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Vor einem Jahr verstarb Star Wars-Ikone Carrie Fisher. In ihrer Autobiographie lernt man die Person hinter der Rolle kennen: eine außergewöhnliche Frau, deren Kämpfe im wirklichen Leben die auf der Leinwand in den Schatten stellten und die Schicksalsschlägen mit sprühendem Humor begegnete.

Geliebte Künstler und Künstlerinnen posthum auf der Leinwand zu sehen, ist immer ein bittersüßer Moment. Plötzlich sind jene, die man schon vor Monaten betrauert hatte, für zwei Stunden ins Leben zurückgekehrt und zeigen ein letztes Mal, weshalb man sie bewundert. Dabei kann es sich um unvergessliche Performances handeln – Heath Ledgers Joker in Nolans The Dark Knight wird ewig in Erinnerung bleiben – oder die Nebenrolle in einem Sequel, das man ansonsten vielleicht gar nicht angeschaut hätte – Robin Williams erschien zum Beispiel Ende 2014 noch einmal in Nachts im Museum 3 – das Gefühl bleibt das gleiche. Diesen Monat wiederholt sich die Erfahrung gewissermaßen mit doppelter Intensität, denn in Star Wars Episode VIII: Die letzten Jedi verabschieden wir uns zugleich von Carrie Fisher und von ihrer Rolle als General Leia Organa.

Ob man vom Film selbst nun überzeugt war oder nicht, wenn sich die Star Wars-Familie im Abspann vor ihrer Prinzessin verneigt, bleibt niemand ungerührt. Heute ist es genau ein Jahr her, dass Carrie Fisher im Alter von nur 60 Jahren an den Folgen eines plötzlichen Herzstillstands starb. In zahllosen Nachrufen (so auch in unserem) riefen Fans, die vorher tagelang um das Leben ihres Idols gebangt hatten, dazu auf, sich auch an die Person unabhängig von ihrer überlebensgroßen Rolle mit der ikonischen Schneckenfrisur zu erinnern. Carrie Fisher, so ist man sich einig, war viel mehr als nur Prinzessin Leia. Welchen besseren Weg gäbe es also heute, der Person hinter der Weltraumrebellin zu gedenken, als mit ihrer eigenen Autobiographie?

Selbstentwurf zwischen Witz und Wahrheit

Autobiographien prominenter Künstler sind vor allem dann interessant, wenn sie einem das Gefühl vermitteln, den Verfassern zu begegnen. Lustige Anekdoten und pikante Details aus dem Privatleben findet man auch im Internet, aber wer eine Autobiographie liest, erhält Einblicke in das, was der Person selbst wichtig ist und was sie für teilenswert hält. Bei der Lektüre von Vom Erwachen der Nacht steht also die Frage im Vordergrund, ob man hier jener anderen Carrie Fisher begegnen kann, für die Star Wars nur einen kleinen Teil ihres Lebens ausmachte. Entsprechend entfallen bei dieser Buchbesprechung sowohl das klassische Rezensionsformat als auch die Wertung. Begegnungen mit Menschen bewertet man nicht.

Basierend auf ihrem Einpersonenstück Wishful Drinking stellt Vom Erwachen der Nacht für Carrie Fisher gewissermaßen eine Bestandaufnahme ihres eigenen Lebens dar. Am Anfang des Buchs stehen ihre bipolare Störung und deren Folgen, zu denen auch eine Elektrokonvulsionstherapie gehört, die ihren psychischen Zustand zwar merklich verbessert, aber zugleich auch ihr Gedächtnis beeinträchtigt. Nun blickt sie auf ihr ungewöhnliches Leben zurück, sortiert, bewertet, deutet um und scheut nicht davor zurück, die Leser durch all jene Momente zu führen, die besonders wehtun. Dabei geht es ihr vor allem darum, das Absurde und Komische in den einzelnen Situationen zu finden – egal wie schmerzhaft sie sein mögen. Ihr Wahlspruch lautet: „Wenn mein Leben nicht witzig wäre, wäre es einfach nur wahr, und das wäre mir viel zu wenig.“ Gelegentliche Übertreibungen und kleine Unwahrheiten muss man also in Kauf nehmen, wenn sie der Anekdote dienen, die Fisher gerade aufarbeitet. Das macht das Buch nicht weniger authentisch.

Hat der Arzt, der ihr in der Notaufnahme den Magen auspumpte, danach wirklich nach ihrer Telefonnummer gefragt? Wer möchte das schon wissen? Die Anekdote ist gut und mit Sicherheit witziger als eine Geschichte, in der man ohne weitere Ereignisse in der Notaufnahme war. Anstelle einer Ansammlung trockener Fakten erhält man als Leser mit der Zeit ein ziemlich klares Bild davon, wie Carrie Fisher sich gerne an sich selbst erinnern möchte. Strenggenommen ist das schon ein ganz schön privater Einblick, denn was gibt es schon intimeres als den eigenen Selbstentwurf?

Hollywoodinzucht

Dabei ist es keinesfalls so, als wäre Carrie Fishers Leben ohne solche Ausschmückungen ereignislos gewesen. Als Tochter der Schauspielerin Debbie Reynolds und des Sängers Eddie Fisher wird sie 1956 geradewegs in die High Society Hollywoods hineingeboren. Zwischen einer Mutter, die sie mit der ganzen Welt teilen müssen, und einem Vater, der die Familie nach kurzer Zeit für Elizabeth Taylor verlässt, ringen sie und ihr Bruder vergeblich um eine normale Kindheit. In drolligen Details zeichnet die Biographie die Beziehungskisten ihrer Eltern nach.

Das wackelige Gleichgewicht zwischen dem echten Leben und dem Showgeschäft aufrechtzuerhalten ist bereits schwierig, bevor Fisher für die Rolle der Prinzessin Leia vorspricht und selbst berühmt wird. Entsprechend hat sie Anekdoten zu allem und jedem parat: Rauschgiftratschläge von Cary Grant, merkwürdige Begegnungen mit Bob Dylan, eine lebhafte aber letztlich zum Scheitern verurteilte Ehe mit Sänger Paul Simon. Sprunghaft wechselt sie zwischen diesen Erinnerungen und versucht, in allen die absurdesten Geschichten und komischsten Momente zusammenzuklauben.

Wie sich das, was die Autorin selbst als „gute, alte Hollywoodinzucht“ bezeichnet, auf ihre psychischen Probleme und die Flucht in den Alkoholismus auswirkte, vermag sie nicht zu sagen. Ihr Bruder Todd habe nie vergleichbare Probleme gehabt, lediglich ein Wiedergeborener Christ sei er geworden. Vom Erwachen der Nacht ist keine boshafte Abrechnung. Carrie Fisher sucht keine Schuldigen für die Krankheit, die so lange ihr Leben bestimmt hat. Gerade auf das enge Verhältnis zu ihrer Mutter lässt sie nichts kommen. Gleichzeitig verzichtet sie darauf, lustige Anekdoten über irgendwelche Drogenexzesse zum Besten zu geben, sondern geht lieber auf die spezifischen Nöte ein, die ihren Substanzenmissbrauch überhaupt motivierten. Fishers offener Umgang mit ihrer jahrelangen Abhängigkeit ist zwar humorvoll, aber nie verharmlosend. Darin liegt dann auch die größte Stärke dieser Biographie.

Roy, Pam und der Weg zur dunklen Seite

„Ich habe eigentlich kein Problem mit Drogen – nur mit Nüchternheit.“ Was wie ein harmloser Scherz klingt, ist die traurige Wahrheit hinter Fishers regelmäßigen Rückfällen. Wer noch nie über die innere Logik nachgedacht hat, mit der nicht diagnostizierte psychische Störungen und Alkoholismus einander bedingen, wird hier einiges dazulernen. Sie spricht es nie direkt aus, aber beim Lesen wird zunehmend klar, dass einiges hätte anders laufen können, wenn sie die erste Diagnose ihrer bipolaren Störung hätte akzeptieren können. Stattdessen bricht sie damals den Kontakt zu dem Psychiater, der die Diagnose ausgesprochen hat, kurzerhand ab. Erst viele Jahre später soll sie begreifen, dass ihr Drogenkonsum ein weiteres Symptom dieser Erkrankung ist. Sie will sich vor allem besser fühlen und ihre unerträglichen Stimmungsschwankungen dämpfen.

Wo andere nach einem Entzug zunehmend ruhiger werden und ihr Leben neu sortieren können, sieht Fisher sich einer Übermacht emotionaler Extreme gegenüber, die sich nicht beherrschen lassen. Die direkte Auseinandersetzung damit erfolgt spät, aber gibt ihr zunehmend die Kontrolle zurück. Sie lernt, ihre Stimmungslagen zu identifizieren und sinnvoll einzuordnen. Sie gibt ihnen sogar Namen: Roy, der sich ganz der Euphorie hingibt und eine Party nach der anderen schmeißt, und Pam, die am Ufer steht und weint. Auch das Verhältnis zwischen den beiden ist ihr inzwischen klar: „Mit Roy kommt das Mittagessen, mit Pam die Rechnung.“

Durch die Offenheit, mit der sie sowohl in ihrem Bühnenprogramm als auch in der Autobiographie diese schwierigen Themen aufschlüsselte, wurde Carrie Fisher zu einer Heldin der ganz eigenen Art. Sie trägt massiv dazu bei, jene Tabus aufzuheben, die es für sie selbst damals so schwer machten, ihre Diagnose anzunehmen. So humoristisch sie ihre eigene Geschichte auch verpacken mag, besteht doch nie ein Zweifel, wie ernst es ihr mit diesem Anliegen ist. Die Drogen waren ihr Versuch, einen einfachen Ausweg zu finden und stellten so die größte Herausforderung ihres Lebens dar. Nicht umsonst nennt sie ihren Drogenkonsum auch „den Weg zur dunklen Seite“, der ihrem Umfeld und den Menschen, die sie liebt, immer wieder Schmerzen bereitet hat. Wenn sie also im Nachwort für sich und alle Menschen, die mit einer bipolaren Störung und deren Folgen leben, eine Tapferkeitsmedaille verlangt, so ist das nur halb scherzhaft gemeint.

BHs im Weltraum

Enttäuschen wird die Autobiographie hingegen diejenigen, die sich viele knackige Star Wars Geschichten erhoffen. Davon gibt Fisher nur wenige zum besten. Allerdings gewährt sie Einblicke in die ständigen Absurditäten, die das Leben für einen bereithält, wenn man Teil eines der größten Popkulturphänomene überhaupt ist. Wie fühlt es sich an, das eigene Gesicht unendlich vervielfältigt auf zahllosen Konsumprodukten zu sehen? Die damit verbundenen Geschichten sind zwar witzig, regen aber auch zum Nachdenken über Fankultur im Allgemeinen an.

Von PEZ-Spendern über die Leia-Shampooflasche mit abdrehbarem Kopf, bis hin zu lebensgroße Sexpuppen tut sich ein breites Spektrum an Peinlichkeitsgraden für die Person auf, deren äußeres Erscheinungsbild verwendet wird. Zum Glück nimmt die Autorin auch diesen Aspekt ihres Lebens mit Humor, selbst dann, wenn es unter die Gürtellinie geht. Die berühmte Schneckenfrisur fand sie übrigens, das nur fürs Protokoll, „unfassbar idiotisch“.

Die vielleicht bekannteste Anekdote im Buch handelt von George Lucas fester Überzeugung, dass die Darstellerin beim Dreh zum ersten Star Wars-Film unter dem allseits bekannten weißen Gewand keinen BH tragen dürfe. Im Weltraum, so sein Argument, gebe es nämlich keine Unterwäsche. Als er später mitbekam, wie sich Fisher in einer ihrer Shows darüber lustig machte, spezifizierte er seine Beweggründe: In der Schwerelosigkeit des Weltraums dehne der Körper sich aus, der BH aber nicht, weshalb man Gefahr laufe, vom eigenen BH erdrosselt zu werden.

Diese Rechtfertigung gefiel ihr so gut, dass sie dies fortan als ihre bevorzugte Todesursache angibt. „Ertrunken im Mondlicht, von meinem eigenen BH stranguliert“, so möchte sie aus der Welt gehen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: mvg Verlag
  • Autorin: Carrie Fisher
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch (aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Liebl)
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 160
  • ISBN: 978-3-8688-2680-7
  • Preis: 9,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

 

Fazit: Begegnung zwischen Buchseiten

Vom Erwachen der Nacht ist kein dickes Buch. Die Begegnung mit Carrie Fisher, der Person hinter der Figur Leia Organa, fällt entsprechend kurz aus. Bedenkt man, wie viele private Geschichten man über sie erfährt, ist man am Ende fast etwas erstaunt darüber, dass sie einem dabei nie das Gefühl von Intimität oder echter Vertrautheit vermittelt hat. Sie und der Leser bilden keine verschworene kleine Einheit, die gemeinsam Geheimnisse hütet. Das mag daran liegen, dass der Text auf einer Bühnenshow basiert, oder auch daran, dass Fisher kein Interesse daran hat, eine solche Illusion zu erzeugen. Was sie preisgeben will, schreit sie förmlich in die Welt hinaus, so dass es jeder hören kann. Was sie für sich behalten möchte, spart sie aus.

Dennoch bleibt der Eindruck einer Begegnung erhalten. Paradoxerweise wird er immer dort besonders stark, wo die Biographie gerade nicht gefällt. Nicht jeder ihrer Witze trifft den persönlichen Humor des Lesers und nicht jede ihrer Anekdoten erscheint wichtig oder unterhaltsam, doch letztlich ist gerade das der Punkt. Es passiert äußerst selten, dass man jemandem begegnet, mit dem man in allem übereinstimmt. Carrie Fisher weigert sich in diesem Buch standhaft, zur Projektionsfläche zu werden. Die Anekdoten sind, was sie, Carrie Fisher, witzig oder bemerkenswert findet, und genau dadurch wird diese Begegnung zwischen Buchseiten sehr real, wird die Autorin zu einer Person mit Ecken und Kanten, Eigenheiten und dem einen oder anderen Abgrund. So lernt man, ihr als Mensch ein Maß an Respekt entgegenzubringen, das man für die idealisierte Phantasieversion, die man vielleicht vorher von ihr hatte, nie aufgebracht hätte. So beendet man die Lektüre mit der Gewissheit: Carrie Fisher wird uns auch im Jahr 2018 weiterhin schmerzhaft fehlen.

Diesem Gesamteindruck tut auch die mitunter etwas holperige Übersetzung keinen Abbruch. Wer darauf lieber verzichten möchte, hat neben der Originalfassung Wishful Drinking auch die Möglichkeit, sich das von der Schauspielerin selbst eingesprochene Hörbuch zuzulegen.

Artikelbilder: mvgverlag, Disney Studios
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

  1. Selbst wenn sie die Diagnose akzeptiert hätte, bis zum Anfang des Jahrtausends wurde BP fast gar nicht behandelt und man eigentlich nur ruhig gestellt. Aber sie hat durch ihre Erlebnisse und ihr öffentliches Auftreten den Weg für Millionen andere bereitet und gezeigt, dass es einen Weg gibt mit BP zu leben. Auch wenn dieser Weg von vielen Menschen selbst heute noch nicht akzeptiert wird, weil sie Angst vor allem Fremdartigen haben.

    Die Drogen würde ich nicht als leichten Ausweg bezeichnen. Eine Manie kann körpereigene Opiate in einer Dosis freisetzen, die keine bekannte Droge je erreichen könnte. Wird die Manie durch Medikamente gedämpft, versuchen manche diese Hochgefühle durch Drogen auf andere Weise zu erreichen.

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