die Mimik der Akteure an Intensität.

Selten habe ich in letzter Zeit einen Band gelesen, der mich gleichzeitig zum Schmunzeln und Nachdenken gebracht hat. Motor Girl gelang beides exzellent. Und mehr kann man von einer Graphic Novel nicht verlangen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Schreiber & Leser
  • Autor: Terry Moore
  • Zeichner: Terry Moore
  • Seitenanzahl: 224
  • Preis: 24,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Die Treibjäger. Band 1: Die vergessene Waffe der Götter

England im Jahre 1664. Ein instabiler Friede mit den Niederlanden droht bald zu brechen. Auf der Suche nach einem Vorteil im Kampf um die Vorherrschaft in den neuen Kolonien ist dem König dabei jedes Mittel recht. Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Abenteurern macht sich deswegen auf die Suche nach einer Legende. Überlieferungen der Maya berichten von einer Bestie unter dem Namen „Der Höllenhund der Götter“ auf Yucatán. Die Gefangennahme und der Einsatz dieser könnte die Kampfeskraft des Königreichs entschieden steigern.

Mehr oder weniger unfreiwilliges Mitglied der Expedition ist der junge Jonas. Seit dem Tode seines Vaters wächst er bei seinem Onkel Arthur Bennett auf. Dieser leitet die Suche nach dem mythischen Wesen und nimmt nach einem missglückten Attentat seinen Neffen auf die Reise mit. Denn schnell ist klar, dass auch andere Mächte die Kontrolle über den Höllenhund begehren. Und da Arthur seinem Neffen nicht zutraut, im Falle der Folter Geheimnisse zu bewahren, entschließt er sich den jungen Mann nach Yucatán mitzunehmen. Begleitet werden sie vom draufgängerischen Kapitän Rodrigo Toledano und seiner Gattin Mara.

Die vergessene Waffe der Götter fokussiert sich auf die Etablierung der gesamten Prämisse. Nach einer kurzen Erläuterung der Ausgangslage lernen wir die Protagonisten und den Hintergrund der Legende kennen. Der Einstiegsband setzt schnell auf actionreiche Szenen, wie das zu Beginn stattfindende Attentat beweist. Diese Abwechslung von Fortschritt der Handlung und temporeicher Action zieht sich durch die gesamte Graphic Novel. Der Mittelteil ist etwas ruhiger gestaltet, doch insgesamt liest sich die Geschichte sehr kurzweilig. Die Charaktere dagegen bleiben noch blass. Hier ist zu hoffen, dass der nächste Band für mehr Tiefgang sorgen kann.

Der Zeichenstil weist einen Hang zur Überzeichnung auf, besonders bei den körperlichen Proportionen. Die Gesichter sind lang gezogen, was die Mimik ausdrucksstärker scheinen lässt. Die daraus resultierenden Charaktere wirken sehr individuell. Die Farbpalette unterstreicht den geheimnisvollen Hintergrund und setzt vornehmlich auf dunkle Töne. Selten werden wärmere Farben wie Rot und Gelb zur Akzentuierung eingesetzt, wodurch die Verwendung jedoch hervorsticht.

Die Treibjäger. Band 1: Die vergessene Waffe der Götter liefert die Grundlage für eine gute Abenteuergeschichte. Der Spannungsbogen ist angenehm gestaltet und bietet eine unterhaltsame Kombination aus Action und Handlung. Das Wettrennen um die Entdeckung der Bestie verleiht dem Ganzen zusätzlich Intensität. Abstriche müssen lediglich bei den Charakteren gemacht werden, die zu sehr in Archetypen verfallen und damit wenig interessant wirken.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Tirso, David Muñoz
  • Zeichner: Tirso
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 15,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit des Monats

Entdeckungen können vielfältig sein. Seien es die Geheimnisse auf einem fremden Planeten (Rückkehr nach Belzagor), den tiefen Dschungeln Amerikas (Die Treibjäger) oder die Machenschaften antiker Gottheiten (Die Nikopol-Trilogie). Mich persönlich freut aber besonders die Entdeckung von unerwarteten Highlights. Und eine solche durfte ich in diesem Monat mit Motor Girl machen.

Die nächste Ausgabe von Durchgeblättert führt den Leser unter anderem in das antike Griechenland und die Welt der tapfersten Kriegerinnen aller Zeiten: der Amazonen! Bis dahin wünschen wir wie üblich: „Frohes Lesen!“ und natürlich „Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in das neue Jahr!“.

Artikelbilder: Splitter, Carlsen, Schreiber & Leser, Bearbeitet von Verena Bach
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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