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Im November fand die traditionelle LARP-Konferenz MittelPunkt in Grävenwiesbach statt. Unter der Schirmherrschaft des DLRV und der Organisation der Waldritter nutzten rund 120 Live-Rollenspieler und LARP-Organisatoren die Gelegenheit zum Netzwerken, zu allgemeinem Austausch über das gemeinsame Hobby und zu einem Blick über den eigenen Tellerrand.

Für viele Larper ist er eine feste Institution: der MittelPunkt, die größte LARP-Konferenz in Deutschland, zieht sogar internationale Gäste an. Entstanden aus den Treffen der Mittellandekampagne, ist er inzwischen eine zentrale Veranstaltung für Spieler wie Organisatoren, um den allgemeinen Austausch zu fördern, Netzwerke aufzubauen und LARP in der Theorie zu besprechen – und auch ganz praktisch diese Theorien auszuprobieren.

Dazu lud der Deutsche Live-Rollenspielverband (DLRV) einmal mehr nach Grävenwiesbach, genauer gesagt in den hessischen Hochtaunuskreis.

Organisation

Mit den Waldrittern als Organisatoren konnte erneut ein erfahrenes Team gewonnen werden, das zudem bestens in der Szene vernetzt ist. Als Location entschied man sich für die Jugendherberge Grävenwiesbach, die bereits in der Vergangenheit die Konferenz beherbergen durfte. Im Fokus der Locationwahl lag die ausreichende Bettenkapazität und vor allem ausreichend Raum für Vorträge und Workshops, aber auch für ruhige Gesprächsrunden. Diese Kriterien schränkte die Anzahl geeigneter Durchführungsorte grundsätzlich ein, und die ausgewählte Location wurde durchaus kritisiert. Besonders die Ausstattung erschien einigen Teilnehmern nicht mehr ganz dem Jahr 2017 angemessen. Steckdosen, grade auf den Zimmern, waren ebenso Mangelware wie ausreichend Essen für hungrige Teilnehmer – und gemessen an der Teilnehmerzahl gab es schlicht zu wenige Duschen.

Der enge Barbereich im Foyer, direkt neben dem Konferenzbüro und dem Check-In gelegen, sorgte für dichtes Gedränge zwischen und nach einzelnen Programmpunkten. Einige Vorträge wurden spontan verlegt, andere fielen gleich ganz aus. Dafür kamen andere Vorträge recht kurzfristig dazu. Diese Umstände führten dazu, dass man recht schnell den Überblick verlieren konnte. Der Plan wurde zwar regelmäßig (digital wie analog) aktualisiert und war ausgehängt, Änderungen waren aber aufgrund der dichten Taktung der Vorträge schnell übersehen.

Lobend hervorzuheben ist allerdings die Flexibilität des Teams, wenn plötzlich neue Themenwünsche aus Gesprächen und Vorträgen entstanden. Auch das macht den Geist dieser Veranstaltung aus und zeigt eine Stärke von Larpern: Improvisationstalent. Mit einer orientalischen Teestube wurde auch dem Wunsch Rechnung getragen, einen Rückzugsraum für private Gespräche (oder zumindest kleinere Gesprächsrunden) zur Verfügung zu stellen. Dieser wurde, nicht nur wegen des exzellenten Tees, gerne und intensiv genutzt.

Neben ein paar netten Kleinigkeiten und der aktuellen LARPZeit, ab es zudem wieder für alle Teilnehmer die Aufsatzsammlung zum MittelPunkt mit interessanten wissenschaftlichen Betrachtungen des Hobbys und seiner Hobbyisten.

Programm

Engagierte Referenten

Erneut konnte ein abwechslungsreiches Programm gestaltet werden, welches Organisatoren und Spieler gleichermaßen ansprach. Einige internationale Programmpunkte trugen  dazu bei, dem Eigenanspruch der Konferenz gerecht zu werden. Dabei ging es nicht nur um scheinbar dröge Theorie – der eigene Wissenstand war auch ganz praktisch, durch Mini-LARPs oder andere Spiele, erweiterbar.

Dem gewählten Motto entsprechend beschäftigten sich die Vorträge „Was ist eigentlich Orient“ und „Tham Rakkat – Das etwas andere Orient-Konzept“ mit Spielansätzen für orientalische Charaktere und Settings. Die Referentin, Inez Dreyer, konnte dabei aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz als Organisatorin und Spielerin, aber auch aus ihrer beruflichen Laufbahn als Archäologin schöpfen und die Zuhörer in Geschichten aus 1001 Nacht entführen.

Kulturellen Fragen stellte sich ein Vortrag über das Bespielen fremder Kulturen im LARP. Dabei betrachtete der Vortrag gängige Probleme in der Darstellung und bot jede Menge praktische Tipps zum Mit- und Gegeneinander mit anderen Kulturen.

Cast4Art, der deutsche Platzhirsch für thermoplastische Werkstoffe, war nicht nur als Hauptsponsor mit einem Stand vor Ort, sondern vermittelte Larpern theoretisches und praktisches Wissen für den Umgang mit Thermoplasten im Larp. Dabei konnten auch einige Skeptiker von den Einsatzmöglichkeiten überzeugt werden.

Mit Gregor Knape war zudem ein ausgewiesener Profi in Schminkfragen vor Ort, der reichlich Wissen vermitteln konnte und hier und da aus dem Nähkästchen der Maskenbildnerei plauderte. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf Ganzkörperschminke und gab den einfachen wie praktischen Rat, möglichst viel Haut durch Kleidung zu verdecken. Für das, was übrig blieb, hatte der Profi reichlich Ideen im Gepäck.

Die Reihe der Workshops beschäftigte sich zudem mit Spieltechniken und Möglichkeiten, sich und seinen Charakter im Rollenspiel gezielter zu entwickeln.

In zahlreichen Vorträgen wurden Einblicke in andere Länder und Konzepte vermittelt. Es gab konkrete Hilfestellungen, zum Beispiel den Kniff, mit wenigen NSC eine Bedrohungssituation aufzubauen, bis hin zu ausgiebigen Diskussionen von wissenschaftlichen Betrachtungen zum Live-Rollenspiel. Aus Italien berichtete Alessandro Giovannuci von den italienischen Spielweisen und von Ansätzen, die sich aus dem Nordic LARP heraus entwickelt hatten.

Organisatoren konnten aus vielen interessanten Programmpunkten schöpfen und sich mit der notfallmedizinischen Bedarfsplanung auf Cons ebenso auseinandersetzen, wie mit rechtlichen Fragen – oder mit Ansätzen, das eigene LARP erlebbarer zu machen.

Doch auch kontroverse Themen kamen nicht zu knapp. Nachdem ein Eröffnungsvortrag zu Sexualität im LARP zu gemischten Reaktionen geführt hatte, wurden spontan von mehreren ausgewiesenen Fachleuten, nämlich Pädagogen und Sexualtherapeuten, zwei weitere Programmpunkte angebracht, um das Thema differenzierter aufzuarbeiten, als der Eröffnungsvortrag es vermochte. Auch der Umgang mit Rassismus und Diskriminierung im LARP fand Eingang in spannende Diskussionen. So wurde unter anderem der Frage nachgegangen, was im LARP Black- oder Whitefacing ist und was nicht. Das konnte zwar nicht abschließend geklärt werden, zeigte aber einiges an Gesprächsbedarf auf.

Heiß geht es her, bei einem illegalen Stein-Schere-Papier-Turnier

In einem der Abschlussprogrammpunkte stellten Daniel Pause, erster Vorsitzender des DLRV, und Vera Scholten, Leiterin der Servicestelle des DLRV, ihre Gedanken zur Zukunft des Verbandes vor. Als erster kleiner Meilenstein konnte dabei der Rahmenvertrag mit Sixt vorgestellt werden, der Mitgliedern des DLRV vergünstigte Konditionen anbietet. Je öfter zudem über diesen Vertrag ein Fahrzeug gebucht wird, desto höher steigen mit der Zeit die Vergünstigungen für alle Mitglieder. Auf dem Programm steht außerdem noch die Verhandlung mit einer Assekuranz zwecks Abschluss einer Versicherung für Larper, ähnlich einem Modell, wie man es aus Vereinen kennt. Hier gibt es erste Fortschritte, die 2018 hoffentlich in einen Rahmenvertrag münden, der den Versicherungsstatus der Teilnehmer auf LARP-Conventions klärt und auch Organisatoren attraktive Möglichkeiten bietet. In einer anschließenden Diskussion wurden Ideen zur künftigen Finanzierung des Verbandes und möglicher Aufgaben intensiv diskutiert. Als nächste große Aufgabe steht die Anerkennung als gemeinnütziger Verein an. Läuft alles nach Plan, könnte dies schon 2018 der Fall sein und damit die Möglichkeiten des DLRV für die Szene erweitern.

And the winner is … – F.R.E.D. 2017

Der FRED in voller Pracht

Ein fester und nicht wegzudenkender Programmpunkt des MittelPunktes ist der F.R.E.D. (Der Preis für fortschrittliche Rollenspiel-Entwicklung in Deutschland). Mit viel Charme führten Silvia Ochlast und Alexander Boepple durch die Verleihung. Für den F.R.E.D. konnte sich jedes LARP für eine oder mehrere der fünf Kategorien bewerben: Idee, Ausstattung, Medien (Mediale Aufbereitung der Con vor, während und nach der Veranstaltung), Nachwuchs- und Familienförderung sowie Bildungs- und Weiterbildungskonzept.

Dieses Jahr konnten folgende Konzepte die Jury um Boris Bernhard überzeugen:

Die Auszeichnung für die beste Idee und LARP mit Bildungskonzept ging an das History-Horror-LARP Die weiße Dohle. In einem Setting im 30-jährigen Krieg in Deutschland mussten sich die Teilnehmer mit den Unwägbarkeiten von Krieg, Flucht, Glaube und Aberglaube auseinandersetzen. Gepaart mit Horror-Elementen und Ansätzen aus dem Nordic LARP besuchten die Teilnehmer ein schaurig-intensives LARP.

Glückliche Gesichter bei der FRED-Verleihung

Mit ihrem üppigen Ambiente-Niveau konnte die Orient-Con Al Bahra 5 den F.R.E.D. für die Ausstattung einheimsen. Ob das echte Kamel auf der Con den entscheidenden Ausschlag gab, ist unbekannt, aber die Bilder sprechen definitiv für sich.

Für seine mediale Aufbereitung erhielt das Archenfall der Waldritter eine Auszeichnung. Mit einem Shooting im Vorfeld, einer überzeugenden digitalen Präsenz und dem Einsatz von Medien vor Ort überzeugte das Konzept die Jury. Hier, im Hintergrund der Serie Defiance, konnte man in eine spannende Welt kultureller Differenzen eintauchen.

Für ihre Nachwuchs- und Familienförderung erhielt zudem noch die Alphacon 12 eine wohlverdiente Auszeichnung. Die Con widmete sich dabei besonders der Heranführung von Jugendlichen an das Thema LARP.

Was vom Tage bleibt

„Die Mischung macht’s“. Dieser Sinnspruch gilt auch und vor allem für das Hobby LARP. Wie vielfältig dieses sein kann und was es links und rechts neben der eigenen Spielwelt zu sehen gibt, erfährt man so leicht wie auf Veranstaltungen wie dem MittelPunkt  nirgends. Dabei spielt es keine Rolle, ob man Organisator oder Spieler ist, das Programm bietet für jeden etwas und ist definitiv eine längere Anreise wert, immer vorausgesetzt, man interessiert sich für den Blick über den Tellerrand. Aber selbst dann, wenn man in seinem Sandkasten zufrieden ist, sollte man den Weg einmal auf sich nehmen.

Alleine die Kontakte, die man hier knüpfen und vertiefen kann, sind lohnenswert. Und wen selbst das nicht interessiert, für den gibt es immer noch die herausragende Cocktailbar, die schon für sich genommen den Weg lohnt, denn hier wird LARP in Cocktails gelebt – wie schon gesagt: Die Mischung macht’s.

Artikelbild: ©Kamerakata/Ralf Hüls

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