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Amazon traut sich was. Der Streaming-Gigant hat Garth Ennis’ Erfolgs-Comic The Boys als Serie auf den Markt gebracht. Der Comic sorgte bei seinem Erscheinen durch die schonungslose Darstellung von sexueller, körperlicher und auch psychischer Gewalt für Aufsehen und Kontroversen. Mal sehen, ob die Serie dies auch tut.

Der britische Autor Garth Ennis war schon immer dafür bekannt, in seinen Geschichten heiße Eisen anzufassen und sie auf krasse Art und Weise an ein vornehmlich erwachsenes Publikum zu bringen. Werke wie Hellblazer, Preacher und einige harte Punisher-Runs ließen ihn zum Star werden. The Boys stellte jedoch das Genre auf den Kopf. Wo die Helden zwar in den vorherigen Werken fehlbar und teils ultrahart waren, so waren sie doch stets zumindest Anti-Helden. Mit der Reihe um die Boys widmete sich Ennis dem Superhelden-Genre. Mit durchschlagendem Erfolg und harten Bandagen.

In einer Welt, in welcher Superhelden real sind und täglich den kleinen Mann sowie wöchentlich die Welt retten, ist eigentlich alles in bester Ordnung. Die Menschen müssen nichts fürchten. Doch sind Kollateralschäden ebenso an der Tagesordnung. Denn die sogenannten „Supes“ sind offensichtlich nie mit Peter Parkers Maxime in Berührung gekommen. Denn für viele von ihnen führt große Macht nicht zu großer Verantwortung, sondern viel eher zu Überheblichkeit, Dekadenz und Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber. Allen voran stehen die Seven, die größten Helden der Erde: zu unfehlbaren Idolen stilisierte und verklärte Superhelden, die insgeheim jedoch ebenso fehlerbehaftet und gierig sind wie jeder andere auch. Doch deckt eine unermüdliche Propagandamaschine ihre abscheulichen Taten. Und die Boys haben die Schnauze gestrichen voll davon.

Story

Hugh „Hughie“ Campbell (Jack Quaid) ist ein Nerd, der in einem 24-Stunden-Elektronikfachmarkt in der Nachtschicht arbeitet, nicht genug Eier in der Hose hat, um den Boss auf eine Gehaltserhöhung anzusprechen, aber dennoch glücklich mit seiner hübschen Freundin Robin ist. Gerade als die Beiden auf dem Heimweg ihre erste, gemeinsame Wohnung planen, geschieht das Unfassbare. Robin wird durch die Unachtsamkeit des Superhelden A-Train (Jessie Usher), des schnellsten Menschen der Welt, aus Hughies Armen und ihrem Leben gerissen. Der „Held“ scheint dies kaum zu bemerken und rennt nach kurzem: „Ich kann nicht anhalten. Ich muss weiter“, davon. Hugh bleibt mit Robins verstreuten Überresten zurück.

Einige Tage später tritt zunächst ein Anwalt von Vought an Hughie heran – jener Firma, welche die Lizenzrechte der Superhelden besitzt und somit deren Zügel in der Hand hält. Der Anwalt unterbreitet ein nahezu lachhaftes Angebot, welches Hugh Senior (Simon Pegg) nur zu gern annehmen würde. Doch lehnt Hughie ab, da die Firma versucht, die Schuld auf die tote Robin abzuwälzen. Am selben Abend tritt ein weiterer Mann, auffällig unauffällig, im schwarzen Trenchcoat an Hughie heran. Dieser weiß ebenfalls erschreckend viel über den Vorfall. Er stellt sich als FBI Agent Billy Butcher (Karl Urban) vor und bietet Hugh an, ihm dabei zu helfen, Beweise gen A-Train zu erbringen, damit dieser für den Mord zur Verantwortung gezogen werden kann.

Schon bald jedoch dämmert es Hughie, dass Butcher nicht wirklich vom FBI sein kann und auch nicht nur an A-Train interessiert ist.

Zur gleichen Zeit trainiert die junge Annie January (Erin Moriarty) für die Aufnahmeprüfung in die Oberliga der Superhelden. Hat sie doch bisher als ihr Alter Ego Starlight nur im eher ruhigen Iowa für Ruhe gesorgt. Und tatsächlich geht ihr Traum in Erfüllung: Sie wird ausgewählt, den Seven beizutreten, da deren langjähriges Mitglied Lamplighter „in den Ruhestand getreten“ ist. Doch schon bald muss sie erkennen, das hinter der glänzenden Fassade des riesigen New Yorker Hauptquartiers des Teams ein Sumpf aus Marketing-Lügen, Super-Egos und brutaler Hackordnung steckt, der sie gnadenlos in seine schlüpfrigen Tiefen zerrt. Doch ist sie nicht so naiv, wie ihre neuen Kollegen denken.

Aus dieser Situation heraus entwickelt sich eine Story über Rache, Obsessionen, Machtmissbrauch, Größenwahn, Verschwörungen und eskalierende Bedrohungen globalen Ausmaßes.

Darsteller

Allen voran muss Simon Pegg erwähnt werden, welchem im ursprünglichen Comic die Figur des Hughie Campbell nachempfunden wurde. Aufgrund seines Alters entschied man sich dafür, ihm die Gastrolle des Hugh Campbell Senior zu geben, welche er mit Bravour meistert: der unsichere, etwas kleingeistige Witwer, der seine Abende lieber daheim vor dem Fernseher verbringt und die Weltordnung nicht hinterfragt. Er will nur das Beste für seinen Sohn, und da er selbst als Duckmäuser durchs Leben gekommen ist, ist er fest überzeugt, dass sein Sohn dies ebenso tun muss.

Jack Quaid verkörpert den Mittzwanziger Nerd Hughie, der es kaum fassen kann, eine solche tolle Frau wie Robin an seiner Seite haben, sich für seine Zurückhaltung insgeheim schämt, aber dies ebenso wenig zugeben kann wie seine Unzufriedenheit mit seinem Job, sehr glaubhaft und sympathisch.

Erin Moriarty kann in ihrer Rolle als Annie „Starlight“ January überzeugen. Sie vertritt den Typus der Frau, die sich gegen alle Widrigkeiten durchsetzt und sich von Machogehabe und versteckten Drohungen nicht unterkriegen lässt. Wobei ihre Kräfte nicht einmal ihr stärkstes Werkzeug sind. Bravo.

Karl Urban hat als Billy Butcher seine Paraderolle gefunden. Als brutaler Zukunfts-Cop Judge Dredd hatte er ja bereits bewiesen, dass ihm harte Action nicht fern liegt. Doch als von Rache getriebener, mörderischer Stratege mit Sinn für schwarzen Humor und Improvisationstalent geht er an die Grenzen. Soll man ihn hassen oder lieben? In jedem Falle merkt man Urban die Freude am Spiel in jeder Minute an, und sein schnodderiger, breiter, britischer Straßenslang ist in der Original-Tonspur ein Genuss.

Besonders hervorheben möchte ich jedoch Andrew Starr, welcher die Superman-Variante „The Homelander“ mit beeindruckender Vielfalt und Tiefe darstellt. Keine leichte Rolle und absolut sehenswert.

Inszenierung

Achtung! Leichte Spoiler voraus!

Die Story basiert auf den gleichnamigen Comics und orientiert sich stark an ihnen, weicht jedoch grade so weit ab, dass sie in den Zeitgeist des Jahres 2019 passt. Sie variiert die Charaktere kaum, und wenn, dann dort, wo es zählt. Billy Butcher trägt Bart, na und?

So wird weit mehr auf das Innenleben der Figuren eingegangen. Protagonisten ebenso wie Antagonisten wird Zeit eingeräumt, um ihnen Tiefe zu verleihen. So sind die Supes nicht bloß Mittel zum Zwecke der übertriebenen Gewaltdarstellung, wie sie es im Comic oft waren, sondern Individuen mit Gefühlen, Sorgen und Nöten. Man fühlt teilweise mit ihnen. Teilweise, da manche Figuren einfach zu durchgedreht und der Menschlichkeit entfremdet sind.

Ebenfalls weicht die Serie dahingehend etwas vom Original ab, dass Butcher sein Team erst zusammenstellt, wo es im Comic bereits etabliert war. Dies ermöglicht allerdings eine bessere Charakterisierung der Mitglieder.

Der größte Unterschied jedoch ist, dass die Boys in der Serie nicht selbst über Kräfte verfügen, sondern abgesehen von ihren erworbenen Fähigkeiten ganz normale, sterbliche Menschen sind. Einzig The Female (Karen Fukuhara), die erst im späteren Verlauf der Handlung eingeführt wird, ist superstark und -geschickt und ein wenig älter als in den Comics, wo sie ein Teenager ist. Dadurch gelingt es den Machern, die Situation ungemein spannender zu machen, da die Bedrohung durch die Supes wesentlich greifbarer ist. Ebenso müssen sich die Charaktere aufeinander und ihre Cleverness verlassen, um der Situation Herr zu werden. Stumpfe Gewalt hilft hier nur selten.

Jedoch wirft das Fehlen von Kräften für Kenner des Comics im Falle von Mothers Milk auch eine interessante Frage auf.

Erzählstil

Hauptakteure der Geschichte sind Hughie und Annie, sie sind Dreh- und Angelpunkt der Geschehnisse, Auslöser und Opfer vieler Machenschaften und Intrigen. Sie sind Spielball der Autoritätspersonen Butcher und Homelander beziehungsweise Voughts, vertreten durch die skrupellose Madelyn Stillwell (Elisabeth Shue). Wie im Grunde die meisten anderen Figuren auch.

Die Handlung schreitet rasant und flüssig voran – und hier liegt mein größter Kritikpunkt. Würden vergangene Zeiträume von Wochen und Monaten nicht bisweilen beiläufig in Gesprächen erwähnt, man könnte meinen, alles fände innerhalb weniger Tage nach Robins Tod statt, was gerade die aufkeimende Liebe zwischen Annie und Hughie etwas seltsam überhastet erscheinen lässt

Die harten Fakten:

  • Regie: Seth Rogen, Evan Goldberg
  • Darsteller: Karl Urban, Jack Quaid, Erin Moriarty, Elisabeth Shue et al
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Stream
  • Preis: in Amazon Prime enthalten.
  • Bezugsquelle: Amazon

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Fazit

Eine für meine Begriffe sehr gelungene Umsetzung des Comics auf das Serienformat. Einzelheiten der Story wurde modernisiert und den heutigen Gegebenheiten sowie dem Budget angepasst. Die bitterböse Parodie auf die Justice League und andere Heldenteams hat nichts von ihrer Schärfe eingebüßt, und deutliche Anspielungen auf die Verklärung und Verehrung von Popstars unserer Welt sind zu erkennen. Es wimmelt von Seitenhieben auf die derzeitige amerikanische Regierung und den grenzenlos gierigen Kapitalismus, sowie die zunehmende Privatisierung von Regierungsgeschäften und deren Korruption und Anfälligkeit gegenüber Erpressung und Bestechung. Toxische Männlichkeit wird ebenso angesprochen wie Drogenkonsum, Menschenhandel und verlogener, zur Ausbeutung genutzter Glaube. Dabei geht die Serie überraschend feinfühlig vor und zeigt auch die Hintergründe und vor allem Konsequenzen mancher Entscheidung.

Schwarzhumorig und explizit kommt die Inszenierung daher, zeigt Gewalt in all ihren Formen, spielt sie dabei jedoch keinesfalls herunter. Die extreme Gewaltdarstellung dient hier nicht, wie zum Teil im Comic, als reiner Schockfaktor, sondern belegt die Entfremdung der Charaktere von allem Menschlichen. Sei es im Falle von Homelander durch die Verführung der Macht und seine Erziehung durch Wissenschaftler in einem Labor oder in Butchers Fall durch seinen von Rachedurst befeuerten Feldzug gegen alle Superwesen.

Die Serie ist sich nicht zu schade, dem Bösen ein Gesicht und eine menschliche Seite zu geben. Allen Superhelden sind menschliche Schwächen inhärent, mit denen sie hart zu kämpfen haben. Manche stellen sich ihnen, mache gehen daran zugrunde. Interessanteste Nebenhandlung ist hier der Arc rund um The Deep (Chace Crawford), der erst, nachdem er selbst die Demütigung erfahren hat, die er Starlight hatte angedeihen lassen, versteht, dass etwas an und mit ihm nicht stimmt und er etwas dagegen tun muss. Hauptfigur Hughie ist zunächst auf dem besten Wege, wie Butcher zu werden, reißt jedoch das Steuer herum. Nicht zuletzt ob seiner Beziehung zur zweiten Hauptakteurin Starlight, die ebenfalls nicht gewillt ist, zu einem Abziehbild ihres Vorbildes zu verkommen.

Die extreme Gewalt und die teils deutlichen politischen Anspielungen mögen nicht jedermanns Sache sein, aber wer sich mit so etwas arrangieren kann, der ist mit dieser Serie gut beraten.

Mit Tendenz nach Oben

Artikelbilder: © Amazon Prime Originals, Bearbeitung: Roger Lewin
Dieser Amazon-Prime-Zugang wurde privat finanziert.

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