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In einer erbarmungslosen Galaxis unter der Herrschaft fanatischer Maschinen schlägt sich die junge Neha als Kurierin durch. Ihr Leben ändert sich jedoch, als eine Schwesternschaft von Auftragskillerinnen sie aufnimmt und Neha in einen Konflikt um das Schicksal des Universums gerät. Klingt spannend? Dann ist Decorum vielleicht etwas für euch!

Dem Graphic Novel-Markt mangelt es nicht an guten Geschichten über Killer*innen mit verschiedenen Moralvorstellungen, wie beispielsweise Deadly Class oder Luther Strode Decorum kombiniert diese Thematik mit einer ausladenden Science-Fiction Geschichte und liefert damit nach eigener Aussage eine perfekte Mischung für Liebhaber*innen epischer Storys wie Star Wars und Meuchelmörder*innen-Action wie John Wick.

Wir haben uns den opulenten Sammelband mit seinen mehr als 400 Seiten angesehen und geprüft, ob diese Aussage zutrifft.

Handlung & Charaktere

Neha Nori Sood muss sich als Kurierin verdienen, nicht nur um das eigene Überleben, sondern auch das Schicksal eines Familienmitglieds zu sichern. Der undankbare Job bringt sie schließlich in eine Situation, in der sie einem Mitglied der Schwesternschaft der Menschen begegnet. Die junge Frau weckt das Interesse der Killerin, sodass Neha in den Künsten des Tötens ausgebildet werden soll. Dabei kann sie noch nicht ahnen, dass sie diese Entscheidung in einen Konflikt bringen wird, bei dem es um das Schicksal der gesamten Galaxie geht.

Decorum kann grob in drei Abschnitte eingeteilt werden. Zu Beginn erfolgt die Einführung von Welt und Charakteren, sowie die Entdeckung von Neha durch die Schwesternschaft. Der zweite Abschnitt legt den Fokus auf die Ausbildung, das Leben in der Schwesternschaft und die wichtigsten Personen dieser. Der dritte und letzte Teil der Graphic Novel ist ein absurdes Spektakel an Gewalt, Drama und Action mit einer mächtigen K.I. im Mittelpunkt des Geschehens.

Leider weist besonders der erste Teil, welcher Lesende eigentlich an die Geschichte heranführen sollte, erzählerische Schwachstellen auf. Stellenweise wirkt die Handlung langatmig und besonders die Einführung der Kirche der Singularität verwirrt. Dass in der gesamten Graphic Novel ein essenzieller Teil des Hintergrunds über Infografiken oder lange Infotexte erzählt wird, ist dem Lesefluss nicht förderlich. Speziell die Infografiken sind zwar ästhetisch wunderbar anzuschauen, doch nicht immer einfach verständlich.

Das Highlight bilden die beiden anderen Abschnitte der Handlung. Die Ausbildung von Neha ist unterhaltsam und spannend gestaltet, wobei die Interaktion mit ihren Mitschülerinnen stellenweise oberflächlich wirkt. Der Fokus liegt auf der Beziehung zwischen der Nachwuchs-Mörderin und ihrer Entdeckerin und gleichzeitigen Mentorin Madame Smith-Morley. Die Beziehung zwischen den beiden Frauen besitzt Charme und ihre Interaktionen sorgen sowohl für amüsante als auch emotionale Momente.

Das Ende bildet das komplette Gegenteil zum ersten Abschnitt. Innerhalb kürzester Zeit bricht die Hölle los und die Ereignisse überschlagen sich. Mitunter überspringt die Handlung einige Details, sodass von einem Panel zum anderen Ereignisse eintreten, die bei anderen Graphic Novels über komplette Seiten abgehandelt würden. Das zugewonnene Tempo erhöht die Dynamik und Brisanz der Geschichte, doch es wirkt mitunter überfordernd.

Zeichenstil

Die visuelle Gestaltung von Decorum bleibt in Erinnerung, da ihr etwas gelingt, das bei vielen anderen Graphic Novels einen negativen Eindruck hinterlässt. Denn gefühlt probiert der verantwortliche Künstler Mike Huddleston alle möglichen Stilrichtungen aus, die man sich vorstellen kann. Einige Szenen sind in Schwarz-Weiß gehalten, während andere prächtig koloriert sind und wie Konzeptzeichnungen wirken. Dann wiederum gibt es Panels, die an den Stil klassischer Superhelden-Comics erinnern oder Elemente von Mangas aufweisen. Messerscharfe Konturen wechseln sich mit sanften Umrissen ab oder ganzen Seiten, die auch aus einem Skizzenbuch stammen könnten. Diese Mischung findet sich sogar in einzelnen Panels, welche unterschiedliche Stilrichtungen kombinieren.

Aufgrund des konstanten Wandels wirkt diese Vielzahl an künstlerischen Richtungen erstaunlich stimmig. Jede Seite liefert eine Überraschung, welcher Weg der Inszenierung diesmal gewählt wird. Während wechselnder Art-Style bei vielen anderen Graphic Novels einen Bruch im Lesefluss zur Folge hat, sorgt es bei Decorum erstaunlicherweise für zusätzliche Atmosphäre.

Die Infografiken weisen die größte Beständigkeit auf und wirken mit ihren weißen Flächen und sorgfältig gewählten Farbschemen aufgeräumt. Bei der Lektüre kam unmittelbar das Design des Brettspiels T.I.M.E. Stories in Erinnerung, welches auf einen ähnlichen Stil setzt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor*in: Jonathan Hickman
  • Zeichner*in: Mike Huddleston
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 408
  • Preis: 48,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Die Lektüre von Decorum ist ein Erlebnis. Unglücklicherweise wirkt gerade der Beginn sperrig und stellenweise langatmig, bis die interessanten Passagen der Handlung glänzen. Das liegt weniger an der Protagonistin und den Ereignissen selbst, sondern hauptsächlich an der Vermittlung einer großen Zahl an Informationen. Das ein Teil dieser über, zugegeben künstlerisch sehr ansehnliche, Infografiken vermittelt wird, fördert den Lesefluss nicht.

Erfreulicherweise bessert sich das, sobald der Fokus auf der Meuchelmörderinnen-Ausbildung von Hauptfigur Neha und der finalen Mission liegt. Zugegeben sind die meisten anderen Charaktere oberflächlich, doch die unterhaltsame Handlung gleicht diesen Makel aus. Ebenso fasziniert die visuelle Gestaltung der Graphic Novel. Decorum enthält eine Vielzahl unterschiedlichster Stile, die von farbenprächtiger Detailaufnahmen bis zu groben Skizzenzeichnungen reichen. Interessanterweise ist diese Abwechslung und der Wandel an Darstellungsformen so allgegenwärtig und geschickt kombiniert, dass der Lesefluss darunter nicht leidet.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die von Seiten des Verlags getroffene Aussage berechtigt ist. Decorum ist in der Tat eine gelungene Mischung für Liebhaber*innen epischer Storys wie Star Wars und Meuchelmörder*innen-Action wie John Wick.

  • Handlung besonders in den letzten beiden Dritteln äußerst fesselnd
  • Gute Charaktermomente zwischen Protagonistin und ihrer Mentorin
  • Harmonisches Zusammenspiel unterschiedlicher Zeichenstile
 

  • Zäher Einstieg in Hintergründe und Geschichte
  • Viele Charaktere sehr oberflächlich

Artikelbilder: © Cross Cult
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Giovanna Pirillo
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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