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In Wetzlar gibt es einen Ort, der das Herz aller Liebhaber phantastischer Bücher höher schlagen lässt: die Phantastische Bibliothek. Anlässlich ihres 30-jährigen Jubiläums haben wir der Bibliothek einen Besuch abgestattet. Dabei fanden wir nicht nur zahlreiche thematisch sortierte Bücher, sondern auch Engagement, Geschenke und viele, viele Drachen.

Die Phantastische Bibliothek Wetzlar ist uns spätestens ein Begriff, seit wir Teil der Jury der Phantastik-Bestenliste sind, denn wir teilen uns diese Aufgabe unter anderem mit drei Bibliothekarinnen aus Wetzlar. Als am 25. Mai 2018 in den Räumen der Bibliothek ihr 30-jähriges Bestehen gefeiert wurde, habe ich diesen freudigen Anlass genutzt, Wetzlar endlich einmal einen Besuch abzustatten.

Mehr als nur eine Bibliothek

Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, aber mit dieser Vielzahl an Drachen hatte ich nicht gerechnet. Ersteinmal ist die Phantastische Bibliothek, wie der Name schon sagt, natürlich eine Bibliothek. Gegründet wurde sie zum Jahresanfang 1988 als Spezialabteilung der Wetzlarer Stadtbibliothek, mit der sie bis heute eine enge Partnerschaft pflegt. Innerhalb relativ kurzer Zeit wuchs der Bestand so schnell an, dass eigene Räume notwendig wurden. In der folgenden Zeit zog die Bibliothek zweimal um und fand letztlich im ehemaligen Gebäude des Hessischen Baumanagements eine neue, dauerhafte Bleibe. Ursprünglich von der Stadt Wetzlar, einem Verein und einer Stiftung gemeinsam betrieben, ist die Phantastische Bibliothek seit 2006 im Besitz einer eigenen, gemeinnützigen Trägerstiftung.

Eine einladende Sitzecke
Eine einladende Sitzecke

Allerdings ist die Phantastische Bibliothek deutlich mehr als „nur” ein Ort für Bücher. In ihren Räumen finden die „Wetzlarer Tage der Phantastik“ ebenso statt wie Bibliothekstage, Ausstellungen, Preisverleihungen, umfangreiche Bildungsarbeit, Zukunftsberatungen für Unternehmen, grenzübergreifende Literaturwissenschaft, zurzeit fünfzehn Deutschkurse für Geflüchtete und zahlreiche weitere Projekte. Außerdem ist sie mit einem Bestand von 280.000 Titeln die weltweit größte öffentlich zugängliche Bibliothek für phantastische Literatur. Zu der einzigartigen Sammlung zählen unter anderem eine vollständige Sammlung Perry-Rhodan-Hefte, utopisch-phantastische Literatur der DDR und eine Reihe anderer, seltener Bücher. Diese sind nicht immer alle der Phantastik zuzuordnen, besonders seit 2015 kam eine Reihe fremdsprachiger Kinderbücher dazu.

Ja, man kann auf dem Rhodan-Thron sitzen, ohne dass er zusammenbricht
Ja, man kann auf dem Rhodan-Thron sitzen, ohne dass er zusammenbricht

Zusätzlich ist sie ein Heim für Drachen, bereits an der Fassade wird man von freundlichen und teilweise lesenden Drachen begrüßt. Im Inneren warten Bücher darauf, in einer der zahlreichen Leseecken aufgeschlagen und genossen zu werden. Die Bibliothek ist nach inhaltlichen Themen sortiert. So gibt es beispielsweise Abteilungen für Horror, Utopien und Dystopien und Science-Fiction, Bücher mit ähnlichen übernatürlichen Wesenheiten stehen beisammen. Dies gilt besonders für Kinder- und Jugendbücher, wo es eigene Regalbretter für Gespenster, Drachen, Feen und andere Kreaturen gibt, aber auch im Bereich der Phantastik für Erwachsene habe ich einen einzelnen Raum für Steampunk und ein Vampirregal gesichtet, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Auch hier sind immer wieder Drachen anzutreffen, die zwischen Büchern im Regal sitzen oder an der Decke hängen. Doch sie sind nicht die einzigen phantastischen Wesen, das Dekor ist stets passend, so gibt es in der Horrorabteilung Fledermäuse und in der Science-Fiction-Abteilung wacht ein Stormtrooper.

Die Jubiläumsfeierlichkeit und der Phantastik-Preis

Anlässlich des Jubiläums präsentierten sich an verschiedenen Stellen in den Räumen der Bibliothek die einzelnen dort ansässigen Arbeitsfelder. Alle beschäftigten sich auf irgendeine Weise mit Sprache oder Büchern. Leider war die Präsentation für Nicht-Kenner der Arbeitsfelder teilweise etwas zu unzugänglich, eine deutlichere Einführung oder Struktur hätte an einigen Stellen gut getan.

Ein Regal mit Drachen, Büchern und Spielen für große und kleine Kinder.
Ein Regal mit Drachen, Büchern und Spielen für große und kleine Kinder.

Auch darf man Fremde, die mit ratlosem Blick in den Raum treten, gerne einsammeln und ihnen die eigene Arbeit erläutern. An anderen Stellen wiederum hat es wunderbar geklappt, das Projekt zu präsentieren und zu erklären, ich möchte hier als besonders positive Vorbilder „Vorlesen in Familien“ und „Future Life“ erwähnen. Ersteres stellt Kindern, die es aus welchen Gründen auch immer nicht einfach haben, ehrenamtliche, geschulte Vorleser zur Seite, um so unter anderem Sprachkompetenz und Konzentrationsfähigkeit zu fördern. Zweiteres unterstützt Firmen dabei, aus Science-Fiction Möglichkeiten zukünftiger Entwicklungen zu entdecken, in der Literatur ist das Ende des Erdöls schließlich bereits ebenso durchdacht worden wie ein mobiles Kommunikationsgerät.

Nach der Präsentation folgte ein offizieller Festakt mit Reden, Grußworten und Geschenken verschiedener Menschen, zu Wort kamen unter anderem der hessische Finanzminister, Dr. Thomas Schäfer (CDU), und der Autor Bernhard Hennen. Der durchaus unterhaltende Festakt wurde von Orkenspalter TV live im Internet übertragen und lässt sich auch auf deren Youtube-Kanal nachträglich ansehen.

Nach dem Ende des Festakts bestand die Möglichkeit, sich an einem köstlichen Buffet zu stärken und der Verleihung des Phantastik-Preises der Stadt Wetzlar beizuwohnen. Mit diesem wird im derzeit zweijährigen Turnus seit 1983 ein deutschsprachiges Buch der Phantastik ausgezeichnet, wobei sich die Jury aus Viellesern, Bibliothekaren und anderen Freiwilligen zusammensetzt – es handelt sich also nicht um einen literaturwissenschaftlichen Preis. In diesem Jahr wurde Die Verteidigung des Paradieses von Thomas von Steinaecker mit dem Preis ausgezeichnet, eine in Deutschland spielende Dystopie. Auch die Preisverleihung wurde von Orkenspalter TV live gezeigt und hat sicherlich selbst einen Preis für die längste Laudatio verdient.

In der Phantastischen Bibliothek gibt es auch eine Toilette für Außerirdische
In der Phantastischen Bibliothek gibt es auch eine Toilette für Außerirdische

Eine fantastische Bibliothek

Die Feierlichkeit zum 30-jährigen Jubiläum der Phantastischen Bibliothek war es in jedem Fall wert, an ihr teilzunehmen. Auch wenn einige der überaus vielfältigen Arbeitsfelder der Bibliothek nicht optimal vorgestellt wurden, hat der Festakt deutlich gezeigt, wie breit aufgestellt die Phantastische Bibliothek ist und sich in die Gesellschaft einbringt.

Auch Wetzlar ist eine Reise wert, der Dom in der netten Altstadt sieht aus, als sei er ein Lehrstück der Baustilkunde und es lässt sich auf Goethes Pfaden wandeln, der in Wetzlar seine Inspirationen zu den Leiden des jungen Werther fand. Doch wen es nach phantastischen Büchern dürstet, der muss nur am Turm der ehemaligen Stadtbefestigung vorbei und in das Haus mit den Drachen auf der Fassade gehen.

Hier kann man lesen, spielen, schmökern, sich in eine der Leseecken verkriechen, über Phantastisches recherchieren oder sich ein bisher unbekanntes Buch empfehlen lassen. Die Bibliothek ist nicht nur einzigartig, sie ist kurzum fantastisch!

Fotografien: Marie Mönkemeyer

 

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