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Wie erhält ein beinahe in Vergessenheit geratener Gott seine Macht zurück? Diese Frage treibt die Handlung von Neil Gaimans berühmtem Werk American Gods, das von Amazon als Serie umgesetzt wurde. Die Comicadaption des Romans geht in den Endspurt und wir haben den vierten und fünften Band einem Kurzcheck unterzogen.

Normalerweise kann ich Fortsetzungen ohne nennenswerte Fortschritte der Haupthandlung nicht leiden. American Gods bildet eine Ausnahme. Denn trotz des sehr langsamen Erzähltempos zieht mich die Handlung in ihren Bann. Beim ersten Band fasziniert das Unbekannte. Sowohl der Protagonist Shadow Moon als auch der Leser erkennen, dass man in eine ungewöhnliche Lage gestolpert ist. Das ist beim zweiten Band nicht mehr der Fall. Schnell wird die übernatürliche Natur aller Beteiligten klar gemacht. Doch anstelle einer Eskalation wartet eine intensive Charakterstudie des Protagonisten. Das macht den dargestellten Machtkampf glaubwürdiger. Denn man erkennt aus der Sicht eines Sterblichen, welche Tragweite der von Mr. Wednesday (Odin) geplante Konflikt annehmen kann.

Der dritte Band setzt den erzählerischen Stil seiner Vorgänger fort. Das enthält sowohl positive als auch negative Elemente. So schreitet die Rahmenhandlung nur zäh voran. Im Gegenzug erhält man aber sorgfältige Charakterentwicklung und eine Vielzahl an interessanten Andeutungen zum kommenden Krieg der Götter.

Doch aller Spannungsaufbau muss auch einmal zu einem Ende führen. Können der vierte und fünfte Band der Reihe den lang angedeuteten Konflikt endlich in Szene setzen?

American Gods Bd. 4: Ich, Ainsel Buch 2/2

Der vierte Band weist eine umgekehrte Struktur zu seinem Vorgänger auf. Das erste Buch von Ich, Ainsel beginnt mit Shadows Ankunft in Lakeside und endet mit seiner Reise mit Mr. Wednesday zur Rekrutierung weiterer Gottheiten. Im zweiten Buch setzen die beiden diese Werbephase fort, bis Shadow wieder in das beschauliche Lakeside zurückkehrt. Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben jedoch ihren Schatten (kein beabsichtigter Wortwitz!) bis dorthin geworfen. Shadow sieht sich mit Vorwürfen und Anschuldigungen zum Verschwinden einer jungen Frau konfrontiert. Zu allem Überfluss eskaliert der Konflikt der Unsterblichen kurz darauf vollends.

Dieses zuletzt erwähnte Ereignis ist der Katalysator, der die Handlung von American Gods zu ihrem Höhepunkt führt. Leider findet es spät in diesem Band statt. Zuvor ist die Handlung geprägt von einem langsamen Fortschritt. Während die ersten drei Bände diese zur Charaktervertiefung nutzten, zieht sich der Spannungsbogen in Ich, Ainsel Buch 2/2 dagegen hin. Das Interesse an den Charakteren weicht der Ungeduld über den Fortschritt der Rahmenhandlung.

Das können auch die interessanten mythologischen Elemente nicht aufheben. Ich habe mich lange schwer getan, etwas Bemerkenswertes über diesen Band abseits der Eskalation für diese Rezension zu finden. Erzählerisch wirkt Ich, Ainsel Buch 2/2 bis jetzt am schwächsten.

Zeichner Scott Hampton setzt auch in diesem Band seinen charakterorientierten Stil fort. Abermals sind Hintergründe und Farbpalette sehr minimalistisch gehalten, um den Akteuren nicht die Bühne zu stehlen. Stellenweise erinnert die visuelle Gestaltung an Skizzen. Die Kolorierung im Flatart-Stil verstärkt diesen Eindruck. Im Gegensatz zum Vorgänger ist die Farbpalette umfassender. Die winterliche Atmosphäre Lakesides steht nicht mehr im Vordergrund, weswegen mehr Abwechslung in der Farbgestaltung möglich ist.

Dies kommt geschickt in Aspekten des Storytellings zum Tragen. Besonders der Endspurt ist in für die Serie ungewöhnlich kräftigen Farbtönen gehalten. Der eingangs erwähnte Wendepunkt wird dadurch eindringlicher und wirkt nach. Nach der Langatmigkeit des Anfangs des Bandes ist man als Leser regelrecht aufgerüttelt.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autoren: Neil Gaiman, P. Craig Russell
  • Zeichner: Scott Hampton, Jennifer T. Lange
  • Seitenanzahl: 128
  • Preis: 19,80 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazonidealo

 

American Gods Bd. 5: Die Stunde des Sturms 1/2

Diese Faszination fängt der fünfte Band von American Gods bravourös auf. Der bisher nur schwelende Konflikt ist vollständig ausgebrochen. Beide Parteien bringen sich in Stellung und Shadow ist inmitten all des Chaos mitgefangen. Aus irgendeinem Grund scheint ihm in der bevorstehenden Schlacht zwischen alten und neuen Göttern eine gewichtige Rolle zuzukommen. Shadow muss eine Entscheidung treffen, ob er den Ansprüchen von Mr. Wednesday gerecht werden will.

American Gods Bd. 5: Die Stunde des Sturms 1/2 bringt den lang erwarteten dramaturgischen Höhepunkt der Geschichte. Trotz des nach wie vor tendenziell langsamen Erzähltempos schreitet die Handlung deutlich voran. Als LeserIn ist man gespannt auf den weiteren Verlauf und besonders das Schicksal ausgewählter Einzelcharaktere. Langsam eröffnet sich zudem die Bedeutung von Shadow und das Ausmaß des inszenierten Konfliktes. American Gods Bd. 5: Die Stunde des Sturms 1/2 enthält in dieser Hinsicht eine Vielzahl von Enthüllungen.

Gleichzeitig findet der Band zu einem stimmigen Übergang zum Abschluss der Saga in der nächsten Graphic Novel. P. Craig Russell wählt den perfekten Moment, um das große Finale einzuleiten und Lust auf mehr zu machen.

Zum Zeichenstil wurde im Abschnitt zum vierten Band bereits viel gesagt. Der fünfte Band sticht auch in dieser Hinsicht positiv hervor. Die Farbvielfalt des Vorgängers wird beibehalten und um optisch noch opulenter wirkende Szenen ergänzt. Dieser Band von American Gods weist wahrscheinlich die höchste Dichte an mythischen Gestalten und Ereignissen auf. Die Faszination der vermittelten Welt intensiviert sich dadurch.

Gleichzeitig bekommt man einige der eindringlichsten Szenen präsentiert. Besonders im Gedächtnis bleibt eine Episode in einer Zwischenwelt zwischen Shadow, Mr. Ibis und Mr. Jackal. Diese bündelt die Ereignisse und Emotionen der vorangegangenen Bände in etwa fünf Seiten und lässt die Reise bis zu diesem Punkt stimmig Revue passieren.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autoren: Neil Gaiman, P. Craig Russell
  • Zeichner: Scott Hampton, Jennifer T. Lange
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 19,80 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Gesamteindruck

Die beiden vorgestellten Bände verkörpern sowohl die besten, als auch die negativsten Elemente der Graphic Novel Adaption von American Gods. In American Gods Bd. 4: Ich, Ainsel Buch 2/2 wird der langsame Erzählstil auf die Spitze getrieben, wodurch der Band langatmig wirkt. Erst eine gewichtige Wendung am Ende des Bandes scheint der Geschichte wieder Leben einzuhauchen. Hiervon profitiert der Nachfolger American Gods Bd. 5: Die Stunde des Sturms 1/2

Trotz des tendenziell immer noch langsamen Erzählstils dringen die faszinierenden Elemente der Handlung nun mit voller Kraft an die Oberfläche. Tiefgreifende Charaktere, faszinierende mythologische Hintergründe und eine Menge an sozialkritischen Anspielungen sorgen für Lesefaszination. Aus diesem Grund ist der fünfte Band der Adaption meiner Meinung nach bisher der beste.

Der skizzenhafte Zeichenstil der Vorgänger bleibt auch diesen Bänden erhalten. Gefühlt wird die Kolorierung jedoch in beiden vielfältiger und intensiver. Auch in dieser Hinsicht wirkt American Gods Bd. 5: Die Stunde des Sturms 1/2

In seiner Gesamtheit ist American Gods ein Pflichtkauf für alle Liebhaber von Urban Fantasy, die eine packende Story wertschätzen, die immer ominös bleibt. Das Finale findet die moderne Sage im sechsten Band, der im Juni 2020 erscheinen soll.

 

 

Artikelbild: Splitter, bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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