Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Wie geht man mit einer Vampirplage am besten um? Beten? Verstecken? Oder lieber Waffen sammeln und in Europa Blutsauger jagen gehen? Baltimore Sammelband #1 gibt darauf eine klare Antwort und lässt uns an den Abenteuern des titelgebenden Monsterjägers teilhaben. Was kann dieses Werk aus der Feder von Hellboy-Schöpfer Mike Mignola?

Was ist viereckig und wiegt gefühlt einige Kilo? Wer spontan an „Ziegelstein“ denkt, liegt richtig, allerdings trifft die Fragestellung auch auf die Sammelbände von Cross Cult zu. Eine solche geballte Ladung an Graphic Novel liegt auch mit dem hier besprochenen Werk zu Baltimore vor. Sage und schreibe 576 Seiten warten auf den geneigten Leser. Doch kann diese Sammlung von Geschichten aus der Feder von Hellboy-Schöpfer Mike Mignola auch im Hinblick auf Handlung, Figuren und Zeichenstil überzeugen? Spoiler bereits im Voraus: ohne wenn und aber!

Handlung

Die Geschichten um Lord Henry Baltimore nahmen mit dem illustrierten Roman Baltimore, oder, Der standhafte Zinnsoldat und der Vampir ihren Anfang. Jedoch sollte dies nicht der einzige Auftritt des grimmigen Monsterjägers mit dem Holzbein sein. Als Adaptionen der Geschichte erschienen diverse Abenteuer des titelgebenden Helden ebenfalls in Form von Graphic Novels. Baltimore Sammelband #1 umfasst dabei die Geschichten bzw. Bände Die Pestschiffe, Die Glocken der Verdammnis, Ein durchreisender Fremder und andere Geschichten sowie Die Knochenkapelle. Und was für eine Komposition sich da ergeben hat!

Doch beginnen wir am Anfang. Es toben die Schrecken des Ersten Weltkrieges, in welchen sich auch Lord Henry Baltimore wiederfindet. Doch bereits nach wenigen Seiten des Sammelbandes wird klar, dass dies sogar das geringere Übel ist. Eine schreckliche Pest wütet über Europa, die einen qualvollen Tod bringt. Schlimmer sogar, denn es erwachen einige Opfer als blutrünstige Untote und tragen damit den Fluch des Vampirismus immer weiter in die Welt hinaus.

Baltimore selbst ist in diese Thematik tief verwickelt. Er entkam einem Angriff der Vampire und deren Anführer Haigus nur knapp mit dem Leben. Doch seine Wehrhaftigkeit muss er teuer bezahlen, da der Blutsauger eine persönliche Feindschaft zum titelgebenden Helden entwickelt und durch mehrere Schicksalsschläge diesen in die Verzweiflung zu stürzen versucht. Doch anstatt Lord Henry zu brechen stachelt Haigus diesen nur zu bedingungsloser Rache an, woraufhin eine Hetzjagd durch ganz Europa ihren Anfang nimmt.

Die Feindschaft zwischen Baltimore und Haigus ist der umspannende Handlungsbogen dieses Sammelbands, wobei es die einzelnen Kapitel verstehen, abwechslungsreiche Stränge mit diesem übergeordneten Ziel zu verweben. Das Ergebnis ist eine Reihe von packenden Abenteuern an den unterschiedlichsten Standorten, die sich allesamt unterschiedlich anfühlen. Mignola und seinem Team gelingt es perfekt eine konsistente Geschichte zu erzählen, die dennoch immer frisch und abwechslungsreich bleibt.

Konstant bleibt jedoch der brutale und kompromisslose Grundton der Geschichte. Die Ausgangslagen sind fast immer äußerst deprimierend, beinahe hoffnungslos. Baltimore tritt hierbei nicht als strahlender Held, sondern eher als finsterer Racheengel auf. Sein Erscheinen garantiert kein Happy End, manchmal verschlechtert es die Lage sogar noch. Das hat zur Folge, dass man an jede Geschichte mit einer Spannungshaltung herangehen kann, weil man sich deren Ausgang nie gewiss ist.

Charaktere

Gerade zu Beginn jedoch erfordert der Hauptcharakter etwas Geduld. Mignola gewährt dem Leser nur nach und nach Einblicke in seinen Protagonisten, um am Ende ein klareres Bild zu ermöglichen. Während Die Pestschiffe den tragischen Hintergrund beleuchtet, sticht besonders der Abschluss in Die Knochenkapelle nochmals heraus. Gegen Ende dieses Bandes werden außerdem einige spannende Enthüllungen präsentiert, welche Baltimore in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Das hat leider zur Folge, dass in den Abenteuern dazwischen die Charakterentwicklung etwas vernachlässigt wird. Zwar gibt es hier auch denkwürdige Szenen oder interessante Interaktionen, doch fehlen entscheidende und charakterprägende Momente. Glücklicherweise gleichen die Nebencharaktere hier den Mangel an Tiefgang des Protagonisten wieder aus.

Denn auch wenn Baltimore deutlich macht, dass neben dem titelgebenden Helden keine Figur als Konstante gezählt werden kann, trifft man auf einige interessante Begleiter und Gegenspieler. Hierbei stechen besonders der Reporter Hodge und Inquisitor Duvic  hervor – beides Figuren mit einer Obsession für die Ereignisse um die Vampire. Doch während der eine aufgrund seiner Neugier sich freundschaftlich zu Baltimore hingezogen fühlt, sieht der andere in seinem religiösen Wahn eine potentiell befleckte Seele. Aufgrund dessen wird gerade ein menschlicher Feind stellenweise zur größten Gefahr für den mutigen Vampirjäger.

Apropos Gegenspieler – auch wenn er die treibende Kraft der Geschichte ist, bleibt Haigus selbst leider etwas blass (kein Wortspiel beabsichtigt!). Durch seine Position als Gejagter erhält er natürlich deutlich weniger Aufmerksam als Baltimore, doch auch in seinen vorhandenen Szenen erfährt man nur wenig über ihn. Dies trägt zwar dazu bei, einen mysteriösen Gegner zu schaffen, doch erweckt es auch den Eindruck von verlorenem Potential.

Zeichenstil

Einen großen Anteil an der Sogwirkung von Baltimore haben die Bilder von Ben Stenbeck (Zeichnung) und Dave Stewart (Farben). Sie fangen die Verzweiflung, Brutalität und den Überlebenskampf der gezeigten Welt eindrucksvoll auf und beeindrucken mit Landschaften, Städten und grausigen Kreaturen.

Besonders das Monsterdesign ist hier deutlich hervorzuheben. Neben den blutgierigen Vampiren bekommt es Lord Baltimore nämlich noch mit vielen anderen Ausgeburten der Hölle zu tun, seien es Dämonen oder monsterhafte Riesenbestien. Gerade auch das abwechslungsreiche Sammelsurium an Gegenspielern bringt immer wieder frischen Wind in die Geschichten.

Passend zur Gesamtstimmung von Baltimore zeigt sich auch die Farbgestaltung. Dunkle und düstere Töne dominieren, Farbe (allen voran Rot) wird sehr gezielt zur Schaffung von Akzenten eingesetzt.

Ein schöne Ergänzung sind übrigens die Konzeptzeichnungen, welche am Ende der einzelnen Kapitel zu finden sind. Diese geben, auch dank einiger Notizen der Verfasser, einen Blick hinter die Kulissen und zeigen die Entstehungsgeschichte des Bandes.

Erscheinungsbild

Wie eingangs schon erwähnt, ist Baltimore Sammelband #1 ein wahres Monstrum an Graphic Novel. Üppige 576 Seiten finden sich in einem stabilen Hardcover-Einband, welcher auch langfristige Nutzung gut verkraften sollte. Zur besseren Übersicht kommt der Sammelband zudem mit einem Lesebändchen, um die zuletzt aufgeschlagene Seite zu markieren.

Die farbliche Gestaltung des Einbandes spiegelt gut den gesamten Stil des Werkes wider. Das Titelbild stammt aus der Geschichte Die Knochenkapelle, und aufgrund der hauptsächlich schwarzen Farbe macht die Graphic Novel gleichzeitig einen düsteren und eleganten Eindruck. Hey, fast wie ein Vampir der alten Schule …

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Mike Mignola, Christopher Golden
  • Zeichner(in): Ben Stenbeck, Dave Stewart
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 576
  • Preis: 50 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Cross Cult Shop

 

Fazit

Baltimore Sammelband #1 ist ein opulentes Werk voller Nervenkitzel und eindrucksvoller Bilder. Die Zusammenführung von 4 Einzelbänden brilliert mit einer fesselnden Geschichte, welche den Leser durch ganz Europa führt und mit immer neuen Abenteuern konfrontiert.

Auch wenn Hauptcharakter und Gegenspieler an einigen Stellen mehr Charaktertiefe vertragen könnten, kommt man nicht umhin, dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Baltimore und Haigus zu verfallen. Großen Anteil daran hat die stimmungsvolle visuelle Gestaltung, welche den Leser voll in eine düstere und gefährliche Welt eintauchen lässt.

Zwar ist der Preis von 50 Euro durchaus stolz, doch bekommt man im Gegenzug dazu auch ein wahres Monstrum an Graphic Novel mit mehr als 500 Seiten Inhalt, Kommentaren und Konzeptzeichnungen. Eine uneingeschränkte Empfehlung für alle Liebhaber von Horror, Mystery und Fantasy – und Fans von Mike Mignola sowieso.

Artikelbilder: Cross Cult, Bearbeitung: Verena Bach
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

4 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein